Zeitschrift für Sozialismus und Frieden 4/06

Herausgeber: Verein zur Förderung demokratischer Publizistik (e.V.)

Spendenempfehlung: 2,50 €

März / April 2006

Schwerpunkt: Geschichte und Klassenkampf


Inhalt


Redaktionsnotiz

Wir hatten, wie Ihr ja wisst, das Jahr 2005 mit einem Defizit von etwas mehr als 2.500,00 € abgeschlossen, ein Defizit, das uns fast in die Knie zwang. Eure Reaktion darauf war großartig, ja fast schon überwältigend: es sind in den ersten drei Monaten des Jahres 2006 mehr als 6.000,00 € an Spenden für die „Offensiv“ eingegangen. Auch wenn das noch nicht das ganze Jahr absichert, so sind wir doch unendlich froh darüber, dass die Finanzkrise zunächst einmal überwunden ist und wir wie gewohnt sowohl Sonderhefte herausbringen als auch alles das, was uns an interessanten und wichtigen Artikeln zugeht, tatsächlich drucken zu können[1]. Wir danken allen, die uns unterstützt haben, möchten an dieser Stelle aber, ohne den Dank an die vielen Leserinnen und Leser, die uns mit kleinen und mittleren Beträgen geholfen haben, zu schmälern, vier Spenden ganz besonders hervorheben: Da kamen aus Köln vom Genossen Leo Kever 2.000,00 €, aus Berlin erhielten wir eine Einzelspende von 550,00 € und eine weitere von 300,00 € und aus Österreich erreichte uns eine Spende von 350,00 €. Wir sagen nochmals herzlichen Dank! Ohne Euch, ohne die Unterstützung durch unsere Leserinnen und Leser wären wir verloren.

Trotz dieses aktuell sehr guten Spendenaufkommens haben wir uns natürlich Gedanken gemacht, wie denn eine ähnliche Notsituation in Zukunft zu vermeiden oder wenigstens abzumildern wäre. Der Genosse Robert Medernach aus Luxemburg hatte die Idee, dass die Bildung eines Förderkreises für die Offensiv ein guter Weg sein könnte. Er schlug vor, einen Kreis von Personen zu bilden, die sich für mindestens ein Jahr verpflichten, einen beliebigen Beitrag monatlich mittels Dauerauftrag für die „Offensiv“ aufzubringen und auf einem gesonderten Konto zu parken, um in Notsituationen helfend eingreifen zu können. Wer sich einem solchen „Offensiv-Förderkreis“ anschließen möchte, melde sich bitte brieflich bei Robert Medernach, Postfach 78, L-2010 Luxembourg in Luxemburg. (Leider gibt es einen Wermutstropfen bei der Sache: da uns für das Herausgebergremium der „Offensiv“ bisher die Gemeinnützigkeit vorenthalten wird, werden auch Spenden für den Förderkreis nicht steuerabzugsfähig sein.) Trotzdem hoffen wir, dass wir bis zum Sommer einen Förderkreis aufbauen können. Also, wer sich angesprochen fühlt: Robert Medernach wartet auf Post!

Dieses Haft hat Überlänge, und das ist gut so. Wir haben unterschiedliche Themen, unterschiedliche Anlässe und durchaus Diskussionswürdiges in diesem Heft. Wir würden uns sehr freuen, wenn Diskussionen tatsächlich schriftlich stattfinden könnten, und Ihr könnt Euch sicher sein, dass wir die Rubrik „Resonanz“ nun wieder regelmäßig bringen. Leider war das aus finanziellen Gründen vorher nicht immer möglich, was sicherlich den einen oder anderen Leserbriefschreiber geärgert hat. Aber jetzt gilt: Nur munter hergeschrieben, wir wünschen uns zu mehreren Artikeln einen Gedankenaustausch.

Wir nennen Euch das Spendenkonto, denn natürlich sind wir weiterhin auf Spenden angewiesen: wir brauchen rund 11.000,00 …€ pro Jahr. Eure Spendentätigkeit darf also nicht erlahmen.

Spendenkonto Offensiv:

Inland:
Konto Frank Flegel,
Kt.Nr.: 30 90 180 146 bei der Sparkasse Hannover,

BLZ 250 501 80,
Kennwort: Offensiv

Ausland:
Konto Frank Flegel,
Internat. Kontonummer(IBAN): DE 10 2505 0180 0021 8272 49,
Bankidentifikation (BIC): SPKHDE2HXXX;
Kennwort: „Offensiv“.
 

Redaktion Offensiv, Hannover

Unser marxistisch-leninistisches Fernstudium

Michael Kubi: Das Fernstudium von offen-siv. Ein Erlebnisbericht.

Am 4. und 5. März fand das Anfangsseminar des Fernstudiums von offen-siv statt. Strausberg, eine kleine Ortschaft mit 26.000 Einwohnern, 30 km östlich von Berlin war Tagungsort des Anfangsseminars. Auch wenn die Ortschaft klein und unscheinbar zu wirken scheint, hat sie eine Besonderheit: Viele Straßen und Plätze sind nach großen Persönlichkeiten der Arbeiterbewegung benannt; so gibt es eine Ernst-Thälmann-Straße, eine August-Bebel-Straße etc. Das heißt also, dass Straußbergs Straßen und Plätze im Großen und Ganzen vor einer Umbenennung in Folge der Annektion der DDR durch den deutschen Imperialismus verschont geblieben sind, was nicht zuletzt daran liegt, dass die PDS die stärkste Partei in Strausberg ist.

Aufmerksam auf das Fernstudium bin ich geworden, als ich die Homepage von offen-siv besuchte. Anfangs war ich mir nicht sicher, ob ich da mitmachen wollte oder es doch lieber sein lassen würde. Gründe dafür waren, ob ich mir das leisten könnte und ob ich Zeit dafür hätte; aber ein Interesse bestand allemal. Kurz vor Weihnachten 2005 entschied ich mich dann doch, am Fernstudium teilzunehmen, eine Entscheidung, die ich nicht bereut habe.

Im Januar kriegte ich das erste Schreiben von offen-siv. Neben der Information, wann und wo das Anfangsseminar stattfindet, erhielt ich auch einen Fragebogen über meinen Wissensstand und Literaturbestand, den es auszufüllen und zurückzuschicken galt.

Was versprach ich mir vom Fernstudium? Ich würde zwar nicht sagen, dass ich in Grundfragen des Marxismus-Leninismus ungebildet bin. Dennoch bestehen in manchen Fragen Wissenslücken, die es zu füllen gilt. Da ist das Fernstudium eine optimale Hilfe, meine Unkenntnis in gewissen Themenbereichen zu füllen. Zum anderen war das Fernstudium eine Möglichkeit neue Genossen kennenzulernen und sich mit diesen auszutauschen. Meine Vorstellungen wurden zu 100 Prozent erfüllt.

Das Seminar begann am 4. März um 14 Uhr. Es kamen ca. 40 Leute aus allen Ecken Deutschlands, sogar das stockkonservative Bayern war stark vertreten. Zuerst erfolgte die Begrüßung, die Einteilung in die Unterkünfte, die Einsammlung der Finanzen, sowie die Verteilung des Schulungsmaterials. Die KPD(B) war so freundlich, für uns das Material kostenlos zu drucken, was die Finanzierung des Fernstudiums um einige Euros billiger machte. Hier möchte ich noch mal meinen Dank an die Genossen der KPD(B) ausrichten.

Danach folgte die Einteilung in die Lerngruppen. Eine Gruppe fing mit dem Bereich Ökonomie an, welcher von Frank Flegel geführt wurde. Die andere Gruppe begann mit dem politischen Teil, zu dem auch ich gehörte. Die Teamer des politischen Teils sind Michael Opperskalski und Andrea Schön. Nach einem Jahr Lernzeit werden die Lerngruppen ihre Teamer wechseln.

Gegen 16.30 Uhr fand dann ein großes Ereignis statt. Kurt Gossweiler stattete uns einen Besuch ab und hielt einen spannenden Vortrag über sein politisches Leben, über seine Zeit in der Karl-Marx-Schule in Berlin-Neukölln, im Sozialistischen Schüler Bund SSB, seiner antifaschistischen Widerstandsarbeit im KJVD, sein Überlaufen zur Roten Armee, seine Arbeit als Historiker in der DDR, um nur einiges zu nennen. Ich möchte hier nicht zu ausschweifend werden, wer aber ein Interesse an der Biographie Gossweilers hat, der kann sie unter http://www.kurt-gossweiler.de/bio.htm nachlesen. Kurt Gossweiler ist zwar schon 88, aber immer noch mit Leib und Seele Kommunist, einer von dem man viel lernen kann und das gibt einem jungen Genossen wie mir (ich bin grade mal 21 Jahre jung) viel Kraft und Hoffnung. Als Schlusswort sagte Gossweiler in seinem ca. 2 Stunden langen Vortrag, dass, wenn er solche und ähnliche Veranstaltungen besucht, diese doch von „Grauköpfen“ dominiert werden, hier dies aber ganz anders sei, die jungen Leute überwiegen (die Hälfte der Teilnehmer oder mehr waren junge Leute unter 30) und das gäbe ihm viel Hoffnung – mir auch!

Den Sonntag verbrachte man dann hauptsächlich in den einzelnen Lerngruppen; bei mir also in der Politik-Gruppe. Es gab eine Einführung in das gesamte erste Jahr und eine Einführung in den ersten Vier-Monats-Abschnitt. Auch hier möchte ich nicht ins Detail gehen, aber kurz gesagt werden folgende Themen behandelt werden: Grundlegende strategische Maximen der Kommunisten im Kampf gegen das Kapital, Lenins Parteitheorie, Bündnispolitik, Revisionismus, Trotzkismus im ersten 4-Monatsabschnitt, Aufbau des Sozialismus, Sozialismus als 1. Phase des Kommunismus, Diktatur des Proletariats, Klassenkampf im zweiten 4-Monatsabschnitt und die aktuelle Situation in der BRD, EU, den Trikontstaaten etc., Befreiungskämpfe, Strategie der kommunistischen Bewegung etc. im letzen 4-Monatsabschnitt der Politik-Gruppe. Zwischen den einzelnen 4-Monatsabschnitten finden Zwischenseminare statt.

Es wird dann ein weiteres Einführungsseminar stattfinden, in dem der Stoff des zweiten Jahres mit den jeweils neuen Teamern besprochen wird. Das wäre für mich also das ökonomische Jahr. Hier geht es um Grundlagen der Dialektik, Materialismus, Mehrwerttheorie, den Überblick über die Gesellschaftsformationen, die kapitalistische Akkumulation. Lenins Imperialismustheorie usw.

Wie man sieht ist es eine Menge Stoff, folglich gibt es viel zu lernen. Aber sowohl bei mir, als auch bei den anderen Teilnehmern gibt es eine große Bereitschaft, dies zu lernen und zu verstehen.

Zum Abschluss möchte ich noch sagen: oft wurde behauptet, dass so ein Fernstudium nicht machbar sei. Ich sage, es ist machbar, weil ich selber mit großem Enthusiasmus dabei bin und genauso geht es allen anderen Teilnehmern. Das offen-siv-Fernstudium ist das erste Studium einer Art, um die Grundlagen des Marxismus-Leninismus verständlich zu machen. Zwar organisieren einzelne Gruppen und Parteien ihre Studiengänge, jedoch decken sie entweder nur einzelne Themenbereiche ab oder dienen der Parteipropaganda. Aber – seit dem zweiten Weltkrieg, oder sogar früher – hat es in Deutschland noch niemals solch ein Projekt gegeben, den Menschen alle Grundlagen des Marxismus-Leninismus beizubringen und ich bin froh, dazu zu gehören!

Es wird uns viel Kraft und Zeit kosten, weil es eine Menge ist, die wir in zwei Jahren lernen müssen, aber diese Zeit und Kraft nehme ich gerne auf, denn es geht um eine gerechte Sache!

Rotfront!

Michael Kubi, Frankfurt/Main


Klaus Müller: Der Aufprall einer Stecknadel hätte in den Ohren geschmerzt

Über den Beginn des marxistisch-leninistischen Fernstudiums der Zeitschrift „offen-siv“

Am 4. und 5. März 2006 fand in Strausberg bei Berlin das Einführungsseminar des marxistisch-leninistischen Fernstudiums der Zeitschrift „offen-siv“ statt. Über vierzig Interessierte waren unter zum Teil widrigen Bedingungen aus allen Teilen der Republik angereist.

Die Einstimmung auf das Seminar gestaltete der Genosse Kurt Gossweiler mit lebendigen Schilderungen über prägende Ereignisse und Erlebnisse seines Lebens. Lange habe ich keine ähnliche Veranstaltung erlebt, in der dreiundvierzig wissbegierige vorwiegend junge Genossinnen und Genossen zwischen achtzehn und zwanzig Jahren sowie einige „ältere Semester“ so die Ohren spitzten. Genosse Kurt Gossweiler ließ seine Schülerjahre an der Karl Marx Schule in Berlin, den Widerstand gegen den Faschismus, an dem er schon als 17-jähriger teilnahm, die Ermordung seiner Freunde durch die Nazis, den Überfall der faschistischen Wehrmacht auf Frankreich und kurze Zeit später auf die Sowjetunion, das Elend seiner Einberufung in die faschistische deutsche Armee und seinen Übertritt auf die sowjetische Seite wie in einem Film vor unseren Augen erstehen. Er beschrieb, wie er nach dem Krieg an der Antifa-Schule in Tula in der Sowjetunion zunächst lernte und dann lehrte, dann, zurück nach Deutschland, ungläubig das Treiben eines Chruschtschow in Presseberichten verfolgte, bis ihm die Ereignisse die Gewissheit gaben, dass sich ein Revisionist und Verräter in die Führungsspitze der Sowjetunion geschlichen hatte.

Danach bereiteten die Teamer die Teilnehmer im Plenum und in zwei Lerngruppen auf die Methoden und Inhalte des Fernstudiums vor. Eine Lerngruppe wird sich im ersten Jahr des Studiums die ökonomischen Grundlagen des Marxismus erarbeiten, die zweite Lerngruppe wird mit der Politik beginnt und sich mit den Grundlagen des Leninismus vertraut machen. Im zweiten Jahr werden die Studieninhalte zwischen den Lerngruppen getauscht.

Beeindruckend war für mich, mit welcher Selbstverständlichkeit und mit welcher Selbstlosigkeit die verantwortlichen Genossen ihre Arbeit gemacht haben, wie sie uns eingestimmt und angespornt haben, welcher kameradschaftliche Geist herrschte.

Wir Teilnehmer sind sehr motiviert nach Hause gefahren. Wir haben gleich mit der Lektüre begonnen und unsere Kontakte vertieft, denn wir Fernstudenten bleiben auch nach dem  Einführungsseminar regional durch Treffen in Kontakt. Zur Unterstützung des Studiums steht ein speziell für uns eingerichtetes Internet-Forum zur Verfügung, das, wie die Beteiligung nach nunmehr gut drei Wochen zeigt, rege genutzt wird. 

Das lässt auf gute Ergebnisse hoffen. Es ist das erste und bisher einzige Fernstudium mit solch umfangreichen Inhalten und in dieser Art.

Klaus Müller, Niedersayn


Cuba

Heinz W. Hammer: »Smokin’ Gun« oder Rohrkrepierer?

Anmerkungen zum Film »Rendezvous mit dem Tod« (1)

Es ist seit jeher staatsterroristische Praxis aller US-Regierungen, ausländische Staatsoberhäupter ermorden zu lassen (2). Trifft’s den eigenen Präsidenten, wie 1963 John Fitzgerald Kennedy, legt sich für Jahrzehnte ein »nationales Trauma« über das Land. Doch war denn die Ermordung J.F.Kennedys überhaupt vom Ausland gesteuert? Dies will nun, Anfang des Jahres 2006, der Bremer Filmemacher Wilfried Huismann bewiesen haben.

Ein Wendehals

Wenden wir uns zunächst dem Autor zu. Wer ist dieser Filmemacher, der die »Sensation« enthüllt hat? Der am 3.1.1951 im niedersächsischen Godens geborene dreifache Grimmepreisträger ist gelernter Sozialwissenschaftler, Geschichts- und Spanischlehrer. Seit 1981 arbeitet er als Journalist (u.a. für das TV-Magazin »Monitor«) und Autor mit dem Länderschwerpunkt Lateinamerika und speziell Cuba. Er galt lange als »linker Autor« und bewegte sich bis Mitte/Ende der 80er Jahre in der internationalistischen Szene der Bundesrepublik. Doch das ist (spätestens seit der Liquidierung der sozialistischen Staaten Europas) längst Geschichte. Wie so viele andere hat Herr H. seither die Seiten gewechselt. So outet er sich im »Welt«-Interview als früher Kennedy-Anhänger (3) und offenbart gerade dem Springerblatt sein gewandeltes Verhältnis zu Cuba (4). So ganz nebenbei erklärt er auch die US-Blockade für nicht existent (5). Ganz in diesem Geiste machte H. im Jahre 2000 mit seinem anticubanischen Film »Lieber Fidel – Maritas Geschichte«, einer Sex & Crime-Story (6) von sich reden. Doch die Darstellung der angeblich »dunklen Seite Cubas« reicht ihm nicht aus. In seinem Streifen »Verrat in Santiago – Wer erschoss Salvador Allende?« (2003) betätigt er sich als Weißwäscher der CIA, deren »Agenten in Santiago die ausdrückliche Anweisung [hatten], sich nicht an dem Putsch zu beteiligen. Außerdem widerspricht der Film der Vorstellung, Pinochet habe den Putsch von langer Hand geplant und vorbereitet. In Wirklichkeit sei der General Allendist gewesen, einer seiner treuesten Anhänger, jedoch mit zwiespältigem Charakter. In letzter Minute beging er Verrat.« (7) Im Interview behauptet Huismann entgegen jeglicher historischer Realität, »dass die CIA nicht hinter dem Putsch steht [stand], sondern erst zwölf Tage vorher davon erfahren hat, und dass es sogar einen Beschluss der Nixon-Regierung gibt, dass CIA-Agenten in Santiago keinerlei Kontakt aufnehmen durften mit den Putsch-Offizieren. (…) Und ohne die Verbrechen der Militärs zu relativieren glaube ich, dass die chilenische Linke einen großen Teil der Verantwortung am Militärputsch mitträgt, durch politische Fehler, durch das Nicht-Respektieren des Mehrheitswillens (…) Er [Allende] ist genauso an seiner eigenen Partei, an den Linksradikalen in der Unidad Popular, gescheitert wie am Widerstand er Rechten.« (8) Na, das muss einem doch mal gesagt werden, dass an der chilenischen faschistischen Barbarei zumindest zu 50% die Opfer selbst Schuld waren und der Widerstand eigentlich von der Rechten geleistet wurde… Hier entsorgt Huismann nicht nur die Geschichte des chilenischen antifaschistischen Widerstandes, sondern direkt auch seine eigene: »(…) als Allende starb, starben auch unsere Hoffnungen auf eine Versöhnung von Sozialismus und Demokratie. Mit Allende war es ja das erste Mal in der Menschheitsgeschichte [!], dass ein marxistisches Projekt mehrheitsfähig war und eine Mehrheit gewonnen hatte (…) Für mich war das, was mit Allende passierte, eines der Schlüsselerlebnisse und eigentlich der letzte Versuch [!] der marxistisch-leninistischen Bewegung, politisch Erfolg zu haben – ein gescheiterter Versuch:« (9).

In dieses Selbstbildnis passt der Umstand, dass H. sich laut der Tageszeitung »junge Welt« für seinen jüngsten Propaganda-Coup Zugang zu cubanischen Stellen unter Vortäuschung falscher Tatsachen verschafft haben soll (10).

Der Hype

Mit reißerischen Anklagen gegen Cuba wurde zum Jahreswechsel 2005/2006 eine intensive Medienkampagne gestartet, auf den propagandistischen Punkt gebracht von »WDR print« mit dem ganzseitigen Titel »Kuba gab den Mordauftrag« (11) und von »BBC NEWS« über den »SPIEGEL« bis hin zur »ZEIT« aufgegriffen. Wohl gemerkt: Die aggressive Kampagne wurde nicht etwa von den üblichen Verdächtigen der BLÖD-Zeitung, sondern von den öffentlich-rechtlichen Medienanstalten ARD, Radio Bremen, MDR usw. mittels intensivster Pressearbeit sowie Vorab-Vorführungen für die Medien, u.a. in Bremen [»Welturaufführung mit dem Autor« (12)] und Berlin veranstaltet. Das Produkt, eine WDR-Kooperation mit Radio Bremen, dem SWR, NHK Japan und der Anakonda International Film, Bremen, hat schließlich erst mal Kosten verursacht (die Produktion habe € 850.000,- verschlungen), die amortisiert werden wollen (13). Ergebnis: »Schließlich taten sich 2,1 Millionen TV-Konsumenten den reißerisch als Duell zwischen Castro und Kennedy verkauften Präsidentenmord von 1963 an. Ein „wenig überzeugender“ Zuschaueranteil von 7,8 Prozent, wertete das Medienmagazin DWDL am Samstag.« (14)

Das Konzentrat

Der Inhalt des 90-Minuten-Films ist schnell zusammengefasst: Huismann will gefunden haben, wonach Heerscharen sämtlicher staatlicher US-Regierungsstellen, FBI, CIA usw. usf. jahrzehntelang vergeblich gesucht haben – die Beweise für die Hintergründe des Kennedy-Mordes am 22.11.1963 in Dallas/Texas. Der später selbst ermordete Attentäter Lee Harvey Oswald habe den Auftrag vom cubanischen Auslandsgeheimdienst, und damit quasi von Fidel persönlich, erhalten bei einem einwöchigen Mexico-Aufenthalt im September 1963. Diesem Aufenthalt sei bis zur Recherche von Huismann in den vergangenen 43 Jahren von niemandem nachgegangen worden. Und also stehe nunmehr fest, dass es »Castros Rache war für den Versuch der CIA, ihn mit einem vergifteten Kugelschreiber zu ermorden«, »ein tödliches Duell zwischen Kennedy und Castro um die Vorherrschaft in Lateinamerika« und die These, dass die CIA Kennedy ermordet haben könnte, »liege außerhalb der Möglichkeiten< (15). Angekündigt wird das Ganze großkotzig als »das Ende aller Verschwörungstheorien« und serviert wird stattdessen wieder eine der ältesten und immer wieder widerlegte Verschwörungstheorien. Filmisch umgesetzt wird der kalte Kaffee mit Bildern von halb geschwärzten, in krakeliger Handschrift verfassten sog. »Dokumenten«, Aufnahmen von Doppel- u.a. Agenten im Halbschatten, im Taxi usw. Natürlich darf auch die obligatorische »KGB-Connection«, mit dem schon Ian Fleming’s James Bond große Erfolge feierte, nicht fehlen und man fühlt sich unversehens versetzt in einen mittelmäßigen Agentenfilm der 60er Jahre: »Der Agent, der aus der Hitze kam…« Und natürlich gelten die z.T. widersprüchlichen Aussagen der Dunkelmänner und Exilcubaner allemal als glaubwürdiger als etwa die souveränen Stellungnahmen des ehemaligen Geheimdienstgenerals Fabián Escalante. Geradezu krampfhaft versucht Huismann, diesem persönlich eine aktive Rolle beim Kennedy-Attentat zuzuweisen. Und bereits nach 5 Minuten postuliert er im Film aus dem Off: »Wenn sich dieser Verdacht bestätigt, muss die Geschichte des Kalten Krieges umgeschrieben werden.«

Das erinnert fast wörtlich an eine andere »Mediensensation«, als das Magazin »Stern« mit den sog. »Hitler-Tagebüchern« eine ähnlich aggressive Kampagne entfachte und damit nach wenigen Wochen jämmerlich einbrach. Damals hieß es zunächst ebenfalls großspurig: »Nach der Auswertung der Tagebücher muss  (…) die Geschichte des NS-Staates in großen Teilen neu geschrieben werden. (16) Knapp zwei Wochen später wurden die »Tagebücher« als Fälschung entlarvt und die Blase platzte.

Huismann jedoch gibt sich davon überzeugt, endlich die »Smokin’ Gun« (17) gefunden zu haben, mit der die cubanische Revolutionsregierung an den Pranger gestellt werden kann. Die Anklage lautet auf nicht weniger als Ermordung eines ausländischen Staatsoberhauptes, ein perfektes Kriegsargument.

Eine differenzierte Rezeption

Wie bereits erwähnt und nicht anders zu erwarten, wurde die öffentlich-rechtliche Kampagne (in der relativ nachrichtenarmen Zeit zum Jahreswechsel günstig platziert) von Dutzenden nationalen und internationalen Medien aufgegriffen. Interessanterweise wurde die cubafeindliche Propaganda, denn um nichts anderes handelt es sich, von den bürgerlichen Zeitungen durchaus differenziert behandelt:

Die »Berliner Zeitung« beispielsweise eröffnet ihren Beitrag »Spur nach Havanna« durchaus ironisch: »Der so oft zitierte Mantel der Geschichte wehte am Mittwochmittag durch den dritten Stock eines Hinterhauses am Hackeschen Markt in Berlin-Mitte. Im dortigen Kino wurde ein Jahrhundertverbrechen gelöst.« (18) An sachlicher Kritik wurde dann nicht gespart. Die Huismann-Version klinge zwar plausibel, sei aber »auch nicht mehr als eine neue Verschwörungstheorie. Denn an wirklich harten Beweisen mangelt es dem Film (…) Es ist auch denkbar, dass die Kubaner den Wirrkopf [L.H.Oswald] anfeuerten, für politische Unruhe in den USA zu sorgen. Dass sie Oswald aber gezielt mit der Ermordung des US-Präsidenten beauftragt und diese Operation ausgerechnet in Mexico-City, dem damaligen Tummelplatz westlicher und östlicher Geheimdienste, mit ihm vorbereitet haben sollen, ist sehr zweifelhaft. Huismanns Dokumentation jedenfalls kann diese Zweifel nicht ausräumen.« (19)

Im Deutschlandradio wird als Antwort auf die Huismann-These ausführlich auf die aktuellen Recherchen eines kompetenten US-Amerikaner eingegangen: »Daran [Cubas Mordauftrag] glaubt Washington Post Reporter Jefferson Morley allerdings nicht. Castro und seine Berater hätten von Mord als politischer Taktik nichts gehalten, schrieb er November letzten Jahres. Morley vermutet, dass die CIA die Ermordung Kennedys durch Oswald ausschlachten wollte, um auf diese Weise den Sturz Castros zu beschleunigen. Zu diesem Zweck habe ein verdeckt in Miami arbeitender CIA-Agent eng mit kubanischen Exilstudenten zusammengearbeitet. Sie waren die ersten, die am Tag nach dem Mord Oswald und Castro in einer Sonderausgabe ihrer Monatszeitschrift als „Mutmaßliche Attentäter“ anprangerten. CIA-Agent George Joannides habe die Veröffentlichung finanziert. Morleys Antrag auf Freigabe der Unterlagen zu Joannides wurde von der CIA noch in diesem Sommer [2005!] aus Gründen der nationalen Sicherheit abgelehnt. Damit, so schrieben knapp zwei Dutzend Publizisten und Journalisten im August in einem offenen Brief an die Monatszeitschrift „The New Yorker Review of Books“ verstoße die CIA gegen den Willen des Kongresses und fördere die Zunahme von Verschwörungstheorien. Soviel steht fest: solange die CIA, mehr als 40 Jahre nach dem Kennedy-Attentat, etwas zu verbergen hat, wird auch die Wahrheit im Verborgenen bleiben.« (20)

Und selbst die großbürgerliche »Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FASZ)« sieht sich befleißigt, trotz sonstiger Unterstützung (»In seinem Dokumentationsfilm … bringt er die Auflösung des spektakulärsten Mordes der Nachkriegszeit … einen entscheidenden Schritt voran.«) auf offenkundige Widersprüche hinzuweisen und muss bedauernd feststellen: »In der Rekonstruktion von Oswalds Zeit zwischen seiner Rückkehr aus der Sowjetunion und dem Attentat auf Kennedy gerät Huismann freilich in einen kuriosen Selbstwiderspruch. In seinem vielbeachteten Film „Lieber Fidel“ über die Lebensgeschichte von Fidel Castros deutscher Freundin Marita Lorenz war schon einmal von Oswald die Rede gewesen. Im Sommer ’63 habe sie mit „Ozzie, der Nervensäge“ an einem Trainingslager der CIA für eine Anti-Castro-Guerrilla teilgenommen. So hieß es in dem Film aus dem Jahr 2000. Huismann hatte es ihr geglaubt, damals. Heute hingegen ist er sich sicher: „Das war schlicht gelogen“ «. (21) So bastelt und biegt man sich seine Wahrheiten zurecht. Doch die FASZ wäre nicht sie selbst, würde hier nicht auch strategisch und langfristig gedacht: »Es gibt, selbst im unendlich ausgefransten Mordfall JFK, eine Wahrheit. Noch ist das Gesamtblld nicht klar erkennbar, aber der Film formuliert eine Reihe von konkreten Fragen, die etwa eine kubanische Gauck-Behörde [!!] eines Tages beantworten könnte. Es ist wieder Bewegung in die Ermittlungen gekommen. Dass hieran ausgerechnet die ARD beteiligt ist, dafür kann man ihr so manchen Stadl verzeihen« (22). Und so sind sie wieder miteinander versöhnt, der unerbittliche Ankläger, seine Auftraggeber und die medialen Einpeitscher – vorwärts zur cubanischen Gauck-Behörde…

Für die »Frankfurter Rundschau«, ehedem mal als linksliberal und aufklärerisch respektiert, handelt es sich, in einem Jubelbeitrag bar jeder Kritik, um einen »überaus spannenden Film (…) von durchaus verblüffender Evidenz (…), ein Glanzstück des investigativen TV-Journalismus.« (23) Bemerkenswert an dem Beitrag ist allenfalls der Hinweis, dass der Autor wegen seiner Auszeichnungen »einigermaßen unverdächtig« sei, ein Verschwörungstheoretiker zu sein. Auf diese »Unverdächtigkeit« machten auch die FASZ und andere Medien aufmerksam, begründet allerdings ausdrücklich mit seiner »linken Vergangenheit«, die für den Autor nun also doch noch nützlich wird…

Wesentlich distanzierter dagegen der »Spiegel«, der in seinem Beitrag zunächst die ARD-Kampagne skizziert: »Geradezu hymnisch feiert die ARD den anderthalbstündigen Doku-Film (…): Bei Huismanns Werk handele es sich um „eine politisch brisante Recherche, die den Mord des Jahrhunderts aufklärt“. Die bisherige Kennedy-Forschung werde durch sie „revolutioniert und die zahlreichen Verschwörungstheorien ad absurdum geführt.“«, um direkt anschließend deutlich zu kritisieren: »Ob die Ermordung des charismatischen US-Präsidenten dank Huismann endgültig aufgeklärt ist, daran darf zwar gezweifelt werden (…) hier beginnt wieder das Feld der vagen Vermutungen und der üblichen Verschwörungstheorien (…) Die Kette der offenen Fragen, die von Huismann Recherchen weg- und ins Nirgendwo hineinführen, scheint unendlich (…)« Der Autor macht auf einen zentralen Punkt, die Huismanns Phantasien ad absurdum führen, aufmerksam: »17 Tage vor dem Attentat sprach Kennedy mit seinem nationalen Sicherheitsberater McGeorge Bundy über Möglichkeiten, die Beziehungen zwischen Washington und Havanna zu normalisieren. In dem auf Band mitgeschnittenen Gespräch berichtet Bundy seinem Präsidenten von einer höchst denkwürdigen Einladung: Castro wollte den amerikanischen UNO-Diplomaten William Attwood zu sich bitten, um über eine solche Normalisierung zu sprechen. Bereits im Mai 1963 hatte Castro in einem Interview mit dem Sender ABC seine Verhandlungsbereitschaft angedeutet. Dem National Security Archive zufolge war Kennedy der Wandel willkommen. In Dokumenten des Weißen Hauses heißt es nach Archiv-Angaben: Der Präsident teile die Position, dass wir „anfangen sollten, flexibler zu denken“, und dass „der Präsident offenbar an der Perspektive interessiert ist, mit Castro Verhandlungen aufzunehmen“. Nach zwei blutrünstigen Staatschefs, die sich Attentäter auf den Hals schicken müssen, klingt das nicht [!]. Die Akte Kennedy wird wohl noch eine Weile offen bleiben.« (24)

Ein weiterer »Spiegel«-Autor ergänzt diese Kritik mit weiteren Aspekten. Zunächst wird süffisant über die Protagonisten gespottet: »Die Rechercheergebnisse haben nicht nur Huismann, sondern auch die ARD-Fernsehverantwortlichen in Entzücken versetzt: „Die bisherige Kennedy-Forschung wird durch die neuen Recherchen revolutioniert“, behauptet der WDR auf seiner Website zum Film: „Lee Harvey Oswald war das finale Werkzeug in einem mörderischen Kampf zwischen den Brüdern Kennedy und Fidel Castro.“ Und der Autor selbst bilanziert: „Für mich ist jetzt das Wesentliche geklärt“« um dann selbst einiges Wesentliche zu beleuchten: »Und in der Tat wirken die von ihm gesammelten Indizien auf den ersten Blick überwältigend (…) Doch bei genauerem Hinsehen erweisen sich die Glieder der Beweiskette als wenig belastbar. Keiner der Zeugen Huismanns war an der angeblichen Operation persönlich beteiligt. Unklar bleibt, auf welche Weise die Kubaner dem Attentäter Oswald geholfen haben sollen. Viele Zeugen sind – obwohl Huismann einen gegenteiligen Eindruck erweckt – der Kennedy-Forschung bekannt und ihre Aussagen von verschiedenen Untersuchungskommissionen und Historikern verworfen worden. Und was Huismann an neuem zusammengetragen hat, wirft zu viele Fragen auf, als dass sich damit die Geschichte umschreiben ließe.« Die angeblichen Kontakte des cubanischen Geheimdienstes zu Oswald beruhten »auf Hörensagen«; die Schilderung des angeblichen KGB-Telegramms vom 18.07.1962 könne »man glauben oder auch nicht«. »Zu Huismanns Fundstücken zählt auch ein Vermerk eines Mitarbeiters Johnsons – Martin Underwood (…) in dem Papier wird behauptet, dass Fabián Escalante, ein Mitarbeiter Castros und in den siebziger Jahren hochrangiger Geheimdienstoffizier, am Tag der Ermordung in Dallas gewesen und abends ausgeflogen sei, was Escalante – von Huismann befragt – in dem Film abstreitet, wohl zu Recht. Underwood hat in der Kennedy-Forschung einen schlechten Ruf. Mehrere seiner Angaben haben sich in der Vergangenheit als falsch erwiesen [!].« (25)

Und »Spiegel Online« begegnet den Huismannschen Schwurbeleien mit richtig schwerem Geschütz, nämlich einem Interview mit dem US-»amerikanischen Kennedy-Experten Lamar Waldron, 51, hat im November 2005 nach 17-jähriger Recherche zusammen mit Tom Hartmann in den USA das Buch „Ultimate Sacrifice: John and Robert Kennedy, the plan for a coup in Cuba, and the murder of JFK“ veröffentlicht (...) F: Sind diese [Huismanns] spektakulären Neuigkeiten schon bis nach USA durchgedrungen? A: Allerdings. In Fachkreisen wird bereits viel über den deutschen Film diskutiert. F: Was halten die amerikanischen Kennedy-Forscher von den Recherche-Ergebnissen, dass Fidel Castro hinter dem Anschlag steckt? A: Wir sind eher skeptisch, was Huismanns These angeht (…) Die Behauptung, dass Fidel Castro hinter der Ermordung von Kennedy steckt, ist 40 Jahre alt und wurde inzwischen mehrmals glaubhaft von Untersuchungsausschüssen des US-Kongresses und in Geheimdokumenten widerlegt, die in den neunziger Jahren veröffentlicht wurden. Selbst die CIA, die Castro noch heute als einen der Erzfeinde der USA einstuft, hat schon vor Jahren erklärt, dass die Kubaner nicht an dem Mordkomplott beteiligt waren (…) Derzeit werden viele der alten Theorien, die bereits vor Jahrzehnten als falsch entlarvt wurden, mit neuen Zeugenaussagen wiederbelebt. Die meisten dieser Zeugen sind Leute, die (…) aber heute nichts mehr mit dem kubanischen Präsidenten zu tun haben wollen. Sie haben oft noch alte Rechnungen zu begleichen, und das macht ihre Aussagen nicht gerade glaubhafter. Ich bin mir sicher, Castro hatte nichts mit der Ermordung von John F. Kennedy zu tun. (…) F: Auch 42 Jahre danach scheint es noch immer mehrere rivalisierende Theorien zur Ermordung von JFK zu geben… A: Wenigstens eine Gewissheit kann ich Ihnen ganz bestimmt geben: Wenn George W. Bush tatsächlich glauben würde, das Castro den Mord an Kennedy zu verantworten hätte, dann wäre er sicherlich schon längst in Kuba einmarschiert.« (26)

Auch der »Tagesspiegel« geht auf Distanz und erinnert – in inhaltlicher Ergänzung zu der »Spiegel«-Rezension von Roman Heflik – an die verbürgte Begebenheit, wie Fidel Castro von dem Kennedy-Attentat erfuhr, nämlich per Telephon in Anwesenheit des französischen Journalisten Jean Daniel: »Der Kubaner zeigt sich bestürzt. Wenig später wird im Radio der Tod des US-Präsidenten gemeldet, alle im Raum gedenken schweigend des ermordeten Erzfeindes. „Jetzt“, sagt Castro schließlich, „werden sie den Attentäter schnell finden müssen, aber sehr schnell, sonst werden sie uns die Schuld an dieser Sache in die Schuhe zu schieben versuchen“.« Zu Huismann/Russo merkt der Autor an »Ihr Film wird die Debatte zweifellos neu beleben. Doch dass Castro und der kubanische Geheimdienst G-2 wirklich die Täter sind, können auch sie nicht beweisen (…) der Film basiert auf der Einzeltäter-These: Alle anderen Indizien lässt er außen vor (…) Aber wieso sollte sich Castros Geheimdienst, der als einer der besten der Welt galt, ausgerechnet eines von sowjetischen, kubanischen und amerikanischen Agenten als psychisch instabil eingeschätzten Mannes mit wirren politischen Vorstellungen bedienen? (…) Wieso Castro für die Ermordung des US-Präsidenten einen solch unsicheren Kantonisten ausgesucht haben soll, dafür bleibt der Film die Erklärung schuldig (…) Der Film (…) ist also eine Bereicherung für alle Verschwörungstheoretiker.« (27)

Sogar die betont wohlwollende Rezension in des Filmemachers Heimatzeitung, dem Bremer »Weser Kurier«, kommt nicht umhin, ihm schlechte Noten auszustellen für einen Film, der als »Lösungsversuch« klassifiziert wird und kritisiert: »Wie glaubwürdig er [der angebliche „Kronzeuge“ Marino] ist, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Andere Zeugen bleiben in der Anonymität; Dokumente werden zitiert, sind aber nicht einzusehen. So wirft der Film am Ende eher neue Fragen auf, als eine abschließende Lösung zu präsentieren und liefert einige neue Puzzlestücke, aber kein Gesamtbild (…) Für eine erschöpfende Aufklärung des Jahrhundertmordes bedürften Huismanns Belege aber noch einiger Erhärtung«. (28)

Abschließend sei noch die nicht unwichtige »Zeit« erwähnt, die bereits im ersten Absatz Stellung bezieht: »Nach 42 Jahren soll es heute um 21.45 Uhr soweit sein. Der Kennedy-Mord wird aufgeklärt. Das jedenfalls verspricht die ARD (…) der Autor Wilfried Huismann behauptet, mit seinen Recherchen zu belegen, dass Lee Harvey Oswald den Auftrag zum Mord des amerikanischen Präsidenten vom kubanischen Geheimdienst erhalten habe. Um es vorweg zu nehmen: Diesen Beweis erbringt der Film nicht. Zudem geht die ganze Geschichte von einer Prämisse aus, die in Wahrheit selbst eine Hypothese ist: dass nämlich Lee Harvey Oswald der Kennedy-Mörder war. In Wahrheit ist schon dies bis heute umstritten. Immerhin konnten die besten Scharfschützen des FBI nicht nachspielen, was dem mittelmäßigen Schützen Oswald am 22. November 1963 in Dallas gelungen sein soll: John F. Kennedy mit drei Schüssen aus einem Karabinergewehr von einem Lagerhaus aus in einer fahrenden Limousine zu erschießen. Doch an diese Zweifel erinnert der Filmemacher den Zuschauer nicht einmal. Huisman bezeichnet Oswald von Anfang an „den Kennedy-Mörder“. Und auch im übrigen bleibt seine Beweisführung eher suggestiv denn stringent.« Die Beurteilung des zentralen Interviews mit Fabián Escalante: »Erkenntnisgewinn des Interviews: nahe Null.« Über die 650 US-$, die Oswald in Mexico von der cubanischen Botschaft zwecks Finanzierung des Attentats erhalten haben soll: »Das Geld habe zur Finanzierung der „Operation Kennedy“ gedient, „zur Vorbereitung des Attentats“ durch den „G2-Agenten Oswald“. Belege für diesen Kausalzusammenhang: Fehlanzeige.« Schließlich: »Zum Abschluss lässt Huismann den Kronzeugen Marino noch einmal reichlich syntaktische Soße über den Indizienbrei gießen (…) Was bleibt? Ein neues Puzzlestück in Kennedy-Mord. Und eine Gewissheit. Die nämlich, dass Oswald mit all seinen Verbindungen zu den Kubanern ein geradezu idealer Sündenbock gewesen wäre. Für möglicherweise ganz andere Verschwörer.« (29)

Schlußfolgerungen

Die großspurigen Ankündigungen der Produzenten (30) sowie die vom Autor gebetsmühlenartig wiederholte Behauptung der tatsächlichen Aufklärung des Kennedymordes wird also selbst von den wohlwollendsten Rezensenten ausdrücklich nicht bestätigt. Und es waren ja keinesfalls in erster Linie die cubafreundlichen Medien und Fachleute, die Huismanns Thesen widerlegt haben. In der Rezeption seines Propagandafilms durch die meisten Zeitungen erweist sich dieser also eher als Rohrkrepierer.

Allerdings wurde von allen Medien der politische Hintergrund, ohne den die Intention einer solchen Kampagne kaum eingeordnet werden kann, komplett ausgeblendet.

So sind es ja eben nicht die USA, die seit 45 Jahren unter einer umfassenden Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade (31) (begleitet von Spionage, Subversion, Sabotage, biologischer Kriegsführung, Organisierung und Unterstützung bewaffneter Banden sowie über 600 Plänen und Versuchen, den Präsidenten zu ermorden) mit einem ökonomischen Schaden von über 75 Milliarden US-$ seitens der Republik Cuba leiden (32), sondern es ist genau umgekehrt. Nicht die USA haben seit 1959 über 300 cubanische Anschläge mit 3.478 Toten und 2.099 Invaliden zu beklagen (33), sondern umgekehrt!

Aktuelle Zusammenhänge

* Zeitgleich mit dem Erscheinen des Films intensivierten die USA zum Jahreswechsel 2005/2006 ihre Provokationen gegen Cuba durch zunehmende Verletzungen des bilateralen Migrationsabkommens, dem Versuch, einen Abbruch der minimalen diplomatischen Bezie-hungen zu erzwingen u.a. Maßnahmen (34).

* Knapp vier Wochen nach Erscheinen des Films verabschiedete das EU-Parlament eine höchst aggressive cubafeindliche Entschließung (35), in welcher EU-Rat und –Kommission u.a. (»dringend«!) aufgefordert werden, »weiterhin alle in dieser Hinsicht [Freilassung angeblicher politischer Gefangener auf Cuba; hwh] erforderlichen Schritte zu unternehmen (…) entsprechend zu handeln (…) weiterhin alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen [!] (…).«, die schändlicherweise auch von einigen sog. »linken« EU-Abgeordneten unterstützt wurde (36).

* Schließlich muss in diesem Zusammenhang auch erinnert werden an die Anfang 2003 von Bush persönlich installierte »Kommission zur Unterstützung eines freien Cuba«, dessen 500seitigen Bericht (37) er am 06.05.04 der internationalen Öffentlichkeit mit den Worten präsentierte, dass ein zentrales Ziel der US-Politik darin bestünde, durch die in dem Papier festgelegten Maßnahmen »schneller den Tag herbeizuführen, an dem Cuba ein freies Land ist« (38). Dieser, für 2004-2005 mit 59 Millionen US-$ ausgestattete Aktionskatalog zum Sturz der cubanischen Regierung und Zerschlagung des sozialistischen Gesellschaftsmodells Cubas wird weiterhin aktiv umgesetzt. Folgende Maßnahmen sind (neben anderen, geheimen Artikeln) u.a. ausgewiesen:

„11. Verstärkung der Anstrengungen zur Einbeziehung von Regierungen dritter Länder in die Kampagne gegen die cubanische Revolution – wie es gerade das EU-Parlament beispielhaft vorgeführt hat (s.o.).

1.a) die Schaffung eines internationalen Fonds für die Entwicklung der »Zivilgesellschaft« in Cuba. Mit diesem Fonds soll »freiwilliges« Personal aus Drittländern gewonnen werden.

1.e) Aufrechterhaltung und Intensivierung öffentlicher anticubanischer Kampagnen im Ausland, in denen angebliche Menschenrechtsverletzungen in Cuba, »Spionage gegen andere Länder«, »subversive Handlungen gegen demokratisch gewählte lateinamerikanische Regierungen« und andere Aktivitäten angeprangert werden sollen, die eine Bedrohung für die Interessen der Vereinigten Staaten von Amerika darstellten.“  (39).

In genau dieses Schema passt der Huismann-Film – Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Die Reaktionen aus Cuba jedenfalls waren eindeutig. Präsident Castro wurde mit den Worten zitiert, es handele sich bei dem Film um eine »Auftragsarbeit der CIA: Man muss sehen, was das für ein schräger Vogel ist, wo er herkommt und wer ihn bezahlt« (40).

Und »Granma«-Chefredakteur Gabriel Molina konstatiert in seinem Beitrag »Kennedy, conspiración en Hamburgo«, der eigentliche Skandal sei nicht eine angebliche cubanische Beteiligung an der Ermordung des US-Präsidenten, sondern das Verschleudern der Rund-funkgebühren durch die ARD für eine alberne Propagandakampagne gegen Cuba (41).

Die seltsame Ruhe nach dem Sturm

Der Streifen wurde am 06.01.06 ausgestrahlt. Der Mediensturm dauerte exakt eine Woche und die Berichterstattung war mit dem 07.012.06 wie abgeschnitten. So what? Es war sehr schnell klar, dass Mehrzahl der hiesigen großen Medien, die für die weitere Aufblähung des »Skandals« offenbar fest eingeplant waren, nicht mitspielten (s.o.). In einem weiteren öffentlichen Diskurs wäre die Seifenblase zunächst vollends geplatzt und der »Kaiser« Huismann als nackt entlarvt worden. Wohl um dies zu verhindern, wurde die Kampagne zunächst abgebrochen.

Allerdings war bereits vorher angekündigt worden, dass »nach entsprechender Bearbeitung« (42) der Film in die Kinos kommen solle. Es bleibt abzuwarten, ob und mit welchen »Überarbeitungen« die Kampagne in der BRD nach einer gewissen zeitlichen Schamfrist fortgeführt und damit endlich richtig Kasse gemacht werden wird.

Ein weiteres Ziel der Aktion war laut WDR-Chefredakteur Jörg Schönenbohm, dass »der Film heftige Wellen in den USA auslösen wird« (43).Nun wurde schon dargestellt, dass auch die seriöse Kennedyforschung in den USA sich als nicht über dieses Stöckchen zu springen bereit zeigte (44).

Allerdings handelt es sich dennoch um ein »Himmelsgeschenk« und eine Steilvorlage für die militaristische US-Administration, worauf sich diese zu geeigneter Zeit berufen kann, wenn es gelten könnte, der Weltpresse »Argumente« für einen militärischen Überfall auf Cuba zu präsentieren. Schließlich waren die (u.a. von General Colin Powell, dem Namensgeber des Anti-Cuba-Drehbuchs!) gebrachten »Gründe« für den Überfall auf den Irak kaum stichhaltiger… 

Bis dahin werden – das politische Gedächtnis der Menschen ist bekanntlich kurz – alle Entlarvungen des Films bereits wieder vergessen sein und die US-Regierung könnte genüsslich darauf hinweisen, dass der Autor nicht nur aus dem sonst doch angeblich so renitenten Germany kommt, sondern dazu noch mit einer »linken Vergangenheit« gesegnet , also völlig unverdächtig sei (siehe »FASZ« und »FR«).

Es gilt also weiterhin, höchst wachsam zu sein und das revolutionäre Cuba gegen alle nationalen und internationalen Haß- und Hetzkampagnen zu verteidigen. Wer sich außerdem noch mit den tatsächlichen Hintergründen des Kennedy-Attentats beschäftigen will, dem/der sei empfohlen, sich nochmals den akribisch recherchierten Oliver Stone-Film »JFK« auf Video anzusehen oder zu einem guten Buch zu greifen, z.B.: »Im Fadenkreuz: Kuba« von Horst Schäfer (45).

                                                                                                          Heinz-W. Hammer, Essen, 28.02.06

Anmerkung des Autors: Dieser Beitrag erschien zuerst in der geheimdienstkritischen Quartalszeitschrift »Geheim«; www.geheim-magazin.de; Probehefte unter Tel.: 0221 – 28 39 996 und abo-probeexemplar@geheim-magazin.de

Fußnoten:

1. Ein Film von Wilfried Huismann und Gus Russo; Redaktion: Herbert Blondiau und Jan Furukawa

2. »Die Mordliste der US-Geheimdienste: Die Ermordung ausländischer Staatschefs gehörte von Beginn an zu den Praktiken der geheimdienstlichen US-Außenpolitik. Die folgende Liste von Anschlägen, die versucht oder erfolgreich durchgeführt worden sind, wurde von einem Mitarbeiter von Untersuchungsausschüssen des US-Kongresses zusammengestellt:

* 1949: Kim Koo, Oppositionsführer in Korea

* 1950-1952: CIA-Neonazi-Liste auszuschaltender SPD-Politiker in Westdeutschland

* 1955: José Antonio Remón, Präsident von Panama

* 1950 ff: Sukarno, Präsident von Indonesien

* 1950 ff: Zhou Enlai, Premierminister von China, mehrere Attentate

* 1951: Kim Il Sung, Präsident von Nordkorea

* 1950 ff: Claro M. Recto, Oppositionsführer auf den Philippinen

* 1955: Jawahrlal Nehru, Premierminister von Indien

* 1957: Gamal Abdul Nasser, Präsident von Ägypten

* 1959/63: Norodom Sihanouk, Führer von Kambodscha

* 1960: Abdul Karim Kassem, Führer des Irak

* 1950/70: José Figueras, Präsident von Costa Ricas, zwei Mordversuche

* 1961: Francois Duvalier, Führer von Haiti

* 1961: Patrice Lumumba, Premierminister von Kongo (Zaire)

* 1961: General Rafael Trujillo, Führer der Dominikanischen Republik

* 1963 ff.: Fidel Castro, Präsident von Kuba, 24 Mordversuche nach kubanischen Angaben, mindestens acht nach Berichten des US-Kongresses

* 1963: Ngo Dinh Diem, Präsident von Südvietnam

* 1960 ff.: Raùl Castro, Verteidigungsminister in Kuba

* 1965: Francisco Caamano, Dominikanische Republik, Oppositions-führer

* 1965: Pierre Ngendandumwe, Premierminister von Burundi

* 1965/6: Charles de Gaulle, Präsident Frankreich

* 1967: Che Guevara, Führer in Kuba

* 1979/73: Salvador Allende, Präsident in Chile

* 1970: General René Schneider, Oberbefehlshaber der chilenischen Armee

* 1970 ff/81: General Omar Torijos, Führer von Panama

* 1972: General Manuel Noriega, Geheimdienstchef von Panama

* 1975: Mobuto Sese Seko, Präsident von Zaire

* 1976: Michael Manley, Premierminister von Jamaica

* 1980/86: Muammar al Gaddafi, Führer von Libyen, zahlreiche Attentatsversuche

* 1982: Ayatollah Khomeini, Führer des Iran

* 1983: General Ahmed Dlimi, Kommandeur der marokkanischen Armee

* 1983: Miguel d’Escoto, Außenminister von Nicaragua

* 1984: Neun Kommandanten des Sandinistischen Nationalen Direktoriums Nicaragua

* 1985: Scheich Mohammed Hussein Fadlallah, libanesischer Schiitenführer, Anschlag mit 80 Toten

* 1991:Saddam Hussein, Führer des Irak«

(aus: »konkret«, 11/2001)

 

3. »Ich habe John F. Kennedy immer sehr bewundert«; »Die Welt«: »Das hier ist kein Fake«, Interview mit W. Huismann, 04.01.06; http://www.welt.de/ data/2006/01/04/826499.html

4. »Ich war früher selbst in Kuba, habe in Entwicklungsbrigaden Häuser gebaut und hatte große Sympathien für das kubanische Gesellschaftssystem (…) aber ich habe im Laufe der Zeit auf Kuba auch mit vielen Menschen gesprochen und so die dunkle Seite des Systems kennen gelernt«; »Die Welt«, 04.01.06; a.a.O.

5. »An einer Destabilisierung Kubas besteht aus US-Sicht kein Interesse mehr, schon aus Angst vor den Flüchtlingsströmen. Die US-Regierung wartet ab, bis sich das Thema Fidel Castro von allein erledigt hat. «; »Die Welt«, 04.01.06; a.a.O.

6. Laut dem Filmverleih Pegasos ein »dokumentarischer Liebesthriller«.

7. Anneke Schaefer in der Einleitung zu einem Interview mit H. in der Zeitschrift »Matice – Zeitschrift zu Lateinamerika, Spanien und Portugal«, 2003; http://www.matices .de/38/seinerzeitvoraus/

8. »Matice«, a.a.O.

9. »Matice«, a.a.O.

10. »Für seinen neuen Film (…) beantragte er ein Interview mit dem ehemaligen Geheimdienst-chef Fabián Escalante zu dessen 2003 erschienenen Buch „La Guerra Secreta“ (Der geheime Krieg). Das Buch dokumentiert die aggressive US-Politik gegen den sozialistischen Inselstaat. Auch in seinem Film,. So gab Huismann damals an, ginge es um die Mordkomplotte gegen den einstigen kubanischen Botschafter bei den UN, Carlos Lechuga, und Staatschef Fidel Castro. Dies Story hat sich in einem halben Jahr rasant verändert. Voilà, Fidel Castro ist auf einmal nicht mehr Opfer, sondern Täter, verantwortlich für den Mord an John F. Kennedy«; Harald Neuber in »junge Welt«, 06.01.06.

11. »WDR print«, Januar 2006

12. »Duell Castro-Kennedy«, in »die tageszeitung«, 04.01.06; http://www.taz.de/pt/2006/ 01/04/a0237.1/textdruck

13. Im österreichischen Internetforum »KURIER.AT FORUM«, in dem Anfang Januar 2006 unter dem Titel »Ließ Castro Kennedy ermorden?« zu dem Film debattiert wurde, merkte ein Diskutant treffend an: »Ließ Mickey Maus Bambis Mutter ermorden? – Freilich! Damit Walt Disney wahnsinnig verdienen könnte damit.« http://forum.kurier.at/showthreated.php/Cat/0/ Number/2411786/page/0/vc/1

14. »Quotenjäger des Tages – ARD«, in »junge Welt«, 09.01.06

15. W. Huismann in diversen Interviews (hier: »Kurier«, 03.01.; »taz«, 04.01. und »Welt«, 04.01.06)

16. »Stern«, 22.04.1983

17. Mit »smoking gun« ist umgangssprachlich das nach dem soeben abgefeuerten Schuss noch rauchende Gewehr (auch: »Rauchender Colt«) gemeint, anhand dessen der Täter unwiderruflich überführt ist. Sehr oft benutzt wurde dieser Begriff im Vorfeld des US-Überfalls auf den Irak, als die UN-Emissäre Beweise für das angebliche Vorhandensein vom Massen-vernichtungswaffen, also einer »smoking gun«, suchten – aber niemals fanden.

18. »Spur nach Havanna«, Andreas Förster in »Berliner Zeitung«, 05.01.06; http://www.,berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2006/0105/politik/0

19. »BZ«, a.a.O.

20. »Hartnäckige Zweifel«, USA-Korrespondent Siegfried Buschlüter in Deutschlandradio, 05.01.06; http://www.dradio.de/aktuell/453559/

21. »Die Kuba-Connection«, Nils Minkmar in »Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FASZ)«, 01.01.06

22. »FASZ«, a.a.O.

23. »Spur nach Mexiko«, Reinhard Lüke in »Frankfurter Rundschau«, 07.01.06; http://www.fr-aktuell.de/ressorts/kultur_und_medien/medien/?cnt=781390

24. »Kennedy-Attentat, Oswalds Kuba-Connection«, Roman Heflik in »Spiegel«, 04.01.06; http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,393483,00.html

25. »ARD-Doku über Kennedy-Mord – Steile These, schwache Belege«, Klaus Wiegrefe in »Spiegel«, 06.01.06; http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,393636,00.html

26. »Kennedy-Film: US-Experte hält Kuba-These für falsch«; Kirsten Grieshaber: Interview mit Lamar Waldron, in: »Spiegel Online«, 06.01.06; http://www.spiegel.de/politik/ ausland/0,1518,393762,00.html

27. »Wer hat Angst vor Kennedy? Chronik einer Legende: Das Attentat von 1963 bleibt mysteriös. Nun weiß eine TV-Doku: Castro war’s«; Volker Skierka in »Tagesspiegel«, 05.01.06 / V. Skierka ist Autor von »Fidel Castro - Eine Biographie« und Co-Autor des ARD-Films »Fidel Castro – Ewiger Revolutionär« (2004)

28. »Weiße Flecken auf der historischen Karte – Mit dem Dokumentarfilm „Rendezvous mit dem Tod“ will Wilfried Huismann den Kennedy-Mord aufklären«; Gabriela M. Koller in »Weser-Kurier«, 06.01.06

29. »Verschwörungstheorien – Ließ Castro Kennedy ermorden?«; Jochen Bittner in »Die Zeit«, 06.01.,06; http://www.zeit.de/online/2006/02/kennedy

30. »Der Film (…) präsentiert neue Fakten zur Ermordung von John F. Kennedy. Fazit der Recherchen: Der kubanische Geheimdienst rekrutierte damals den Mörder« (MDR-Ankündigung, 03.01.06; http://www.mdr.de/artour/2360953. html); »Die bisherige Kennedy-forschung wird durch die neuen Recherchen revolutioniert und die zahlreichen Verschwörungstheorien ad absurdum geführt. Zum ersten Mal, seit die Warren-Kommission im Jahre 1964 ihren Abschlußbericht vorlegte, gibt es eine neue Faktenlage (WDR-Ankündigung«; http://wdr.de/tv/dokumentation/rendezvous_mit_dem_tod.phtml)

31. Diese Blockade wurde vom damaligen US-Präsidenten am 3. Februar 1962 offiziell verkündet und seitdem zahlreiche Male verschärft.

32. http://www.cuba-si.de/cuba-si-intern/veroeffentlichungen/info-conflict-us-cub.html

33. http://www.cuba-si.de… a.a.O.

34. Eine 10-Punkte-Liste führte Präsident Castro bei einer Massendemonstration am 24.01.06 vor der US-Interessenvertretung in Havanna auf; siehe: »Worte des Präsidenten der Republik Kuba, Fidel Castro Ruz, gerichtet an das Volk Kubas, das edle Volk der Vereinigten Staaten und die Weltöffentlichkeit, zur Eröffnung des Marsches des kämpfenden Volkes vor der Interessen-vertretung (SINA), 24. Januar 2006«; http://www.botschaft-kuba.de/pdf/Discurso% 20en%20Marcha%20Combatiente%2924%20de%20enero%202006.pdf und »junge Welt«, 26.01.06

35. Kenn-Nr.: RC\600027DE.doc; siehe auch »junge Welt«, 09.02.06

36. Für die Entschließung stimmten die GUE/NGL-Abgeordneten Brie, Liotard, Markov, Seppänen, Sjöstedt und Zimmer; Enthaltungen kamen aus dieser Fraktion von den Abgeordneten Kaufmann, Papadimoulus, Portas, Uca, Verges und Wurtz

37. Nach dem Kommissionsleiter auch »Powell-Report« benannt; siehe auch die ausführliche Besprechung »USA vs. Cuba – Der offene und geheime Krieg gegen Cuba, Eine Bestands-aufnahme zum Jahreswechsel 2004/2005« in »Geheim«, Nr. 4/2004, 28.12.2005; www.geheim-magazin.de

38. http://www.cuba-si.de… a.a.O.

39. http://www.netzwerk-cuba.de/archiv/netzwerk/terrorkatalog/netzwerk-text.html

40. AFP, jW, ND, 24.01.2006

41. http://www.granma.cu/espanol/2006/enero/vier6/3kennedy-e.html, zitiert nach: http://www redglbe.de/index.php?option=com_content&task=blogcategory&id=130&ltemid=72

42. http://www.mdr.de/artour/2360953.html und »NRZ«, 06.01.06

43. »Neues Deutschland«, 07./08.01.06

44. siehe Lamar Waldron, im »Spiegel Online« - Interview

45. Neben anderen empfehlenswerten Aspekten behandelt das Buch auch die Kennedy-Ermordung: »Kapitel II.7 – Die verhinderte Verständigung« und »Kapitel II.10 – Wer erschoss JFK?«. Der Autor hat 11 Jahre als Journalist in den USA gearbeitet, war im Weißen Haus akkreditiert und hat vorwiegend Originaldokumente der CIA sowie offizieller Regierungsstellen über den Krieg gegen Cuba untersucht und dokumentiert.

Der europäische Imperialismus

Socialist Unity Center of India (SUCI): Schritte zu den „Vereinigten Staaten von Europa“ oder: Anstrengungen für eine Veränderung der imperialistischen Kräfteverhältnisse; 2. Teil

(Der erste Teil des Artikels ist erschienen in offen-siv Nr. 10/2005. In der Ausgabe 1/2006 konnten wir die Fortsetzung leider nicht bringen. Hier jetzt also Teil 2 und Schluss des Artikels. Redaktion Offensiv)

Die Auseinandersetzungen um die europäische Verfassung und die Ablehnung derselben durch das französische und das niederländische Volk haben einmal mehr deutlich werden lassen, dass es in den die EU konstituierenden Ländern starke nationalistische Gefühle gibt, die sich auf das jeweils eigene Land beziehen und in keiner Weise eine europäische Ausrichtung besitzen. Dieser Prozess wird verschärft durch die EU-Aufnahme osteuropäischer, früher sozialistischer Länder, deren Wirtschaft zerstört wurde und die nun auf den Arbeitsmarkt in ganz Europa drücken. Diese Situation verschärft die nationalistischen Ressentiments und es sind diese Gefühle, die die Völker daran hindern, ihre nationale Souveränität aufzugeben und das monopolkapitalistische Projekt eines vereinten Europa zu unterstützen.

Zur Geschichte des Entstehens und auch Verschwindens des Nationalismus und der Nationalstaaten und deren Wirkung auf die EU

In diesem Zusammenhang muss darauf hingewiesen werden, dass der Nationalismus als eine ideologisches Glaubensbekenntnis zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt der Menschheitsgeschichte entstand. Er entwickelte sich in den Grenzen eines bestimmten geographischen Territoriums während des Kampfes der dort lebenden Menschen gegen die Feudalherren bzw. Monarchien und später im antiimperialistischen Kampf gegen die herrschenden kolonialistisch-imperialistischen Mächte. Dolche Kämpfe gegen die Feudalherrschaft bzw. gegen den Kolonialismus, die auch „demokratische Revolution“ genannt werden, riefen eine allgemeine Verbundenheit der Kämpfenden hervor, und dies meist unabhängig von ihrer Klassenlage, ihrer Sprache oder Religion, so dass auf dieser Grundlage ein Nationalgefühl entstehen konnte. Inzwischen leben wir jedoch im Zeitalter der proletarischen Revolution, die grundsätzlich über den Nationalismus hinauswächst; trotzdem können nationalistische Kämpfe auf der einen oder anderen Grundlage und unter bestimmten Bedingungen noch immer auftauchen.

Als auf dieser Entwicklungsstufe der menschlichen Geschichte Karl Marx der Arbeiterklasse der Welt die Theorie des Kommunismus gab, formulierte er die Parole: „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!“ Er zeigte damit, dass die Arbeiterbewegung sich auf der Grundlage eines grundsätzlichen proletarischen Internationalismus bewegen muss, nicht aber auf der Grundlage des Nationalismus. Was ist die Bedeutung dieser Aussagen? Die Arbeiterklasse kämpft in den unterschiedlichen Ländern gegen ihre jeweilige herrschende Klasse. In diesem Kampf bemüht sie sich um größtmögliche Gemeinschaftlichkeit und Solidarität der Arbeiter und der werktätigen Massen der unterschiedlichen Länder, um das gemeinsame Ziel, die Ausbeutung und die Unterdrückung zu beenden, zu erreichen. Dadurch wird die Einheit gefordert und gefördert. Marx wusste genau, dass die Arbeiterklasse nicht von heute auf morgen, wie durch einem Handstreich, vom bürgerlichen Nationalismus befreit und unmittelbar unter den Idealen des proletarischen Internationalismus vereint werden kann. Dieser Prozess ist langwierig, braucht harte und vor allem von der Arbeiterklasse geführte Kämpfe, denn diese Kämpfe werden, auch wenn sie in den nationalen Grenzen einzelner Staaten stattfinden, nicht auf der Grundlage des Nationalismus geführt. In solchen Kämpfen werden die Massen an die Theorie des Marxismus und den proletarischen Internationalismus herangeführt. Nur auf diesem Weg kann die proletarische Revolution erfolgreich sein, indem der Kapitalismus in einem Land nach dem anderen überwunden wird, der sozialistische Staat, die Diktatur des Proletariats als Übergangsphase zum Kommunismus aufgebaut wird. Der Sozialismus, begründet und geführt durch den Marxismus-Leninismus wird vollständig und mit Sicherheit den proletarischen Internationalismus durchsetzen und damit die Grundlage legen, um die Schwelle zur Gesellschaft des Weltkommunismus zu überschreiten, mit anderen Worten: die weltweite klassenlose Gesellschaft zu errichten. Die Aufhebung der Klassen wird selbstverständlich den Staat als Unterdrückungsinstrument der einen Klasse gegen die andere überflüssig machen. Diese Art von Staaten, Klassenstaaten in nationalen Grenzen, werden dann keine Rolle mehr spielen und aus der Geschichte der Menschheit verschwinden. Diese Art Staat wird, um Engels zu zitieren, nicht „abgeschafft“, er „stirbt ab“.

Demgegenüber spielte früher und spielt noch heute der Nationalismus eine große Rolle für die Herrschaft der jeweiligen Kapitalistenklasse. Aber alle Anstrengungen der Imperialisten der europäischen Länder hin zu einem vereinten Europa unter ihrer Herrschaft können die Befreiungskämpfe gegen den Feudalismus bzw. den Kolonialismus, die ja das Nationalgefühl hervorbrachten, nicht ersetzen. Es gibt keine gemeinsame Richtung, kein gemeinsames Ziel für die Menschen in den europäischen Ländern, es gibt keinen gemeinsamen Kampf um eine neue Art von Gemeinwesen und Staat. Und deshalb wird es keinen europäischen Nationalstaat mit einem europäischen Nationalgefühl seiner Bürger geben. Allerdings zeigen sich in einigen europäischen Ländern Vorbehalte gegen den US-Imperialismus. Unter der Herrschaft der europäischen Imperialisten entstehen diese Vorbehalte aus Widersprüchen bei der Kontrolle des Weltmarktes und der Krisenbewältigung. Auf der anderen Seite, bei den werktätigen Massen, bilden sich diese Verhältnisse als ein Gefühl gegen die US-amerikanische Dominanz ab. Aber diese Gefühle bleiben auf der nationalen Ebene, erreichen nicht das Niveau Europas als Ganzes. Hätte es eine direkte Herrschaft des US-Imperialismus über ganz Europa gegeben und einen gemeinsamen europäischen Kampf gegen diese Herrschaft, dann wäre die Entwicklung eines einheitlichen europäischen Nationalismus möglich gewesen. Aber die geschichtliche und die aktuelle Situation kommt einem solchen Szenarium in keinster Weise nahe. Und deshalb hindern die jeweiligen Nationalismen in den europäischen Ländern die Völker daran, einen neuen europäischen Staat zu begrüßen, stattdessen lehnen sie ihn ab. Ihre Opposition äußern sie in ihren nationalen Grenzen, sie verweigern die Union vor allem aus ihrem Nationalgefühl heraus, sie wollen ihre nationale Unabhängigkeit verteidigen. Das ist die Crux der aktuellen Situation.

Das Problem der nationalen Unterdrückung wird sich in der EU verstärken

Die Monopolisten der verschiedenen europäischen Länder versuchen krampfhaft, eine Bewegung für die europäische Einigung hervorzurufen, haben aber nur das Ziel, mit einer stärkeren EU ihre Wettbewerbsbedingungen gegenüber den US-Imperialisten zu verbessern. Neben diesem Ziel müssen sie natürlich auch vorbereitet sein auf die Niederschlagung der wachsenden Abwehrkämpfe der Arbeiterklasse – und dazu nutzen sie das Nationalgefühl der Massen und spielen es aus gegen das Klassenbewusstsein. Das alles aber macht den Prozess der europäischen Imperialisten für ein vereintes Europa sehr widersprüchlich. Außerdem werden sie die Krisentendenzen des Weltkapitalismus nicht mittels einer von ihnen geschaffenen EU überwinden können. Die Union wird nur die Ausbeutung und die Unterdrückung in allen beteiligten Ländern verschärfen. Für die Völker birgt dieser von den herrschenden Kapitalisten der unterschiedlichen Länder initiierte Prozess nichts als Gefahren. Zunächst, so lange die nationalen Gefühle der Völker noch andauern und sogar anwachsen, werden die Imperialisten der europäischen Länder ausreichend Spielraum finden, um auf dieser Klaviatur zu spielen und damit die Völker vom Klassenkampf abzuhalten. In ihrem Bestreben, die Menschen immer stärker auszubeuten, werden sie einen Teil des Volkes gegen den anderen Teil des Volkes und die eine Nation gegen die andere aufstacheln. Mit anderen Worten: das Problem des Nationalismus und der nationalen Unterdrückung wird gefährliche Ausmaße annehmen, indem die Herrschenden Zwietracht sähen, Uneinigkeit unter die Völker bringen und damit in den dominierenden Staaten einen aggressiven nationalen Chauvinismus entstehen lassen werden. Die Völker der unterdrückten Länder werden, falls sie den Klassencharakter der Unterdrückung nicht sehen, ihren Zorn gegen die Völker der privilegierten Staaten wenden und dabei vergessen, dass es nicht die Völker sind, sondern eine Handvoll Imperialisten und Kapitalisten und deren Regierungen, die die verschärfte Unterdrückung und Ausbeutung über sie brachten.

Im Resultat werden die Vereinigten Staaten von Europa die Einheit der Völker gefährden, und falls sie die Frage der Macht und der revolutionären Umgestaltung der Verhältnisse nicht stellen, wird es sogar schwierig werden, überhaupt eine einheitliche demokratische Massenbewegung der Werktätigen gegen die schlimmsten Folgen der Union aufzubauen. Unter diesen Umständen können Marxisten-Leninisten diesen Prozess der europäischen Einheit niemals unterstützen, begrüßen, begleiten oder gar verbessern wollen. Ein Marxist-Leninist, ein Revolutionär, der unter Revolution die Emanzipation der Menschheit von Ausbeutung und Unterdrückung versteht, beurteilt historische Prozesse als gut oder schlecht allein nach der Frage, ob sie dem revolutionären Prozess nützen oder nicht.

SUCI, Kalkutta, Indien (Übersetzung aus dem Englischen: Redaktion Offensiv)

Zur Geschichte des Sozialismus

Fritz Dittmar: 50 Jahre danach - zu Chruschtschows „Geheimrede“ auf dem XX. Parteitag der KPdSU

Seit der „Wende“ suchen die Linken nach den Ursachen für den ruhmlosen Untergang des Realsozialismus in Europa, aber die Diskussion ist nach meinem Eindruck nicht wirklich weit vorangekommen, geschweige abgeschlossen. Deshalb ist es vielleicht nützlich, die Auf-merksamkeit auf eine „Gelenkstelle“ in der Geschichte des Realsozialismus zu richten, den XX. Parteitag der KPdSU vor 50 Jahren, wo der neue Generalsekretär, Nikita Chruschtschow[2], in seiner „Geheimrede“ mit Stalin und seiner Zeit „abrechnete“, und der als Parteitag der „Entstalinisierung“ in die Geschichte einging.(Zitate aus http//www.stalinwerke.de/sonstiges/ geheimrede.de.vu/)

C.s Rede folgte einem klassischen Vorbild, der Grabrede des Marc Anton in Shakespeares „Julius Cäsar“, einem berühmten Beispiel für Demagogie, wie Brecht im „Arturo Ui“ schreibt. Marc Anton beginnt seine Rede so:

„Mitbürger, Freunde, Römer, hört mich an!
Begraben will ich Cäsar, nicht ihm preisen.
Was Menschen Böses tun, das überlebt sie,
das Gute wird mit ihnen oft begraben.
So wollen wir es auch mit Cäsar halten…“

Im Folgenden zählt Marc Anton ohne Ende die Verdienste auf, die Cäsar um Rom hat, und hetzt die Römer gegen die Mörder Cäsars auf.

Dieses Konzept wendete C. an, indem er es umkehrte. Seine Rede begann etwa so:

„Genossen, Kommunisten, hört mich an!
Begraben will ich Stalin, nicht ihn schmähen.
Was Menschen Gutes tun, das sei erinnert,
Das Böse sei von uns gerecht gewertet.
So wollen wir es auch mit Stalin halten.“

Na gut, so hat er es nicht gesagt. Es ist auch gut möglich, dass er allein auf sein Konzept gekommen ist; vielleicht kannte er den „Julius Cäsar“ nicht einmal. Aber immerhin sagte er zu Beginn seiner Rede: „Über Stalins Verdienste wurde noch zu seinen Lebzeiten eine völlig ausreichende Anzahl von Büchern, Broschüren, Studien verfasst. Allgemein bekannt ist die Rolle Stalins bei der Vorbereitung und Durchführung der sozialistischen Revolution, während des Bürgerkrieges sowie im Kampf um die Errichtung des Sozialismus in unserem Lande. Darüber wissen alle gut Bescheid.“

Dabei fällt zweierlei auf: Das allgemein Bekannte, nämlich Stalins Verdienste um den Sozialismus, wird hier scheinbar bekräftigt. C. sagte, es sei deshalb „eine allseitige Beurteilung des Lebens und der Tätigkeit Stalins“ nicht nötig. Im Folgenden stellte C. aber dar, wie falsch angeblich dieses „Bescheid Wissen“ ist, wie die Darstellungen Stalins insgesamt durch den „Personenkult“ verzerrt war.

So wie Marc Anton behauptet, dass er nicht preisen will, und dann unendlich lobhudelt, so bekräftigte C. das, was „alle wissen“, um es später als Schönfärberei zu „entlarven“.

Zum anderen rechnete C. den „Aufbau des Sozialismus“ bis zum Beginn der Dreißiger Jahre, Aber auch über die folgenden zwanzig Jahre Stalins wussten „alle gut Bescheid“. C. sagte aber hier zunächst kein Wort darüber, dass er Stalins Wirken in dieser Zeit ganz anders sah als „alle“, nämlich ausschließlich negativ.

Zu C.s Enthüllungen über Stalin ist meines Wissens in den folgenden fünf Jahren nichts Wesentliches mehr hinzugefügt worden. Wenn C. aber fünf Jahre später Stalins Leichnam aus dem Mausoleum entfernen und Stalingrad umbenennen lassen wollte, so hätte es sich für einen ehrlichen Kommunisten gehört, genau auf dem XX. Parteitag Stalins Leben und Wirken insgesamt zu beurteilen.

Wenn ich also C.s Rede werte, muss ich auch darauf eingehen, was über Stalin zu sagen gewesen wäre, aber in der Rede übergangen wird. Ich stelle dabei C.s Darstellung den Aus-führungen aus dem dtv–Lexikon 1997 gegenüber, das einer Voreingenommenheit zugunsten Stalins wohl nicht verdächtigt werden kann. Dort heißt es über Stalin: „…Im März 1917 aus Sibirien nach Petrograd zurückgekehrt, wurde er ins Politbüro der Partei kooptiert. Im Bürgerkrieg trat S. als polit. Kommissar der Roten Armee hervor und leitete zus. mit K.J.Woroschilow 1918 erfolgreich die Verteidigung von Zaryzin. 1917-23 fungierte er als Volkskommissar für die Nationalitätenpolitik…1919 wurde S. zugleich Mitgl. des Polit- und Organisationsbüros. Als Volkskommissar für die Arbeiter- und Bauerninspektion(1919-22) bestimmte er auch die personelle Zusammensetzung des Staatsapparates. 1922 übernahm er das neu geschaffene Amt eines Gen. Sekr. der Partei…Zwischen 1924 und 1929 konnte S. seine innerparteil. Gegner nacheinander aus den führenden Partei- und Staatsämtern ausschalten: L.D.Trotzki, dann G.J.Sinowjew und L.B.Kamenew, N.I.Bucharin und A.I.Rykow….Seit 1929 übte S. unangefochten die Alleinherrschaft aus und führte durch eine von ihm selbst so genannte „Revolution von oben“ eine wirtschaftl. und soziale Umwälzung durch. Unter Anwendung schärfster Gewalt kollektivierte er die Landwirtschaft und baute eine Industrie auf, die sich v.a. auf den Bergbau, die Schwer- und Rüstungsindustrie erstreckte, während die Konsumgüter-industrie weit zurückblieb“. Soweit besteht Konsens mit C. und soweit Billigung seiner Politik durch C. Für diesen Zeitraum beschränkte sich C. auf kleinliche Beckmesserei. Er führt „Lenins Testament“ an, wo dieser der Partei nahe legte, Stalin wegen seiner Grobheit als Generalsekretär abzulösen. Allerdings hatte sich Stalin um diesen Posten keineswegs gedrängt, und die Partei hat auch damals keine bessere Lösung gefunden, als ihn im Amt zu belassen. Dann führt C. Stalins Grobheit gegen die Krupskaja, Lenins Lebensgefährtin, an, die, so unverständlich sie bleibt, in C.s Rede dennoch nichts beiträgt als Stimmungsmache.

Was über die Zeit damals „alle wissen“, worüber C. zu reden nicht nötig fand, war die Weltlage und die Konsequenz möglicher strategischer Entscheidungen, die 1924 nach Lenins Tod zu treffen waren. Der Bürgerkrieg in der Sowjetunion war gewonnen und das Land nach der Phase der „Neuen ökonomischen Politik“ auf niedrigem Niveau stabilisiert. Gleichzeitig war die revolutionäre Nachkriegskrise beendet, es war klar, dass in absehbarer Zukunft nicht mehr mit weiteren Revolutionen in den entwickelten Industrieländern zu rechnen war. Es gab somit im Wesentlichen drei Einschätzungen für die Zukunft und daraus folgend drei mögliche Strategien:

Die linke Abweichung sah als einzige Überlebensmöglichkeit den „Export der Revolution“, ihr künstliches Anstacheln mit Hilfe der Roten Armee. Nachdem Trotzki und seine Anhänger damit von der Partei zurückgewiesen und entmachtet waren, gab Trotzki die Revolution verloren, er erklärte es für unvermeidlich, dass die Imperialisten sich zur Vernichtung der SU vereinigen würden. (Siehe: Die verratene Revolution, von L. Trotzki) Beides, erst verzweifelter Aktio-nismus und später tatenlose Verzweiflung, hätten die SU vernichtet. Beides ist Ausdruck von kleinbürgerlichem Schwanken zwischen Selbstüberhebung und Panik.

Die rechte Abweichung sah die Bedrohung durch den Imperialismus nicht realistisch und plante den Aufbau des Sozialismus in einem Tempo, dass den wirklich zur Verfügung stehenden Zeit-raum für den Aufbau nicht berücksichtigte. Mit Bucharins Linie der Verlängerung der NÖP und des gebremsten Aufbaus wäre die SU zum Zeitpunkt von Hitlers Überfall dem Angriff nicht gewachsen gewesen.

Stalin war als Generalsekretär Repräsentant der dritten Richtung, die als einzige nicht unmittel-bar zum Untergang des Sozialismus führen musste. Er war sich klar darüber, dass die Vertei-digung gegen einen Angriff der Imperialisten in der Zukunft unvermeidlich war. Und er schätzte realistisch 1929 die verbleibende Zeit auf 10 Jahre ein, und bestimmte daran das Tempo des sozialistischen Aufbaus. Unter seiner Führung wurde diese Linie in der Partei durchgesetzt und in der Gesellschaft verwirklicht. Allein dass Stalin diese Richtung repräsentierte, müsste ihm gerechterweise einen anderen Platz in der Geschichte sichern, als C. ihm zubilligte. Dem gegenüber sind dann C.s Überlegungen über den tatsächlichen persönlichen Anteil Stalins an dieser Politik kleinlich und unwesentlich, ebenso wie C.s Kritik an einer vielleicht überzogenen Darstellung von Stalins Anteil durch ihn selbst und seine Bewunderer.

Dabei kann sich C. nicht einmal festlegen, was er Stalin nun eigentlich vorwirft: Zum einen behauptet C., dass Stalin „Kollektivität in der Führung und in der Arbeit absolut nicht ertrug“  (S.5) und den Menschen seine Konzeption aufzwang. „Stalin dachte, dass er…selbst in allen Angelegenheiten entscheiden konnte“(S.12). Auf der anderen Seite stellt C. fest: „Nicht Stalin, sondern die Partei als ganzes, die sowjetische Regierung, unsere heldenhafte Armee.., das ganze sowjetische Volk – das ist es, das den Sieg im Großen Vaterländischen Krieg gewähr-leistete.“(S.29) Also: Stalin entschied alles allein, und das Volk hat trotz Stalins Führung gesiegt. Wie absurd diese Darstellung ist, zeigen allein die Beispiele, wie weit schwächere, unfähige Regierungen die Sache des Volks ruinieren konnten. Ich nenne hier als Beispiele Gorbatschow, Jelzin, Honecker, Tito und nicht zuletzt Chruschtschow selbst, wie ich weiter unten belegen will.

Inhaltliche Kritik an Stalin beginnt bei C. für die Zeit nach dem XVII. Parteitag 1934. Was in dieser Zeit Positives geleistet wurde und wofür Stalin als Repräsentant stand, kommt in C.s Rede nicht vor: Die Fünfjahrpläne mit ihrer Schaffung einer industriellen und militärischen Basis für den Weltkrieg, der Geländegewinn und der Zeitgewinn von fast zwei Jahren durch den Nichtangriffspakt mit Deutschland, das Bündnis mit Britannien und den USA, die Verteidigung und dann die Befreiung der Heimat, die Befreiung Osteuropas, die Vernichtung des deutschen Faschismus, die Standhaftigkeit im beginnenden kalten Krieg, auch unter dem US–Atom-bombenmonopol, die Beschaffung der eigenen Bombe. Dies alles sind bei weitem gewichtigere Gründe, die für Stalin sprechen, als Marc Anton sie je zugunsten Cäsars hätte anführen können. Für diesen Zeitraum führt C. ausschließlich negative Fakten und Ansichten über Stalin an.

Nun möchte ich auf Marc Anton zurückkommen:

Doch Chruschtschow sagt, dass er voll Herrschsucht sei,
und Chruschtschow ist ein ehrenwerter Mann.

Aber was ist dran an den Vorwürfen? Was ist mit der „Herrschsucht“? Und was ist mit Fehlern und Verbrechen?

Zu den Verbrechen: Ich will nicht verhehlen, dass ich beim Studium der Rede von neuem erschüttert war vom Schicksal der Genossen, die im Zuge der „Säuberungen“ vernichtet wurden, obwohl sie der Partei und dem Sozialismus treu gedient hatten. C.s Vorwurf der „Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit“ trifft zu. C. verschweigt aber die reale Lage, den Vorabend des Kampfes auf Leben und Tod mit dem Imperialismus in seiner inhumansten Variante, dem deut-schen Faschismus. („In einer blutigen Säuberung (1935-39)…vernichtete (Stalin) alle vermeintlichen und tatsächlichen (!) Gegner in Partei, Armee, Staat u.a.“ dtv)

In dieser Situation musste die Frage der Einhaltung von Recht und Gesetz hinter der Frage des Überlebens zurückstehen.

C. stellte es so dar, dass die Notwendigkeit von Terror nur in Stalins Wahnvorstellungen existierte. Er bezeichnete Stalins Theorie von der Zuspitzung des Klassenkampfs bei der Entwicklung des Sozialismus als falsch, ohne zu argumentieren. Dabei liegt es auf der Hand, dass die Aggressivität des Imperialismus zunimmt, wenn der Sozialismus erstarkt. Die Frage der Zuspitzung des Klassenkampfs auf die Klassen innerhalb der SU zu reduzieren, den internationalen Klassenkampf zu ignorieren, bedeutete, dass C. den Fehler Bucharins wiederholte.

C.s Auffassung findet ihre direkte Fortsetzung in Gorbatschows angeblicher Friedensfähigkeit des Kapitalismus. Und die inneren Feinde waren weitgehend entmachtet, aber noch vorhanden. Das belegt C. selbst an seinem Beispiel des Genossen Eiche, der der Verleumdung von Trotzkisten zum Opfer fiel. Nach den „Säuberungen“ haben die inneren Feinde während des Kriegs nicht gewagt, fünfte Kolonnen zu bilden. Vorhanden waren sie aber noch, und in den besetzten Gebieten drängten sich viele Kollaborateure zum Kampf an der Seite der Faschisten gegen die Sowjetmacht: Hier seien nur die Baltischen SS-Einheiten genannt, die  Wlassow - Armee, und die Weißgardisten in der Ukraine, die noch nach Hitlers Niederlage über Jahre weiter Terror ausgeübt haben. Welche Rolle hätte z.B. ein Sinowjew oder Trotzki unter Hitler spielen können? Vergessen wir nicht die Rolle anderer ehemaliger Linker, wie Mussolini oder Laval im faschistischen Machtapparat! Wollte Stalin im Krieg ein sicheres Hinterland haben, so musste er  die Feinde der Sowjetmacht unschädlich machen.

Eine weitere Verletzung sozialistischer Gesetzlichkeit führt C. an, die Umsiedlung „unzuver-lässiger Völker“ aus dem Frontbereich. (Siehe S.30) So bitter es war für die loyalen Sowjet-bürger dieser Nationalitäten, nicht in ihrer Individualität gerecht gewertet zu werden, so war ein anderes Vorgehen während der aufs äußerste angespannten Verteidigung nicht zu leisten. So gab es zum Beispiel neben den loyalen Staatsbürgern deutscher Nationalität eben auch massenhaft Deutsche, die in der Waffen–SS für Hitler kämpften, und die Mitgliedschaft in der SS war noch in jüngster Zeit eine Grundlage für den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft bei den Um-siedlern. Auch hierbei ging es nicht um Gerechtigkeit, sondern ums Überleben. Eine Bitte um Vergebung bei den unschuldigen Opfern dieser Maßnahmen bzw. bei ihren Hinterbliebenen sowie deren Rehabilitierung auf dem XX. Parteitag wäre richtig und revolutionär gewesen. Die Verurteilung dieser Maßnahmen insgesamt war unmarxistisch, war ein Fehler und ein Dienst an den Imperialisten.

Zu Stalins Fehlern: C. führt auf, dass alles ohne die Fehler besser gelaufen wäre. Wahrhaft eine Binsenweisheit! Die Frage ist: Waren die Fehler vermeidbar? Für C. ist das einfach. Alle Fehler Stalins führt er auf dessen Unfähigkeit und Selbstüberschätzung zurück. C. hat viel über Lenins Bescheidenheit ausgeführt, um Stalin herabzusetzen. Erinnern wir uns, was Lenin zum Problem der Fehler sagt: „Klug ist nicht, wer keine Fehler macht. So einen Menschen gibt es nicht und kann es nicht geben. Klug ist, wer keine wesentlichen Fehler macht, und die Fehler, die er macht, leicht korrigiert.“ „Wesentliche Fehler“ sind, wie der Begriff sagt, im Kampf auf Leben und Tod solche Fehler, die zum Untergang führen. Und die anderen Fehler, selbst wenn sie Hunderttausende von vermeidbaren Opfern fordern, sind keine wesentlichen Fehler. Das klingt schrecklich und ist es auch, aber der Schrecken liegt nicht begründet im Wesen desjenigen, der diese Fehler macht, sondern in der Lage, die solche Entscheidungen erzwingt. In diesem Sinn hat Stalin keine wesentlichen Fehler gemacht.

Zu Stalins Fehlern rechne ich unter anderen die Abschwächung der antifaschistischen Propa-ganda von 1939 bis 1941, die Überschätzung der eigenen Kampfkraft, die sich in der Losung ausdrückte: Wenn Krieg, dann mit geringen Verlusten und auf feindlichem Territorium, und die falsche Einschätzung über den Beginn des deutschen Angriffs. Aber gerade an diesem letzten Beispiel zeigt sich die Unlauterkeit in C.s Argumentation. Er führt die Warnungen Churchills und seines Botschafters Cripps an, als hätten nicht die Britischen Imperialisten ein vitales Interesse gehabt, Krieg zwischen Hitlerdeutschland und der UdSSR zu provozieren, als wäre Stalin nicht verpflichtet gewesen, die Möglichkeit einer Provokation mit zu berücksichtigen. Dann führt C. Warnungen der eigenen Militärs und Diplomaten an, die sämtlich falsche Termine für den deutschen Angriff angeben. Diese Fehlalarme mussten eigentlich bei jedem Menschen außer bei C. Verständnis dafür erzeugen, dass Stalin den richtigen Termin dann auch nicht akzeptierte. Das Ergebnis war ein folgenschwerer Fehler Stalins, aber man muss schon sehr von sich eingenommen sein, um auszuschließen, dass einem selbst in Stalins Lage dieser Fehler auch hätte unterlaufen können. Wenn C. Stalin wegen dieser Fehler verurteilt, so musste er überzeugt sein, dass ihm als Stalins Nachfolger keine so schweren Fehler unterlaufen würden. Schaun wir mal:  „Mit welchem Maße ihr messet, damit sollt ihr gemessen werden!“ heißt es in der Bibel.

Lenin stellte dem Sozialismus die Aufgabe: „Den Kapitalismus ökonomisch überholen oder untergehen!“ Dieser Satz schließt die unaufhebbare Feindschaft zw. Kapitalismus und Sozialismus ein. Indem C. die These Stalins von der Verschärfung der Widersprüche verurteilte, bestritt er diese Leninsche Aussage. Aus Lenins Aussage ergab sich für die Ökonomie zwingend das Gebot, in der Investitionstätigkeit das Schwergewicht auf die Investitionsgüter statt auf die Konsumgüter zu legen. Indem C. diesen selbstverständlichen Grundsatz der sozialistischen Ökonomie unter den Bedingungen der Koexistenz aufgab, stellte er die Weichen für Lenins Alternative:“…oder untergehen!“ Im Grunde wiederholte C. hiermit in der Praxis, was er mit der Verurteilung der These von der Zuspitzung der Widersprüche bereits in der Theorie getan hatte, den wesentlichen, strategischen Fehler von Bucharin, den Feind zu unterschätzen und die notwendigen Schritte für den raschen ökonomischen Fortschritt zu sabotieren.

Ein Mensch, der wesentliche, tödliche politische Fehler beging, maßte sich an, seinen Vorgänger wegen nicht wesentlicher Fehler zu verurteilen!

Hatte er denn wenigstens mehr von der Bescheidenheit, deren Fehlen er Stalin so wortreich vorwarf? C. propagierte den Übergang vom Sozialismus zum Kommunismus innerhalb von 20 Jahren, eine Veränderung, für die Marx und Engels nicht nur reicheres Fließen der Quellen der Produktivkraft voraussetzten, sondern auch einen veränderten Charakter der Massen, Menschen, die sich wirklich als soziales Wesen begreifen und denen Arbeit zum ersten Lebensbedürfnis geworden ist. Wenn das erreicht ist, soll es möglich sein, die Menschen nach ihren Bedürfnissen statt nach ihrer Leistung zu versorgen. Das in 20 Jahren erreichen zu wollen war absurd. Schon C.s Ankündigung, den Lebensstandard der USA in kurzer Zeit zu überholen, war eine haltlose Prahlerei, an die keine einzige Selbstbeweihräucherung Stalins je heranreichte.

Indem C. so die sowjetische Vergangenheit als eine Geschichte ausschließlich von Willkür, Not und Terror diffamierte und unhaltbare Versprechungen für die nahe Zukunft machte, errichtete er ein Kartenhaus, nach dessen notwendigem Zusammenbruch bei den Menschen Entmutigung, Ent-täuschung und Zynismus vorherrschen und sich durch die falsche Wirtschaftspolitik weiter zuspitzen mussten. Die Stagnation und der Untergang des Realsozialismus in Europa war wesentlich das Ergebnis von Chruschtschows Politik.

Ich denke, nach den Erfahrungen mit dem Untergang des europäischen Realsozialismus sollten die Kommunisten zu einer gerechteren Beurteilung Stalins finden.

Kurzfristig werden sie sich damit nicht beliebt machen, aber das ist auch nicht ihre Aufgabe. Marx nennt als revolutionäre Tugend: „Aussprechen, was ist!“

Auf dem XX. Parteitag hat ein lebendiger Esel einen toten Löwen getreten.

Oder, wie Peter Hacks Chruschtschows Umgang mit Stalin noch schärfer charakterisierte:

Der plumpe Narr Nikita
Zog ihn aus dem Betrieb.
Er tat es seinem Gebieter
In Washington zulieb.

Fritz Dittmar, Hamburg


Kurt Gossweiler: Chruschtschow und die Kuba- Krise

In seinen Erinnerungen (Chuschtschow erinnert sich, Rowohlt  1971) prahlt Chr., er habe Kuba vor der USA-Intervention bewahrt. „Schaun mer mal!“

1.

Im Kapitel „Fidel Castro und die Kuba-Krise“  (S.492-502) schildert er zu Beginn, dass er über Castro nach dessen Sieg über Batista nichts wusste. Als dann nach der Niederlage der Interventen in der Schweinebucht Castro erklärte, dass Kuba einen sozialistischen Kurs verfolgen werde, äußert sich Chr. dazu wie folgt:

„Wir hatten Mühe zu verstehen, warum er gerade diesen Zeitpunkt für diese Verlautbarung wählte.... Was Castros persönlichen Mut betraf, so war seine Haltung bewundernswert und richtig. Aber vom taktischen Standpunkt aus betrachtet war sie wenig sinnvoll.“

Sollte man vom Führer der Partei der Weltrevolution nicht eine andere Reaktion erwarten, wenn der Sozialismus nunmehr auch auf dem amerikanischen Kontinent Einzug hält? Nämlich eine solche, wie sie die Pariser Commune bei Marx und Engels auslöste? Allerdings: für einen, der sich zum Ziel gesetzt hat, Freundschaft mit dem Präsidenten der USA zu schließen, konnte ein Castro nur ein unerwarteter und unerwünschter Störfaktor sein. Das konnte er natürlich nicht offen zum Ausdruck bringen. Daher nur: „Taktisch wenig sinnvoll.“ Aber das drückt deutlich genug aus, dass er sich gestört fühlte.

2.

„Wir waren sicher, dass die Amerikaner sich niemals mit der Existenz von Castros Kuba abfinden würden. ... Wir waren verpflichtet, alles zu tun, was in unserer Macht stand, um Kubas Existenz als sozialistisches Land und als praktisches Beispiel für die anderen Länder Lateinamerikas zu schützen.“ 

Damit kann man voll einverstanden sein, das klingt nach sozialistischem Internationalismus. Aber was dann folgt, ist Nationalismus pur: „Es war mir klar, dass wir („wir“!) Kuba sehr wohl verlieren könnten, falls wir nicht einige entscheidende Schritte zu seiner Verteidigung unternahmen.“ Und dann: „Als ich zu einem offiziellen Besuch in Bulgarien war, hämmerte ... ununterbrochen ein bestimmter Gedanke auf mein Gehirn ein: Was passiert, wenn wir Kuba verlieren?“  

Wenig glaubhaft, denkt man daran, dass dies der Mann sagt, der bedenkenlos dem sehr viel näher liegende sozialistische Albanien die Unterstützung der Sowjetunion entzog und der sogar den Bruch mit Volkschina vollzog!

„Ich wusste, es wäre ein schrecklicher Schlag für den Marxismus-Leninismus gewesen.“ Das aus dem Munde des Mannes, der durch seine „Geheimrede“ auf dem XX. Parteitag die ganze kommunistische Bewegung in eine Krise stürzte, die schließlich mit dem Untergang der Sowjetunion und ihrer europäischen Bruderländer endete, ist noch um vieles unglaubwürdiger!

3.

„Wir mussten ein greifbares und wirksames Abschreckungsmittel schaffen gegen eine ameri-kanische Einmischung in der Karibischen See. Aber was für eines? Die logische Antwort waren Raketen.“

Nein! Das war keine logische, sondern eine abenteuerliche Antwort! Oder etwa nicht? Er sagt es selbst: „Ich hatte Wert darauf gelegt, dass meine Genossen die Entscheidung mit reinem Gewissen akzeptierten und unterstützten und im vollen Bewußtsein, welche Folgen sich aus der Stationierung von Raketen auf Kuba ergeben konnten -  nämlich Krieg mit den Vereinigten Staaten.“ 

Man kann sich nur darüber wundern, dass  „seine Genossen“ einem solch abenteuerlichen Vorhaben ihre Zustimmung gegeben haben sollen. Aber das hatten sie offenbar gar nicht. Denn Chruschtschows mehrfache Beteuerung, „Jeder Schritt, den wir unternommen haben, ist vom Kollektiv sorgfältig erwogen worden“, haben die Herausgeber seiner Erinnerungen mit folgender Fußnote versehen: „Eine Anspielung Chruschtschows auf die Vorwürfe bei seinem Sturz, er sei auch im Falle Kubas eigenmächtig vorgegangen.“ (S.499).

So, wie wir Chruschtschow kennen, besteht kein Grund, an der Berechtigung dieses Vorwurfes  zu zweifeln. Demnach war die „Kuba-Krise“ ein Ergebnis eines der zahlreichen Beispiele des „Subjektivismus“ und der eigenmächtigen Aktionen Chruschtschows, derentwegen er schließlich von „seinen Genossen“ abgesetzt wurde.

4.

Was aber wäre eine wirklich „logische“, d. h. politisch richtige Antwort gewesen? Eine solche Antwort wäre z. B. ein Beistandspakt gewesen, in dem sich die Sowjetunion verpflichtet, im Falle eines Angriffes auf Kuba diesem mit allen seinen Mitteln Beistand zu leisten, oder auch die Anlage eines sowjetischen Militärstützpunktes (ohne Raketen) auf Kuba, nicht dagegen eine „Antwort“, die mit Leichtigkeit von der US-Regierung aller Welt als sowjetische Provokation vorgeführt werden konnte und dadurch die Handhabe bot für die Entfesselung einer Kampagne, die, statt Kuba zu schützen, es im höchsten Maße gefährden konnte, wie es ja in der Tat der Fall war. Was die Anlage einer sowjetischen Militärbasis auf Kuba betrifft, so gibt es dazu ein sehr aufschlußreiches us-amerikanisches Dokumente, das Horst Schäfer in seinem Buch: „Im Fadenkreuz: Kuba“  (2. Aufl., Berlin 2005) gedruckt hat. Dort ist auf  S. 182/83 zu lesen:

„Robert Kennedy hatte bereits am 22. März 1962 – also sieben Monate vor der Raketenkrise – dazu aufgefordert, über die Frage nachzudenken, wie die USA auf die Errichtung einer sowjetischen Militärbasis reagieren könnten. General Edward Lansdale, der Chef der Operation Mongoose und Verfasser des Planes zum Sturz Castros im Oktober 1962 antwortete darauf am 31. Mai in einem Memorandum: <Da die SGA (Special Group Augmented = Erweiterte Spezialgruppe) davon ausgeht, dass der offene Einsatz von US-Streitkräften notwendig ist, um die kommunistische Kontrolle Kubas zu beenden, ist Mr. Kennedys Frage besonders sachdienlich. Sollten die Sowjets nämlich ihre Option wahrnehmen und ... eine Militärbasis in Kuba errichten, dann kann dieser Vorgang jede künftige Entscheidung verhindern, mit US-Streitkräften zu intervenieren, ebenso wie die Sowjets sich jeder Anwendung von militärischer Gewalt gegen Länder enthalten haben, in denen US-Basen errichtet wurden.>“

5.

Chruschtschows Beschreibung seiner Überlegungen zeugen von einer unfassbaren Verant-wortungslosigkeit und wirklich kriminellem Abenteurertum: „Während meines Besuches in Bulgarien kam mir der Gedanke, auf Kuba Raketen mit nuklearen Sprengköpfen zu installieren und ihre Anwesenheit dort vor den Vereinigten Staaten so lange geheimzuhalten, bis es für sie zu spät war, irgend etwas dagegen zu unternehmen.“

Wenn er schon selber nicht soviel Sachverstand hatte, um zu wissen, dass dies im Zeitalter der Satelliten-Überwachung des ganzen Globus rund um die Uhr eine primitive Illusion war – hat ihm das keiner der Militärs gesagt? Aber muss man ihm überhaupt glauben, dass er tatsächlich diese Illusion hegte? Es kommt aber noch abenteuerlicher und verantwortungsloser!

„Meine Gedanken gingen in folgende Richtung: wenn wir die Raketen heimlich installieren und wenn die Vereinigten Staaten erst entdecken, dass sich Raketen dort befanden, wenn diese bereits auf ihr Ziel gerichtet und abschussbereit waren, dann würden die Amerikaner es sich zweimal überlegen, bevor sie versuchten, unsere Einrichtungen mit militärischen Mitteln zu vernichten. Ich wußte, dass die Vereinigten Staaten zwar einige unserer Einrichtungen zerstören konnten, aber nicht alle. Wenn ein Viertel oder auch nur ein Zehntel unserer Raketen erhalten blieb – oder wenn auch nur eine oder zwei übrigblieben -, dann konnten wir noch immer New York treffen und dann würde von New York nicht mehr viel da sein.“

Bleibt zu fragen: und in welche Richtungen gingen seine Überlegungen für den wahr-scheinlichsten Fall, nämlich den, dass die Installierung der Raketen viel früher entdeckt werden würde? Darüber schreibt er nichts, aber das ist gerade der Fall, mit dem er mit Sicherheit rechnen mußte und ebenso sicher auch gerechnet hat. Was für diesen Fall vorgesehen war, dürfte genau das sein, was dann nach der sehr frühen „Entdeckung“ der Einfuhr der Raketen und ihrer begonnenen Installierung geschah – ein diplomatischer Notenwechsel, mit der US-Forderung nach Abbau der Raketen und der Kontrolle des Abbaus durch eine „UNO“- (sprich USA)- Kontrollkommission, der Chruschtow dann ohne Befragung Castros zustimmte und Kennedy das billige Versprechen abgab, Kuba nicht anzugreifen.

Hätte Castro die Ausführung dieser hinter seinem Rücken zwischen Chruschtschow und Kennedy getroffenen Abmachung zugelassen, dann hätten die USA außer ihren Truppen in Guantanomo auch noch eine Kommission im Lande gehabt, der es nicht schwer gefallen wäre, einen Vorwand zu finden, um Castro irgendwelcher Regelverstöße, die Sanktionen rechtfertigen, nachzuweisen. Castro aber fand den klügsten Weg, diese zweiseitige Intrige zu durchkreuzen: er stimmte der Untersuchungskommission zu, aber nur unter der Bedingung, dass Kuba seinerseits eine Untersuchungskommission in die USA, nach Miami, schickt zur Untersuchung der Machenschaften der dortigen Exil-Kubaner gegen Kuba. Damit war die Frage einer Untersuchungskommission in Kuba erledigt.

6.

Chruschtschow rühmt sich  in prahlerischster Weise, das Überleben des sozialistischen Kuba gesichert zu haben.

„Mein Brief an Castro beendete eine Episode der Weltgeschichte: Indem wir die Welt an den Rand eines Atomkrieges brachten (!),gewannen wir ein sozialistisches Kuba. ... Die Karibische Krise war ein Triumph der sowjetischen Außenpolitik und ein persönlicher Triumph in meiner eigenen Laufbahn als Staatsmann und als Mitglied der kollektiven Führung.“

Chruschtschow rühmt sich zu Unrecht! Die vier Jahrzehnte seit der von Chruschtschow ausgelösten Kuba-Krise haben eindeutig bewiesen: um Kubas Überleben zu sichern, bedarf es keiner an den Rand des Atom-Krieges führenden Aktion á la Chruschtschow! Die Sowjetunion und ihre europäischen Verbündeten sind untergegangen –  die USA haben aber dennoch keinen Krieg gegen Kuba begonnen, und Castros Kuba hat allem Druck und allen Erdrosselungs-versuchen, sogar denen eines so kriegssüchtigen Präsidenten wie des Bush jr., standgehalten!

Das erste und Hauptverdienst dafür haben das kubanische Volk und seine Führung: Fidel Castro und die Kommunistische Partei Kubas! An zweiter Stelle zu nennen ist die weltweite Solidaritätsbewegung für Kuba, an dritter Stelle der wachsende Widerstand von immer mehr Völkern und Staaten auf allen Kontinenten der Erde gegen den Weltausbeuter und Weltpolizisten, den USA-Imperialismus.

7.

Chruschtschow dagegen rühmt in echter Revisionisten-Manier als zweiten Friedensretter niemanden anders, als den USA-Präsidenten Kennedy, (der nach der Karibik-Krise fortfuhr,  Pläne zu schmieden für Sabotage- und Diversionsakte in Kuba und für neue Interventionen gegen Kuba und Mordanschläge auf Fidel Castro! (Nachzulesen bei Horst Schäfer: Im Fadenkreuz: Kuba!, S.183 ff.) Als ob ihm das nicht durch die eigenen Geheimdienste berichtet worden wäre, schweigt sich Chruschtschow darüber aus.

Statt dessen lobt er - so überschwänglich wie früher den Präsidenten Eisenhower für dessen angebliche Friedensliebe - jetzt den Präsidenten Kennedy: „Die Episode endete mit einem Triumph des gesunden Menschenverstandes. Ich werde mich an den verstorbenen Präsidenten immer mit tiefem Respekt erinnern, da er sich letzten Endes als besonnener Mann erwies, entschlossen, einen Krieg zu vermeiden. Er ließ sich weder erschrecken, noch wurde er leichtsinnig. Er überschätzte Amerikas Macht nicht, und er hielt sich einen Ausweg aus der Krise offen. Er bewies wirkliche Klugheit und echtes staatsmännisches Können, als er den rechtsgerichteten Kräften in den Vereinigten Staaten, die ihn zu einer militärischen Aktion gegen Kuba aufzustacheln versuchten, den Rücken kehrte.“ 

8.

Man mag fragen: lobte Chruschtschow hier Kennedy nicht zu recht? Haben die beiden die Welt nicht vor dem Inferno eines Atomkrieges gerettet? So stellte Chruschtschow es dar, und so wird es bis heute geglaubt und in die Geschichtsbücher geschrieben. Aber muß man das glauben? Ich hatte daran schon damals meine Zweifel. In mein politisches Tagebuch schrieb ich am 30. Oktober 1962:

„Die Westpresse und die reaktionärsten Politiker sind sich alle im Lob Chruschtschows als des „Realisten“, der den Weltfrieden gerettet hat, einig. Diese Seite der Angelegenheit wirft die Frage auf, in welchem Maße die Kuba-Krise nicht überhaupt ein abgekartetes Spiel war, dazu bestimmt, die Welt durch die Aussicht eines Atomkrieges in Angst und Schrecken zu versetzen, um sie dazu bereit zu machen, den Friedensbringern auf den Knien zu danken. In dieser Hinsicht hat die ganze Geschichte verdammt viele Parallelen zu München! Es wird vorläufig in der SU sehr schwer sein (in der Parteiführung), gegen Chruschtschow aufzutreten, solange nicht die Ereignisse ihr Urteil gegen ihn gefällt haben.“ Wenige Seiten weiter vermutete ich, was ich erst später durch Chruschtschow selbst, in seinen Erinnerungen, bestätigt fand: Chruschtschow, schrieb ich, „hat offenbar gegen den Aufbau sowjetischer Raketen in Kuba keinerlei Einwendungen erhoben; es würde durchaus in sein Konzept passen, wenn er sogar der treibende Teil bei der ganzen Angelegenheit gewesen wäre.“ (Taubenfußchronik Bd. II, S. 371 f., S.378).

9.

Der Hintergrund, vor dem sich die Karibik-Krise ebenso wie die Berlin-Krise abspielte, war die zunehmende Unsicherheit der Position Chruschtschows an der Spitze von Partei und Staat, und das Interesse auch der Westmächte daran, Chruschtschow, den Stalin-Bekämpfer, und Tito-Rehabilitierer, den Mann, der mit dem roten China gebrochen hatte und seit Jahren die Versöhnung mit den USA  betrieb, an der Macht zu halten. Wie aber sollte das geschehen? Durch unveränderte Fortführung dieser Politik, die zur Schwächung und Gefährdung seiner Position geführt hatte?

Nein, seine schon nach der ungarischen Konterrevolution erfolgreich angewandte Methode zur Festigung seiner erschütterten Position war es, sich zum eifrigsten und „radikalsten Vorkämpfer“ der in der Sowjetunion, in der kommunistischen Welt und in der damaligen Weltfriedensbewegung dringendsten und populärsten Forderungen aufzuspielen.

Das waren Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre  zwei Forderungen:

- In Europa: die Beendigung der Rolle Westberlins als „Frontstadt“ des kalten Krieges, als „Pfahl im Fleische der Deutschen Demokratischen Republik“, als „billigste Atombombe des Westens“ gegen die Welt des Sozialismus.

- In Amerika: Die Sicherung Kubas vor einer USA-Intervention.

10.

Vor diesem Hintergrund spielte sich auch das „Gipfeltreffen“ Kennedy - Chruschtschow in Wien am 3./4.Juni 1961 ab. Beide Fragen – Westberlin und Kuba – dürften bei diesem Treffen im Mittelpunkt gestanden haben, fand es doch statt etwa anderthalb Monate nach dem us-gesteuerten, aber schmählich gescheiterten Interventionsversuch von Exilkubanern in der Schweinebucht, und auf dem Höhepunkt der Krise um Westberlin, zehn Tage vor deren Beendigung durch die Schließung der Grenzen der DDR nach Westberlin am 13. August 1961.

Dass die Frage Westberlin in Wien Gegenstand der Besprechung war, wurde durch das Memorandum der UdSSR „Über die Frage des Abschlusses eines Friedensvertrages mit Deutschland und die Regelung des Westberlin-Problems“ der Öffentlichkeit mitgeteilt. (Taubenfußchronik II, S.285 ff.) Später wurde bekannt, dass damals Kennedy die Versicherung abgab, sich gegenüber der Grenzschließung auf verbale Proteste zu beschränken. Das heißt, er hatte Verständnis dafür, daß es Chruschtschow nicht länger möglich war, die Grenzschließung weiter hinauszuzögern.

Dagegen wurde nichts darüber mitgeteilt, ob auch Kuba Gegenstand der Besprechungen war. Doch spricht der ganze Ablauf der „Karibik-Krise“ dafür, dass beide Seiten sich darauf geeinigt haben, dass, was immer in der nächsten Zeit sich dort abspielen würde, beide Gesprächs-teilnehmer alles in ihrer Macht Stehende tun würden, um es nicht zu einem kriegerischen Zusammenstoß kommen zu lassen, wie zugespitzt und hochgespannt die Situation auch werden mochte. Das hieße, Kennedy hatte auch Verständnis dafür, dass Chruschtschow nicht umhin konnte, Entschlossenheit zum Schutz Kubas vor äußeren Angriffen zu demonstrieren.

Für die Annahme einer solchen Verständigung spricht Kennedys Weigerung während der ganzen Zeit der Kuba-Krise, der Forderung seiner Militärs nach bewaffnetem Einsatz nach-zukommen, selbst dann noch, als ein US-Spionageflugzeug am 27. Oktober über Kuba abgeschossen wurde, wobei der Pilot seinen Tod fand und die Militärs in Kennedy drangen, dies „mit vermehrten Einsätzen der Luftwaffe und sofortigen Bombardements der Raketenstellungen zu beantworten.“ (Schäfer, S. 179).

Auch Chruschtschow erwähnt diesen Vorfall in seinen Erinnerungen und lobt dabei die Zurückhaltung Kennedys (S.499): „Wir machten uns Sorgen, dass die Amerikaner, sobald wir uns zurückzogen, zur Offensive übergehen konnten. Aber nein, der gesunde Menschenverstand behielt die Oberhand. Ihre Schiffe verließen die kubanischen Hoheitsgewässer, aber ihre Flugzeuge umkreisten weiterhin die Insel. Castro gab den Befehl, das Feuer zu eröffnen, und die Kubaner schossen ein amerikanisches Aufklärungsflugzeug vom Typ U-2 ab. So wurde ein weiterer amerikanischer Spion – ebenso wie Gary Powers – von einer unserer Raketen heruntergeholt. Der Vorfall rief wildes Geschrei hervor. Zuerst waren wir besorgt, ob Präsident Kennedy die Demütigung auch würde verdauen können. Glücklicherweise jedoch geschah nichts, außer dass die Amerikaner mit ihrer Propaganda unverschämter wurden als je zuvor.“.

11.

Der beiden erwähnten Forderungen – Beendigung der Rolle Westberlins als Störzentrum gegen die DDR und Sicherung Kubas gegen feindliche Interventionen - nahm sich Chruschtschow in einer Weise an, die in kürzester Frist zu einer Spannung zwischen der Sowjetunion und den USA führte, die - so sollte es der Weltöffentlichkeit scheinen und so empfand es diese auch - beide Supermächte an den Rand des Atomkrieges brachte. In beiden Fällen erreichte er das dadurch, dass er die gerechten Forderungen der eigenen Seite der Gegenseite in ultimativer oder provokativer Form präsentierte und ihr dadurch die Begründung dafür lieferte, in gleicher oder noch schärferer Weise zu antworten.

In beiden Fällen nützten Chruschtschows „Vorstöße“ der Gegenseite mehr als der eigenen. Wenn dennoch die Gegenseite ihre Ziele nicht voll erreichte, dann war das in beiden Fällen nicht das Verdienst Chruschtschows. Wie das im „Fall Kuba“ verlief, haben wir schon gesehen.

Im Falle Westberlin forderte er in einer Rede am 10. November 1958 überraschend die Westmächte auf, einen Friedensvertrag mit Deutschland abzuschließen, der auch den Viermächtestatus von Berlin beenden und den Abzug aller vier Mächte aus Berlin festlegen sollte. Westberlin würde eine Freie Stadt sein, und die Kontrolle aller Zugänge zu Westberlin würde die Sowjetunion in die Hände der DDR legen. Als Frist für die Unterzeichnung eines solche Friedensvertrages nannte er 6 Monate. Sollten die Westmächte bis dahin dem Abschluß des Friedensvertrages nicht zugestimmt haben, werde die Sowjetunion einen separaten Friedensvertrag mit der DDR abschließen und ihr die Kontrolle über alle Zugangswege nach Westberlin übergeben..

Das sah nach einem engagierten Eintreten für die DDR aus. Das wäre es auch gewesen, wenn die SU tatsächlich nach sechs Monaten oder etwas später mit der DDR den angekündigten Friedensvertrag geschlossen hätte. Das hatte Chruschtschow im Ernst aber nie beabsichtigt, wie sein Handeln in den folgenden Jahren bewies: Chruschtschow fand immer wieder neue Gründe, die angekündigten Maßnahmen hinauszuschieben und einen neuen Termin anzukündigen. Jede dieser neuen Ankündigungen hatte für die DDR eine ganz böse Wirkung: sie löste jedesmal eine neue Welle der Republikflucht aus, schadete also in bedrohlicher Weise der DDR und nützte der Gegenseite. Dieses üble Spiel dauerte fast zwei Jahre, bis zur Grenzschließung am 13. August 1961, mit der - vor allem auf den Druck der Bruderparteien hin - der Verzögerungspolitik schließlich ein Ende bereitet wurde. (Ausführlich dazu: Taubenfußchronik II, S. 258-303.) Chruschtschow aber stellte sich dar als einer, der unermüdlich für die DDR und die Sicherung ihrer Grenzen gekämpft und dies schließlich auf friedlichem Wege erreicht habe.

Nicht anders Gorbatschow zu Beginn seines Weges, der über Jahre der Irreführung über seine wahren Absichten erst gegen Schluß erkennen ließ und es danach sogar offen aussprach, dass das Ziel seines Weges nicht nur die Preisgabe der DDR, sondern das Ende der Sowjetunion als sozialistischer Staat, die Liquidierung des Sozialismus in Europa und sogar in China war.

Kurt Gossweiler, Berlin


Kurt Gossweiler: Warum Rückgriff auf „Die Zwiebel Gorbatschow“? Einleitende Bemerkungen zur Wiederveröffentlichung - 15.3.06

Ist der Michail Gorbatschow seit Veröffentlichung seines Artikels im „Spiegel“ im Januar 1993 - (s.. „Zwiebel“, Punkt VIII) - , spätestens jedoch seit Veröffentlichung seines Vortrages in Ankara im Oktober 1999 (s. Punkt IX) in der Zeitung der DKP „Unsere Zeit“ vom 8. September 2000 nicht längst von allen Kommunisten und Sozialisten dahin befördert worden, wohin solche Leute gehören – auf den Müllhaufen der Geschichte?

Davon war ich bisher fest überzeugt, aber das war – wie ich zu meiner maßlosen Überraschung feststellen mußte, ein Irrtum. Maßlos war meine Überraschung deshalb, weil sie mir von einer Zeitung und einem ihrer Mitarbeiter bereitet wurde, von der ich solches nie erwartet hätte – nämlich von der einzigen konsequent antiimperialistischen Tageszeitung in Deutschland – der „Jungen Welt“ -  und ihrem Mitarbeiter Werner Pirker, der mir bislang  mit seinen Beiträgen fast immer aus dem Herzen gesprochen hatte.

Ausgerechnet zum 50. Jahrestag jenes Parteitages der KPdSU, der als erster Parteitag dieser Partei die Feinde der Sowjetunion und des Sozialismus mit erwartungsvoller Hoffnung erfüllte, die kommunistische Bewegung jedoch in eine sich ständig vertiefende Krise stürzte, - also zum XX. Parteitag der KPdSU im Februar 1956, - und zum 20. Jahrestag des Parteitages dieser Partei, der den Auftakt zur Endkrise der Sowjetunion und ihrer europäischen Verbündeten gab, - also zum 27. Parteitag im Februar 1986 - erschien die „Junge Welt“ mit mehreren Ausgaben und mehreren Artikeln aus der Hand von Werner Pirker zur positiven Würdigung dieser Parteitage und ihrer Organisatoren, Chruschtschow und Gorbatschow.

An dieser Stelle soll nur von Gorbatschow die Rede sein. Seine von Pirker vorgenommene unbegreifliche Ehrenrettung in den Artikeln in der „Jungen Welt“ vom 28. Februar und 1. März  d. J. kann um der historischen Wahrheit willen nicht unwidersprochen bleiben 

Im ersten Artikel zum 27. Parteitag - in der „Jungen Welt“ vom 28. Februar -,stellt Pirker an den Anfang gleich die These, mit der alle Verrats-Beschuldigungen pauschal vom Tisch gewischt werden: Die KPdSU war nicht dem Ansturm feindlicher Kräfte erlegen, sondern ist an sich selbst zugrunde gegangen“.

Gorbatschow hatte in seinem Ankara-Vortrag offen heraus gesagt: „Mein Lebensziel war die Zerschlagung des Kommunismus“.

Das weiß Pirker aber besser. Über Gorbatschows Auftreten auf dem 27. Parteitag belehrt er uns: “Michail Gorbatschow versuchte erst gar nicht, die Delegierten mit einem radikal erneuerten Parteiprogramm zu konfrontieren. Weil er nicht den Mut aufbrachte, den Chruschtschow 1956 bewiesen hatte? Oder weil er – Perestroika hin, Glasnost her – die Delegierten über seine wirklichen Absichten in Unklarheit lassen wollte? Am wahrscheinlichsten ist die Annahme, dass er selbst noch nicht wusste, wohin die Reise zu gehen hat“. (Meine Unterstreichung, K.G.)                                         

Gorbatschow, - so weiß es Pirker- ist im Grunde ein Opfer des „bürokratischen Sozialis-musmodells:“ Die Probleme des bürokratischen Sozialismusmodells lagen zu Beginn der Gorba-tschow-Ära offen zutage und waren im Grunde bereits übermächtig geworden ....

In seinem bürokratischen Korsett vermochte der Sozialismus keine ihm adäquate demokratische Öffentlichkeit hervorzubringen. Der Strukturkonservatismus korrespondierte mit der sozialen Trägheit der Massen“

Also die Trägheit der Massen war es, - nach Pirker -  die Gorbatschow daran hinderte, das Nötige zu tun!

Was Gorbatschow in Wahrheit hinderte, seine Absichten kurz entschlossen zu realisieren, war nicht „die soziale Trägheit der Massen“, sondern seine Furcht vor dem Widerstand der Massen gegen die Demontage der sozialistischen Ordnung.

Wie Gorbatschow deshalb die Massen an der Nase herumführte und über seine wahren Absichten vorsätzlich täuschte, hat er in seinem Spiegel-Interview ausgeplaudert. Der Spiegel-Reporter zu Gorbatschow zum Verlauf der „Perestroika“: „Den einen ging es zu langsam, den anderen war alles zu radikal“.

Dazu Gorbatschow: „Und Gorbatschow musste das Schiff der Perestroika durch die Klippen steuern. Dabei konnte man noch nicht Dinge ankündigen, für die das Volk noch nicht reif war.“  (Meine Unterstr., K.G.)

Pirker knüpft an seine Bemerkung über die „Trägheit der Massen“ die folgende Betrachtung an:

„So gesehen war der Gedanke, die Verhältnisse durch ein neues System gesellschaftlicher Offenheit aufzubrechen, der Situation durchaus angemessen. In seinem Parteitagsreferat sagte Gorbatschow ‚Ohne Glasnost gibt es keine Demokratie, und kann es sie auch nicht geben...Man braucht Glasnost im Zentrum, doch ebensosehr, vielleicht sogar noch mehr an der Basis, dort wo der Mensch lebt und arbeitet.‘

Das brachte noch eine Vorstellung von Demokratie zum Ausdruck, wie sie sich nur auf der Grundlage sozialistischer Produktions- und Eigentumsverhältnisse entwickeln kann. Und eine Vorstellung von Offenheit, die nicht den bürgerlichen Parlamentarismus zum Vorbild hat, sondern auf eine breite gesellschaftliche Debatte abzielt, die Fehlentwicklungen aufdeckt, die Untertanenmentalität zurückdrängt, Formen der Volkskontrolle aktiviert und so das Kreativ-potential der Basisschichten freisetzt .Darin bestand die Philosophie der frühen Perestroika, die sich in der Formel: ‘Mehr Demokratie, mehr Sozialismus‘ ausdrückte.“

An dieser Stelle müssen Pirker allerdings Bedenken gekommen sein, ob er mit dieser Lob-preisung des Gorbatschow zum sozialistischen Musterdemokraten nicht doch dem Leser etwas zuviel zugemutet hat, denn er relativiert sie mit dem nächsten Satz: „So hatte es zumindest den Anschein.“

Nachdem Pirker uns vorgeführt hat, dass Gorbatschow eigentlich auf dem richtigen Wege zur wirklichen sozialistischen Demokratie war, kommt er nicht umhin, zu erklären, weshalb er dennoch „scheiterte“.

Dafür führt er persönliche Eigenschaften Gorbatschows an: „Seine geringe Volksverbundenheit und seine soziale Arroganz.“ Sie seien der Grund dafür gewesen, dass er „nie zu großer Popu larität gelangt“ sei – was wir für die Jahre 1985 bis 1987 ganz anders in Erinnerung haben! - , und das habe auch „die Grundlage für den Aufstieg seines größten Rivalen Boris Nikolajewitsch Jelzin“  gelegt.

Auch das ist eine erstaunliche Fehleinschätzung: Wo Pirker nur Rivalität sieht, herrschte in den ersten Jahren zwischen Gorbatschow und Jelzin über das Ziel völliges Einvernehmen und eine vereinbarte Arbeitsteilung, deren Inhalt ich im Punkt IV der „Zwiebel“ geschildert habe: Gorbatschow spielt die Rolle  des Verteidigers des richtigen Mittel-Kurses gegen die linke und rechte Opposition, Jelzin spielte die Rolle eines oppositionellen Drängers in die Richtung viel weitgehenderer Reformen, war damit aber nur der Wegbereiter auf dem Wege zum gemein-samen Ziel beider – der Restauration des Kapitalismus in der Sowjetunion.

Das aber war auf direktem Wege, ohne Verschleierung durch vorgespielte Richtungskämpfe, nicht zu erreichen.

Zum Konkurrenzkampf zwischen Gorbatschow und Jelzin kam es erst und konnte es erst kommen, nach dem das Ziel schon so gut wie erreicht war.

Einen weiteren Grund für das „Scheitern“ Gorbatschows hat Pirker darin „erkannt“, dass Gorbatschow zu dumm war, um die Ziele des Imperialismus zu erkennen. Er entdeckte bei Gorbatschow eine „Verkennung des grundsätzlich aggressiven Charakters des Imperialismus“. Ein Zeugnis dieses „Verkennens“ ist für Pirker die „Kernthese des Neuen Denkens“ von der „Priorität allgemein-menschlicher gegenüber Klasseninteressen.“

Sollte es Pirker nicht zu denken geben, dass diese „Kernthese des neuen Denkens“  – allerdings noch in Keimform – schon von Chruschtschow angesprochen wurde? Der ließ sich auf dem XXI. Parteitag der KPdSU (1959) nämlich schon so vernehmen: „Wenn sich die amerikanischen Politiker und Militärs von allgemein-menschlichen Überlegungen leiten ließen und nicht von egoistischen Absichten, wäre das für alle besser.“ (Zitiert mit Quellenangabe in der „Tauben-fußchronik, Bd. II, S.235) Der gleiche Chruschtschow hat ja dann bei seinem Besuch des USA-Präsidenten Eisenhower (1959) entdeckt, dass der wirklich die friedliche Koexistenz mit der Welt des Sozialismus anerkannt habe! Die „Verkennung des grundsätzlich aggressiven Charakters des Imperialismus“ ist also schon bei Gorbatschows Vorläufer Chruschtschow stark ausgeprägt – was Pirker allerdings entgangen zu sein scheint.

Seine Studien zum XX. und XXVII. Parteitag der KPdSU haben offenbar nicht ausgereicht, ihm die Erkenntnis zu vermitteln, dass die ideologische Leitlinie dieser Parteitage der moderne Revisionismus war, und dass zu einem der Hauptmerkmale dieses Revisionismus die Ersetzung des Kampfes gegen den Imperialismus durch die Versöhnung und Zusammenarbeit mit diesem gehört.

Von einer solchen Erkenntnis scheint Pirker weit entfernt; auf jeden Fall aber will er offenbar seine Leser von einer solchen Erkenntnis fernhalten, indem er das Bild eines Gorbatschow malt, der ziemlich konzeptlos war und sich von den Ereignissen treiben ließ, der aber auf keinen Fall bewusst darauf hingearbeitet hat, das Ende der Sowjetmacht herbeizuführen:

„Je mehr die Perestroika in der Praxis auf der Stelle trat, desto radikaler wurde die Theorie der Perestroika. Sie schien die Verhältnisse von links außen umwerfen zu wollen. ‘Dem Volke die Macht, den Arbeitern die Fabriken, den Bauern das Land.‘, deklarierte das Machtzentrum um den General-sekretär. Das verhieß mehr und nicht weniger Sozialismus. Eine über die Verstaatlichung der Produktionsmittel hinausgehende reale Vergesellschaftung war angesagt. Es wird wohl immer ein Geheimnis bleiben, von welchen Ideen der Führungsstab der Perestroika damals wirklich bewegt wurde“.

Hätte Pirker die Rede Gorbatschows vor Vertretern der Massenmedien vom 29. März 1989 gründlich gelesen und als Marxist analysiert, dann hätte er daraus ersehen können, dass Gorbatschow nicht nur sehr genau wusste, wohin er wollte, sondern es sogar – wenn auch nicht direkt und unverhüllt – ankündigte: zur Wiedereinführung des Privateigentums an Produktions-mitteln! (S. dazu Punkt IV ).

Aber schon vor dieser Rede war - worauf  Pirker in dem letzten Abschnitt seines Artikels in der j.w. vom 28. 2., sogar unter der Überschrift „Bereichert Euch“!, ausdrücklich hinweist – im Dezember 1986 ein „Gesetz über individuelle Erwerbstätigkeit“ und ein zweites Gesetz, das „Gesetz über die Genossenschaften“, verabschiedet worden, Gesetze, die Pirker erstaun-licherweise so kommentiert: „Schwer zu sagen, ob es sich dabei um theoretische Konfusion handelte oder ob bereits die Absicht dahintersteckte, das Gesellschaftseigentum zu zersetzen.“

Woher bloß solche Zweifel, hat doch Gorbatschow für sie mit seiner klaren Aussage sowohl im Spiegel wie in seinem Ankara-Vortrag keinen Raum gelassen? O-Ton Gorbatschow im Spiegel-Interview 1993 auf die Frage, ob er noch Kommunist sei: „Wenn Sie meine Aussagen nehmen, dann wird Ihnen klar, dass meine politischen Sympathien der Sozialdemokratie gehören und der Idee von einem Sozialstaat nach der Art der Bundesrepublik Deutschland.“

Und Gorbatschow in Ankara 1999: „Als ich den Westen persönlich kennengelernt hatte, war meine Entscheidung unumkehrbar. Ich musste die gesamte Führung der KPdSU und der UdSSR entfernen. Ich mußte auch die Führung in allen sozialistischen Staaten beseitigen. Mein Ideal war der Weg der sozialdemokratischen Parteien.“

Hätte Pirker nicht allen Grund, Gorbatschow dankbar dafür zu sein, dass er ihn aller Zweifel über seine, Gorbatschows, Ziele und Motive enthoben hat? Aber nein! Er möchte offenbar an seinen Zweifeln festhalten, und er möchte darüber hinaus, dass seine Leser diese teilen: „Man sollte“, schreibt er, „Michael Sergejewitsch vor seiner Selbstverleumdung, gegen den Sozialis-mus konspiriert zu haben, in Schutz nehmen“.

Wieso denn das? Dazu Pirker: Gorbatschow „dürfte damals noch überhaupt keinen Plan gehabt haben. Als das Scheitern des sozialistischen Erneuerungsprojekts absehbar war, ließ er die Dinge laufen, wie sie liefen.“

Kommunisten, wie z.B. Rolf Vellay, bedurften keiner Bekenntnisse Gorbatschows, wie die zitierten, um in ihm einen bewußten Feind des Sozialismus zu erkennen. Auf der sog. Perestroika-Konferenz des Frankfurter IMSF der DKP im Jahre 1987 erklärte Vellay hellsichtig: „Gorbatschow als Generalsekretär – das ist die Konterrevolution an der Spitze der KPdSU! Gorbatschow als Präsident der UdSSR – das ist das Ende des Sozialismus in der Sowjetunion! ‚Neues Denken’ – das ist die Paralyse des revolutionären Gehalts der kommunistischen Weltbewegung.“[3]

Wie ist es zu erklären, dass sich ein Werner Pirker, den die Leser der „Jungen Welt“ doch über Jahre hinweg als eine scharfsichtigen Analytiker imperialistischer Machenschaften kennen-gelernt haben, sich in den Fällen Chruschtschow und Gorbatschow mit dem Erkennen der Wahrheit nicht nur schwer tut, sondern die offen zutage liegende Wahrheit als nicht vorhanden erklärt? Die Antwort darauf ist einfach genug: Pirker „weiß“ doch schon längst und hat es auch uns doch gleich am Anfang des Artikels wissen lassen: „Die KPdSU ist nicht dem Ansturm feindlicher Kräfte erlegen, sondern ist an sich selbst zugrunde gegangen.“

Wenn dem Tatsachen entgegenstehen – umso schlimmer für die Tatsachen! Da die KPdSU - nach Pirkers Entscheidung - nicht zugrunde gerichtet wurde, sondern an sich selbst zugrunde ging, können Gorbatschows Bekenntnisse nur Erfindungen sein, bestenfalls eine „Selbst-verleumdung“, vor der man ihn schützen sollte....

Pirkers merkwüriges Augen-Verschließen vor längst erwiesenen Tatsachen hat seinen Grund darin, dass für ihn wie für alle Anti-Leninisten vor ihm – von Kautsky, über Trotzki und Tito bis zu Gysi, Brie und Bisky - das von Lenin begründete und von Stalin gefestigte „Sowjetsystem“, das „sowjetische Modell“, das „Leninsche Partei- und Machtmodell“, „der Staatssozialismus“, „das bürokratische Kommandosystem“ - von allem Anfang an den Todeskeim in sich trug und irgendwann einmal unbedingt scheitern bzw. „sich selbst zerstören“ musste. In dieser Auffas-sung befindet er sich in einer verblüffenden Übereinstimmung mit Robert Steigerwald. Steigerwald sagt ähnlich wie Pirker: „Hauptursache des historischen Niedergangs ist also ein Organisationstypus....Die Gorbatschow-Gruppe war mit dieser Sackgassen-Konstellation kon-frontiert. Heute brüsten sich ihre wichtigsten Vertreter dessen, bewußt und mit Anleihen bei der Sozialdemokratie den Weg der Zerstörung der Sowjetunion eingeschlagen zu haben. Ich halte  sogar das noch für Schwindel, den sie erfinden, um ihr Fiasko als ihr Verdienst hinzustellen und sich im Westen lieb Kind zu machen.“[4]

Die Konsequenz solcher Auffassungen besteht in der Schlußfolgerung: von diesem gewesenen Sozialismus-Modell gibt es nichts zu lernen, außer – wie man es nicht machen darf! Die schlimmen Folgen einer solchen Auffassung sind unter anderem am Schicksal der französischen und österreichischen KP und am Programm-Entwurf der DKP zu studieren.

Wir fragten in der Überschrift: Warum dieser Rückgriff auf die „Zwiebel Gorbatschow?“ Die Antwort ist: Wenn die einzige konsequent antiimperialistische Tageszeitung Deutschlands und einer ihrer zu recht geschätztesten Mitarbeiter so deutlich erkennen lassen, dass sie auf dem Gebiet historisch-materialistischer Analyse geschichtlicher Tatsachen Hilfestellung benötigen, dann sollte jeder, der dazu etwas beitragen kann, sie ihnen und ihren Lesern nicht vorenthalten.

Kurt Gossweiler, 15.3.06, Berlin


Kurt Gossweiler: Und schon beginnen sie, ihren Verrat zu besingen – eine Bestandsaufnahme vom 15. Dezember 1991

In den „Weißenseer Blättern“, Heft 4/1991 wagte ich folgende Prophetie: „Es kann mit Sicherheit vorausgesagt werden, dass der Rolle der imperialistischen Geheimdienste, … ihres nicht geringen Anteils an der Unterminierung und ‚Marodisierung’ des ‚Realsozialismus’ in den kommenden Jahren wachsende Aufmerksamkeit geschenkt werden wird und in einer an-schwellenden Literaturflut atemberaubende Enthüllungen zu lesen sein werden – und sei es auch nur aus dem einen Grunde, dass menschliche Eitelkeit viele der Beteiligten dazu drängen wird, nachdem das ‚Halali’ geblasen ist, aller Welt ihren Anteil an der Erlegung des sozialistischen Bären vor Augen zu führen.“

Während die Erfüllung der ersten Hälfte dieser Voraussage noch einige Zeit auf sich warten lassen wird, hat die Erfüllung der zweiten Hälfte bereits begonnen, wenngleich zunächst noch in dezent zurückhaltender Weise. Dafür drei Beispiele:

Beispiel 1: Der ehemalige Sekretär des ZK der KPdSU, Nikolai Portugalow[6], Deutschland-experte und als solcher Intim-Berater Gorbatschows in einem Interview mit der „Frankfurter Rundschau“: „Wenn das Volk glaubt, ihm wird es besser gehen unter einem anderen Modell des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Lebens – wir waren im Voraus bereit, das zu akzeptieren“ (zitiert nach: „Neues Deutschland“, 13. 11. 1991)

Mit der gewohnten Infamie der Volksbetrüger wird damit die Schuld am Untergang des Sozialismus dem Volk zugeschoben. Aber nur Leute mit kurzem Gedächtnis erinnern sich nicht mehr daran, dass die Gorbatschow-Gang mit dem Versprechen das Vertrauen der Menschen gewann, den Sozialismus zu erneuern, die friedliche Koexistenz des Sozialismus mit dem Imperialismus durchzusetzen, und nicht die Kapitulation vor dem Imperialismus zu betreiben. Sie aber haben das Volk belogen und betrogen – denn sie waren „im Voraus bereit“, die Restauration des Kapitalismus „zu akzeptieren“ – richtiger: die Perestroika hatte „im Voraus“ diese Restauration zum Ziel!

Wer daran noch zweifelt, dem mögen die Beispiele 2 und 3 zur Durchsicht verhelfen.

Beispiel 2: Als Schewardnadse, ebenfalls enger Vertrauter Gorbatschows und einer der Initiatoren der Perestroika, im November 1991 erneut zum Außenminister der (schon nur noch als Phantom existierenden) Union ernannt wurde, nahm er auch zu der Beschuldigung Stellung, die Honecker in seinem Moskauer Exil in dem berühmten Interview gegen Schewardnadse erhoben hatte (wobei jeder einigermaßen Informierte natürlich wusste, dass er auch den Namen Gorbatschow hätte nennen müssen, wenn er die Hauptfigur des Komplotts nicht aussparen wollte). Und was sagte Schewardnadse? Dies:

„Schewardnadse bezeichnete im sowjetischen Fernsehen neben der ‚Revolution’ in den sowjetisch-amerikanischen Beziehungen die politische Umgestaltung Osteuropas als eine der wichtigen Initiativen seiner ersten Amtszeit. In diesem Zusammenhang meinte er, Vorwürfe von Honecker, er sei der Hauptschuldige an der Annexion der DDR durch die BRD, gereichten ihm nur zur Ehre. Die Vereinigung sei ein gesetzmäßiger Prozess gewesen. („Neues Deutschland“, 21. 11. 1991)

Also:

1. Die „politische Umgestaltung Osteuropas“ - die Liquidierung der dort existierenden nichtkapitalistischen Ordnungen und die Übergabe der Macht an die Kapitalismus-Restauratoren – das war seine Initiative! War also gewollt!

2. Für ihn ist gesetzmäßig, dass das imperialistische Deutschland das sozialistische schluckt, und

3. ist für ihn die Totalkapitulation vor dem USA-Imperialismus eine „Revolution“, so, wie ja auch Gorbatschow seine „Perestroika“, um sie für die am Sozialismus hängenden und die Oktoberrevolution als nicht rückgängig zu machenden Menschheitsfortschritt betrachtenden Kommunisten und die 1985 noch in ihrer Mehrzahl nur die Verbesserung, nicht die Liqui-dierung des Sozialismus erstrebenden parteilosen Menschen der Sowjetunion akzeptabel zu machen, als „Revolution“, die der Oktoberrevolution gleichkomme, ausgegeben hat.

Die Gorbatschow-Gang erweist sich auch darin als Handlanger des Imperialismus, dass sie dessen Gepflogenheit, die Konterrevolution als „Revolution“ darzustellen, voll übernommen hat.

Beispiel 3: Nun kommt der Boss der Gang selbst zu Wort, jetzt, da er schon abgehalftert und überflüssig, ja lästig geworden ist, erinnert er die undankbare Welt daran, dass all dies ja schließlich keines anderen Werk als das seine ist. Der große Orator, der so oft seine Zuhörer noch einmal auf seine Seite brachte, verzichtet jetzt sogar, vor dem Parlament aufzutreten, wie er angekündigt hatte, und begnügte sich damit, eine Erklärung gegenüber Journalisten abzugeben. Ihnen gegenüber sagte er: „’Die Hauptsache meines Lebens ist in Erfüllung ge-gangen. Ich tat alles, was ich konnte.’ Andere – so fuhr er fort – wären an seiner Stelle schon längst gegangen. Doch ihm sei es gelungen, wenn auch nicht ohne Fehler, die Hauptidee der Perestroika durchzuschleusen.“ („Neues Deutschland“, 13. 12. 1991

Also: Die „Hauptideen der Perestroika“ sind Wirklichkeit geworden! Jetzt endlich wissen wir, die wir es schon vorher sagten, aus seinem Munde: die Hauptideen der Perestroika waren nicht das, was er früher dafür ausgab, - heuchlerisch, demagogisch, skrupellos lügend – sondern das, was die Ex-Sowjetunion heute darstellt: ein Land, das für lange Zeit unumkehrbar den Weg der Restauration des Kapitalismus unter unendlichen Leiden für die Mehrheit der Bevölkerung – Leiden, die alles das, was uns die Gorbatschow-Gang ununterbrochen als unüberbietbare Leiden vor Augen führte, um ein vielfaches übersteigen – geht: alle Geißeln des alten, zaristischen Russlands hat die Gang über das ehemalige Sowjetland gebracht: Schwarzhundertertum, bestialischen Nationalismus, Antisemitismus, wirtschaftlichen Zerfall und Kolonisierung des Landes durch die „Hilfe“ der imperialistischen Großmächte, allen voran – das imperialistische Deutschland, dem die Gang doch noch dazu verholfen hat, nachträglich den Zweiten Weltkrieg zu gewinnen.

Und sie schämen sich nicht, sich dessen zu rühmen! Warum? Weil für sie nicht interessant ist, was das Volk von ihnen hält, sondern die imperialistischen Sieger, denen sie zu diesem unverdienten Sieg verholfen haben! Von denen erwarten sie nun Dank und Anerkennung.

Die kann gar nicht dick und deutlich genug ausfallen, damit all jene, denen es schwer fällt, die bittere Wahrheit endlich anzuerkennen und einzugestehen, dass sie die falschen Leute zu ihren Hoffnungsträgern gemacht haben, endlich wieder den klaren Blick für die Realitäten und die Ursachen der Niederlage des Sozialismus gewinnen können.

Kurt Gossweiler, 15. 12. 1991, Berlin


Kurt Gossweiler: Die vielen Schalen der Zwiebel Gorbatschow

I. Die äußere Schale: Auf dem Wege der Machterschleichung

1. Aus der Rede M. G.s auf dem Trauermeeting anläßlich des Todes seines Vorgängers K. U. Tschernenko (ND v. 14. 3. 85): “Unter seiner (Tschernenkos) Leitung wurden vom Zentralkomitee und vom Politbüro des ZK wichtige Beschlüsse zu Grundproblemen der ökonomischen und sozialpolitischen Entwicklung des Landes sowie zur kommunistischen Erziehung der Massen gefaßt und verwirklicht. Konstantin Ustinowitsch tat viel für die Verwirklichung des Leninschen Kurses unserer Partei – des Kurses zur Festigung der Stärke unserer Heimat sowie zur Erhaltung und Festigung des Weltfriedens. Heute erklären die Kommunistische Partei, ihr Zentralkomitee und das Politbüro des ZK vor dem sowjetischen Volk nachdrücklich ihre unerschütterliche Entschlossenheit, der großen Sache des Sozialismus und Kommunismus, der Sache des Friedens, des sozialen Fortschritts und des Glücks der Werktätigen treu zu dienen.”

2. Aus einem Interview, das M. G. am 4. Februar 1986 der KPF-Zeitung “l’Humanité” gab: “Frage: In verschiedenen Kreisen des Westens wird häufig die Frage gestellt: Sind in der Sowjetunion die Überbleibsel des Stalinismus überwunden? Antwort: Stalinismus ist ein Begriff, den sich die Gegner des Kommunismus ausgedacht haben und der umfassend dafür genutzt wird, die Sowjetunion und den Sozialismus insgesamt zu verunglimpfen. 30 Jahre sind vergangen, da auf dem XX. Parteitag die Frage der Überwindung des Personenkults um Stalin gestellt und ein Beschluß des ZK der KPdSU dazu gefaßt worden ist. Sagen wir es offen, dies waren keine leichten Beschlüsse für unsere Partei. Dies war eine Prüfung für die parteiliche Prinzipienfestigkeit, für die Treue zum Leninismus. Ich meine, wir haben sie würdig bestanden und aus der Vergangenheit die notwendigen Schlußfolgerungen gezogen.”

Kommentar: Diese Antwort ist bereits gekennzeichnet von der Undeutlichkeit und doppelten Auslegbarkeit, die auch die künftigen Äußerungen G.s für lange Jahre auszeichnen sollten: Worin bestand die parteiliche Prinzipienfestigkeit? Darin, daß diese Beschlüsse gefaßt wurden, oder darin, daß dem Druck nach “Zuendeführung der Abrechnung mit Stalin” nicht nachgegeben wurde?

Im gleichen Interview ein weiteres Beispiel für die bewußte, auf Irreführung berechnete Doppeldeutigkeit seiner Orakel:

“Im Atomzeitalter kann man nicht – zumindest nicht lange – mit der Psychologie, den Gewohnheiten und Verhaltensweisen der Steinzeit leben.”

Jeder Kommunist, der das las, freute sich: “Jetzt hat er es den Imperialisten aber gegeben!” Sehr bald aber mußten sie feststellen – wenn sie genau hinhörten und hinsahen – daß er die gar nicht gemeint hat, sondern die eigenen Leute, die am “alten”, nämlich marxistischen, Leninschen Denken festhielten.

Das Gleiche mit der zündenden Parole von der Notwendigkeit “Neuen Denkens”: Natürlich sahen wir das an als eine Aufforderung an die imperialistische Seite vor allem: Unsere Seite hatte doch vom Anbeginn des eigenen Atomwaffenbesitzes an das Verbot, die Ächtung aller Atomwaffen verlangt; wir haben der anderen Seite doch unentwegt unseren Wunsch nach friedlicher Koexistenz, nach friedlichem Austrag unserer Differenzen angeboten, sie waren es doch, die stets und ständig das eine wie das andere abgelehnt hatten. Von ihnen mußte “Neues Denken” gefordert werden, sollte die notwendige Systemauseinandersetzung nicht zum Kriege führen.

Aber es sollte nicht lange dauern, und es wurde deutlich, daß G. gar nicht die Imperialisten, sondern uns gemeint hatte: Steinzeitdenken – das war unser Festhalten an der Grunderkenntnis des Marxismus-Leninismus, daß der Krieg vom Imperialismus ausgeht, und daß der Frieden umso sicherer ist, je stärker der Sozialismus ist. Er brachte die Mehrheit unserer Leute dazu, diese Grunderkenntnis als “altes Denken” anzusehen und ihre “Überwindung” und Ersetzung durch sein “Neues Denken” als notwendig und unabweisbar anzunehmen. Sein “Neues Denken” und die ihm entsprechende Politik bestand in der selbstmörderischen Logik, daß der Friede umso sicherer sei, je weiter wir vor dem Imperialismus zurückwichen.

Diese Logik stellte wahrhaftig alle Tatsachen auf den Kopf: Nicht der Imperialismus bedrohte die sozialistischen Länder, sondern umgekehrt, die Militärmacht des Warschauer Paktes bedrohte angeblich den Westen! Kein anderer als Marschall Achromejew brachte das zum Ausdruck! (ND v. 13./14. 4. 1991: Achromejew, “Berater von Präsident Gorbatschow”, sprach sich “für die Auflösung der Militärstruktur der NATO aus”. Begründung: “Die sowjetischen Streitkräfte würden keine Gefahr für Europa mehr darstellen und der Warschauer Pakt sei aufgelöst.”)

Aber 1986 – da blieb es noch bei der Doppeldeutigkeit, die so formuliert wurde, daß wir sie als marxistisch-leninistische Eindeutigkeit aufnahmen – denn wir wünschten doch, daß Gorbatschow endlich der Mann sei, der den Sozialismus aus der Sackgasse auf neue Höhen führt, und genau das versprach er doch unentwegt.

3. Der 27. Parteitag, Februar 1986. (ND v. 26. 2. 1986):

Kennzeichnend für den 27. Parteitag ist rückblickend, daß er – wie wir heute wissen – die Wiederaufnahme der Zielsetzungen des 20. und des 22. Parteitages der KPdSU begann, daß dies aber nur durch eine Äußerlichkeit zu vermuten war, in seinem Verlauf aber dafür nur kaum erkennbare Zeichen festgestellt werden konnten.

Die Äußerlichkeit: Auf den Tag genau dreißig Jahre nach dem 20. Parteitag wurde dieser erste Parteitag unter dem Generalsekretär Gorbatschow eröffnet, am 25. Februar 1986. Solche Äußerlichkeiten sind aber keine Zufälligkeiten, sondern haben “programmatische” Bedeutung.

Aber dieses Datum blieb der einzige Hinweis auf eine etwa beabsichtigte Kontinu-itätsherstellung zwischen diesen beiden Parteitagen. Leute, die eine direkte Anknüpfung an den 20. Parteitag erwartet und gewünscht hatten, wurden enttäuscht. Man darf vermuten, daß Gorbatschow eine solche Anknüpfung beabsichtigt hatte, aber dazu vom damaligen Politbüro kein Placet erhielt. Noch war seine Position schwach, noch beherrschte er nicht das ZK, erst recht nicht den Parteitag. Noch wäre es für jene aus der Führung, die den Ausschlag für seine Wahl gegeben hatten – wie etwa Gromyko – ein Leichtes gewesen, eine Mehrheit gegen ihn zustande zu bringen. Dieser Parteitag mußte ihm erst zu einer eigenständigen Machtposition verhelfen, die ihm erlauben würde, eine neue Führung zu bilden die aus seinen Leuten bestand. Damit waren die Plenen nach dem Parteitag sowie die 19. Parteikonferenz beschäftigt, und die nachfolgenden Änderungen in der Parteiführung machten seine Position so unangreifbar, daß er immer deutlicher aussprechen konnte, wohin sein Kurs zielte.

Aber auf dem 27. Parteitag war es noch nicht so weit. Er war noch sehr bemüht, an seiner Treue zum Leninismus keinen Zweifel aufkommen zu lassen, und beschränkte sich nur auf Andeutungen beabsichtigter Kursänderungen. Dafür nur ein Beispiel aus seinem Referat:“Marx verglich den Fortschritt in der Ausbeutergesellschaft mit jenem scheußlichen heidnischen Götzen, ... der den Nektar nur aus den Schädeln Erschlagener trinken wollte ... Die historische Weitsicht, Treffsicherheit und Tiefgründigkeit von Marx’ Analyse sind erstaunlich. In Bezug auf die bürgerliche Wirklichkeit des 20. Jahrhunderts ist sie wohl noch aktueller als im 19. Jahrhundert!” (!!! Sehr bald wird er uns aber belehren, daß das 19. Jahrhundert und damit Marx uns nichts mehr lehren können, weil seine Lehren antiquiert seien!) “Einerseits eröffnet die stürmische Entwicklung der Wissenschaft und Technik nie dagewesene Möglichkeiten, die Naturkräfte zu beherrschen und die Lebensbedingungen der Menschheit zu verbessern. Andererseits aber ist das ‚aufgeklärte‘ 20. Jahrhundert in die Geschichte mit solchen Ausgeburten des Imperialismus eingegangen wie blutigsten Kriegen, hemmungslosem Militarismus und Faschismus, Völkermord, Verelendung von Millionen. Ignoranz und Obskurantismus existieren in der Welt des Kapitals zusammen mit großen Errungenschaften der Wissenschaft und Kultur.”

Auf den ersten Blick könnte man meinen: eine marxistische Analyse! Bei genauem Hinsehen wird man feststellen, daß von Analyse keine Rede sein kann: es werden nicht innere Zusammenhänge bloßgelegt, sondern einfach ein Nebeneinander von Gut und Schlecht registriert. Und das erlaubt ihm dann, statt der Schlußfolgerung des Kampfes gegen den Imperialismus eine scheinbare Banalität auszusprechen, in der aber die Abkehr von Marx und Lenin und der Verzicht auf Kampf um Frieden durch Mobilisierung der Völker gegen den Imperialismus versteckt sind:

“Und eben das ist jene Gesellschaft, neben der wir zu leben haben und mit der wir Zusammenarbeit und gegenseitige Verständigung anstreben müssen.” Warum müssen wir das? “Das hat die Geschichte so gewollt.”

Das kommt bei ihm immer wieder: Er beruft sich nicht auf den lieben Gott – noch nicht, das kommt aber noch! – aber er gibt seine Entscheidungen immer als Schicksalsentscheidungen aus – die entweder “die Geschichte” oder “das Leben” verlangten.

Also – alles, was später kommt, ist hier in nuce schon angedeutet.

II. Die erste Schale fällt: Die Macht ist gefestigter, die Vorstöße zur Liberalisierung werden deutlicher

Rede G.s auf der Festsitzung zum 70. Jahrestag der Oktoberrevolution (ND v. 3. 11. 1987):

Die Rede besteht eigentlich aus zwei ganz gegensätzlichen Einschätzungen der Geschichte der Sowjetunion. Der erste Teil ist eine Würdigung vom Standpunkt eines Kommunisten: Dieser Teil ist ihm vom Politbüro aufgetragen. Darin befinden sich Aussagen, die er durch das, was er im zweiten Teil ausführt, der sich vor allem mit der Stalinzeit befaßt, wieder aufhebt. Damit folgt diese Rede der Anlage des 20. Parteitages, dessen offizieller und öffentlicher Teil der gesamten Sowjetgeschichte im Großen und Ganzen Gerechtigkeit widerfahren ließ und eine relativ moderate Kritik an Stalin übte, während der zweite, hinter verschlossenen Türen und nur für einen ausgewählten Kreis von Parteitagsteilnehmern durchgeführte Teil mit Chruschtschows Geheimrede (die bis vor kurzem nur als westliche Publikation vorlag, die weder von Chruschtschow noch von der KPdSU als echt bestätigt wurde) eine mit Erfindungen und haltlosen Vermutungen gespickte Entstellung der Geschichte der KPdSU unter Stalins Führung darbot.

 

Aus dem ersten Teil der Gorbatschow-Rede seien einige bemerkenswerte Passagen zitiert – bemerkenswert vor allem im Hinblick auf spätere Gorbatschow-Ausführungen, die ihnen kraß widersprechen.

“Das Jahr 1917 zeigte, daß die Wahl zwischen Sozialismus und Kapitalismus die wesentlichste gesellschaftliche Alternative unserer Epoche ist, daß man im 20. Jahrhundert nicht voran-kommt, wenn man nicht zu einer höheren Form der gesellschaftlichen Organisation – zum Sozialismus – schreitet. Diese grundlegende Leninsche Schlußfolgerung ist heute nicht weniger aktuell als damals ... Das ist die Gesetzmäßigkeit der vorwärtsgerichteten gesellschaftlichen Entwicklung.”

“Die Geschichte stellte der neuen Gesellschaftsordnung ein hartes Ultimatum: entweder in kürzester Frist ihre sozialökonomische und technische Basis zu schaffen, zu überleben und somit der Menschheit erste Erfahrungen einer gerechten Organisation der Gesellschaft zu vermitteln oder unterzugehen ... Die Periode nach Lenin ... nahm in der Geschichte des Sowjetstaates einen besonderen Platz ein. In nur anderthalb Jahrzehnten wurden grundlegende gesell-schaftliche Veränderungen vollzogen.”

“Der Trotzkismus ... stellte dem Wesen nach eine Attacke gegen den Leninismus an der gesamten Front dar. Es ging praktisch um das Schicksal des Sozialismus in unserem Lande, um das Schicksal unserer Revolution. Unter diesen Bedingungen mußte dem Trotzkismus vor dem ganzen Volke der Nimbus genommen, mußte sein antisozialistisches Wesen entlarvt werden. Die Situation gestaltete sich noch komplizierter dadurch, daß die Trotzkisten in einem Block mit der neuen Opposition unter der Führung G. J. Sinowjews und L. B. Kamenews agierten.”

“Somit behauptete der führende Kern der Partei unter Leitung J. W. Stalins den Leninismus im ideologischen Kampf, formulierte Strategie und Taktik der Anfangsetappe des sozialistischen Aufbaus, und ihr politischer Kurs fand die Billigung der meisten Parteimitglieder und Werktätigen.”

Nach einer solchen Würdigung folgten dann die Passagen, in denen massiver als bisher die allseits bekannten Vorwürfe gegen Stalin erhoben werden. Eigentlich beginnt damit die Kampagne, die dann von allen Medien, besonders aber von “Moskowski Nowosti”, unter dem Schlagwort der Aufarbeitung der “weißen Flecken” die totale Schwärzung der Sowjet-geschichte, zunächst nur der Jahre unter Stalin, dann aber auch der gesamten Sowjetperiode, betrieben und damit die Konterrevolution vorbereiteten.

Aber noch wichtiger sind jene Passagen in G.s Rede, die man rückschauend als Wegweiser in die Richtung der späteren Politik der hartnäckig vorangetriebenen Demontage der sozia-listischen Strukturen in Wirtschaft und Gesellschaft erkennen kann, die man aber auch bereits damals als in die falsche Richtung weisend erkennen konnte, so man “Gorbi” gegenüber nicht jeden kritischen Blick für überflüssig, wenn nicht gar für blasphemisch hielt.

Solche Wegweiser waren:

Erstens: die einseitige, Lenin verfälschende und zu einem “Dutzend- Liberalen” degradierende Auswahl von Lenin-Zitaten. Damit sollten zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden: die ständige Berufung auf Lenin sollte Gorbatschow als zuverlässigen Leninisten ausweisen; die von ihm angeführten Zitatfetzen hingegen sollten seine antileninistische Politik durch die Autorität Lenins gegen Angriffe abdecken. Buchstäblich jedes angeführte Lenin-Zitat, mit dem Gorbatschow seine “Reform-Politik” begründet, erweist sich bei Überprüfung als gröblichst mißbraucht: Liest man nach, besagt die entsprechende Passage, aus der das Zitat herausseziert wurde, das Gegenteil dessen, was Gorbatschow mit ihm sanktionieren will; bei Lenin ist der Kern der Aussage immer die Begründung der Notwendigkeit des unversöhnlichen Klassen-kampfes; Gorbatschow mißbraucht seine Zitatfetzen immer als Beleg für die Übereinstimmung seiner Absage an den Klassenkampf mit Leninschem Denken.

Zweitens: die bevorzugte Hinwendung zu den letzten Schriften Lenins aus dem Jahr 1922/1923. Dies nicht nur wegen des sogenannten “Testaments” (das im übrigen immer nur unvollständig zitiert und absolut einseitig ausgelegt wird), sondern um Lenins Vorschläge zur Verbesserung der Arbeit der Sowjetorgane als Weisungen auszudeuten, die jetzt durch die Gorbatschow-Reformen, durch die “Perestroika”, ihre Verwirklichung fänden. Dabei scheuen die Gorbatschow-Journalisten und -Propagandisten auch nicht davor zurück, in diese Leninschen Schriften hineinzudeuten, daß Lenin sich schon mit Zweifeln geplagt habe, ob “das sozia-listische Experiment” in Rußland zu Ende geführt werden könne.

Drittens: die besondere Vorliebe Gorbatschows und seiner Schreiber- Garde für die NÖP-Periode. Sie wird entgegen der eindeutigen Aussage Lenins nicht als zeitweiliger Rückzug, sondern als die Methode des sozialistischen Aufbaus dargestellt, die von Stalin fälschlicherweise abgewürgt wurde, zu der man aber jetzt zurückkehren müsse, um das Land aus der Stagnation herauszuführen. Die besondere Begeisterung der Gorbatschow-Leute ruft die NÖP wegen der Zulassung verschiedener Eigentumsformen hervor; sie ist damit geeignet, die Propagierung der Zulassung von privatem Eigentum an Produktionsmitteln neben dem sozialistischen Eigentum als Rückkehr zu Leninscher Politik zu deklarieren. Diese Wegweisung wird im Referat zum 70. Jahrestag der Oktoberrevolution schon sehr deutlich.

“Die Führung der Partei demonstrierte (in der Zeit vom Februar bis Oktober 1917) ihre Fähigkeit zum kollektiven schöpferischen Suchen, zum Verzicht auf Stereotypen und auf Losungen, die noch gestern, in einer anderen Situation, unanfechtbar und die einzig möglichen zu sein schienen.” (Schien, sagt er, nicht: waren!) “Man kann sagen, daß die Leninsche Denkweise ... ein außerordentlich markantes Beispiel von antidogmatischem, wirklich dialek tischem und folglich neuem Denken war. So und nur so denken und handeln echte Marxisten-Leninisten, insbesondere in Zeiten des Umbruchs, in kritischen Zeiten, in denen die Geschicke der Revolution und des Friedens, des Sozialismus und des Fortschritts entschieden werden.”

“Von der zutiefst revolutionären Dialektik war auch der Beschluß über die Neue Ökonomische Politik durchdrungen, die die Horizonte der Vorstellungen über den Sozialismus und über die Wege zu seiner Errichtung wesentlich erweitert hat.”

“Wir wenden uns jetzt immer öfter den letzten Arbeiten Lenins, den neuen Leninschen Ideen der Neuen Ökonomischen Politik zu und versuchen, diesen Erfahrungen alles für uns heute Wertvolle und Notwendige zu entnehmen. Natürlich wäre es falsch, ein Gleichheitszeichen zwischen der NÖP und dem zu setzen, was wir derzeit ... tun ... Doch die NÖP hatte auch ein noch weiter gestecktes Ziel. Es stand die Aufgabe ..., ‚mit Hilfe des aus der großen Revolution geborenen Enthusiasmus, der persönlichen Interessiertheit, der wirtschaftlichen Rechnungs-führung ...‘, die neue Gesellschaft aufzubauen.”

Wie später deutlich werden wird, hat Gorbatschow dieses Zitat nicht wegen des darin angesprochenen “revolutionären Enthusiasmus”, auch nicht wegen der “wirtschaftlichen Rech-nungsführung”, sondern wegen der Erwähnung der “persönlichen Interessiertheit” vorgeführt.

Das Fehlen dieser persönlichen Interessiertheit bei den Produzenten in den staatlichen und genossenschaftlichen Betrieben wird von Gorbatschow registriert und als Argument benutzt nicht für Überlegungen, wie diese Interessiertheit im Rahmen der sozialistischen Betriebe wiederhergestellt werden könnte, sondern für den Vorschlag, zu einer “Konkurrenz der Eigentumsformen” überzugehen, zu “sozialistischer Marktwirtschaft”; gemeint war und realisiert wurde die Wiederbelebung von Privateigentümerinstinkten.

Doch das erfolgte erst nach weiterer Häutung der Zwiebel. Hier, auf der Festsitzung zum 70. Jahrestag, wurden nur die ersten Töne des künftigen Leitmotivs angeschlagen, aber das Motiv selbst noch nicht entfaltet. Aber diese ersten Töne waren da, wenngleich die Mehrheit der Zuhörer und Leser dieser Rede ihnen keine Beachtung geschenkt haben dürften.

Auf dem Gebiet der Außenpolitik erfolgte bereits eine weitere Entfaltung des Leitmotivs, das die Umwandlung der Leninschen Politik der friedlichen Koexistenz aus einer Politik des Kampfes gegen den Imperialismus mit friedlichen Mitteln in eine antileninistische Politik der Kungelei mit dem Imperialismus als angeblichem Weg zur Abwendung der Atomkriegsgefahr zum Inhalt hat und dessen erster Akkord, angeschlagen auf dem 27. Parteitag der KPdSU, bereits zitiert wurde. Aber noch wurde der prinzipielle Positionswechsel, die Absage an den Klassenkampfinhalt der Politik der friedlichen Koexistenz, getarnt, geleugnet:

“Die Leninsche Konzeption der friedlichen Koexistenz hat natürlich Veränderungen erfahren ... Als Fortsetzung der Klassenpolitik des siegreichen Proletariats jedoch wurde die friedliche Koexistenz im weiteren, insbesondere im nuklearen Zeitalter, zur Voraussetzung für das Überleben der ganzen Menschheit.”

“Der 27. Parteitag entwickelte umfassend eine neue außenpolitische Konzeption. Ihr Ausgangspunkt ist bekanntlich folgender Gedanke: ungeachtet der tiefen Widersprüchlichkeit der Welt von heute und der grundlegenden Unterschiede der sie repräsentierenden Staaten, ist die Welt wechselseitig miteinander verbunden, voneinander abhängig und bildet ein bestimmtes Ganzes.”

Mit einer marxistischen Beschreibung des damaligen Weltzustandes hat diese Aussage nichts zu tun, da geflissentlich Inhalt und Charakter der “tiefen Widersprüchlichkeit” und der “grundlegenden Unterschiede” undefiniert bleiben.

Immerhin – die KPdSU ist zu diesem Zeitpunkt doch noch mehr vom Leninschen als vom “Neuen Denken” Gorbatschows erfüllt, darum kommt er nicht umhin, sich mit einigen Elementar-Erkenntnissen von Marx und Lenin auseinanderzusetzen.

“Wir arbeiten jetzt, an der neuen Wende der Weltgeschichte, die Perspektiven des Vorwärts-schreitens zu einem stabilen Frieden theoretisch aus. Mit Hilfe des neuen Denkens haben wir die Notwendigkeit und die Möglichkeit eines umfassenden Systems der internationalen Sicherheit unter den Bedingungen der Abrüstung grundsätzlich begründet. Jetzt muß bewiesen werden, daß es notwendig und real ist, auf dieses Ziel zuzugehen und es zu erreichen.”

Um diesen “Beweis” zu führen, ist es notwendig, die Elementarsätze des Leninismus als nicht mehr gültig “nachzuweisen”, also erstens die Frage nach dem Wesen des Imperialismus, in dem, “wie bekannt, die größte Kriegsgefahr wurzelt”, auf “neue Art” zu beantworten.

Das Gleiche für die beiden weiteren Fragen:

“Ist der Kapitalismus in der Lage, sich vom Militarismus frei zu machen, kann er ohne ihn ökonomisch funktionieren?”

“Kann das kapitalistische System ohne Neokolonialismus auskommen?”

“Mit anderen Worten, es geht darum, ob der Kapitalismus imstande ist, sich den Bedingungen einer kernwaffenfreien und abgerüsteten Welt, den Bedingungen einer neuen, gerechten Wirtschaftsordnung, den Bedingungen ehrlichen Wettstreits der geistigen Werte zweier Welten anzupassen.”

Wer diese Fragen so stellt, der tut das, weil er sie für sich schon mit einem eindeutigen “Ja” beantwortet hat. Ohne Wenn und Aber kann Gorbatschow das zu diesem Zeitpunkt dem Parteitag der KPdSU jedoch noch nicht zumuten, daher erst einmal:

“Die Antworten wird das Leben geben.”

Aber dann gibt er gleich zu, daß seine Politik auf der Grundlage einer positiven Beantwortung obiger Fragen aufgebaut ist: “Worauf rechnen wir also, wissend, daß man eine sichere Welt zusammen mit den kapitalistischen Ländern aufbauen muß?”

Also, da ist es heraus: man kann die sichere Welt nicht gegen den Imperialismus erkämpfen, man muß sie “zusammen mit ihm aufbauen”! Am Ende einer willkürlichen Interpretation ebenso willkürlich ausgewählter Beispiele kommt Gorbatschow zu dem gewünschten Ergebnis, daß sich die imperialistischen Widersprüche “modifizieren lassen”.

“Die Situation sieht nicht unlösbar aus ... wir stehen vor einer historischen Wahl, die diktiert wird durch die Gesetzmäßigkeiten einer in vieler Hinsicht miteinander verbundenen und ein-heitlichen Welt.”

Die Welt – “gesetzmäßig einheitlich”, der Kapitalismus bei Strafe des Unterganges zur fried-lichen Koexistenz mit dem Sozialismus gezwungen:

“Entweder Zusammenbruch oder gemeinsame Suche nach einer neuen Wirtschaftsordnung, in der die Interessen sowohl der einen als auch der anderen wie auch die Dritter auf gleichberechtigter Basis berücksichtigt werden. Der Weg zur Errichtung einer solchen Ordnung scheint sich jetzt abzuzeichnen” – das ist die “freudige Botschaft”, die der “Neudenker” Gorbatschow der von Atomkriegsängsten geschüttelten Menschheit verkündet. “Neues Denken”? Uralte, sozialdemokratisch-pazifistische Seichbeutelei, die nur zu einem gut ist: Die Menschen zur politischen Passivität zu veranlassen in dem Glauben, “die da oben” würden’s schon richten!

Um ganz zu begreifen, welches Verführungsstück auf dieser Festsitzung von Gorbatschow gespielt wurde, muß man erstens die fixe Wende von der Predigt der Systemzusammenarbeit zu den vertrauten und Vertrauen einflößenden klassenkämpferischen Tönen, mit denen er seine Rede abschließt, richtig einzuschätzen wissen, und dies wird man erst richtig und dann wohl ohne Schwierigkeit können, wenn man diese Treueerklärung zum Klassenkampf mit den im Weiteren dokumentierten Auslassungen unseres “Friedensretters” konfrontiert.

“Die KPdSU zweifelt nicht an der Zukunft der kommunistischen Bewegung – des Trägers der Alternative zum Kapitalismus, der Bewegung der mutigsten und konsequentesten Kämpfer für den Frieden, für Unabhängigkeit und Fortschritt ihrer Länder, für die Freundschaft zwischen allen Völkern der Erde ... Die Festigung der Freundschaft und die allseitige Entwicklung der Zusammenarbeit mit den sozialistischen Ländern hat in der internationalen Politik der Sowjetunion Vorrang! ...

Wie wird die Welt sein, wenn sie den 100. Jahrestag unserer Revolution begeht, wie wird der Sozialismus sein, welchen Reifegrad wird die Weltgemeinschaft (!) der Staaten und Völker erreicht haben? ...

Im Oktober 1917 haben wir die alte Welt unwiderruflich hinter uns gelassen. Wir gehen einer neuen Welt entgegen, der Welt des Kommunismus. Von diesem Weg werden wir niemals abweichen!”

III. Die dritte Schale: Offener Bruch mit dem Leninismus in der Außenpolitik – “zur Rettung des Friedens” natürlich! (ND v. 8. 12. 88)

Im Oktober 1988 übernahm Gorbatschow auch das Amt des Staatspräsidenten; er löste Gromyko als Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjets ab. Am 7. Dezember 1988 sprach er vor der UNO-Vollversammlung in New York und bekräftigte dort den Bruch mit der Leninschen Konzeption der friedlichen Koexistenz, den sein Außenminister Schewardnadse einige Wochen vorher dem gleichen Forum, der 43. Tagung der UNO-Vollversammlung, mit folgenden Worten verkündet hatte:

“Die Führung der Sowjetunion (hat) sich bemüht, die im Marxismus von Anfang an verankerte Idee der Wechselbeziehung zwischen dem Klassenmäßigen(!) und dem Allgemeinmenschlichen mit Sinn zu erfüllen, wobei den gemeinsamen Interessen aller Völker Priorität eingeräumt wird.

Wir sehen die friedliche Koexistenz als universelles Prinzip zwischenstaatlicher Beziehungen und nicht als besondere Form des Klassenkampfes.”

Gorbatschows Rede variiert diese Feststellung und umgibt sie mit einem Kranz von Begründungen, die alle auf der Prämisse beruhen, die Sowjetunion und die Kommunisten hätten es nunmehr mit einem geläuterten, vom menschenfressenden Untier zum lammfrommen Vegetarier konvertierten Imperialismus zu tun, der schon dabei ist, seine Absicht, den Sozialismus vom Erdball auszutilgen, zu begraben. Dabei zollt er besonders hohes Lob den Führern des stärksten und bedenkenlosesten Imperialismus, nämlich denen der USA. Wir können dort also Dinge lesen, von denen heute sicher viele sich fragen werden: wie konnte ich – als gelernter Marxist – nur in solchen Sprüchen eine ernstzunehmende Analyse der Situation sehen!

“Die Weltwirtschaft wird zu einem einheitlichen Organismus, außerhalb dessen sich heute kein einziger Staat normal entwickeln kann ...”

Die Wirklichkeit müßte allerdings so beschrieben werden: “Die Weltwirtschaft ist dabei, zu einem einheitlichen Organismus gepreßt zu werden, innerhalb dessen sich kein einziger Staat mehr normal entwickeln kann.”

Doch weiter Gorbatschow: “Es wäre naiv zu glauben, daß die Probleme, die die Menschheit heute quälen, mit Mitteln und Methoden gelöst werden können, die früher angewendet oder als tauglich betrachtet wurden. ... Diese (bisher von der Menschheit gemachten, d.V.) Erfahrungen stammen aus Praxis und Antlitz einer Welt, die bereits Vergangenheit sind oder werden.”

Glaube keiner, daß damit vor allem die Praktiken des Imperialismus gemeint sind! Nein, gemeint ist vor allem die Erfahrung mit der Revolution als Weg zur Lösung sozialer Probleme!

“Heute aber ersteht vor uns eine andere Welt, für die andere Wege in die Zukunft gesucht werden müssen. ... Wir sind jetzt in eine Epoche eingetreten, in der dem Fortschritt die universellen Interessen der gesamten Menschheit zugrunde liegen werden. Diese Erkenntnis macht es erforderlich, daß auch die Weltpolitik von der Priorität der allgemeinmenschlichen Werte bestimmt wird.”

Der Marxismus geht davon aus, daß die Arbeiterbewegung die allgemeinmenschlichen Interessen vertritt, weil sich die Arbeiter von Ausbeutung nur befreien können, indem sie die Menschheit von Ausbeutung befreien. Gorbatschow aber predigt uns die Interessen-gemeinsamkeit von Arbeiter, Ausgebeuteten der Dritten Welt und imperialistischen Ausbeutern.

“Es geht um die Zusammenarbeit, die man exakter als ‚gemeinsame Entwicklung‘ bezeichnen sollte.”

“Es ist zum Beispiel offensichtlich, daß Gewalt und Androhung von Gewalt keine Instrumente der Außenpolitik mehr sein können und dürfen ... Von allen, vor allem von den Stärksten, wird eine Selbstbeschränkung und völlige Ausschließung der Gewaltanwendung von außen verlangt.”

Manche Leute haben sich darüber gewundert, daß Gorbatschow trotz solch wortgewaltiger Verdammung der Gewaltanwendung dennoch seine Truppen in Litauen intervenieren ließ und dem Golfkrieg der Amerikaner den Weg frei machte, indem er seinen UNO-Vertreter anwies, vom Vetorecht der Sowjetunion keinen Gebrauch zu machen. Diese Leute habe noch nicht gelernt, den verborgenen Sinn Gorbatschowscher Orakelsprüche zu erkennen: Mit der Betonung der “völligen Ausschließung der Gewalt von außen” hat er nur noch einmal deutlich gemacht, daß die Sowjetunion unter seiner Führung keinen Finger rühren und keinen Sowjetsoldaten in Marsch setzen wird, wenn noch einmal in einem sozialistischen Lande ein konterrevolutionärer Putsch unternommen würde. Wenn die Forderung “global” an alle gerichtet gewesen wäre, dann hätte die Sowjetunion doch wohl ihr Veto gegen den Golfkrieg einlegen müssen, oder?

“Eine Forderung der neuen Etappe ist die Entideologisierung der Beziehungen zwischen den Staaten.”

Er hat diese “Entideologisierung” konsequent betrieben: Kein böses Wort mehr gegen “Impe-rialisten”, nur noch Vertrauenswerbung für sie, etwa wie folgt: “Unserer Meinung nach gibt es recht optimistische Perspektiven für die nächste und die weitere Zukunft. Schauen Sie, wie sich unsere Beziehungen mit den Vereinigten Staaten von Amerika verändert haben. Nach und nach bildet sich gegenseitiges Verständnis heraus, entstanden Elemente des Vertrauens, ohne die man in der Politik nur schwer vorankommen kann.”

Also, da müssen wir doch mal fragen, wer in der Politik vorangekommen ist: die “vertrauens-volle” Sowjetunion – oder die keineswegs vertrauensvollen – (aber auch keineswegs vertrauens-würdigen!) – USA? Also Gorbatschowsche inhaltlose, irreführende Phrasen!

“An der Bewegung zu einer größeren Einheit der Welt müssen alle teilnehmen.”

An wen kann dieser Appell wohl gerichtet sein? Etwa an die imperialistischen Führungsmächte? Nicht nötig: Ihr Ziel war und bleibt die Vereinheitlichung der Welt unter ihrer Führung!

Also an wen dann? Es bleiben nur jene, die nicht so vertrauensvoll an die guten Absichten der Imperialisten glauben, etwa ein Honecker, oder ein Fidel Castro, oder Staatsmänner in der “Dritten Welt”, die sich nicht gerne per Weltbank und Weltwährungsfonds “vereinheitlichen” lassen. Gorbatschow also als Werbeagent des Weltkapitals! Verleumdung, böswillige Ent-stellung seiner Absichten? “Schaut auf diesen Mann – heute!” Reicht das nicht?

Gorbatschow zur UNO: “Leider befand sie sich seit ihrer Gründung unter dem Druck des ‚Kalten Krieges‘. Für lange Jahre wurde sie der Austragungsort propagandistischer Schlachten und zur Stätte der Kultivierung politischer Konfrontation.”

Ist bei diesen Worten niemand stutzig geworden, ist niemandem eingefallen, welche Weisung Lenin den Sowjetdiplomaten erteilte? Jede Gelegenheit, jedes Forum zu benutzen, um die Betrügereien und die Heuchelei der Imperialisten zu entlarven, ihre Brutalität gegenüber den unterdrückten Klassen und Völkern anzuprangern?

Ist es denn so schwer, hinter diesen Worten Gorbatschows den schändlichen Kotau des Vertreters der Sowjetmacht vor den Imperialisten zu erkennen, die schmähliche Entschuldigung für das “unziemliche” Verhalten der Vor-Gorbatschowschen Sowjetdiplomaten, die “leider” nicht davor zurückscheuten, den Klassenkampf sogar in die heiligen Hallen am East-River zu tragen!?

Natürlich weiß Gorbatschow, welches Befremden, ja welche Empörung seine Rede bei vielen Kommunisten in der Sowjetunion und überall in der Welt hervorrufen wird. Und – wenn wir in Betracht ziehen, daß er selbst ja eine solide Schulung in Marxismus-Leninismus hinter sich hat und über eine überdurchschnittliche Intelligenz verfügt – dann dürfen wir auch davon ausgehen, daß er sich über den illusionären Charakter seiner hoffnungsvollen Zukunftsbilder einer friedlichen vertrauensvollen Zusammenarbeit von Imperialismus und Sozialismus völlig im klaren ist. Verständlich daher sein Bedürfnis, dem nur allzu berechtigten Skeptizismus seiner utopischen “Friedensvision” gegenüber schon im vorhinein entgegenzutreten:

“Ist hier nicht eine gewisse Romantik im Spiel, werden hier nicht die Möglichkeiten und die Reife des gesellschaftlichen Bewußtseins in der Welt überbewertet? Derartige Zweifel und Fragen bekommen wir sowohl bei uns zu Hause als auch von einigen westlichen Partnern zu hören. Ich bin davon überzeugt, daß wir nicht wirklichkeitsfremd sind. In der Welt haben sich bereits Kräfte formiert, die auf diese oder jene Art eine Friedensperiode einleiten wollen ...”

Wer damals sich von solchem Sirenengesang einlullen ließ, weil er seiner Sehnsucht nach Abwendung der riesengroß ausgemalten Atomkriegsgefahr entsprach, wer also an die Stelle rationaler Wirklichkeitsanalyse Wunschdenken setzte, der muß aber doch wenigstens heute, nachdem die Gorbatschowschen Seifenblasen zerplatzt sind und die Welt sich genau in den Bahnen bewegt, die bestimmt werden von den von Marx und Lenin erkannten und nicht von den von Gorbatschow behaupteten “neuen objektiven” Gesetzmäßigkeiten, sich eingestehen, daß Gorbatschow – um das Wenigste zu sagen – einem fatalen Irrtum unterlegen ist.

Und dann müßte sich eigentlich eine nachdenkliche Frage aufdrängen: Wieviel zigtausende Mal wurde Stalin für schuldig erklärt und verdammt, weil er die Warnungen vor dem genauen Datum des Überfalles der deutsch-faschistischen Armee nicht geglaubt und damit – so wird recht leichtfertig behauptet – viele Tausende oder Hunderttausende Sowjetsoldaten (wenn es darum geht, Stalins Schuldkonto zu verlängern, bleibt die Skala nach oben offen) sinnlos geopfert habe?

Wie schwer aber wiegt erst der “Irrtum” Gorbatschows, ein Irrtum, der nicht nur Rückschläge verschuldete, sondern die Ergebnisse von 70 Jahren sozialistischer Staatlichkeit verspielte, damit alle Opfer von Revolution, Bürgerkrieg und zweitem Weltkrieg umsonst gebracht werden ließ, ein Irrtum der all die Tausende Menschenopfer der Kriege zwischen den Völkern der ehemaligen Sowjetunion, die Opfer der jugoslawischen Tragödie, die Opfer aller, die in der Dritten Welt deshalb sterben, weil es kein sozialistisches Lager mehr gibt, nach sich zog?

Warum ist der Irrtum des einen, der dennoch den größten weltgeschichtlichen Sieg des Sozialismus nicht verhinderte, ein Grund zur ewigen Verdammnis, und warum ist der “Irrtum” des anderen, der die schwerste, nie für möglich gehaltene opferreichste Niederlage der Arbeiterbewegung und aller fortschrittlichen Kräfte im Gefolge hatte, nicht einmal der Erwähnung wert?

IV. Die vierte Zwiebelschale: Der offene Angriff auf die ökonomische Grundlage des Sowjetstaates – das gesellschaftliche Eigentum an Produktionsmitteln

Dieser Angriff wurde vorgetragen vor allem auf dem Treffen Gorbatschows mit leitenden Vertretern der Massenmedien am 29. März 1989 (ND v. 1./2. 4. 1989).

Wer diese Rede nur flüchtig liest, wird der Behauptung heftig widersprechen, in ihr werde der offene Angriff gegen die Grundlagen des Sozialismus geführt, denn diese Rede ist zugleich ein Musterbeispiel für die Kunst der Irreführung und Täuschung, die Gorbatschow meisterhaft beherrscht. Er ist kein Alleindarsteller. Er hat sehr genau untersucht, woran sein Vorbild und geistiger Vater Chruschtschow gescheitert ist. (In seinen Reden kommt er mehrfach darauf zu sprechen, daß “wir” genau diese Frage untersucht haben.) Als einen der Gründe hat er erkannt, daß Chruschtschow einen schweren taktischen Fehler begangen hat. Er stand immer an der vordersten Spitze der “Reform-Bewegung” und hat deshalb alle Angriffe der sog. “Konser-vativen” auf sich konzentriert. Das sollte Gorbatschow nicht passieren. Er würde das schlauer angehen: er durfte nicht der Vorderste sein, sondern der “Mittler”, derjenige, der die Partei zusammenhält gegen die “Extreme” zu beiden Seiten; um die “Mitte” zu repräsentieren, brauchte er eine Opposition von zwei entgegengesetzten Seiten. Die Opposition von links, von denen, die seinem aufweichenden Liberalisierungskurs entgegentraten, brauchte er nicht zu besorgen; er mußte nur darum bemüht sein, daß sie nie die Mehrheit der Entscheidungsgremien auf ihre Seite ziehen konnten. Das würde umso leichter gelingen, wenn er eine Opposition zur Rechten hätte, die zwar genau in der von ihm selbst gewünschten Richtung drängt, aber mit Forderungen, die in der jeweiligen Situation als weit überzogen erscheinen, mit einem Ultra-Radikalismus, demgegenüber man sich wohltuend als gemäßigter Reformer und Verteidiger dessen abheben kann, was im allgemeinen Bewußtsein noch als unantastbar gilt. Diese Rolle des “Drängers” übernahm nur zu gerne Jelzin. Beide waren sich darüber, wohin die Reise gehen sollte, wie sie selbst viele Male zugaben, durchaus einig. Was allerdings, wie Gorbatschow noch erfahren sollte, nicht hieß, daß Jelzin sich ewig mit der Rolle des von der Nr. 1 zurück-gehaltenen Heißsporns zufrieden geben würde. Vorläufig aber funktionierte das Gespann ausgezeichnet: Ligatschow kritisierte Gorbatschow von links, Jelzin warf ihm umgekehrt vor, er sei ein “Zauderer”, und Gorbatschow wies den ersten schroff zurück als “Konservativen” und Vertreter der verknöcherten, selbstsüchtigen, nur um ihre Pfründe besorgten “Nomenklatura”, spielte sich aber Jelzin gegenüber zugleich als entschlossener Verteidiger sozialistischer Positionen auf und erschien so als der Mann, ohne dessen ausgleichendes Wirken die Partei dem Zerfall ausgeliefert sein würde.

Wenn z.B. Jelzin forderte, man müsse den Artikel aus der Verfassung streichen, in dem die führende Rolle der Partei festgeschrieben ist, dann reagierte Gorbatschow zunächst mit einem empörten: “Nein, niemals!” Danach schwächte er sein “Nein” ab: “Nein, nicht unter den jetzigen Bedingungen”, um dann binnen kurzem bei der Begründung der Notwendigkeit der Abschaffung eben dieses Artikels zu landen. So auch bei der Forderung nach Abschaffung des Einparteiensystems und in vielen anderen Fällen. Das wird zum eingespielten, zuverlässig funktionierenden Ritual der “Perestroika”.

Da aber in der Arbeiterbewegung, und besonders in den Kommunistischen Parteien, in der politischen Geographie “Links” positiv, “Rechts” aber negativ besetzt sind, darf es nicht dabei bleiben, daß die linke Opposition links und die rechte Pseudo-Opposition rechts bleibt. Und so wird zur Verblüffung sicher vieler im Lande, aber auch außerhalb der Sowjetunion aus Jelzin ein “Linksoppositioneller”, aus Ligatschow aber ein “Rechter”. Denn: will Ligatschow nicht das Bestehende erhalten, ist also “konservativ”, und damit, wie Konservative überall, ein Rechter? Und ist Jelzin nicht einer, der stürmisch auf Veränderung drängt, also ein Revolutionär, und somit, wie alle Revolutionäre, ein Linker? Na also!

Und so ergibt sich denn das seltene Schauspiel, daß die “Linken” in der Sowjetunion jene sind, denen die Herrschenden und ihre Medien in den Hauptstädten des Kapitals Beifall klatschen, während die “Rechten” dort eine ganz schlechte Presse haben.

Diese Umpolung der Begriffe “rechts” und “links” ist natürlich nicht ohne das Zutun Gorba-tschows erfolgt. Er hat den Hauptanteil daran, daß von den “Radikalreformern” das brandmarkende Etikett “Rechte” entfernt und seinen wirklichen Widersachern, den echten Linken, den Verteidigern des Sozialismus, aufgeklebt wurde.

Nur wer diese Inszenierung der Moskauer Politmaskerade kennt, ist imstande, die Verschlüsselung der Gorbatschow-Reden aufzulösen. Nun also dazu, was Gorbatschow den Medienleuten für eine Direktive auf den Weg gibt:

“Wir gingen davon aus, daß die Perestroika ohne Lösung des Lebensmittelproblems, ohne Ausarbeitung einer modernen(!) Agrarpolitik nicht an Kraft gewinnt und nicht vorankommt. Allerdings waren wir uns zugleich bewußt, daß man auch im Agrarsektor kaum mit tief-greifenden Veränderungen rechnen kann, wenn sie nicht mit tiefgreifenden Veränderungen in der gesamten Gesellschaft einhergehen.”

“Eben diese objektive Sicht auf die Situation haben die radikale Wirtschaftsreform notwendig gemacht. Eben deshalb brauchten wir auch eine politische Reform.”

“Die Lebensmittel sind das Grundproblem unserer Wirklichkeit. Lösen wir dieses, so ist das ein kolossaler Gewinn nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch im sozialen Bereich und auf politischer Ebene. Gelingt es uns nicht, dieses Problem zu lösen, können wir, offen gesagt, die ganze Perestroika abbrechen, und es kommt zu einer ernsthaften Destabilisierung der Gesellschaft.”

Die Perestroika wurde nicht abgebrochen – die bereits eingetretene Destabilisierung der Gesellschaft ging gerade deshalb weiter.

Natürlich war das Lebensmittelproblem zwar ein ganz wichtiges, aber nicht das Grundproblem der sowjetischen Wirklichkeit. Das Grundproblem war die Entfesselung der antisozialistischen, nationalistischen, monarchistischen und antisemitischen Kräfte, die durch die immer heftiger werdenden Angriffe der Medien auf den Partei- und Staatsapparat geradezu angespornt wurden. Das Grundproblem war die Gefährdung des Sozialismus in der Sowjetunion und damit in allen europäischen sozialistischen Staaten.

Die Vorschläge, die Gorbatschow den Medienvertretern vortrug, waren derart, daß diese Gefährdung eine gewaltige Steigerung erfahren mußte.

“Es ist von grundsätzlicher Bedeutung, daß zum erstenmal seit vielen Jahren ein Plenum eine radikale Änderung der Eigentums- und Produktionsverhältnisse auf dem Lande, den Übergang zu neuen Formen der Wirtschaftsführung und eine grundsätzliche Änderung der Leitungsmethoden zum Kernstück der Lösung von Wirtschaftsproblemen gemacht hat. ... Ich habe im Blick, daß es sich dabei um eine grundlegende Wandlung unserer Einstellung sowohl zur Entwicklung im Agrarsektor als auch in der gesamten Wirtschaft handelt.

Deshalb gehen die Ergebnisse des Plenums, seine politischen Schlußfolgerungen und Ziel-stellungen über den Rahmen der Agrarfrage hinaus, sind von prinzipieller, allgemein-theoretischer, allgemeinpolitischer und allgemeinökonomischer Bedeutung.”

“Der Agrarsektor wird die Rolle eines Wegbereiters, eines Pioniers bei der Aneignung ent-sprechender Formen des Wirtschaftens und der Leitung erfüllen. ...

Wenn sich die Massenmedien nicht ernsthaft bemühen und das Volk die Maßnahmen, die hier vorgeschlagen werden, nicht begreift, wird die Sache schwer vorankommen ...

Natürlich prallen hier unterschiedliche Interessen aufeinander ...” Und welche Beschlüsse wurden gefaßt, um zu einer “modernen” Landwirtschaft zu kommen? Man sollte es nicht glauben, aber es ist wahr: Die Wiederbelebung der unproduktivsten, die Bauern, insbesondere die Bauernfrauen, am meisten versklavende Form bäuerlichen Wirtschaftens, des kleinbäuer-lichen Familienbetriebs! Das ist so ungeheuerlich, daß er nicht wagt, das Wesen der Sache klipp und klar und ungeschminkt darzustellen, sondern unendlich viel leeres Stroh drischt, bevor er wenigstens in Andeutungen zu erkennen gibt, worum es sich handelt.

“Das Plenum hat sich dafür ausgesprochen, durch eine innere Umgestaltung der Kolchose und Sowchose mit Hilfe der Pacht und der Gründung von Genossenschaften ihr riesiges Potential freizulegen. Das Plenum hat sich aber auch für die Unterstützung der Agrarfirmen und Agrarkombinate, der Bauernwirtschaften, der individuellen Nebenwirtschaften, der Pacht-verträge nicht nur innerhalb der Kolchose und Sowchose, sondern auch außerhalb derselben ausgesprochen. ...

Anders gesagt, Genossen, keinerlei Dogmatismus, sondern ein Maximum an Unterstützung für alles, was die Selbständigkeit, das Gefühl, Herr auf Grund und Boden zu sein, festigt.”

Wer damals beim Lesen dieser Ausführungen noch nicht wahrhaben wollte, daß diese “Reform” auf die Beseitigung des gesellschaftlichen Eigentums, auf die Rückkehr zur privaten Landwirtschaft, damit zur Bildung einer neuen Kulakenklasse bei Verurteilung der Masse der Bauern zu einem Elendsdasein hinausläuft, den sollte doch wohl die weitere Entwicklung davon überzeugt haben, daß er einer von gutem Glauben diktierten Fehleinschätzung zum Opfer fiel.

Die folgende Passage seiner Rede zeigt, daß die Gorbatschow-Riege entschlossen war, jeden Widerstand gegen ihre Restaurationspolitik mit allen Mitteln aus dem Wege zu räumen. Zunächst versuchten sie es aber mit der moralischen Verleumdung all derer, die sich dieser Politik in den Weg stellten und die Formen sozialistischer, gesellschaftlicher Produktion verteidigten:

“Das Administrieren sitzt in vielen Leitern von Kolchosen und Sowchosen und in vielen Fachleuten noch tief drin. Deshalb paßt ihnen auch die Pacht nicht.” (Mit der Pacht sind die durch die Beschlüsse zugelassenen und von Gorbatschow und den Medien propagierten bäuerlichen Familienbetriebe auf dem von den Kolchosen und Sowchosen zur Verpachtung abzugebenden Boden gemeint.)

“Sie möchten die Anweisungen und Aufträge erteilen und kommandieren, um die Leute von sich abhängig zu machen. Aber Pacht heißt Partnerbeziehungen, gegenseitige Verpflichtungen und Nichteinmischung. Das ist Selbständigkeit. ...”

Wichtig ist zum Abschluß dieses Abschnittes, noch einmal daran zu erinnern, daß Gorbatschow ausdrücklich davon sprach, daß der Landwirtschaft eine Pionierrolle zukomme bei der Ein-führung neuer Wirtschafts- und Eigentumsformen. Dies war ein ausreichend deutlicher Hinweis darauf, in welcher Richtung die sog. “Wirtschaftsreform” auch in allen anderen Wirtschafts-zweigen vorangetrieben werden würde.

V. Fünfte Schale: Der offene Verzicht auf sozialistischen Internationalismus durch Propagierung des “Gemeinsamen Europäischen Hauses” (ND v. 7. 7. 1989)

In der Praxis und Theorie hatte Gorbatschow den sozialistischen Internationalismus schon lange aufgegeben, obwohl er ihn ab und an in seinen Reden noch beschwor.

Auch seine Rede vor der UNO hatte bereits deutlich gemacht, daß ihm das herzliche Einvernehmen mit den Führern der imperialistischen Staaten, insbesondere der USA, bei weitem das wichtigste außenpolitische Anliegen war. Obwohl der Zustand der “Gemeinschaft” der sozialistischen Länder jammervoll war, hat ihn das nie veranlaßt, etwa mit konstruktiven Vorschlägen zu einer wirklich effektiven Zusammenarbeit der sozialistischen Staaten zu kommen. Er hat auch nie etwa eine Formel vom “gemeinsamen sozialistischen Haus” gefunden, weil ihm das baufällige, im Verfall befindliche Haus keine schlaflosen Nächte – wie vielen einfachen Kommunisten! – verursachte. Was seine Gedanken unaufhörlich beschäftigte und ihn schließlich zur Prägung der Formel vom “gemeinsamen europäischen Haus” veranlaßte, war die Frage, wie er den eigenen Leuten im Lande seine Linie der “vertrauensvollen” Zusammenarbeit mit dem Imperialismus eingängig und anziehend machen konnte. Das wichtigste Mittel dazu waren sichtbare Erfolge seiner “Entspannungspolitik”. Das fiel allerdings nicht leicht. Obwohl weder die Dame Thatcher noch die Präsidenten Reagan und Bush an Gorbatschows politischer Zuverlässigkeit in ihrem Sinne zweifelten und ihm unentwegt Erfolg bei seinem Unternehmen Perestroika wünschten, zweifelten sie doch sehr lange daran, daß er bei diesem wahrlich beispiellosen, halsbrecherischen Unternehmen imstande sei, die inneren Widerstände zu überwinden und die Partei der Bolschewiki tatsächlich zu dauerhafter Gefolgschaft zu veranlassen. Deshalb waren sie lange nicht bereit, die zahllosen einseitigen Abrüstungsschritte Gorbatschows durch entsprechende eigene Maßnahmen oder den Abschluß von Abrüs-tungsabkommen zu honorieren. Erst als sie ziemlich sicher waren, daß kaum noch Gefahr bestand, daß er von “konservativen” Kräften gestürzt werden könnte, gaben sie diese reservierte Haltung auf, zwar nicht völlig, aber auf Teilgebieten.

So kam es dann, daß ihm zur Belohnung für sein für den Westen so segensreiches Wirken die Ehre zuteil wurde, vor dem Europarat in Strasbourg eine Rede halten zu dürfen. In dieser Rede trägt er sein Konzept des “gemeinsamen europäischen Hauses” vor, und entwirft – wie schon in der UNO – ein in den schönsten Farben gemaltes Bild vom künftigen friedlichen, atomwaffenfreien, harmonisch zusammenarbeitenden Europa. (ND v. 7. 7. 1989)

Wieder spricht er vom “Aufbau einer neuen Welt”, von der “Weltgemeinschaft”, die sich “am Wendepunkt ihres Geschicks” befinde, von der “neuen Etappe der Weltgeschichte”.

“Die Idee der europäischen Einigung muß von vornherein gemeinsam, im Prozeß des gemeinsamen Wirkens aller Nationen ... aufgearbeitet werden ... Die Schwierigkeit besteht ... in der überaus verbreiteten Überzeugung oder sogar dem politischen Standpunkt, bei denen man unter der Überwindung der Spaltung Europas die Überwindung des Sozialismus versteht. Dies ist aber ein Kurs auf Konfrontation, wenn nicht auf etwas noch Schlechteres. ... Die Zugehörigkeit der Staaten Europas zu unterschiedlichen sozialen Systemen ist eine Realität, und die Anerkennung dieser historischen Tatsache ... ist die wichtigste Voraussetzung eines normalen europäischen Prozesses.

So weit, so gut. Aber mit dem nächsten Absatz tröstet Gorbatschow seine Zuhörer: so, wie es ist, muß es ja nicht bleiben!

“Die soziale und politische Ordnung in diesem oder jenem Land hat sich in der Vergangenheit verändert und kann sich auch in Zukunft ändern.”

Angesichts der Veränderungen, die er in der UdSSR bereits eingeleitet hatte, mußten diese Worte in den Ohren seiner Zuhörer wie eine Verheißung klingen.

“Dies ist aber ausschließlich Angelegenheit der Völker selbst und deren Wahl. Jede Einmischung in die inneren Angelegenheiten und alle Versuche, die Souveränität der Staaten einzuschränken, seien das Freunde und Verbündete oder nicht, sind unzulässig.”

Dies war nochmals eine nachdrückliche Versicherung an die westliche Adresse, daß seitens der Sowjetunion keinem der Verbündeten mehr verwehrt werden würde, z.B. aus dem Warschauer Pakt auszutreten und ins andere Lager überzugehen, wie das Imre Nagy 1956 versucht hatte und wofür in Ungarn und Polen wieder starke Kräfte, die bis in Regierungskreise reichten, wirkten.

Diese Versicherung ist ihm so wichtig, daß er sie gleich noch einmal abgibt: “Die philosophische Konzeption des gesamteuropäischen Hauses schließt die Möglichkeit einer militärischen Konfrontation aus, ja selbst die Möglichkeit der Anwendung oder Androhung von Gewalt, vor allem von militärischer – Bündnis gegen Bündnis oder innerhalb eines Bündnisses – wo auch immer.”

Gorbatschow tritt hier bereits als Anwalt US-amerikanischer Interessen auf, was schon ein Schritt auf dem Wege ist, der ihn im Golfkrieg 1990/91 dahin führte, sich zum Hilfs-Sheriff der USA zu erniedrigen:

“Die Realitäten des heutigen Tages und die Perspektiven für die absehbare Zukunft liegen auf der Hand: Die UdSSR und die Vereinigten Staaten sind ein natürlicher Teil der europäischen internationalen politischen Struktur.”

All denen im Strasbourger Parlament, die noch immer Zweifel hegen mochten, ob es ihm, Gorbatschow, gelingen werde, sich zu halten und seine Reformen bis an das von ihnen erhoffte Ende zu führen, müssen seine Worte Zuversicht eingeflößt haben:

“Die Perestroika verändert unser Land, führt es zu Neuem. Dieser Prozeß wird weiter fortschreiten, sich vertiefen und die sowjetische Gesellschaft in jeder Beziehung verändern: in der Wirtschaft, im sozialen, politischen und geistigen Bereich, in allen inneren Angelegenheiten und in den Beziehungen zwischen den Menschen.

Diesen Weg haben wir entschlossen und unwiderruflich eingeschlagen.”

Das “unwiderruflich” hörte man in Strasbourg sicherlich besonders gern. Und sie werden heute feststellen: Gorbatschow hat ihnen nicht zuviel versprochen!

VI. Der Zwiebel sechste Schale: Absage an die Oktoberrevolution im Gewand eines Bekenntnisses zu ihr

Am 26. November 1989 erschien in der “Prawda” ein zweiseitiger Artikel Gorbatschows mit der bezeichnenden Überschrift: “Die sozialistische Idee und die revolutionäre Umgestaltung”. (ND v. 28. 11. 1989)

Bezeichnend deshalb, weil schon nicht mehr vom “Sozialismus” sondern nur von der “sozia-listischen Idee” die Rede war – ein Erkennungszeichen für Revisionisten und Revisionismus: ihre tiefste Überzeugung ist, daß der Sozialismus im Grunde “nicht machbar” sei, daß aber das Gerede über die “sozialistische Idee”, die “sozialistische Vision” nicht aufhören dürfe.

Dieser Gorbatschow-Artikel ist denn auch wirklich ein “Manifest des Revisionismus”. Es würde sich schon lohnen, dies an vielen Passagen nachzuweisen. Glücklicherweise ist das nicht nötig, weil es in diesem “Revisionistischen Manifest” eine Passage gibt, die den Revisionismus des Ganzen in nuce enthält, so daß es genügt, diese Passage zu zitieren, um zu wissen, wes Geistes Kind der Verfasser ist.

In dieser besagten Passage spricht Gorbatschow nämlich aus, daß für ihn die bürgerlich-demokratische Republik das erstrebenswerte Ziel gesellschaftlicher Organisation ist und nicht etwa der Sozialismus.

Aber natürlich konnte der Generalsekretär der KPdSU dieses konterrevolutionäre Bekenntnis nicht “pur”, unverbrämt zu Papier bringen. Es muß ihn – und wahrscheinlich auch einige seiner Berater – einige Zeit und Geistesakrobatik gekostet haben, bis ihnen die geniale Idee kam, die Absage an den Sozialismus in die Form eines Bekenntnisses zur Oktoberrevolution einzuhüllen; in eine Formulierung also, von der man ziemlich sicher sein konnte, sie werde von den “eigenen” Leuten richtig verstanden, von den anderen dagegen gutgläubig im gewünschten Sinne mißverstanden. Diese Formulierung ging so:

“Je weiter wir zum Wesen unserer eigenen Geschichte vordringen, um so offenkundiger wird heute, daß die Oktoberrevolution kein Fehler war, denn die reale Alternative zu ihr war durchaus keine bürgerlich-demokratische Republik, wie uns heute mancher einzureden ver-sucht, sondern ein anarchischer Putsch und eine blutige Militärdiktatur, die Errichtung eines reaktionären, volksfeindlichen Regimes.”

Wer lesen kann und die einfachsten Regeln der Logik beherrscht, der kann nicht leugnen, daß dieser Text besagt: “Die Oktoberrevolution wäre ein Fehler gewesen, wenn es eine reale Alter-native: bürgerlich-demokratische Republik gegeben hätte.”

Da aber Gorbatschow genau so gut und besser als jeder “einfache” Kommunist weiß, daß die Oktoberrevolution gegen eine bestehende bürgerlich-demokratische Regierung, nämlich die russischen Ebert/Scheidemänner, Kerenski u. Co., durchgeführt wurde (der Kornilow-Putsch war bereits gescheitert); daß Lenin im Gegensatz zu ihm, Gorbatschow, in der bürgerlichen Demokratie die Diktatur der Bourgeoisie sah, die es zu stürzen galt, um die Diktatur des Proletariats zu errichten, bedeutet seine Formulierung in Wahrheit: Da die Oktoberrevolution gegen eine bürgerlich-demokratische Regierung durchgeführt wurde, war sie ein Fehler.”

Wer so denkt, für wen die bürgerliche Demokratie höher steht als die sozialistische Revolution – und niemand kann daran vorbei, daß genau dies der Kern des zitierten Absatzes ist! – von dem ist nichts anderes zu erwarten, als daß er, wenn ihm die Macht ausgeliefert wird, diese dazu gebraucht, den “Fehler” zu korrigieren und eine Perestroika, einen Umbau der bestehenden antikapitalistischen in eine bürgerliche Ordnung in Gang zu setzen.

Nach einer solchen Aussage wie der zitierten dürfte es unter gelernten Marxisten keine Zweifel darüber geben,

- daß Gorbatschow, also der Generalsekretär der KPdSU, kein Kommunist, sondern ein bür-gerlicher Liberaler, bestenfalls ein Sozialdemokrat ist;

- daß eine Partei mit einem solchen Manne an der Spitze aufgehört hat, eine kommunistische, eine Partei Lenins zu sein;

- daß ein Land, dessen Staatsoberhaupt ein Antikommunist ist und die Macht gegen die Kommunisten im Lande behauptet, kein sozialistisches Land mehr ist, sondern ein Land auf dem Wege der kapitalistischen Restauration;

- daß sich niemand darüber zu wundern braucht, daß diesem Manne die Sympathie und Dankbarkeit der Häuptlinge des Imperialismus zuflog und sie ihm erlaubten, herzliche Duz-Freundschaften zu demonstrieren.

VII. Schon fast am Zwiebelkern: Genugtuung am erreichten Ziel und verdiente Belohnung

Im Oktober 1990 entschied das Nobelpreiskomitee, den Friedensnobelpreis Michael Gorbatschow zu verleihen. Es gab auch einen anderen Kandidaten auf der Vorschlagsliste: Nelson Mandela.

Das Komitee blieb seiner Tradition treu, mit dem Friedensnobelpreis vorzugsweise Persön-lichkeiten auszuzeichnen, die sich Verdienste im Kampf gegen den Sozialismus erworben haben; um nur zwei der letzten zu nennen: Sacharow und Walesa.

Zutreffend begründete das Komitee seine Entscheidung damit, Gorbatschow habe “viele und entscheidende Beiträge zum Umbruch in Osteuropa” geleistet.

Der Vorsitzende des Komitees machte auch einen anderen Aspekt der Verleihung klar: mit dieser Verleihung sollte die schon sehr brüchig gewordene Autorität Gorbatschows in seinem eigenen Lande gefestigt werden: “Wir hoffen”, sagte Giske Andersen, der Vorsitzende, “daß der Preis seine Handlungsmöglichkeiten stärkt, an der Schaffung einer neuen Weltordnung mitzuwirken.”

Vielleicht hat er das wirklich getan. Auf jeden Fall hat Gorbatschow im Golfkrieg schon kräftig an der Schaffung der “neuen Weltordnung” mitgewirkt.

Bei der Preisverleihung persönlich teilzunehmen war Gorbatschow nicht vergönnt. Deshalb sandte er seine Dankesbotschaft schriftlich. Darin stellte er voller Genugtuung fest, das Jahr 1990 markierte “das Ende der widernatürlichen Spaltung Europas”.

Wiederum: kein wirklicher Kommunist hat die Existenz sozialistischer Staaten in Europa neben kapitalistischen je als “widernatürlich” betrachtet, ebenso wenig wie etwa im 18. und 19. Jahrhundert Demokraten die Existenz bürgerlicher Staaten neben Feudalstaaten in Europa als “widernatürlich” betrachtet haben. Umgekehrt: das Entstehen sozialistischer Staaten war das natürliche Ergebnis der Entfaltung des Kapitalismus, wie der Kapitalismus das natürliche Ergebnis der Entfaltung der Warenproduktion im Feudalismus war.

Aber: die Genugtuung Gorbatschows über das Ende der Spaltung Europas durch das Ver-schwinden des Sozialismus ist – wie aus allem vorher zitierten eindeutig hervorgeht – kein plötzlicher Sinneswandel, sondern nur die “natürliche” Freude eines Mannes, der auf dieses Ergebnis mit aller Kraft hingearbeitet hat und sich nun am Ziel seiner Bemühungen sieht.

Und so ist es denn auch kein “Ausrutscher” oder ein “ganz neuer Gorbatschow”, sondern genau der, der er schon 1985 war, wenn er am Tage der Auflösung der UdSSR durch Kündigung des Unionsvertrages von 1922 am 12. Dezember 1991 den Journalisten verkündete: “Die Haupt-sache meines Lebens ist in Erfüllung gegangen. Ich tat alles was ich konnte.”

Das wird man ihm nicht streitig machen können! Im Zerstören des Sozialismus war er erfolg-reicher als alle offenen Feinde des Sozialismus, von Churchill bis Hitler.

Aber – am Zwiebelkern sind wir damit noch nicht! Den hat erst der “Spiegel” von der letzten Hülle befreit und bloßgelegt.

VIII. “Das also ist der Zwiebel Kern: ein Sozialdemokrat!”

Wer immer seine “Gorbimanie” als Kommunist oder Sozialist noch nicht überwunden hat, dem muß man das Spiegel-Interview (Spiegel v. 18. 1. 1993) als Therapie verordnen.

Hier folgen nur einige der aussagekräftigsten Ausschnitte. Zunächst ein sehr wichtiges Ein-geständnis: “Was immer heute” (in der ehemaligen Sowjetunion) “geschieht, hängt damit zusammen, was ich 1985 begonnen habe. Die Ära Gorbatschow ist nicht zu Ende, sie fängt jetzt erst richtig an.”

Also: Er ist kein Geschlagener, kein Gestrandeter, er hat jetzt die Verhältnisse erreicht, in der seine Ära erst richtig beginnen kann!

Spiegel: Den einen ging es zu langsam, den anderen war alles zu radikal.

Gorbatschow: Und Gorbatschow mußte das Schiff der Perestroika durch die Klippen steuern. Dabei konnte man doch nicht Dinge ankündigen, für die das Volk noch nicht reif war. ... Man mußte Geduld zeigen, bis die Parteibürokratie so entmachtet war, daß sie das Rad der Geschichte (!) nicht mehr zurück (!) drehen konnte.

Spiegel: Michael Sergejewitsch, Sie sind kein Kommunist mehr?

Gorbatschow: Wenn Sie meine Aussagen nehmen, dann wird ihnen klar, daß meine politischen Sympathien der Sozialdemokratie gehören und der Idee von einem Sozialstaat nach der Art der Bundesrepublik Deutschland.”

Was hier mit dieser Chronik von 1985 an nachgewiesen wird – im “Spiegel” bestätigt es Gorbatschow: Ganz falsch ist die Ansicht der Leute, die glauben, Gorbatschow habe den Sozialismus verbessern wollen, aber dafür nicht das richtige oder gar kein Konzept gehabt. Er hatte ein Konzept, und das hat er konsequent und erfolgreich verfolgt und verwirklicht; nur war es kein Konzept des sozialistischen Aufbaus, sondern der Demontage des Sozialismus.

Gelingen konnte ihm das allerdings nur, weil durch die Vorarbeit Chruschtschows die kommunistische Bewegung in der Sowjetunion und international schon so tief im Sumpfe des Revisionismus steckte und ideologisch schon so sehr abgerüstet und ent-leninisiert war, daß nur wenige noch aus den Aussagen Gorbatschows herauslasen, was an Konterrevolution in ihnen enthalten war. Wieso es dahin kommen konnte – das ist zwar die wichtigste, aber eine neue Frage. Die kann aber nur richtig beantworten, wer von der “Gorbimanie” geheilt ist.

IX. Das Innerste des Kerns: Ein Hilfswilliger (HiWi) des Westens

M. Gorbatschow hielt im Herbst 1999 in Ankara in der Technischen Universität des Mittleren Ostens (ODTÜ) eine interessante und – obwohl veröffentlicht in den Zeitschriften „Prawda Rossii“ aus Rußland, „Usvit“ aus der Slowakischen Republik (Nr. 24/1999), „Dialog“ aus der Tschechischen Republik (Nr. 146, Oktober 1999), „UZ“ der DKP (8. 9. 2000) und „Die Rote Fahne“ der KPD - vielleicht nicht genügend beachtete Rede:

„Mein Lebensziel war die Zerschlagung des Kommunismus, der eine unerträgliche Diktatur über das Volk ist. In dieser Haltung hat mich meine Ehefrau unterstützt und bestärkt, die diese Meinung schon früher als ich hatte. Am meisten konnt ich dafür in den höchsten Funktionen tun. Deswegen empfahl meine Frau Raissa mir, mich um immer höhere Funktionen zu bemühen. Als ich den westen persönlich kennen gelernt hatte, war meine Entscheidung unumkehrbar. Ich musste die gesamte Führung der KPdSUund der UdSSR entfernen. Ich musste auch die Führung in allen sozialistischen Staten beseitigen. Mein Ideal war der Weg der sozialdemokratischen Parteien. Die Planwirtschaft hat die Fähigkeiten der Völker so gebunden, dass sie sich nicht entfalten konnten. Nur der Markt kann zu ihrer Entfaltung führen. Ich fand für die selben Ziele Mitarbeiter. Es waren vor allem Jakowlew und Schewardnadse, die gewaltige Verdienste an der Niederwerfung des Kommunismus haben.

Eine Welt ohne Kommunisten wird besser sein. Nach dem Jahr 2000 kommt die Zeit des Friedens und Aufblühens der Menschheit. Es besteht hier jedoch eine große Belastung, die den Weg zu Frieden und Wohlstand der Menschen bremsen wird. Das ist der Kommunismus in China. Ich war in Peking zur Zeit der Studentenunruhen 1989, als es schon den Anschein hatte, dass der Kommunismus in China zusammenbricht. Ich wollt zu den Demonstranten auf dem Platz des Himmlischen Friedens sprechen und ihnen sagen, dass sie durchhalten sollen, dass wir mit ihnen sympathisieren und dass es auch in China eine Perestroika geben muss. Die chinesische Führung wünschte das nicht. Das war ein unermesslicher Schaden. Wäre der Kommunismus in China gefallen, wäre die Welt weiter auf dem Weg zu Frieden und Gerechtigkeit.

Ich hatte den Wunsch, die UdSSR in den bestehenden Grenzen zu erhalten, das aber mit einer anderen Bezeichnung, als demokratischer Staat. Das ist mir nicht gelungen. Jelzin strebte krankhaft nach der Macht. Von einem demokratischen Staat hatte er keine Vorstellungen. Er löste die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken auf, und dadurch entstanden Wirren und alle möglichen Schwierigkeiten. Rußland ist ohne die Ukraine, Kasachstan und die kau-kasischen Staaten keine Weltgroßmacht. Dort wird ein fortdauerndes Chaos bestehen. Es sind Staaten ohne Ideen. Hier müssten die Ideen der westlichen Staten herrschen – der Markt, Demokratie, Menschenrechte.

Als Jelzin die UdSSR auflöste und ich aus dem Kreml schied, meinten Hunderte von Jour-nalisten, dass ich weinen werde. Aber ich habe nicht geweint, denn das Hauptziel meines Lebens, d.h. die Vernichtung des Kommunismus in Europa war erreicht. Aber der Kommu-nismus muss auch in Asien zerschmettert werden, denn er bremst in der ganzen Welt den Weg der Menschheit zu den Idealen der Freiheit.

Der Zerfall der Sowjetunion ist auch für die USA nicht vorteilhaft. Sie haben in der Welt keinen Partner und dieser könnte nur eine einheitliche demokratische SSSR sein. Deswegen erwog ich die die Umbenennung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (SSSR) in Union Freier Souveräner Republiken, ebenfalls mit der Kurzbezeichnung SSSR (Sojus Svobodnych Suverennich Republik). Das ist nicht gelungen. Die USA ohne Partner können zu der Vision verführt werden, die alleinige Weltmacht zu werden. Die kleinen Staaten in Europa und der Welt bemühen sich, am meisten den USA Dank abzustatten. Das ist falsch. Nur durch die Partnerschaft mit einer demokratischen SSSR ohne Kommunismus konnte man sich von der Vorstellung einer Weltsupermacht befreien. Der Weg der Menschheit zu wahrer Freiheit wird länger dauern, aber er wird erfolgreich sein. Die ganze Welt muss sich vom Kommunismus befreien.“ (Quelle: „Dialog“, Prag, Nr. 146, Oktober 1999, Übersetzung: H.-J. Falkenhagen für die Veröffentlichung in „Die Rote Fahne“ der KPD. Wörtliche Übernahme der dort veröffentlichten Gorbatschow-Rede).

Kurt Gossweiler, Berlin

Erstveröffentlichung als Sonderdruck der Kommunistischen Arbeiterzeitung (KAZ) München, Februar 1993, dann veröffentlicht in „offen-siv“, Dezember 1994 und schließlich in dem Sammelband von Kurt Gossweiler: „Wider den Revisionismus“ im Jahre 1997. Der jetzigen Wiederveröffentlichung ist als Punkt IX des Artikels von Kurt Gossweiler die Rede Gorbatschows in Ankara aus dem Jahr 1999 zugefügt worden, die es zum Datum der ersten Drucklegung noch nicht gab. (Red. Offensiv)

Zur politischen Ökonomie des Sozialismus

Hermann Jacobs: Gilt das Wertgesetz auch im Sozialismus? - Ein Artikel im "RotFuchs"

Wir wollen einen Hinweis vorwegschicken: "offensiv" hat sich in der jüngeren Vergangenheit intensiv in mehreren Artikeln mit der Frage der Warenproduktion, insbesondere Wertgesetz und Preissystem im Sozialismus/Kommunismus beschäftigt und so (nach meiner Meinung) einen zu beachtenden Beitrag zum Verständnis der Politischen Ökonomie des Sozialismus/ Kommunismus bzw. ihrer Probleme geleistet. Es sind zum Teil neuartige Erklärungen, Wertungen zur Frage der Warenproduktion unter Bedingungen des Volkseigentums bzw. der Planwirtschaft gegeben worden. Es wurde mit der stereotypen Auffassung, im Sozialismus müsse Warenproduktion sein, was schon fast zu einem religiösen Credo in der sozialistischen Linken erhoben ist, gründlichst gebrochen, es wurden endlich wieder Anknüpfungen an die bekannten Marxschen Gedanken zu dieser Frage vollzogen, dies geschah unter Hinweis auf praktische Erscheinungen in der Realität des Sozialismus/Kommunismus, es waren keine ausgedachten theoretischen Tüfteleien. Man hätte davon ausgehen können, dass die in diesen Artikeln geäußerten Gedanken allgemein beachtet, dass sie Eingang in adäquate Beiträge zu dieser Thematik gefunden hätten. Das betrifft in erster Linie solche Zeitschriften, die sich wie "offensiv" ihr positives Verhältnis zum realen Sozialismus bewahrt haben. Leider hat es eine solche Bereitschaft nicht gegeben. Wir sind mit unserer Orientierung auf "offensiv" beschränkt geblieben, Wir halten das für einen Fehler, für eine Unterlassung auch in solidarischer Hinsicht, in Hinsicht gegenseitiger Beratung und Lernbereitschaft. Wir umgekehrt werden uns aber um eine solche Solidarität und Lernbereitschaft bemühen, zunächst dadurch, dass wir uns sehr intensiv mit der Argumentation in den anderen Publikationen auseinandersetzen - was hiermit geschehen soll.

Der "RotFuchs" hat also einen Beitrag veröffentlicht, Thema ist das Wertgesetz im Sozialismus, Autor ist Prof. Dr. Fred Matho, einer der markanteren Ökonomen der DDR, der an der Partei-hochschule "Karl Marx" gelehrt hat, von ihm stammen sowohl Bücher zur Theorie der Warenproduktion im Sozialismus, analoge Werke zum Neuen Ökonomischen System der DDR, an dessen Gestaltung er maßgeblich wissenschaftlich mitgearbeitet hat, deren Geist er noch immer vertritt, wie nun sein Beitrag im "RotFuchs" zeigt.

*

"Gilt das Wertgesetz auch im Sozialismus?", hatte Fred Matho die Frage gestellt[6], und sie bejaht. Und nun die Gegenmeinung: Es gilt nicht. Nachhaltiger noch: Nicht, dass es nicht gilt, sondern dass es nicht galt, dass es maximal also nur um eine Forderung gehen kann, der aber die erreichte gesellschaftliche Wirklichkeit in der geplanten Wirtschaft (DDR, Sowjetunion ist hier egal, mit der Ausnahme von Jugoslawien) nicht entsprach, ist das Wesentliche. Man kann maximal ein ökonomisches System anregen, in dem das Wertgesetz wirken würde - und solche Systeme wurden angedacht, entworfen und ihre Praxis begonnen, aber sie kamen nicht bis zu einer solchen gesellschaftlichen Reife, dass man in der Tat von einem Wirken des Wertgesetzes im Sozialismus (gemeint ist seine erste Phase - nach bisheriger Diktion) hätte reden können. Man mag das bedauern, und wer dem Wertgesetz seine Sympathie leiht, wird das tun - und Fred Matho tut es auch -, nichtsdestoweniger ist die sozialistische Praxis anders zu erklären, und das bei wirklichem Wirken/Auftreten des Geldes, seiner ideellen Form Preis, der Selbstkosten-rechnung mit Hilfe der Preise, Erscheinen von Gewinn in Preisen usw., was gewiss eine Überraschung ist: "Wertkategorien" ohne Wertgesetz?

Nun könnte man im Text von Fred Matho genügend Hinweise finden, dass er ebenfalls die Praxis des Sozialismus des Mangels an konsequenter Handhabung dieser Kategorien bezichtigt.[7] Aber natürlich geht er nicht so weit, in dieser "mangelhaften Praxis" das Wirken nicht mehr Wertgesetzes zu erkennen, sondern sagen wir das Wirken eines anderen ökonomisches Prinzips. Z.B die Herrschaft des Proportionalitätssystems der geplanten Wirtschaft über das oder an Stelle des Äquivalenzsystems der Warenproduktion. Im Gegenteil: Es ist Wertgesetz - "formell bürokratisch", "leider dogmatisch gehandhabt" usw. Es darf eben nicht sein ...

Wir, die wir a priori davon ausgehen, dass das Wertgesetz im Sozialismus nicht wirken kann (und dementsprechend auch nicht wirken darf - wir sind also gegen Reformen entsprechender Art, sind auch politisch Gegner einer solchen Initiative - ich zumindest war es) haben es einfacher, uns mit den "Mängeln" im Preis- wie Geldsystem des Sozialismus anzufreunden und ebenfalls, wie Dr. Matho, mehr Konsequenz anzumahnen - allerdings in die andere Richtung.

Was ist beim Wertgesetz und was beim Sozialismus, seiner Ökonomie zu beachten? Und was wird von den Wertökonomen immer übersehen (weshalb es auch nicht zum Verständnis der beiden Arrangements der Wissenschaft im Sozialismus kommt)? Dass sie es als überragendes Gesetz behandeln, so, als würde es die Rationalität in der Arbeit schier ersetzen (wenn nicht Wertgesetz, dann keine Ökonomie, oder nur deren Chaos). Sie monopolisieren das Wertgesetz für die Ökonomie und sehen nicht, dass es in der Ökonomie (wo sie konkret wird) nach einem anderen Gesetz zugeht, sie haben aufgehört die Alternative zu sehen.

Übersehen wird, dass die gegenständliche Inbesitznahme der geleisteten Arbeit (also die in der Form der Preise und des Geldes usw.) bereits die zweite Form der Inbesitznahme der Arbeit (in zeitlicher Hinsicht) ist. Die erste besteht in der "Inbesitznahme" des Wertes in der Form der lebendigen Arbeit selber; man "besitzt" doch die Arbeiter, die man beschäftigt, und durchaus rational beschäftigt. Sie sind Beschäftigte des Betriebes, und ihr Arbeitsaufwand geht auch in das Produkt ein, er ist ebenfalls gemessen (oder kann gemessen werden bzw. wird/wurde gemessen), in der direkten, naturalen Form (auch der Arbeitszeit). Bei normbaren Arbeiten geschah das doch millionenfach, bis auf den einfachen Arbeitsgang ausgedehnt. Und selbst bei nichtnormbarer Arbeitszeit, also Zeitlöhnern, galt die Zeit als produktive Zeit. (Und theoretisch liegt auch der Wertform der Arbeitszeit keine andere als diese naturale Form der Arbeitszeit zugrunde, trotz der so genannten äußeren Messung des Wertes - durch alle und jede Arbeit). Ergo: Es gibt die ökonomischen Gesetze, das Wertgesetz ist nur Zusatz.

Diesen inneren, lebendigen Wert, die Arbeit als rationalen Prozess besitzt/verwaltet also der sozialistische Betrieb (wie ihn der kapitalistische Betrieb besessen und verwaltet). Warum kann sich der sozialistische Betrieb nicht mit dem naturalen Besitz des Wertes begnügen? Warum soll er wie der kapitalistische Betrieb/Warenproduzent diese natürliche Form des Besitzens durch die "unnatürliche" (gesellschaftliche, gegenständliche) Form des Besitzens, also zu einer Doppel-form der Besitzergreifung erweitern? Warum die zweite Form der Inbesitznahme des Arbeits-aufwandes im Geld, in der Geldform, unmittelbare Wertform oder Tauschwert genannt? Was ja eine "schielende Weise" ist, den Wert "in Besitz" zu nehmen (Engels), und warum bedarf er des Geldes, um diesem Besitz auch eine gegenständlich nehmbare Form zu geben?

Weil dieser Grund das Privateigentum an der Arbeit ist, unter deren Bedingung die Arbeit beginnt arbeitsgeteilt zu produzieren, weshalb ein Privateigentümer beginnt, mit der Arbeitsteilung gesellschaftlich zu produzieren. Das ist die geschichtliche Besonderheit: Privateigentum beginnt zur gesellschaftlichen Arbeit überzugehen. Und wie behauptet sich Privateigentum nun unter dieser Bedingung? Dadurch, dass es an seinem Besitz festhält, ihm eine Form gibt, unter der es am Eigentum festhalten kann bei Vergabe, Weggabe des Produkts an einen gesellschaftlichen, also anderen Verbraucher. Weil der produzierte Gebrauchswert in einen gesellschaftlichen Gebrauchswert verwandelt, deshalb muß sich das Privateigentum in ein privates Produkt verwandeln. Weil der Gebrauchswert gesellschaftlich, deshalb der Wert privat! So ist die Dialektik. (So hat es Marx gesagt, und würden wir es nicht weiterhin so sagen, würfen wir nur den ganzen Marxismus über Bord).

In diesem Verhältnis von einerseits Arbeitsteilung und andererseits Privateigentum stellt das Privateigentum die Bedingung für die Arbeitsteilung dar, aber nicht umgekehrt die Arbeits-teilung die Bedingung für das Privateigentum (seine nun entstehende Form, es zu behaupten). Wir müssen auch in dieser Beziehung an der üblichen, marxschen, und auch dialektisch richtigen Beziehung von einerseits Voraussetzung und andererseits Entwicklung unter dieser Bedingung festhalten. Das Privateigentum an der Arbeit ist vorausgesetzt (das Verhältnis ist vorausgesetzt), die Entwicklung nachgesetzt. Unter dieser Bedingung wird nicht das Privateigentum durch die Arbeitsteilung aufgehoben (oder gar nicht erst hergestellt, was man ja auch annehmen könnte und bei Gemeinbesitz an der Arbeit auch annehmen muß; Marx bringt dafür die Beispiele), sondern wird Privateigentum in einer spezifisch gesellschaftlichen Form geboren: Warenform des Privateigentums. Weiter (!) kann das Kompromiß nicht gehen. Es wird zum Schein, Arbeitsteilung und Warenproduktion würden ja zur gleichen Zeit geboren und deshalb bedingen sie einander; und auf diesen Schein fallen eben die Wertökonomen des Sozialismus ("Marxismus"?) herein. Für die Entwicklung kann Bedingung nur sein, was ihr vorausgesetzt ist. Und selbst Bedingung, also Ursache, kann die Entwicklung nur sein für das, was ihr nachgesetzt ist. (An dieser Stelle nur soviel: Entwicklung der Arbeitsteilung, ihre höhere Form, steht daher für Aufhebung der Warenproduktion, weil des Privateigentums! Also eine ganz andere Art von Dialektik als bei Fred Matho).

Die Arbeitsteilung (arbeitsgeteilte Produktion), die ansonsten für sich, in ihren eigenen Verhältnissen zu verstehen gewesen wäre, bekam nun ein gesellschaftliches Produktions-verhältnis übergestülpt, und wir haben "gelernt", die Arbeitsteilung warenökonomisch, d.h. privatökonomisch zu verstehen. Uns kommt die Wertform, d.h. die Warenform der Produkte, als etwas ganz Normales vor; wir verstehen Arbeitsteilung wo wir doch Privateigentum zu verstehen hätten, die Verhältnisse sind uns durch die Wertform der Waren mystifiziert: Wir können nicht mehr normal denken, d.h. nicht, noch nicht ... arbeitsgeteilt, d.h. unmittelbar gesellschaftlich, ohne, außerhalb der Wertform. Das ist unser Problem, nicht das der Ökonomie oder ihrer gesellschaftlichen Form, der arbeitsgeteilten Produktion.

Die sozialistischen Wissenschaftler mußten immer die Frage beantworten - wollten sie die Warenproduktion im Sozialismus gängig beantworten: wie man denn einerseits das Privateigentum aufheben kann, andererseits an der Form des privaten Besitzens festhalten wollte/sollte. Einerseits hatte man die Warenproduktion beendet, andererseits setzte man sie fort, wollte sie fortsetzen. Man löste den Widerspruch (in sich selber) auf die folgende köstliche Art (Fred Matho ist da typisch): "Unter Bedingung gesellschaftlicher Arbeitsteilung und selbstständiger Wirtschaftseinheiten werden die arbeitsteilig erzeugten Produkte und Leistungen zu Waren, die auf einem Markt ausgetauscht werden müssen. Die Waren haben einerseits einen Gebrauchswert ... und andererseits einen Wert, der den Arbeitsaufwand für die Ware verkörpert. Der Wert erscheint mit Hilfe des Geldes als Preis".

Wie wir sehen, hat Matho geändert, was hier Bedingung für was ist. Bei ihm ist die Arbeitsteilung Bedingung für die Ware, wenn - und diesen Zusatz erlaubt er sich - die "Wirtschaftseinheiten selbstständig" sind. Beide Bezüge stellt er gleichberechtigt nebeneinander. So erscheint nicht, dass die Arbeitsteilung im Grunde eine Vergewaltigung durch ein Verhältnis erfährt (Warenproduktion ist eine Vergewaltigung der Arbeitsteilung), und erscheint ebenfalls nicht, dass sich zwischen der Arbeitsteilung und dem Privateigentum an der Arbeit mit der geschichtlichen Entwicklung der Arbeit (!) ein Gegensatz entwickeln muß. Von dem gehen wir aber aus; so mir nichts Dir nichts darf kein Marxist gegen irgendwas in der Geschichte sein, weder gegen das Eigentum, noch gegen die Warenproduktion, das muß schon einen Grund haben.

Also: Bei Fred Matho stehen Arbeitsteilung und "selbstständige Wirtschaftseinheiten" (eigentlich müßte es Volkseigentum heißen) friedlich, wie selbstverständlich nebeneinander.

Apropos: Was sind "selbstständige Wirtschaftseinheiten"? Matho führt sie hier ein (natürlich nicht er als der spiritus rector, sondern das wurde so üblich) an Stelle des Privateigentums. Eigentlich, beim Eigentum angelangt, müßte er von Volkseigentum sprechen. (Was man übrigens getan hat: Man sprach vom Volkseigentum (das Waren produziert) als Volkseigentum erst besonderen Reifegrades.) Er scheint auch beim Volkseigentum angelangt zu sein, spricht er doch nicht mehr vom Privateigentum als einer Bedingung für die Arbeitsteilung im Sozialismus/Kommunismus. Aber er spricht von "selbstständigen Wirtschaftseinheiten" im Sozialismus, und die scheinen die selbe Kraft zu besitzen wie das Privateigentum: Sie beanspruchen das Recht auf Warenproduktion. Das heißt, hinsichtlich der Warenproduktion sind wir nicht gerettet. Ob das Ding Eigentum nun privat oder gesellschaftlich heißt, bleibt sich egal, in beiden Eigentumsformen sind die Wirtschaftseinheiten selbstständig und Selbstständigkeit dieser Einheiten führt zur Warenform der Produkte. Die Vermutung, dass, wenn Privateigentum aufgehoben ist und das Volkseigentum beginnt, die Warenproduktion endet, "hat sich als falsch erwiesen" ("Stalinscher Dogmatismus"?). Die Warenproduktion geht weiter, weil die ökono-mische Selbstständigkeit, die die Ware erforderlich macht, weitergeht. (Auch für den schnellen Leser sind "Privateigentum" und "selbstständige Wirtschaftseinheiten", bezogen auf die Warenform der Produkte, nunmehr austauschbare Begriffe).

Wäre Fred Matho genau gewesen, hätte er schreiben müssen (Bedingung immer vorneweg): "Unter der Bedingung selbstständiger Wirtschaftseinheiten (die auch für Volkseigentum steht, welches das Privateigentum aufgehoben hat) behalten die Produkte in einer arbeitsgeteilten Produktion die Form der Ware".

Mit dieser "gängigen Meinung" verabschiedete sich die sozialistische Gesellschaft von sich, oder auf sie hatte sich ihre Wissenschaft geeinigt, um sich von ihrer Gesellschaft, wie sie mal vermutet worden, zu verabschieden. Das Volkseigentum bedeutet kein Ende der Waren-produktion, im Gegenteil: weil es in "selbstständigen Wirtschaftseinheiten" gesetzt ist, bedeutet es eine neue, weitere Form der Warenproduktion, der Sozialismus ist eine besondere Form der Warenproduktion usw. usf. Um sich in ihrer bisherigen ursprünglichen Aussage - vom Gegen-satz von Kommunismus und Warenproduktion - zu versichern, vertagte man diesen Gegensatz auf die zweite Phase des Kommunismus. (Bis zu der es noch "lange dauern" würde; sicher ist sicher).

Was ist falsch? Schauen wir uns zunächst die Arbeitsteilung, die Matho - und viele, viele andere - so gleichberechtigt (als Ursache/Grund/Anlass) von Warenform) neben das Eigentum stellt, etwas genauer an: 1. Die Arbeitsteilung ist eine Entwicklung der Arbeit zu ihrem/einem gesellschaftlichen Charakter, und hat zunächst mit Errichten eines Produktionsverhältnisses zu dieser Entwicklung gar nichts zu tun, Entwicklungen in der Arbeit sind nicht direkt auch ihre Produktionsverhältnisse. D.h. die Arbeitsteilung ist, einmal begonnen, ewig und greift über Produktionsverhältnisse, Gesellschaftsordnungen, hinaus. Aus der Arbeitsteilung als solcher kann nicht auf Warenproduktion geschlossen werden (denn auch der Kommunismus hebt die Arbeitsteilung nicht auf). Aber wenn dieser Schritt im Charakter der Arbeit begonnen/ aufgenommen wird unter Bedingung des privaten Eigentums an der Arbeit, dann nimmt das "arbeitsteilig erzeugte Produkt" den Charakter der Ware an. D.h. dann nimmt es die Form ihres Wertes an, d.h. die Form des Arbeitsaufwandes an, der bei ihrer Produktion gebraucht/ verbraucht worden ist. Die Bedingung des privaten Eigentums, also die gesellschaftliche, forma-torische Voraussetzung verschweigt Fred Matho in seiner Begründung für den Sozialismus. Arbeitsteilung heißt aber nicht, dass die Produkte eine Wertform haben müssen und dass sie diese tauschen müssen (von der Ware zum Geld, von der besonderen Wertform zur all-gemeinen), sondern dass sie gesellschaftlich fließen - das Mehl zum Bäcker, das Brett zum Möbelbauer, das Erz zum Stahlwerker usw. Nirgendwo ist mit diesem gesellschaftlichen Fluß der Gebrauchswerte gesagt, dass der Bäcker dem Müller die Arbeitszeit ersetzen, zurückgeben muß (in einer gegenständlichen Form), damit dieser "weiterarbeiten" kann oder dessen Arbeit reproduziert werden kann. Wieso denn? Die Bedingungen der Arbeit des Müllers waren doch auch gegeben bevor er sein Mehl weitergeben konnte, und sie haben doch nicht dadurch aufgehört zu existieren, dass er sein Produkt weitergeleitet hat. Es kann doch geben (und muß geben, das ist natürlich klar) ein gesellschaftliches Recht beim Müller, das ihn in die Lage versetzt, jeden Zugriff auf die Arbeit anderer Produzenten zu tätigen, wodurch er seinerseits in die Lage versetzt ist, Mehl zu produzieren; wie ja auch seine Mehllieferung den Bäcker in die Lage versetzte, Brot zu backen. Man kann sich in einer warenökonomischen Denkweise von der Ökonomie immer nicht vorstellen, was unmittelbare Rechte, unmittelbare Zugriffe auf solche Arbeit ist, die als Voraussetzung der eigenen Arbeit existiert. Aber das gibt es: Unmittelbar gesellschaftliche Arbeit, d.h. gesellschaftliche Arbeit (für andere) ohne die Waren- sprich Wertform der Produkte.

Warum Wertform, was bedeutet sie?

Nun, weil der am Produkt fixierte Wert der Rahmen ist, über den der Eigentümer (die "Selbstständige Wirtschaftseinheit") die Arbeit anderer Betriebe besitzen kann. Der Wert wird gesellschaftlich besessen, das warenproduzierende Privateigentum ist eine Gesellschaftsform des Privateigentums. Aber was hier Freiheit, ist zugleich Grenze. Die "selbstständige Wirt-schaftseinheit" einer Warenökonomie ist bei der Aneignung der Arbeit anderer auf den Stand gebannt, den sie selbst verkörpert. Sie kann nicht mehr Arbeit gegenständlich aneignen, als sie lebendig besitzt.

Ist das nun aber das ökonomische Recht einer Wirtschaftseinheit im Sozialismus, in einer Planwirtschaft, das ist doch die Frage und Fred Matho meint nun, im guten Recht zu sein, wenn er die Frage bejaht. (Das heißt, ihre Bejahung verlangt). Damit verstößt er aber gegen die Praxis der Planwirtschaft. Die geplant bewegte Wirtschaftseinheit kann gleich, mehr, oder darf nur weniger an gegenständlicher Arbeit aneignen (in der Form der Produkte selbst), als sie lebendig besitzt. Um die Inthronisation dieses ökonomischen Rechts geht es im Sozialismus/ Kommunismus, dafür habt Ihr 200 Jahre gekämpft.

Was, der sozialistische Betrieb braucht das Prinzip der Äquivalenz nicht? - Nein, das braucht er an sich nicht, formell aber ab dann nicht mehr, wenn die Inbesitznahme anderer Arbeit als der eigenen  gesellschaftlich über eine andere gesellschaftliche Form geregelt ist. Das allerdings muß sein. D.h. wenn es einen unmittelbaren Zugang zu jeder Art von anderer Art von Arbeit gibt. Und den gibt es ab dem Beginn der geplanten Wirtschaft, wo per Plan entschieden wird, in welchem Umfang ein sozialistischer Betrieb an der Arbeit anderer Betriebe partizipiert. Und dieser Umfang wird nun nicht nach einem Äquivalenzprinzip entschieden, also soviel Arbeit ich gegeben (oder mir genommen ist) soviel muß mir gegeben sein, sondern, da Betriebe im Rahmen einer Arbeitsteilung (!) produzieren, und im Rahmen einer arbeitsteiligen Form der Expansion reproduzieren, wird über die Frage des zu Gebenden proportional entsprechend einem Bedarf entschieden, der zuvor durch Bedürfnisse gemessen ist. Also erweiterter Bedarf ist, wenn Bedürfnisse erweitern, und gleicher bzw. geringer werdender Bedarf ist, wenn Bedürfnisse stagnieren oder zurückgehen. Dem entsprechend ändert die Aneignung der Menge nach, das Recht auf Aneignung aber ist gesellschaftsoffen. (Und das ist ein ökonomisches Prinzip, sonst stecke man sich den ganzen Kommunismus gleich hinter den Hut). Dass die Vermittlung gleichermaßen über die Geldform erfolgt, besagt gar nichts, wenn die jeweiligen Mengen verschiedene sind, d.h. einmal nur konsumtiv, andermal nur produktiv zu erklären sind. (D.h. einmal dem Betrieb Gewinn weggenommen (weggeplant) wird, andermal zugelegt.)

Damit gibt es auch nur noch eine proportionale Aneignung von "Gewinn", d.h. erweiterter Re-produktion, deren Umfang ist in der Proportionalität der der erweiterten Reproduktion dienenden Produktion vorgegeben, die Ökonomie weist ja eine Struktur auf, und aneignen heißt, die Struktur anzueignen; es kann die allgemeine und gleiche Aneignung des "Gewinns" in der sozialistischen Produktionsweise nicht mehr geben. Und gibt es auch im Kapitalismus nicht, wie der Zwang, per Leihkapital sich vom Besitz der unmittelbaren Kapitalform zu trennen, beweist (unter der Bedingung allerdings, dass das Kapital vergesellschaftet).

Dieser Unterschied in der ökonomischen Auffassung bzw. im Verhalten zur Produktion (das eine ist ein Verhalten zur abstrakten Seite der Arbeit, das andere eines zur konkreten) muß man begriffen haben, sonst erübrigt sich ein Gesellschaftsanspruch, der über die Warenproduktion resp. ihre kapitalistische Form hinausgeht, also erübrigt sich der Kampf für die sozialistisch-kommunistische Gesellschaft.

Also kein Wertgesetz? Nein. Wenn wir sagen, wir brauchen in der Ökonomie nicht das Prinzip der Äquivalenz, so deshalb, weil es durch ein anderes ökonomisches Prinzip der Aneignung - auch der Aneignung der Arbeitszeit anderer "Wirtschaftseinheiten" - ersetzt wird. Es handelt sich um zwei verschiedene Rechte, und aus diesem Grund um zwei verschieden gesetzte Größen. Das Problem ist also, dass wir es im Sozialismus durchaus mit "selbstständigen Wirtschaftseinheiten" zu tun haben, aber es sind keine Wirtschaftseinheiten im Sinne von Privateigentum, das über keine andere Möglichkeit der gesellschaftlichen Inbesitznahme von jeder Art anderer Arbeit verfügt als der, seiner besonderen Arbeit die Form einer gegen-ständlichen Allgemeinheit zu verleihen. Warenproduzierendes Privateigentum, also gesell-schaftlich produzierendes Eigentum, muß eine allgemeine Verkehrsform gebären, weil es außer seiner Arbeit kein anderes ökonomisches Recht auf Arbeit in jeder anderen Form geltend machen kann. Das Volkseigentum ist aber allgemeines Eigentum, d.h. besitzt dieses Recht auf die Inbesitznahme aller gesellschaftlichen Arbeit unmittelbar, qua Eigentumsverhältnis. (Volkseigentum, allgemeines Eigentum, das ist doch nicht bloß ein Name, das ist doch ein Recht). Die gesellschaftliche, die Gesamtarbeit (das Recht auf jede Arbeit) ist der Rahmen seiner Besitzergreifung, nicht die eigene Arbeit. Und andere Arbeit besitzen, in Besitz nehmen, muß der volkseigene Betrieb nur in dem Verhältnis, als er selbst arbeitsgeteilt für die Gesellschaft produziert, d.h. soweit er für den Bedarf der Gesellschaft notwendig produziert, was auch heißt, notwendig expandiert (oder auch implodiert, das ist hier gleichberechtigt). Dass das Wertgesetz (das Äquivalenzrecht) aufgehoben, heißt nur, dass es durch ein anderes ökonomisches Recht ersetzt worden ist. Es aufgehoben zu haben, es aber nicht durch ein anderes reales Prinzip der Verteilung ersetzt zu haben, hätte nur dazu geführt, die Wirtschaft binnen weniger Tage dem Zusammenbruch ausgesetzt zu haben. Da es diesen nicht gegeben hat - ist das Wertgesetz ersetzt worden.

Man frage also nicht nach dem Wertgesetz, ob es noch im Sozialismus gewirkt habe, sondern frage danach, ob denn das Recht auf proportionale Aneignung, Aneignung nach dem Bedarf gewirkt habe und wie es gewirkt habe. (Es kann auch schlecht gewirkt haben; ein an sich richtiges - neues, kommunistisches - Recht kann auch schlecht gewirkt haben, weil Planung der gesamten Arbeit noch nicht beherrscht war, was aber nichts an seinem prinzipiellen, gesell-schaftlichen Recht ändert.) An dieser Antwort muß der Sozialismus interessiert sein, nicht an der abstrakt abwegigen Frage nach dem Wertgesetz im Sozialismus.

Bliebe also nur noch - nach Dr. Matho -, dass die Darstellung des Wertes im Tauschwert (Geld) doch aber den Arbeitsaufwand misst. ("Also wie groß der Arbeitsaufwand für die einzelne Ware sein darf"; das ist die Theorie vom gesellschaftlichen Druck, der auf die einzelnen Individuen ausgeübt werden muß,, damit sich diese "bewegen"). Nun, der Arbeitsaufwand im Wertgesetz ist aber kein individuell notwendiger Aufwand, sondern ein gesellschaftlich notwendiger. Er stimmt nur im Durchschnitt. Und dieser schwankt unter der Macht der Märkte (Angebot und Nachfrage) hin und her, er ist überhaupt überbewertet, steht oberhalb jedes wirklichen Arbeitsaufwandes, wenn es sich um komplizierte Arbeit handelt, und letztlich stellt sich die Frage der Bestimmung des Teils der Arbeitszeit (oder Wertes), an der der Gewinn (Mehrwert oder Profit) gemessen wird, d.h. wenn die Arbeit eine unterschiedliche organische Zusammensetzung aufweist. Die Frage, wie sich der Sozialismus zum Produktionspreis verhält, ist nie beantwortet worden (von den Wertökonomen). Die Abweichungen der Wertbestimmung der aufgewandten Arbeitszeit von der tatsächlich aufgewandten - naturalen - Zeit sind derart gravierend, dass die Wertform zwar eine die Arbeitszeit messende Zeitform ist, aber eine höchst ungenaue. Sie fällt um so weniger mit der Arbeitszeit der im Betrieb tatsächlich beschäftigten Arbeiter zusammen, je mehr sich die Qualität der Arbeit von der einfachen Form der qualitativen Arbeit abhebt. Wir brauchen aber für die Bestimmung gerechter Löhne die exakt gearbeitete Zeit. Der notwendige Arbeitsaufwand ist ein individueller Aufwand, wie er den konkreten Bedingungen der konkreten Arbeit entspringt, und dieser wird am besten in der realen Arbeit selbst gemessen, und überhaupt nicht in einer gegenständlichen Form, also im Geld. Wo es im Sozialismus der Planwirtschaft um ökonomische Bedeutung der Zeit geht, handelt es sich um diese "naturale" Zeitbestimmung, und da gilt sie nur für den Lohn. Wertbestimmte Zeit, d.h. durchschnittliche Bestimmung der Zeit, taugt für diesen Zweck nicht. Wo wir also in der Tat an einer Zeitbestimmung im Sozialismus festhalten müssen (wo von dieser Zeit Aneignung abhängig ist), kann die Wertform der Bestimmung a priori nicht gelten - was eigentlich auch ein "sozialistischer Warenproduzent" bestätigen müßte. Nach welcher Zeit zahlt er denn den Lohn an seine "sozialistischen Warenproduzenten"? (So nimmt es auch nicht Wunder, dass an die Wiedereinführung der Wertform besondere Lohnsysteme gekoppelt worden sind, z.B. gewinnabhängige Lohnzahlung oder Prämiensysteme, weil Lohnempfänger anders als über zusätzlichen, besonderen Lohn der Wertform kein Interesse abgewinnen können; diese Lohnsysteme hätten aber die Arbeiter des Sozialismus sozial differenziert, waren also untauglich für den Begriff des Volkseigentums.)

Den Wertökonomen ins Stammbuch: Zur Beherrschung der Wertform gehörte es unbedingt, in Preisen den sinkenden Werten zu folgen; allgemein: den Veränderungen in der Arbeits-produktivität anzupassen. Dass die Warenproduzenten "ehrlich", ist die Voraussetzung, dass das Geld "ehrlich", d.h. auch den Wert "misst". Eine solche Ehrlichkeit hat noch jede sozialistische Warenökonomie vermissen lassen, sie war in keinem Reformprojekt vorgesehen. Was wollt Ihr also? Im übrigen: Auch der Kapitalismus ist mehr mit der Beherrschung der Geldform für den Wertausdruck beschäftigt als mit dem Wertausdruck der Waren. Da macht jeder was er will, und nur die allgemeine Konkurrenz, der ökonomische Krieg des einen gegen den anderen, ist der Mechanismus, alles einigermaßen wieder auf die Reihe zu kriegen, d.h. Geldmengen Wert-mengen zuzuordnen. Unvermeidlich wäre Inflation/Konkurrenzkampf über die Preise das Schicksal jeder wertökonomischen Reform im Sozialismus geworden, d.h. die Planung der Wirtschaft hätte gänzlich der Konkurrenz geopfert werden müssen - oder es wäre nicht Warenökonomie herausgekommen.

Selbstverständlich muß das Wertgesetz Gültigkeit auch für den Sozialismus haben, aber dann handelt es sich um solchen Sozialismus, in dem das Recht des Privateigentums für bereits nicht mehr private Betriebe, also juristisch gesehen volkseigene Betriebe, nicht aufgehoben ist, d.h. dann handelt es sich um besonderen "Sozialismus", chinesischen z.B. Aber um den ging es weder in der DDR noch in der Sowjetunion, nicht an sich in einer Planwirtschaft des Sozia-lismus. Also, diese Bedingung muß erfüllt - oder geklärt - sein in der Voraussetzung, damit man die Frage, ob das Wertgesetz im Sozialismus noch gilt, einwandfrei beantworten kann. Sonst kann man es nicht und sonst meint man, indem man die Forderung nach dem Wertgesetz erhebt, auch einen anderen Sozialismus als den, den es gegeben hat.

Dr. Matho zeigt sich im "RotFuchs" optimistisch ("Fehler dürfen sich nicht wiederholen", "negative ... Erfahrungen ... in real sozialistischen Wirtschaften ... sollten als Mahnung dienen") und hofft auf China: "Besondere Lehren und Hinweise werden im wachsenden Maße vom chinesischen Marktsozialismus zu erwarten sein". Und was, wenn diese Erfahrungen/Lehren negativ sein werden, wird er es dann glauben, dass es nicht geht? (In China wirkt das Wertgesetz, aber nur über die Geißel der Inflation - was auch eine Aussage darüber ist, wie das Wertgesetz überhaupt noch wirken kann.) Ein Land, das sich zur politischen Form der sozialis-tischen Macht zurückentwickelt hat, aber die Ökonomie noch nicht bis zur Planwirtschaft vorangetrieben hat, kann Lehren für die Marktwirtschaft, sprich Warenproduktion, oder eine so genannte Vorperiode vor dem Kommunismus vermitteln, aber nicht für den Sozialismus/ Kommunismus. Wir lehnen ja die Warenproduktion nicht deshalb ab, weil sie unökonomisch ist, sondern weil sie Widersprüche bis Antagonismen gegen die Arbeiterschaft, also den sozialen Gegensatz hervorbringt; sie unterwirft doch nicht nur die Arbeit, sondern auch den Arbeiter der Warenform, d.h. sie trennt den Arbeiter von seinem Reichtum, den er produziert, indem sie den Arbeiter auf den Wert reduziert - seiner Arbeit gegenüber. So dass der Reichtum seiner Arbeit anderen gehört, einer anderen Klasse. Aber für die denken und schreiben wir doch nicht, wollten es jedenfalls nicht tun.

Hermann Jacobs, Berlin

Glückwunsch: Das Magazin „Geheim“ wird 20 Jahre alt

Michael Opperskalski: 20 Jahre und kein bisschen heiser!

Michael Opperskalski lässt die Geschichte des Magazins „Geheim“ Revue passieren

20 Jahre ist es her, als im Frühsommer 1985 die 0-Nummer von GEHEIM das Licht der Welt erblickte – eine lange Zeit, mit vielen Höhen und Tiefen inzwischen. Und dennoch ist GEHEIM eigentlich noch älter, denn die Idee für ein geheimdienstkritisches Magazin in der BRD wurde Anfang der 80er Jahre im sandinistischen Nicaragua geboren.

Hintergrund für diese Gedankenspiele damals waren Entwicklungen in den USA, aber auch revolutionäre Herausforderungen in Iran, Afghanistan, Nicaragua, El Salvador oder Grenada, die das Imperium mit massivsten Destabilisierungen bis hin zum Aufbau von Contra-Armeen beantwortete.

GEHEIM-Gründer Michael Opperskalski fuhr auf Einladung der sandinistischen Befreiungsfront nach Managua. Im Gepäck: geheime CIA-Dokumente, die revolutionäre Studenten zuvor bei der Besetzung der US-Botschaft in Teheran erbeutet hatten. Das Ziel: diese Dokumente wie auch die Erfahrungen umfangreicher CIA-Operationen im Iran der FSLN in Nicaragua zur Verfügung zu stellen. Michael Opperskalski war einer der ersten gewesen, der im Iran Zugriff auf ungezählte, geheimste CIA-Papiere bekam und zugleich Augenzeuge der US-Destabilisierungen wurde, in deren Zentrum Operationen der CIA waren. 1982 veröffentliche er daher – gemeinsam mit Günter Neuberger, der später Co-Gründer von GEHEIM werden sollte – im Lamuv-Verlag das Buch „CIA im Iran“, in dem sich viele dieser CIA-Papiere wieder finden.

Vor diesem Hintergrund stieß Michael Opperskalski in Nicaragua auf nordamerikanische Kollegen, die in den 70er Jahren eine publizistische „Anti-CIA-Bewegung“ auf die Beine gestellt hatten. Zu dieser Bewegung gehörten auch ehemalige CIA-Agenten wie Philip Agee und John Stockwell, die mit der Agency gebrochen hatten, die ihnen während ihrer Tätigkeit bekannt gewordenen schmutzigen Tricks enthüllten und ihre Erfahrungen Opfern von nord-amerikanischen Destabilisierungen zur Verfügung stellten. Im Zentrum dieser Aktivitäten standen zwei Magazine: „Covert Action Information Bulletin (später und heute noch: Covert Action Quarterly)“ und „The National Reporter“.

Beide Magazine hatten sich – ganz konsequent – im Rahmen ihrer Enthüllungsarbeit auch auf die Enttarnung von CIA-Agenten spezialisiert, die unter diplomatischer (oder anderer) Maske weltweit aktiv sind. Bekannt wurde dieser publizistische Aspekt der „Anti-CIA-Arbeit“ als „Naming Names“.

Reagans Schlag gegen diePressefreiheit

Kaum war Ronald Reagan zum US-Präsidenten gekürt worden, verschärfte die neue nordamerikanische Administration ihre weltweite Offensive gegen alle gesellschaftlichen Prozesse, die aus ihrer Sicht ihren Hegemonialinteressen im Wege standen. Moskau wurde zum „Reich des Bösen“, in Afghanistan liefen milliardenschwere CIA-Operationen an, um „die Sowjetunion am Hindukush ausbluten“ zu lassen, gegen das sandinistische Nicaragua wurde eine Contra-Armee mit allen Mitteln aufgebaut, die kleine Karibik-Insel Grenada militärisch überfallen – das Imperium schlug zurück. Im Schlepptau dieser Offensive verstärkte der nordamerikanische Geheimdienst CIA seine Aggressionen. Diese weiter abzusichern, diente die Verabschiedung des so genannten „Identities Protection Act“ 1980, das jeden US-Bürger mit horrenden Strafen bedroht, der Namen aktiver CIA-Agenten veröffentlicht oder in irgendeiner Form zu deren Veröffentlichungen beiträgt. Das bedeutete in Konsequenz, dass die Zeitschriften der „Anti-CIABewegung“ in den USA nicht nur ihr „Naming Names“ einstellen mussten, sondern auch bei jeder publizistischen Enthüllung der immer aggressiver werdenden „dirty tricks“ der CIA einen juristischen Seiltanz begannen. Nur logisch, dass sich die US-amerikanischen Kollegen fragen: „Wie weiter?“

In dieser Situation und vor diesem Hintergrund entwickelten sich in Nicaragua die Diskussionen um die Möglichkeiten, in anderen Ländern, möglichst in Europa, das fortzusetzen, was in den USA verboten worden war. Zunächst in Form von Büchern: „CIA in Westeuropa“ und „CIA in Mittelamerika“ (beide im Lamuv-Verlag).

GEHEIM erblickt das Licht der Welt

1985 war es schließlich soweit: Aus einer Idee, geboren und gewälzt in vielen Diskussionen, wurde Realität. Die 0-Nummer von GEHEIM wurde veröffentlicht mit dem Ziel, zu „testen“, ob diese Art des Enthüllungsjournalismus auf Interesse stoßen würde. Es tat, gefördert sicherlich auch durch die prompte Reaktion der damaligen Bundesregierung, die in Person des CSU-Innenstaatssekretärs Spranger mit dem Verbot der Zeitschrift drohte. Das brachte Publizität, schuf Interesse, ließ auch Solidarität sich entwickeln. „Der Spiegel“ berichtete und charak-terisierte GEHEIM als „das Fachblatt aus Köln“.

Seither zieht sich eine „rote Linie“ durch alle Veröffentlichungen von GEHEIM, die am besten, wenn auch verkürzt als „Partei ergreifender Enthüllungsjournalismus“ umschrieben werden kann. Thematisch ist das journalistische Feld von GEHEIM seit der 0-Nummer sehr breit gefächert: es reicht über die Berichterstattung, aber auch die Analyse des Abbaus demokratischer Rechte und dem damit einhergehenden Ausbau des Repressions-instrumentariums in der BRD bis hin zu den Enthüllungen der „schmutzigen Tricks“ der CIA und mit ihr verbündeter Geheimdienste (z.B. Israels MOSSAD oder Großbritanniens MI6). Dazu gehört wie selbstverständlich jedoch auch das in den USA verbotene „Naming Names“ oder die Entlarvung geheimer strategischer Konzeptionen.

Parteiisch war und ist GEHEIM von Beginn an. Nicht nur, weil sich Redakteure und Autoren sehr bewusst als Teil einer demokratischen und progressiven „Gegenöffentlichkeit“ begreifen, sondern vor allem auch, weil die Veröffentlichungen von GEHEIM Partei ergreifen für die Opfer – seien es Berufsverbotsopfer in der Bundesrepublik oder von CIA-Destabilisierungen bedrohte gesellschaftliche Entwicklungen, seien es diversen Repressionsmaßnahmen Aus-gesetzte oder Befreiungsbewegungen (Stichworte: die namibianische SWAPO oder der südafrikanische ANC).

Damit wird verständlich, dass GEHEIM zum Beispiel auch von Beginn an den revolutionären Prozess auf Cuba publizistisch unterstützte und inzwischen über ungezählte nordamerikanische – aber auch europäische – Verschwörungen gegen die rote Insel in der Karibik berichtete.

Einige wenige konkrete Beispiele

1986: GEHEIM berichtet über einen CIA-Mordversuch gegen den sandinistischen Außenminister Nicaraguas, und Manfred Bissinger beleuchtet die Gründe, warum so viele bundesdeutsche Journalisten für Geheimdienste arbeiten

1987: GEHEIM enthüllt wesentliche Teile und Strukturen des CIA-Geheimdienstnetzes in der Bundesrepublik, die Bespitzelung der „Grün-Alternativen Liste“ in Berlin, BND-Strategien in Afghanistan sowie CIA-Putsch und Mordpläne gegen Libyen, deren Fäden bis in die Bundesrepublik reichen

1988: erneut beleuchtet GEHEIM BND-Aktivitäten in Afghanistan, aber auch das, was im Zuge der „Iran-Gate-Veröffentlichungen“ nicht an die Öffentlichkeit kommen sollte, sowie die Drogengeschäfte der CIA

1989: GEHEIM macht Schlagzeilen: Wir veröffentlichten aus den Panzerschränken des so genannten Verfassungs“ schutzes“ „Verkartungspläne“, die Aufschluss über die Strukturen des Bespitzelungen durch den bundesdeutschen Inlandsgeheimdienstes geben. Auf den Philippinen berichteten fast alle Tageszeitungen über GEHEIM-Enthüllungen über getarnt arbeitende CIA-Agenten, die tief verstrickt waren in die Aufstandsbekämpfung des reaktionären Regimes in Manila. Auch der Artikel „Gestärkte Achse Washington-Pretoria“ (Nr. 2-3/1989) machte Furore als Beispiel für das aktive Engagement des Magazins an der Seite der Befreiungsbewegungen des südlichen Afrikas, ANC und SWAPO. GEHEIM zerrte nicht nur Einzelheiten des schmutzigen Krieges der Apartheid-Geheimdienste an die Öffentlichkeit, sondern auch deren strategische Allianz mit der CIA

1991: GEHEIM enttarnt eine Außenstation des BND in Hamburg

1992: „,Mountaineer’ antwortet nicht mehr“ lautet der Titel eines GEHEIM-Artikel, der von der Hauptstadt Ghanas, Accra, bis hin nach Johannesburg und Washington für Schlagzeilen sorgt. Der Artikel beschreibt nicht nur bis in alle Einzelheiten einen CIA-Putschversuch in dem westafrikanischen Staat, sondern auch ein gelungene Operation des südafrikanischen (Apartheid-)Militärgeheimdienstes DMI zur Unterwanderung des ANC

1993: GEHEIM veröffentlicht Verfassungs“schutz“-Aktionen gegen den GEHEIM-Autor Thilo Weichert und behält seine prominente Rolle in Südafrika durch weitere Enthüllungen

1995: Einzelheiten des BND-Plutoniumschmuggelskandals finden sich in GEHEIM wieder

1996: GEHEIM berichtet über „verdachtlose Telefonüberwachung durch den BND“ sowie über einen gescheiterten Putschversuch der CIA gegen Saddam Hussein

2000: Eine GEHEIM-Serie über „geheime Aktionen gegen die DDR“ sorgt für Diskussionen

2001: GEHEIM greift in die Debatte über die Vergangenheit Bundesaußenministers Joseph Fischer ein. Bohrende Fragen zu möglichen Geheimdienstverstrickungen Fischers (CIA?) werden gestellt, Indizien zusammengetragen, Konsequenzen aufgezeigt. GEHEIM gehört zu den Ersten, die Zweifel an der offiziellen Version(en) der Hintergründe der Terroranschläge vom 11. September äußert und auch nachweist

2002: „Osama bin Laden, der Mann mit den vielen Gesichtern“, lautet eine Coverstory von GEHEIM, die die CIAHintergründe des angeblichen Al-Qaida-Chefs aufzeigt. Gleichzeit entlarvt GEHEIM die US-Kriegsvorbereitungen gegen den Irak und die diese absichernden, geheimdienstlich gesteuerten Desinformationskampagnen

2003: GEHEIM berichtet detailliert über die Maßnahmen der USA unter dem Deckmäntelchen der Demokratie gegen Venezuela

2004: GEHEIM veröffentlicht unbekannte Dokumente des irakischen Widerstandes, aber zugleich auch Einzelheiten der US-Destabilisierungspläne gegen Venezuela und Cuba

2005: GEHEIM beschreibt en Detail die Kriegspläne der USA gegen Iran

Besonderes Gewicht bekamen viele GEHEIM-Stories durch die Existenz des englischsprachigen Schwestermagazins von GEHEIM, Top Secret, das zwischen 1988 und 1993 erschien und sich in wesentlichen Teilen auf GEHEIM stütze, dessen Artikel in Englisch nachdruckte oder zusammengefasst wiedergab.

Von Anfang an im Visier der Dienste

Mit dem Erscheinen der Nullnummer von GEHEIM 1985 entstand auch das gespannte Verhältnis zwischen den Machern der Zeitschrift und dem bundesdeutschen Inlandsgeheimdienst namens „Bundesamt für Verfassungsschutz“ (BfV) und seinen politischen Agentenführern. Kurz nach dem bekannt Werden der Existenz von GEHEIM drohte der christdemokratische Staatssekretär im Bundesinnenministerium Spranger mit dem Verbot der kritischen Zeitschrift. Das führte zu einer ersten Anfrage der Fraktion „Die GRÜNEN“ im Bundestag. Diese wollte wissen: „Wie ist die Ankündigung der Bundesregierung ... die Publikationstätigkeit der nachrichtendienstkritischen Zeitschrift GEHEIM müsse weiter beobachtet werden vor einer etwaigen Verbotsentscheidung, seither durch welche Dienststelle und in welcher Weise umgesetzt worden?“ 1989 beantwortete die schwarzgelbe Regierung per Drucksache 11/4294 eine Anfrage der GRÜNEN-Politikerin Schilling: „Wie in der Antwort auf die mündliche Anfrage des Abgeordneten Krey im Deutschen Bundestag am 28. Februar 1985 dargelegt wurde, sind die verantwortlichen Redakteure des Magazins ‚GEHEIM’ in der Vergangenheit als Mitarbeiter kommunistisch orientierter Publikationen bekannt geworden. Für die Beobachtung entsprechender linksextremistischer Bestrebungen ist das Bundesamt für Verfassungsschutz zuständig; es hat diese gesetzliche Aufgabe auch weiterhin zu erfüllen.“ Des weiteren stellt die Bundesregierung fest: „Soweit Fragen darauf zielen, ob und ggf. welche operative Maßnahmen des Verfassungsschutzes durchgeführt worden sind, muss eine Beantwortung aus Geheimhaltungsgründen unterbleiben.“

Hinter diesen vorgeblichen Gründen der Geheimhaltung verstecken sich seitdem das BfV und die entsprechenden Landesämter, wenn es ihnen darum geht, ihre „operativen Maßnahmen“, also die Bespitzelung der Redakteure und ihres Umfeldes durch menschliche Quellen und technische Mittel, geheim zu halten. Der Auslandsgeheimdienst BND (Bundesnach-richtendienst) darf an dieser Stelle auch genannt werden.

Wegen der internationalen Kontakte des GEHEIM-Gründers Michael Opperskalski und des englischsprachigen Schwestermagazins „Top Secret“ überwachten auch die Pullacher Schlapphüte die Aktivitäten des Kölner Journalisten und seiner Kollegen. Solange die Archive der Dienste verschlossen bleiben und es keinen „Bundesbeauftragten für die BfV-, MAD-, BND-Akten“ gibt, der Interessierten ihre Akten zugänglich macht, ist es nicht möglich, konkrete Angaben über das Ausmaß geheimdienstlicher Überwachung zu machen. Die folgende Aufzählung kann lediglich einen groben Rahmen abstecken.

Eine nicht ganz vollständige Aufzählung

1988, 1990 und 1991 entging Michael Opperskalski nur knapp Anschlägen, die mit der CIA kooperierende Dienste und Gruppen auf den Philippinnen, in Namibia und Zimbabwe gegen ihn verübt beziehungsweise geplant hatten. Auf den Philippinen war das ausführende Organ eine marodierende „Vigilante“-Gruppe, in Namibia und Zimbabwe der südafrikanische militärische Aparteid-Geheimdienst DMI.

1992 beschäftigte sich die United States Information Agency (USIA) sehr intensiv mit dem Journalisten. Im Internet definiert sie sich jetzt als „eine unabhängige, außenpolitische Agentur, die die US-Außenpolitik und nationale Interessen unterstützt.“ Der Rückblick auf ihr Bestehen 1953-1999 im Dienste des US-Außenministeriums trägt den signifikanten Untertitel: „Telling America’s Story to The World“. Tatsache ist jedoch, dass die USIA immer wieder von Geheim-diensten instrumentalisiert wurden und werden, insbesondere hinsichtlich der Verbreitung organisierter Desinformationskampagnen. Im Juni 1992 verfasste diese US-Regierungsbehörde einen Bericht für das Repräsentantenhaus, der sich mit den „Soviet Active Measures in the ‚Post-Cold-War’ Era 1988-1991“ befasste. Namentlich aufgeführt und mit einem eigenen Kapitel versehen (!) sind GEHEIM, „Top Secret“ und ihr Gründer Opperskalski. Angaben über weitere Redaktionsmitglieder und Autoren fehlen. Den anonymen Verfassern der offiziellen US-Publikation ist es besonders wichtig, die Bedeutung des Naming Names, also das Entlarven von Agenten der CIA und andere US-Dienste, sowie dessen Aussagekraft zu relativieren. Als Kronzeugen führen sie einen Überläufer des tschechoslowakischen Dienstes an, der 1980 in einer Anhörung vor dem US-Kongress behauptete, beim Naming Names handele es sich um eine sowjetische „Desinformationstechnik“.

Ein weiterer Punkt, der den US-Amerikanern besonders schmerzte, waren die Veröffentlichungen in „Top Secret“ über die Experimente mit dem AIDS-Virus in US-Militärlabors.

Im Mai 2003 behauptet ein gewisser Herbert Romerstein in einem längeren Artikel unter der Titelzeile „Cuba gehört zur Achse des Bösen“, GEHEIM sei Teil eines internationalen Netzwerkes, dessen Existenz belege, dass Cuba in den so genannten „internationalen Terrorismus“ verwickelt sei und eben deshalb zur „Achse des Bösen“ gezählt werden müsse. Und er nennt explizit GEHEIM, das seit Beginn der 90er Jahre einen „deutlichen cubanischen Geschmack“ habe. Als Beispiele für die angebliche „propagandistische Unterstützung für Terroristen“ durch GEHEIM führt er Artikel zur Verteidigung der 5 widerrechtlich in den USA eingesperrten cubanischen Patrioten oder zur Verteidigung des irakischen Volkes sowie eine nicht existente publizistische „Verteidigung der Abteilung von Al-Quaida auf den Philippinen, Abu Sayaf“ an. Der Mann ist nicht irgendein durchgeknallter Wirrkopf, sondern zählt zu den geheimdienstlich angebundenen, prominenteren Propagandisten der Neokonservativen in den USA, war jahrelang als Berater oder Gutachter für diverse Senats- und Kongressausschüsse sowie die staatliche Agentur USIA tätig. Er unterstreicht die Forderung geheimdienstlich angebundener neokonservativer Kreise in den USA nach verstärkten Destabilisie-rungskampagnen gegen Cuba sowie die Verfolgung kritischer Personen wie der GEHEIM-Redakteure als „Terroristen“ – Guantánamo lässt grüßen ...

Auch im Fadenkreuz bundesdeutscher Dienste

Zeitlich parallel zu den Publikationen in den USA gingen in Deutschland diverse Aktivitäten gegen GEHEIM-Autoren von der Bühne.

Im Oktober 1991 hatte der BfV-Präsident Eckart Werthebach im Zuge einer operativen Maßnahme behauptet, in der Zeitschrift würden „zahlreiche ‚Linksextremisten’“ mitarbeiten. Die Maßnahme richtete sich damals gegen Dr. Thilo Weichert. Der Jurist kandidierte für das Amt des Landesbeauftragten für den Datenschutz in Brandenburg. Später stellte ein Gericht fest, dass das BfV rechtswidrig ein Dossier über Weichert weitergegeben hatte. Die Bundesregierung wollte 1992 nicht darauf antworten, worauf ihre Erkenntnisse über die „zahlreichen ‚Links-extremisten’“ in GEHEIM herrührten. Diesmal zog sie nicht „Geheimhaltungsgründe“ für ihre unzureichende Antwort heran, sondern zur Abwechslung „Rechtsgründe“.

1993 starben unter zweifelhaften Umständen der RAF-Aktivist Wolfgang Grams und der GSG9- Beamte Newrzella bei einer BKA-Operation in Bad Kleinen. Ende 1993 reagierte GEHEIM mit einer Sonderausgabe auf die Ereignisse. Zu den Autoren zählte auch der Polizist und grüne Bundestagsabgeordnete Manfred Such.

Die Retourkutsche kam im nächsten Jahr – direkt mehrmals. Am Dienstag, den 8. November 1994, um 07:00 Uhr, drang ein BKA-Kommando in Michael Opperskalskis Wohnung und Büroräume ein. Der Grund für die Untersuchung lautete: „Stasi-Verdacht“. Die Bundes-anwaltschaft verdächtigte den Journalisten, in den 80er Jahren für das Ministerium für Staats-sicherheit (MfS) sowie den kubanischen Geheimdienst gearbeitet zu haben. Während die Durch-suchung andauerte, brachten BKA-Beamte den GEHEIM-Redakteur in die Außenstelle nach Meckenheim. Opperskalski berichtete am 23. November 1994 im Interview mit der belgischen Wochenzeitung „Solidaire“ von dem Verhör: „So sagte man mir, ein mir niemals namentlich genannter ehemaliger Offizier des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) hätte ausgesagt, dass ich als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) für das MfS gearbeitet hätte, und zwar aufgrund meiner hervorragenden Kontakte in Afrika und Lateinamerika als Perspektivagent. Zudem sei ich im Auftrag des MfS verantwortlich für ‚Desinformation’ gewesen, um westlichen Geheimdiensten und Interessen zu schaden. Diese ‚Desinformation’ hätte ich über die Magazine GEHEIM und Top Secret sowie andere Medien lanciert. Für all diese Tätigkeit hätte ich vom MfS dann die stolze Summe von DM 2000 alle drei Monate bekommen. Ich hätte mich regelmäßig in der Hauptstadt der DDR, Berlin, mit ‚meinem Führungsoffizier’ getroffen und sei im MfS unter dem Code-Namen ‚ABRAHAM’ gelaufen. Allerdings, so gab es selbst der Denunziant beim BKA in seinem offiziellen Verhör zu, hätte ich niemals irgendetwas unterschrieben, das meine angebliche Agententätigkeit ‚beweisen’ könnte. Mir wurden auch keinerlei Dokumente oder andere ‚Beweise’ für die aus der Luft gegriffenen Anschuldigungen vorgelegt, die einzig und allein auf den denunziatorischen und konstruierten Aussagen eines angeblich existierenden ehemaligen Offiziers des MfS basieren!“ Beim BKA setzte man daher auf psychischen Druck, um den Journalisten zu entsprechenden Aussagen zu verleiten. Opperskalski erinnert sich: „Zunächst sagte man mir, man hätte nur einige Fragen und ich könne nach deren Beantwortung nach Hause gehen. Am Abend wurde ich jedoch vorläufig festgenommen und in das Polizeigefängnis nach Bonn gesperrt, da ich nicht die Aussagen gemacht hatte, die der Staatsanwalt und die verhörenden Beamte des BKA wohl hören wollten.“ Währenddessen ging die Durchsuchungsaktion weiter. „Die haben ziemlich viel Material mitgenommen, bezeichnenderweise kaum Material, das man in Beziehung mit den Tatvorwurf bringen könnte, hauptsächlich jedoch Material, das mit meiner journalistischen und politischen Arbeit in Verbindung steht: Adressenkarteien, Kopien von auf meinem Computer abgespeicherten Dateien, Notizzettel, Photographien von internationalen Konferenzen, Computerdisketten, Zeitungsartikel und Flugblätter, Informationen über Korea, Südafrika, Kuba, Angola...“

Schon damals vermutete Opperskalski, dass der „Stasi-Verdacht“ nur als Vorwand diente: „Meine journalistische Tätigkeit ist nicht nur den Geheimdiensten der BRD, sondern des gesamten imperialistischen Lagers ein Dorn im Auge. Beide Magazine, GEHEIM und Top Secret, ...beschäftigen sich mit imperialistischen Destabilisierungen und Strategien, bei denen die Geheimdienste eine nicht zu unterschätzende Schlüsselrolle spielen.“

Ein Verdacht liegt auf der Hand

Mit Blick auf die oben genannten US-Quellen fällt auf, wie der Verdacht der Bundesanwaltschaft den Bewertungen und Spekulationen von USIA und Peake folgt. Die Frage ist, ob die Anklagebehörde und ihr zuarbeitende deutsche Dienste sich von der CIA fernsteuern ließen oder eigenständig handelten.

Unmittelbar nach Bekanntwerden der Verhaftung fanden weltweit Protestaktionen vor deutschen Vertretungen statt. Zahlreiche Solidaritätserklärungen gingen bei Opperskalski ein. Wochen später erhielt Michael Opperskalski die beschlagnahmten Unterlagen wieder. Die Bundesanwaltschaft konnte ihren Verdacht nicht erhärten.

Bleibt also nach wie vor die Frage, ob die CIA ihre bundesdeutschen „Partnerdienste“ bei den Aktionen gegen Opperskalski „anleitete“. Nur eine Öffnung aller Geheimdienstarchive könnte hier Klarheit schaffen.

Trotz des Fehlschlages bei der Diffamierung von GEHEIM ließen die bundesdeutsche Dienste nicht locker und versuchten, ihre Schwarte anderweitig auszuwetzen.

Die Bundestagsgruppe der PDS engagierte den damaligen GEHEIM-Redakteur Hans-Peter Bordien als ihren Berater. 1995 stufte der Sicherheitsbeauftragte des Bundestages ihn nach erfolgter „Sicherheitsüberprüfung“ als „Sicherheitsrisiko“ ein. Der Grund: Seine Tätigkeit in GEHEIM.

1995 erfolgt die Nennung der Zeitschrift im „Verfassungsschutzbericht 1994“. Sie sei „linksextremistisch“, heißt es dort. Die Wochenpost (27.7.1995), die FAZ (28.7.1995) und die rechtsextreme Junge Freiheit (28.7.1995) reagieren mit entsprechenden Kampagnen auf die Verlautbarung der Schlapphüte aus Köln. 1996 geriet dann der GEHEIM-Redakteur Rolf Gössner in die Schlagzeilen. Der Rechtsanwalt und Berater der Grünen im niedersächsischen Landtag hatte beim BfV um Auskunft über seine Akte nachgefragt. Aus der Antwort ergab sich, dass der Geheimdienst Gössner seit einem Vierteljahrhundert beobachtete. Die Spione lasteten ihm an, dass Artikel von ihm in „linksextremistischen“ oder „linksextremistisch beeinflussten“ Zeitschriften erschienen seien. GEHEIM stand dort neben den „Blättern für deutsche und internationale Politik“ und „Demokratie und Recht“. Gegen Gössners Bespitzelung protestierten unter anderem zahlreiche Schriftsteller, von Carl Amery über Lew Kopelew und Erasmus Schöfer bis hin zu Gerhard Zwerenz. Der Verband Deutscher Schriftsteller forderte die Einstellung der Überwachung und die Offenlegung aller gespeicherter Daten. Im „Verfassungsschutzbericht 1995“ war GEHEIM nicht erwähnt worden. Nach der Bericht-erstattung über Rolf Gössners Bespitzelung tauchte die Zeitschrift erwartungsgemäß in der Ausgabe des Jahres 1997 auf.

2002 fällt der Name GEHEIM wieder bei der Antwort der rotgrünen Bundesregierung auf eine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion. Demnach rechnet das Bundesministerium des Innern GEHEIM weiterhin als Teil des „linksextremistischen Spektrums“ ein.

Leider häufen sich in jüngerer Vergangenheit Verleumdungskampagnen gegen GEHEIM-Redakteur Opperskalski in linken Kreisen (vgl. dazu auch: GEHEIM, Nr. 2/02). Dort wird behauptet, dieser arbeite für den „Verfassungsschutz“. Indizien weisen darauf hin, dass es eben jener Inlandsgeheimdienst ist, der dieses Gerücht in die Welt setzte, um den GEHEIM-Redakteur zu diskreditieren. In eine ähnliche Richtung zielte vor geraumer Zeit die Behauptung, Opperskalski arbeite für den britischen Geheimdienst.. Das Ziel dieser Diffamierungs-kampagnen liegt ganz offensichtlich auf der Hand. Die Redakteure von GEHEIM sollen gezielt diskreditiert werden, um sie für den Fall erneuter, direkter Repressionen notwendiger Solidarität zu berauben und sie bereits jetzt unglaubwürdig zu machen.

Gespenster sieht die Redaktion trotzdem nicht und bereitet in aller Ruhe und der nötigen Umsicht auf die nächsten Ausgaben vor – in der Gewissheit, dass eines Tages auch die Archive von BND, BfV und MAD in Camp Nikolaus, der Merianstraße 100 und dem Heeresamt in Köln für interessierte Bürgerinnen und Bürger offen stehen.

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Solidarität mit dem KSM

Erklärung des Bundes der Kommunistischen Jugend Böhmens und Mährens (KSM) - Prag, 7. 3. 2006

Der Kampf des KSM, der vom Innenministerium der Tschechischen Republik angegriffen wurde, ist in eine neue Phase getreten. Der KSM, der die kommunistische Bewegung, Ideen und Ziele, das positive sozialistische Programm und die grundlegenden demokratischen Rechte und Freiheiten (Meinungsfreiheit, des Rechtes auf Versammlung etc.) verteidigt, setzt seinen Kampf um Legalität fort. 

Die antikommunistischen Kampagnen - unterstützt auch durch den Staat, der die Kommunistische Bewegung in der Tschechischen Republik Jahre hindurch als Zielscheibe sah, - haben in letzter Zeit an Intensität zugenommen. Aber sie sind auch auf eine mächtige Wider-standsbewegung getroffen.

Eine enorme Welle der internationalen Solidarität, Proteste und Demonstrationen von politischen Parteien, Organisationen, der Jugend- und der Studentenorganisationen, bürgerliche Verbindungen, Gewerkschaften und auch einer Vielzahl von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in den Bereichen Politik, Kultur, Wissenschaft und Kunst (z. B. des italienischen Nobelpreisträgers Dario Fo) sowie einer weiteren große Anzahl von Menschen aus aller Welt gaben den antidemokratischen und antikommunistischen Angriffen des Staates eine entschlossene Antwort.

Die Weltvereinigung der Demokratischen Jugend (WFDY), etwa zehn Millionen von jungen Menschen vertretend, hat ihre volle Solidarität mit ihrer Mitgliedsorganisation KSM erklärt.  WFDY organisierte für den 27. Februar 2006 einen internationalen Tag der Solidarität mit dem KSM. 

Es war sehr wichtig, dass es internationalen Widerstand gegen den antikommunistischen Resolutionsentwurf des EU-Parlamentsrates und insbesondere der darin enthaltenen Empfehlungen durch eine bedeutende Zahl von Abgeordneten der parlamentarischen Versammlung des Europarats gab, der als „Legitimierung" für antikommunistische Angriffe europaweit dienen sollte und als Debakel endete. Es zeigt, wie wichtig es ist, sich in jedem Land jedwedem antikommunistischen und antidemokratischen Angriff zu widersetzen. Es muss die Verbindung zwischen all jenen Angriffen in allen Ländern, auf allen Ebenen, in allen Bereichen begriffen werden. Es ist eine einheitliche Offensive. Und daher ist die internationale Solidarität so wichtig: Es gibt eine gemeinsame Antwort und gemeinsamen Widerstand! Unsere Einheit ist ein großer Erfolg. 

Der Angriff auf unsere Organisation ist klar politisch motiviert. Um dem angedrohten Verbot zu entgehen, sollten wir uns bis zum 4. März von unserer theoretischen Plattform verabschieden. Das Ministerium für Innere Angelegenheiten hat uns aufgefordert, nicht nur unser Statut, sondern auch unser Programm zu ändern.

Die Repräsentanten des KSM, dem das Ultimatum gestellt wurde, haben am 1. März 2006 den Vize-Minister des Ministeriums für Innere Angelegenheiten getroffen und ihm ein Schreiben übergeben, in dem das KSM den Angriff des Ministeriums zurückweist und den den Charakter, die Ziele des Programms und die marxistischen Prinzipien des KSM verteidigt.

Der Druck der internationalen Solidaritätsaktivitäten für den KSM hat bereits Früchte gezeitigt. Der Vize-Minister behauptete, dass das Ministerium mit dem KSM in Gespräche eintreten möchte, was eine große Änderung im Vergleich mit dem vorhergegangenen Verhalten des Ministeriums darstellt. Das Ministerium für Innere Angelegenheiten hat noch zwei oder drei Wochen Zeit (also bis 17. oder 27. März ungefähr) vorgegeben, um seine weiteren Schritte zu verkünden. Es wurde auch ausdrücklich die internationale Solidaritätskampagne mit dem KSM erwähnt und deren Auswirkung auf die Behörden der tschechischen Republik bestätigt. Die Internationale Solidarität war also erfolgreich.

Man kann daraus die Schlüsse ziehen, dass das Ministerium für Innere Angelegenheiten der tschechischen Republik einerseits seine Anklagen gegen den KSM wiederholt und auf ihnen besteht, aber andererseits teilweise seine vorherige Verweigerung der Kommunikation mit dem KSM beenden und sein Interesse an Verhandlungen zeigen muss. Es bedeutet aber auch, dass das Ministeriums für Innere Angelegenheiten weiter Druck auf den KSM ausüben wird und die Möglichkeit der Illegalität des KSM weiter als Drohung aufrecht bleibt. Dennoch hat der enorme internationale Druck das Verhalten beeinflusst.

Die internationale Solidaritätskampagne mit dem KSM hat bis jetzt die Legalität des KSM gewährleistet, aber der Kampf darum geht weiter, denn die Repressionen der Organe des  Tschechischen Staates werden zunehmen.  Es ist daher wichtig auch unsere gemeinsamen Bemühungen zu steigern, um den Angriff des Ministeriums für Innere Angelegenheiten endgültig zu besiegen. 

Liebe FreundInnen, wir bitten Sie daher freundlich, die Solidaritätsaktionen fortzusetzen. Wir möchten Sie informieren, dass Sie folgende Petitionen unterzeichnen können: 

4ksm.kke.gr (eingeleitet durch die kommunistische Partei von Griechenland)

wfdy-ksm (eingeleitet durch die Weltvereinigung der demokratischenn Jugend, WFDY)

campagnaproKSM@libero.it (eingeleitet vom italienischen Solidaritätsausschuss)

Sie können Ihre Proteste auch dem Ministerium für Innere Angelegenheiten der Tschechischen Republik schicken: Vnitra Ministerstvo, oddelenivolebni ein sdruzovani, namesti Hrdinu 3, 140 21 Telefax der Tschechischen Republik Praha 4: 

Über E-mail ++420 974 816 872: stiznosti@mvcr.cz; benesova@mvcr.cz; krivova@mvcr.cz können Sie Ihren Protest zu den Diplomatischen Vertretungen der Tschechischen Republik schicken. Ihre Adressen sind auf der folgenden Internet-Seite: www.mzv.cz bitten wir Sie gleichzeitig, Kopien Ihrer Proteste auf unserer E-mail zu senden: international@ksm.cz oder auf Telefax:  ++420 222 897 449. 

Mit Ihrer internationalen Unterstützung ist es möglich den lebenswichtigen, den endgültigen Sieg zu erreichen. 

Hoch die Internationale Solidarität! Es lebe der Bund der Kommunistischen Jugend Böhmens und Mährens!

KSM, Prag, (Übersetzung Lisl Rizy, Wien)

 Anmerkung der Redaktion: Wir haben, wie Ihr ja wisst, im Januar-Heft zu einer Solidaritäts-Unterschriftenaktion für die jungen Genossinnen und Genossen vom KSM aufgerufen. Die bereits bei uns eingegangenen Unterschriften haben wir an die Adresse der KSM weitergeleitet. Bei der Vielzahl von Aktionen zur Unterstürtzung des KSM sehen wir davon ab, weiterhin eigenständig Unterschriften zu sammeln und bitten Euch, eine der oben angegebenen Möglichkeiten zu nutzen. Falls Ihr damit nicht zurecht kommt, könnt Ihr uns selbstverständlich Eure Protestunterschrift zusenden – „Ich protestiere gegen das drohende Verbot des Bundes der Kommunistischen Jugend Böhmens und Mährens“, Name, Adresse, Datum, Unterschrift - wir leiten sie dann weiter. (Red. Offensiv)

Anreiz zur Diskussion

Hansi Oehme: Ulbrichts Linie: Kampf dem Hauptkriegstreiber der Welt und dem Hauptfeind der demokratischen Kräfte Europas, Kampf dem deutschen Imperialismus!

oder: Warum Stalins Geistesbruder auch nach 1956 Revolutionär Deutschlands bleiben konnte

Die politische Linie Walter Ulbrichts wird hier nur angedeutet, unter anderem anhand der Erfolge der 3. Internationale sowie anhand der theoretischen Aufweichung im Zuge des Verfalls der Bewegung in Ost und West seit spätestens 1970. Dabei werden einige Steine gehoben werden, unter denen in feuchter Kühle obskure, zutiefst antiproletarische und imperialistische Theorien überwintern konnten. Sieh dich vor, Genosse. Ich komme nicht umhin, über diese Theorien zu schimpfen wie ein Bengel. Man versehe es mir. Andererseits ist mir bewußt, daß der Versuch nicht erschöpfend ist. Er kann die Maße des Revisionismus und Opportunismus gar nicht fassen, die sich schrittweise – hervorzuheben wären allenfalls die Jahre 1956, 1971, 1989 – immer mehr ausbreiteten und uns heute lähmen wie Zementbad und Schlangenbiß. Schauen wir, wer nach dem Tode von Marx und Engels in entscheidender Situation orientiert war. Wir werden von Karl Liebknecht sprechen, von Walter Ulbricht und von uns. Das ganze wäre auch „Kritik der antiimperialistischen Ideologie“ titulierbar gewesen, aber ich will die gewisse Attraktivität Ulbrichts fruchtbar machen und faßbar machen – warum Stalins Geistesbruder auch nach 1956 Revolutionär Deutschlands bleiben konnte.

I – Was nützt uns Liebknechts Bruch mit der SPD?

Zwei Vermächtnisse Karl Liebknechts liegen ungeerbt auf den kalten Straßen Deutschlands herum.

Erstens: "Klarheit vor Einheit" (oder: Wissenschaft vor „Konsens“. Oder: "Für den wissenschaftlichen Konsens, für die KPD!") haben viele Kommunisten im antifaschistischen Abwehrkampf oder im diplomatisiert-kodierten Gegensatz der sozialistischen Parteien- und Länderpolitik angesichts des Revisionismus (bspw. DDR - SU) aus den Augen verloren. Zeitweilige Bündnisse in vielen Fragen („Sozialpolitik, Antirassismus, Antimilitarismus“ etc.) sind zweifellos möglich und nützlich. Antifaschismus ist zweifellos das mögliche und nötige BÜNDNIS.

Organisatorische Einheit der Kommunisten jedoch erfordert Klarheit. Und umgekehrt: unklare Orgaeinheiten der Kommunisten sind Lügeneinheiten, die wissenschaftlich anzugreifen keine Schande, sondern kommunistische Pflicht ist. Rücksicht führt nicht zu Klarheit. Die Unklarheit ist rücksichtslos zu beseitigen und die Kommi-Organisation keinen Pfifferling wert gewesen, die an der Findung der Wahrheit zugrunde geht. Es fällt auf den Kommunismus zurück, wenn sich Unklare seiner bemächtigen. Karl Liebknecht hatte nichts verloren und eine Revolution halb gewonnen (wenigstens subjektiv), als er die SPD zerdrosch. Dieses organisationspolitische Vermächtnis von Karl Liebknecht geht aufzuheben nur durch inhaltliche Klärung, „Selbstverständigung“ (Marx im Vorwort zur Kritik der politischen Ökonomie; MEW 13, 10) unter Kommunisten, Erzielung der Klarheit. Dabei hilft:

Zweitens: Die Karlheit-Klarheit schlechthin (Karl ist sowieso ein edler Name, ja?), welche aus geschichtlichen, täglich zu überprüfenden Gründen als strategische Haupt-Kampfaussage der Kommunisten in Deutschland (und an anderem Ort) gelten kann. Karls Klarheit entstand im 1. imperialistischen Weltkrieg und wurde von ihm in flammender Rede und auf revolutionärem Flugblatt so formuliert: "Der Hauptfeind jedes Volkes steht in seinem eigenen Land! Der Hauptfeind des deutschen Volkes steht in Deutschland: der deutsche Imperialismus, die deutsche Kriegspartei, die deutsche Geheimdiplomatie. Diesen Feind im eigenen Lande gilt's für das deutsche Volk zu bekämpfen, zu bekämpfen im politischen Kampf, zusammenwirkend mit dem Proletariat der anderen Länder, dessen Kampf gegen seine heimischen Imperialisten geht."

Die in diesem Zitat formulierte, für Deutschland klassische Absage an den Sozialchauvinismus und Opportunismus der II. Internationale bedarf einer gewissen Kommentierung oder Verteidigung gegen einige Anwürfe. Der politische Gehalt von Liebknechts Position wird allemal unterschätzt. Er war der Revolutionär mit dem Rücken an der Wand, der Brecher mit dem Opportunismus der II. Internationale in Deutschland, sehr allein, und das ist kein Vorzug. Nicht ist unser Ziel, allein zu sein mit einer richtigen Feststellung uind Forderung. Wir wollen, daß die revolutionäre Theorie, das revolutionäre Bewußtsein die Massen ergreife. Wir wollen revolutionär kämpfen und nicht für die Reaktion fechten. Wir wollen wissen, welchen Aufstand wir eigentlich vorbereiten, wollen um Himmels willen nicht einfach losschlagen. Wir wollen dafür Liebknecht überprüfen, auf Gültigkeit heute.

Aus Liebknechts Vorschlag leiten sich heute Forderungen ab, die noch anzuführen und auszuarbeiten sind. Es ist ratsam, die nationale Form des Klassenkampfes zu beachten, wozu Liebknecht eine weise Anleitung gab. Bei Beachtung der Besonderheiten des deutschen Imperialismus läßt sich von der kommunistischen Strategie eines doppelten Angriffs auf den deutschen Imperialismus sprechen: „vom Boden der annektierenden BRD und vom Boden der annektierten DDR aus“ (wie es die Resolution „Eine Organisation in zwei Ländern“ der FDJ tut, leider wieder recht alleinstehend). Internationalismus heißt angesichts der ökonomischen Tatsachen: Gegen Deutschland und Europa sein und den europäischen Angriff des Proletariats gegen den deutschen Imperialismus organisieren, den nationalen antideutschen Abwehrkampf gegen die deutschimperialistische Vereinnahmung nicht nur zu „erlauben“, sondern von Deutschland aus zu unterstützen, gleichzeitig die deutschen Imperialisten direkt zu attackieren. Nur mit diesem Bewußtsein können wir heute zu den Waffen rufen, andernfalls die Proletariate aller Länder sich gegenseitig abknallen. Wir dürfen nicht wieder den Weltkrieg „von links“ mitverantworten.

Der Karl Liebknecht war perfid und schlau genug, uns mit seiner Kampfstrategie einen Kompaß nicht nur für wirkungsvoll unvereinnahmbaren Antimilitarismus, sondern vor allem für gezielte Machteroberung zu basteln, ja zu schmieden. Sind wir die rote Opposition leid? Wollen wir die Werke errichten, die der staunenden Welt die Kraft des Sozialismus zeigen? Dann sollten wir Liebknechts Vorschlag beherzigen, seine einzigartig revolutionär-antiimperialistische Strategie, deren Antiimperialismus nicht reaktionär ist, die einzig internationalistische Haltung, die nicht die Völker unterhalb der Knute dieses oder jenes Kapitalisten auch noch verrührt und gegeneinander führt.

Allerdings darf man Liebknechts Sentenz auch nicht überschätzen. Er formuliert nur die Grundlage der revolutionären Organisation in Deutschland, nicht aber ihre Aufgaben im einzelnen, die man sich schon selber erarbeiten muß – natürlich möglichst organisiert. Die ganze Theorie Liebknechts umfaßt weitere Erkenntnisse und Positionen. Man kann sich ja später den nächsten Satz von Liebknecht holen – wenn man diesen ersten vom Hauptfeind begriffen, ins Bewußtsein gehoben hat.

Klassische und moderne Einwände gegen Liebknechts strategischen Vorschlag

Gänzlich befreit vom „Gespenst“ des Marxismus hatten die deutschen Sozialdemokraten den Weltkrieg mitangezettelt, ideologisch vorbereitet, hatten die Arbeiterheere bereitgeschwätzt, den Krieg an der Front zu gewinnen und nicht daheim. Doch der Krieg ging nur zu Hause zu lösen. Das erkannte Karl Liebknecht.

Kann man ohne diese Erkenntnis antiimperialistisch kämpfen? Wer ist überhaupt Imperialist im Welt-Imperialismus? Und was sagt die Imperialismustheorie über das Entstehen und Vergehen imperialistischer Mächte aus? Ist „Deutschland“ heimischer Imperialist? Wird „Deutschland“ nicht selbst imperialistisch unterjocht? Und ist es ein desorientierender Frevel oder doch eine wichtige Aufgabe, andere Imperialisten zu kritisieren und zu bekämpfen? Und wer ist Deutschland, wer BRD und wer (Monopol-)Bourgeoisie? Verstellt Liebknecht mit seinem Kampfverständnis nicht den Blick für den objektiven, revolutionären Weltprozeß, für die Weltrevolution? Und verletzt er nicht das proletarisch-internationalistische Empfinden? Und was ist Internationalismus? Droht bei der vorgeschlagenen Strategie nicht eine Art Konservativismus und kleinbürgerlicher Antiimperialismus? Wie machen wir den Antiimperialismus fortschrittlich? Reicht es für die Revolution aus, gegen „den Imperialismus“ zu sein? Und weiter: Warum kämpft in Deutschland „das Volk“, in den anderen Ländern hingegen das „Proletariat“? Und warum sollte ausgerechnet Deutschland Weltkriegspartei sein? Und ist die militärische Dominanz der USA nicht zu erdrückend? Und ist der militärische Ausrüstungsgrad überhaupt entscheidend für die Weltkriegsfrage? Und widersprechen sich Liebknecht und Lenin nicht? Sagt Lenin nicht: „Das Kapital ist eine internationale Kraft. Um sie zu besiegen, bedarf es des internationalen Bündnisses der Arbeiter, ihres internationalen brüderlichen Zusammenschlusses“? Das scheint doch ein zu großer Widerspruch zu sein! Einige Antworten sollen angedeutet sein.

Wer ist denn Imperialist, wer Feind? Für Klarheit über Kapital als Kapitale, nationale Bourgeoisien, europäischen Imperialismus und Weltimperialismus

Wer über Liebknechts doppelten Vorschlag, „Klarheit vor Einheit“ und „Der Hauptfeind steht im eigenen Land und heißt: Deutscher Imperialismus“, die Nase rümpft angesichts der "ganz anderen Situation heute" und der "bösen USA" etc. (bis hin zum Ausruf einer "Anti-Bush-Koalition" oder zum Liebäugeln mit einem "zeitweiligen Bündnis mit dem deutschen Imperialismus"), sei auf die imperialismustheoretische Erkenntnis hingewiesen, daß die Imperialismusepoche mit der Weltaufteilung einsetzt. In neuen Weltsphären betreibt Kapital weniger ursprüngliche, sondern eher hochimperialistische Akkumulation, wenn überhaupt vor lauter Krisen. Es ist daher äußerst schwierig, schier unmöglich, eine neue imperialistische Macht aufzubauen, und seit 100 Jahren nicht vorgekommen. Es ist schwierig für junge nationale Bourgeoisien, sich zu Monopolbourgeoisie hochzuarbeiten. Die neuen Imperialisten sind die alten, sind die alten kapitalistischen Großmächte. Die Pfründe, die Produktionsmittel sind verteilt unter 5 von 6 der alten Mächte: Deutschland (spät!), England, Frankreich, Japan (spät!), USA (alphabetisch, nicht politisch sortiert ...). Rußland einzuordnen ist momentan schwer. Es hat ja auch einiges an Revolution hinter sich. Ebenso das junge China. Sie imperialistisch zu nennen wäre überzogen. Rußland und China können aus ihrer sozialistischen Akkumulationsperiode bei politischer Rückkehr zu imperialistischen Mächten verwandelt werden. Das wäre zu überprüfen. Ansonsten gilt im Großen, daß keine imperialistische Macht ohne sozialistische Revolution stirbt und auch keine neue dazukommt.

Südafrika, Israel, Kanada oder Australien als imperialistische Mächte zu bezeichnen ist daher schlicht antikommunistisch, indem es einen revisionistischen, unleninistischen Begriff von Imperialismus zugrundelegt. Umgekehrt Frankreich oder besonders England um ihrer relativen ökonomischen Schwäche gegenüber Deutschland willen als nicht-imperialistisch zu deklarieren ist im Grunde dasselbe. Trotz des beispiellosen weltökonomischen Niedergangs Englands in den letzten 60 Jahren hat es sich als imperialistische Mittlermacht gehalten und bildet ein sowohl von der EU als auch von den USA weitgehend unabhängiges politisches Gemeinwesen, wie nicht zuletzt die Interventionen in Sierra Leone und Westafrika zeigten, wenn auch der jüngste Ausverkauf von Englands kompletter Autoindustrie und beachtlicher Teile des Maschinenbaus und der Telephongesellschaften eine Vernichtung der englischen imperialistischen Bourgeoisie bewirken können.

Wie beenden wir die imperialistische Formation bewußt?

Gelegentlich fragt sich, ob Liebknecht nicht den Blick für den Weltprozeß verstellt. Sicher mögen einige Pfaffen dieser Hauptfeindstrategie in sektiererischer Weise Überbedeutung beigemessen haben. Das Liebknechtzitat enthält nicht mal eine Epochenbestimmung, geschweige eine umfassende Erklärung unserer Aufgaben beim Kampf gegen den deutschen Imperialismus. Es mahnt nur diesen Kampf an, appelliert, fordert die Beachtung der nationalen Geschichte und Situation. Liebknecht hat einfach im Manifest der KP nachgeschaut: „Obgleich nicht dem Inhalt, ist der Form nach der Kampf des Proletariats gegen die Bourgeoisie zunächst ein nationaler. Das Proletariat eines jeden Landes muß natürlich zuerst mit seiner eigenen Bourgeoisie fertig werden“, und hat es seinen Leuten erläutert. Nicht alle Probleme lassen sich damit lösen. Aber momentan, angesichts der unheilvollen Allianz von Wessigestalten, unter denen seit 1990 der „Antiimperialismus“-Antiamerikanismus schlicht explodiert (wofür noch Beispiele angeführt werden ...), und PDdeSorientierten Ossis, die sich bei der neuen linken Phraseologie vom Weltimperialismus an alte Schultage in der DDR erinnern (wofür noch Beispiele angeführt werden ...), sollte die kommunistische Propaganda schon dem Trend der Europa-Apologie und Deutschfreundlichkeit entgegenwirken und dabei nicht unterlassen, die auch im Osten auf Gehör stoßenden Illusionen zu zertrümmern, daß die BRD mal besser gewesen sei und gerechter, ein „Sozialstaat“, den es wiederzuerkämpfen gelte, und so weiter die romantische Leier. Karl kommt da wie gerufen. Er redet ganz von „Staat und Revolution“, wie schon Lenin sagte, denn ihm ist die Revolution nur Weltrevolution, wenn sie den Staat packt. Am Staat vorbei kann die Revolution nicht zwei Schritt weit kommen, sie fängt beim Staat an mit dem Revolutionieren. Der Imperialismus geht nur zu beenden, wenn man seine Herrschaft durchbricht und den ersten Stein schmeißt und den Sozialismus in seinem Lande aufbaut. (Liebknecht spricht es nicht aus. Weiß er es? Verschweigt er es?)

Sicher feit diese Strategie nicht automatisch vor einer Art Konservativismus, denn sie ist Negation, die nicht die kommunistische Negation der privateigentümlichen Negation der Urgemeinschaft formuliert, mithin bloßer Anti-Standpunkt, worunter sich allerlei konservatives Kleinbürgertum versammeln kann. Hier ist aber zu sagen, daß die kapitalistische Vergesellschaftung nicht um jeden Preis vor sich gehen darf, mitunter also eine kleindeutsche Lösung besser ist als eine großdeutsche, ein kleinbürgerlicher Antiimperialismus gesünder als ein großdeutscher Imperialismus, ein kleiner Frieden besser als ein großer Krieg. Außerdem ist es erstrebt, daß in ernsten gesellschaftlichen Situationen konservative Kleinbürger das Proletariat bei antiimperialistischen Aktionen unterstützen. 1933 hätte das gut getan, und das „Grüß Gott!“ bayrischer Konservativer gegen das „Heil“-Gegröle war ein ideologisches Räsonement gegen den Hitlerfaschismus – allerdings ein für sich perspektivloses.

Das Proletariat muß sicher mit tiefgehenderen Forderungen und Strategien ausgestattet werden, als sie bloß in dem ollen Flugblatt von 1915 formuliert sind. Aber der es mit Liebknecht hält, wird nicht in die Verlegenheit kommen, Kriegskrediten zuzustimmen (denn einmal hat es dem Karl schon gereicht, danach ist er gegangen und hat den Spartakusbund aufgemacht!) und auch nicht in die, falschen Frieden mit der eigenen Bourgeoisie gegen (partiell sogar gerechten! Fragt nur die KP Iraks) Krieg der Fremdbourgeoisie zu verteidigen und den Klassenburgfrieden zu verkünden. Wer es mit Liebknecht hält, kämpft schon mal im Lande. Wer es nur mit Venezuela und gegen die USA hält, kommt über Spendensammeln nicht hinaus und trifft auf Friedensdemos die deutsche Regierung.

Das beleidigt das proletarisch-internationalistische Empfinden? Lenin betont gegen die opportunistischen Internationalisierer: „Es gibt nur EINEN wirklichen Internationalismus: die hingebungsvolle Arbeit an der Entwicklung der revolutionären Bewegung und des revolutionären Kampfes IM EIGENEN Lande, die Unterstützung (durch Propaganda, durch moralische und materielle Hilfe) EBEN EINES SOLCHEN KAMPFES, eben einer solchen Linie und NUR EINER SOLCHEN ALLEIN in ausnahmslos ALLEN Ländern.“ (LW 24, 60. Die Hervorhebungen habe nicht ich mir ausgedacht. Das war Lenin!) „Ein Volk, das andere unterdrückt, kann sich nicht selbst emanzipieren“, sagt F. Engels, und ein DDR-Lehrbuch fügt hinzu: „Denn es stellt sich auf die Positionen der eigenen Ausbeuterklasse, statt sie zu bekämpfen.“ Engels weiter: „Die Macht, deren es [Volk] zur Unterdrückung der andern bedarf, wendet sich schließlich immer gegen es selbst. Solange russische Soldaten in Polen stehen, kann das russische Volk sich weder politisch noch sozial befreien.“ (MEW 18, 527) Ich erinnere an den Hauptgegenstand meiner Kritik, an den deutschen Imperialismus, an Bundeswehrsoldaten in Polen und in der DDR. Wir haben einen weiteren Weg vor uns, als mancher „Kommunist“ suggeriert.

Was können wir von Lateinamerika lernen?

Verbietet Karl Liebknecht uns jetzt schon, aus den Befreiungskämpfen der Welt zu lernen? Im Gegenteil drängt er zu wirksamster praktischer Solidarität, zum Schritthalten mit den Bewegungen anderer Länder. Er verbietet auch keine solidarische Spendensammlung und Unterschriftenliste, sondern weist solchen Kampfmitteln den Rang, nachgeordnet zu sein – der Staatsfrage, der Machtfrage, der Hauptfeindfrage.

Wer Wert darauf legt, kann die Großartigkeit des venezoelanischen Aufbaus auch meinem Augenzeugenbericht entnehmen (das ist ja heute Mode!). Als FDJ-Delegierter der 16. Weltfestspiele der Jugend und Studenten in Venezuela konnte ich mich eigenen Auges und Hirnes vom revolutionärdemokratischen Charakter des Chavismus und der bolivarianischen „Sowjets“ überzeugen und die Fortschritte sowohl in Bildung, Hochschulbildung, Gerichtswesen und medizinischer Versorgung als auch in Kollektiverung der Landwirtschaft und Etablierung von Handelsgenossenschaften begutachten. Niemand beglückwünscht die Venezolaner und ihre glückliche Zusammenarbeit mit Kuba und Bolivien so wie ich. Aber dieser Sieg und Fortschritt dort mahnt nur dringlicher, die Aufgaben im eigenen Lande zu erledigen. Hier jedoch muß mein Augenzeugenbericht erwähnen, daß die deutsche Delegation selten mehr als Venezuela-Identität zu bieten hatte, sich Chavez-Schals umwickelte und Mitgefühl bekundete. Es nützt den Venezolanern sicher wenig, wenn man ihnen beteuert, daß sie „mal weitermachen“ sollen, um dann nach Hause in seine Sessel der deutschen Zufriedenheit zu fahren.

Das ist Skepsis gegenüber der Venezuela-Solidarität? Ich sage, wir sind langfristig und „nachhaltig“ nur dann solidarisch mit Venezuela, wenn wir den deutschen Imperialismus schwächen oder expropriieren. Venezuela ist Venezuela und in einem großartigen Prozeß begriffen. Aber mancher fühlt sich vom Chavismus unmittelbarer als nötig betroffen, und der „deutsche Chavismus“ verkommt schlicht zum bolivarianisch lakierten deutschen Chauvinismus, wenn alle Kampflust aus der Identifikation mit Venezuela gesaugt wird und der Hauptkampf dorthin verlegt wird und die antikoloniale Begeisterung übertragen wird auf die hochimperialistischen deutschen Verhältnisse. Überall versichern die Ossi-Reformsozialisten, man hätte nicht das Sowjetmodell auf die DDR übertragen sollen. Dabei war von der Sowjetunion viel mehr zu lernen, als wir in der DDR durchgezogen haben. Dieselben Reformsozialisten identifizieren sich nun überzogenerweise mit dem nationalen Aufstand Venezuelas („gegen das US-Imperium“), dessen Kern bisher in einer handvoll demokratischer Sozialprogramme und der Nationalisierung der Bodenschätze bestand, also in einer Reihe bürgerlich-demokratischer Maßnahmen. Die antifaschistisch-demokratische Umwälzung haben wir zwar in der BRD noch vor uns – ohne daß die Reformsozialisten das wüßten oder akzeptieren würden – aber wir waren auch schon weiter, in der DDR nämlich. Die Revisionisten aus der DDR, maßgeblich in der PDS sitzend, geben Demokratien für Sozialismen und Sozialismen für bloße Demokratien und weniger aus. Die DDR ist ihnen ständig nicht demokratisch genug, Venezuela aber schon die „Alternative zum Kapitalismus“. Insofern moniere ich, nicht zuviel von Venezuela zu lernen und nicht zu wenig von der DDR. Wenn die demokratischen Revolutionäre in Venezuela sich zur weltpolitischen Aufgabe machen, den Einfluß des US-Imperialismus zu schwächen, aber unser Beruf ist das nicht. Unsere Aufgabe ist grundanders. Im Gegensatz zu Venezuelas Situation gab es in Deutschland schon die verquere Situation, daß die Antifaschisten zusammen mit den Kommunisten GBs und der USA jene Länder zu Hilfe riefen beim sowjetischen Kampf gegen den Weltfaschismus und seine Hauptresidenz Deutschland. So sehr wir also einen demokratischen Prozeß initiieren müssen in Deutschland und nicht einfach den Kommunismus aus dem Boden stampfen können, so schädlich ist die Identifizierung mit Ländern von so grundanderer geschichtlicher Voraussetzung und anderem ökonomischen Entwicklungsgrad und anderer politischer Stellung im weltimperialistischen Gefüge, wie es die südamerikanischen sind.

Wie angedeutet ist der Erkenntnisprozeß ein schrittweiser. Wer also mit Venezuela zu begeistern und zu organisieren ist, hat sich durchaus entwickelt, und die Verbreitung solidarischer Freude mit Umwälzungen und Befreiungsbewegungen anderswo ist in der BRD sicher hilfreich, dem Antikommunismus und Antidemokratismus entgegenzuwirken. Aber wir müssen im Bewußtsein weitergehen und müssen dabei auch mit dem stehenbleibenden Venezuelarevolutionismus polemisieren, ihn überwinden. Wir dürfen Venezuela nicht allein lassen und dürfen uns nicht in der BRD hinlänglich befreit fühlen. Wir dürfen nicht „dem armen Venezuela“ vorwerfen, noch nicht unseren „wohlhabenden“ Status erreicht zu haben und dabei verkennen, in welcher imperialistisch-arbeiteraristokratischen Sackgasse wir stecken. Unsere Venezuela-Solidarität sei nicht affirmativ, sondern grundkritisch mit den deutschen Zuständen. Wir dürfen im Weltprozeß nie unseren Hauptfeind übersehen.

Was passiert schon, wenn wir Kommunisten mal den Hauptfeind übersehen?

Die Mißachtung des "Hauptfeind"-Grundstrategems der Kommunisten gerade in Deutschland hat fatale Folgen. Weltkriege zum Beispiel. Man schaut nicht mal seiner eigenen Bourgeoisie auf die Finger. Sonst schaut man überall hin, besonders nach den USA. Früher war es England oder Frankreich, später die Sowjetunion. Heute wird die Klassenfeindschaft eben auf die USA projiziert, jedenfalls schön nach außen. Aber damit erledigt man nicht die Aufgaben im eigenen Land. Nicht zuletzt kann ein "Kämpfer gegen den Weltimperialismus" oder damit identifizierten "US-Hegemonie-Imperialismus" nicht das schwache Glied in der Kette der imperialistischen Weltherrschaft finden und verbaut sich so den Weg zum Leninschen "Aufbau des Sozialismus in einem Lande". Die Theorie des "Sozialismus in einem Lande" berücksichtigt einfach die nationalen Besonderheiten im Klassenkampf auf einer höheren Stufe als die Hauptfeindparole, die sich noch unmittelbar gegen den imperialistischen Staat wenden muß, weil er noch existiert. Wenn also alle Imperialismen "einfach bloß imperialistisch" sind, reichen sich Proletkultler und Ökonomisten, Antiamerikaner und Antistalinisten unheilvoll die Hände, und das mitten in der trauten "Einheit" der kommunistischen Organisationen, vor unser aller Augen, in DKP, KPD, PDS und etc. und allen Zirkeln des Weltkommunismus. Helfe da der Karl, der gerade zur Hand ist! Und wir haben ja ihrer zweie, hilfreiche Genossen!

Die zwei Sätzchen weisen jedenfalls auf ein umfängliches Erbe hin, das uns der Revolutionär Karl Liebknecht da hinterlassen hat. Eigentlich aber auch wieder nicht. Die Sache ist schnell ausgesprochen. Kommunismus ist das Einfache. An uns ist es jedoch, das schwierige Machen, die Praxis zu meistern, wenn wir die Revolution erben wollen. Dafür bedarf es keiner neuen Theorie, sondern neuer Analyse mittels der alten Theorie.

Ein Plädoyer für Kritik der postsowjetischen romantischen Ideologie

Bitte revidieren wir also unsere Anschauungen gemäß der veränderten Weltpolitik seit 1990. Begreifen wir das 1990 und, wie es zu ihm kam. Hören wir auf, so zu tun, als lebten wir in den 80ern (einem schrecklichen Jahrzehnt) und als hätten wir eine Sowjetunion zu verteidigen. Wir leben im 1914 und müssen uns gegen den Opportunismus und den imperialistischen Weltkrieg verteidigen. Welche Revision ist dafür nötig? Die des Marxismus-Leninismus? Oder die der politischen Aussagen und Forderungen und Kampfstrategien seiner Protagonisten, der revolutionären Arbeiterkommunisten? Welche Lage sich auch wie ändert, der Marxismus ist mächtig, wenn wahr und wird wahrer, wenn mächtiger, weil seine Anhänger Staaten aufbauen werden, die weit mächtiger sein werden als die imperialistischen Zwergwirtschaften von heute. Mit diesen zukünftigen Fundamenten werden nützliche Wahrheiten in ganz anderem gesellschaftlichen Umfang gefunden werden, "schneller", vermögender, reicher. Wir Marxisten kommen jedoch nur an die Macht, wenn wir uns wahr halten, die Wahrheit sagen – keine Faktenaufreihung, keine positivistische Wahrheit, sondern eine Klassenwahrheit der Werktätigen, die allgemeinmenschlich, weil und nur sofern arbeiterklassig.

Die Wahrheit erforschen, hier den historischen Materialismus fortsetzen, das erfordert Reflexion der Veränderung der Weltkonstellation seit 1990, die keine Veränderung der Epoche ist, sondern eine Konservierung der Epoche des Imperialismus. Wir müssen also nicht den revolutionären Imperialismusbegriff revidieren, sondern unsere aus der neuen Konstellation der alten Epoche sich ergebenden Forderungen. Diese Revision ist nicht gar so tiefgreifend wie die der offenen theoretischen Revisionisten, die Lenin und Stalin begraben wollen. Aber sie ist doch viel tiefgreifender, als derjenige annimmt, der die politischen Probleme unserer Zeit mit den weltpolitischen Forderungen etwa der DDR lösen will, zumal der Honeckerschen. Die Ulbrichtsche DDR hat dabei allen Demokraten und Revolutionären Deutschlands mit ihrer immer klar antideutschimperialistischen Propaganda einen Dienst erwiesen, den kaum jemand sieht oder auch nur erwartet, sowohl historisch als auch demonstrativ in diesem Essai, der der Historie auch in dieser Frage auf die Sprünge helfen will, die Geschichte flottmachen will.

Ich setze mich mit Nazis nicht theoretisch auseinander, aus Desinteresse, sie sind ja theoretisch erledigt (praktisch noch lange nicht, die Herren Studierzimmerwärmer!). Es geht um Innereres des Kommunismus. Daher erwähne ich etwas Kritisches gegen diese und jene DDR-Freunde. Mir war und ist der gutgemeinte Bezug auf die DDR lieb, und er hat eine fast immer unterschätzte politische Bedeutung und Sprengkraft für die BRD-deutschen Verhältnisse. Aber die Versuppung des Bewußtseins seit 1990 staunen wir ja schon lange als welteinzigartig an. Was zuvor der mit Honecker zur politischen Herrschaft gekommene DDR-Revisionismus angerichtet hat, reicht schon hin, unter den Kommunisten alle Politik der DDR streng zu überprüfen. Was noch davor schon die Behinderung des DDR-Aufbaus durch den sowjetischen Revisionismus für Folgen hatte, darf nur noch wachsamer und strenger machen (ohne daß die Sowjets an allem schuld gewesen wären. Wie der Kommunismus, so ist der Revisionismus international.). Und schließlich bleibt das politische Subjekt SED mitsamt Ulbricht auch dann noch fehlbar, so daß die ideologische Wachsamkeit ungemindert auch der Persönlichkeit Ulbricht gegenüber gilt.

Ich aber formuliere hiermit (thesenförmig) den politischen Grund dafür, warum die Ulbrichtsche SED immer revolutionär war, ungeachtet mangelnder Theorien und Erfahrungen und Praktiken, ungeachtet auch chruschtschowscher Ränke oder „stalinscher Überspitzungen“. Unter Ulbricht war alles Mögliche erlaubt (man staunt ja immer wieder, auch mit Hacks, was aber auch alles erlaubt war! Biermann-Lieder gegen „SED-Bonzen“ vor deren Augen und so weiter), aber eines war nicht erlaubt: daß die Kommunisten in Deutschland ihren Hauptfeind und die Kampfaufgabe ihrer Sektion des Weltproletariats aus den Augen verlieren und für allerlei Kautskyanertum und ultraimperialistische Marotten anfällig werden. Als kleinen Beweis dafür führe ich die allgemeine Publizistikpraxis der Ulbricht-Regierung und ihren Schwerpunkt an. Das Büro Albert Nordens, die Dokumentensammlungen zum Potsdamer Abkommen, die militäranalytischen und antimilitaristischen Schriften, die breite Publikation des bürgerlich-demokratischen Widerstands gegen den Hitlerfaschismus, die Propaganda für ein einheitliches antifaschistisch-demokratisches Deutschland, die Sozialkritik der BRD-Verhältnisse, die mühe- und verdienstvolle Herausgabe der „Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“, sie alle attackieren kompromißlos und revolutionär-demokratisch den deutschen Imperialismus als den Hauptfeind für Frieden und Demokratie in Europa, bis im unseligen Jahr 1971 diese Literatur VÖLLIG eingestellt wird – mit verheerenden Folgen für Ost und West. Das ist „peinlich“. Ich fühle mich von dieser „einseitigen Abrüstungsmaßnahme“ (Peter Hacks) sogar persönlich angegriffen. Meine liebe DDR ist so tief eingeschlafen, eine Frechheit!

Bedenken wir lieber mit Karl Marx, Karl Liebknecht, Walter Ulbricht und einigen anderen Genossen sowie etwas polemischem Humor die Gegenwart, um unseren revolutionären Charakter wiederzuerlangen.

II. „Weltimperialismus“, „Europa-Imperialismus“, „Deutscher Imperialismus“ – Theorie und Praxis

Kurz sei angedeutet, was zum Weltimperialismus nach und nach, aber zäh in der Kommi-Linken allgemein bekannt wird. "Weltimperialismus" ist ein wertvoller Begriff, der gehandhabt werden will. Die Welt ist nicht einem Imperialismus sublim, sondern imperialistisch, also unter Imperialismen verteilt. Der Weltimperialismus ist die Epoche, in der sich die großen kapitalistischen Nationen um die Welt prügeln, bis die Proletarier kommen und dem Popanz des kapitalistischen Niedergangs ein Ende bereiten. "Weltimperialismus" ist also dann ein wissenschaftlicher Begriff, wenn die in der Epoche sich widerstreitenden politischen Subjekte bewußt in dieser begrifflichen Einheit gefaßt werden, wenn im Denken dem dialektischen Gesetz der Einheit der Widersprüche Genüge getan wird. Gleiches gilt für alle Begriffe (hier: der Politik/Gesellschaftswissenschaft), also auch für "europäischer Imperialismus", "Deutsche Bourgeoisie", "Deutschland" etc.

Die Weltrevolution geht in Form einer Reihe nationaler und internationaler Aufstände und Erhebungen zur neuen Staatsgewalt vonstatten. Stalin verleugnete den Weltrevolutionsbegriff nicht. Er verteidigte ihn nur gegen die antinationale, anarchistische Mißhandlung durch Trotzki etc., die die nationale Frage wie Faschisten beantworteten oder wie „Sowjetimperialisten“ – bürgerlich. Liebknechts Strategie ist eben die einzig kommunistische Antwort auf die nationale Frage, die sonst folgenschwer ungelöst bleiben muß. Die Kommunisten werden nationale Unterschiede nicht durch Kolonialisierung und internationale Eroberungen aufheben, wonach die Bourgeoisie trachtet. Kolonialismus und nationale Unterwerfung werden die Nationalform der ökonomischen Entwicklungsstruktur nicht aufheben. In jedem Land müssen die Menschen selbst den Sozialismus aufbauen lernen, müssen revolutionieren, auch wenn ihnen dabei manchmal nachgeholfen werden muß, wie den DDR-Leuten 1945.

„Europäischer Imperialismus“ – ein lebender Widerspruch

Der Begriff "europäischer Imperialismus" wird zumeist zur Verschleierung der innereuropäischen Widersprüche genutzt, ganz wie "Deutschland" die Widersprüche darin weniger faßt als vielmehr verschleiert. Natürlich ist die Entwicklungsstruktur, in der der Kampf zwischen den verschiedenen europäischen Großmächten ausgetragen wird, mit dem Begriff "Europäische Union" faßbar. Aber nicht jeder, der "europäischer Imperialismus" sagt, begreift diesen Imperialismus auch als in sich widersprüchliche und von Todfeindschaften geprägte Einheit. Gerade die "europäischen" linken Analysten und Professoren, und hier ganz besonders die deutschen "Sozialisten" aller Farben, konstruieren mit ihrem Europabegriff willkürlich eine nationale, politische oder ökonomische Identität der Länder und übergehen salopp "mal eben" die innerimperialistischen Widersprüche.

"Vom Standpunkt der ökonomischen Bedingungen des Imperialismus, d.h. des Kapitalexports und der Aufteilung der Welt durch die ‚fortgeschrittenen’ und ‚zivilisierten’ Kolonialmächte, sind die Vereinigten Staaten von Europa unter kapitalistischen Verhältnissen entweder unmöglich oder reaktionär", sagte Wladimir Lenin gegen uns von heute merkwürdig bekannt scheinende Gestalten (in Band 21 der Lenin-Werke, auf Seite 343. Die Lenin-Werke sind übrigens auch der verdienstvollen Publizistikpraxis der Ulbricht-Hälfte der DDR zuzurechnen). Wir Leninisten machen es theoretisch nicht unter der Weltrepublik und werden eben dafür praktisch das imperialistische Europa zersetzen. Wir fassen „Europa“ als Kampfbegriff der bourgeoisen Vergesellschafter und werden eine andere Vergesellschaftung einführen. Dieses heutige Europa ist schlicht reaktionär, je möglicher es wird, und zwar seinem ökonomischen Grund nach.

„Entsetzen“ über die Triade USA, Japan, Deutschland

Für die Weltsituation erkennen inzwischen Viele die Dominanz der Feindschaft von "EU" und USA an, von ihrem Wesen nach gleichen politischen Subjekten, von Imperialismen, deren Kampf die ganze Weltsituation bestimmt und alle nationalen Kämpfe in Afrika, Lateinamerika und Asien in diesen Gegensatz reißt oder mit seinen Farben beleuchtet. Immerhin wird erkannt, daß das Weltproblem und die Weltkriegsgefahr nicht im einseitigen Anspruch der USA nach Weltherrschaft liegt, sondern in der Kollision mit den weltherrschaftlichen Ansprüchen Europas und hier namentlich Westdeutschlands.

Doch mit der Anerkennung der "Triade", dem Einflußringen von Deutschland, Japan, USA, je mit beträchtlichem Anhang (Bahamas, Vatikan, Südkorea ...), schleicht sich die Lüge und Verkenntnis allzuoft nur auf größerer Stufenleiter neu ein. Der Sozialdemokratismus, der Nationalsozialchauvinismus und der Rotlack-Revisionismus, sie sind um so brutaler und desorientierender, je mehr sie diese Weltsituation erkennen und dabei die Widersprüche etwa innerhalb der US-Bourgeoisie und noch viel mehr die Gegensätze innerhalb der "EU" nivellieren, verschweigen, dem Auge der Arbeiterklasse entziehen.

Ultraimperialismus gibt es, wo die Imperialisten einheitlich gegen sozialistische Länder vorgehen, aber noch im Kampf zerfallen die Bündnisse schon. Ich erinnere an 1944, als amerikanische und britische Truppen sich in Frankreich gegenseitig ständig behinderten, weil rieisige Widersprüche zwischen diesen scheinbar so zusammenhängenden Mächten ihre Rolle spielten (siehe Daniil Kraminows „Frontberichterstatter im Westen“, UdSSR 1958). In Jugoslawien gab es 1999 ebenfalls einen ultraimperialistischen Krieg. In diesem Krieg, der sogar mit NATO-Truppen geführt wurde, klafften dennoch riesige Widersprüche zwischen den Imperialisten um die Beuteaufteilung. Und die USA hatten dem NATO-Einsatz nur zugestimmt, weil ansonsten deutsche und europäische Truppen einen Alleingang auf dem Balkan gemacht hätten und damit der ganzen Welt demonstriert hätten, wie mächtig sie schon und wie ohnmächtig die USA nurmehr sind. Schließlich der Irakkrieg machte augenscheinlich, wie widersprüchlich das weltimperialistische Gefüge ist. Dort kämpfte die USA schon mehr gegen die EU als gegen den Irak selber. Das war der reinste Stellvertreterkrieg. Spätestens da war die Frage angezeigt, wer denn deutscher Imperialist sei, und was der Europarummel solle. Stattdessen griff die deutsche Friedensbewegung die USA mit an und machte sich den deutschen Bourgeoisstandpunkt zueigen. Auch die Aufregung über BND-Aktivitäten im Irak reiht sich in diesen apologetischen Rummel gegen den Irak-Krieg ein, denn schlimm ist nicht die Existenz dieses Dienstes schlechthin, der international aktiv ist und von den wirklich krassesten Faschisten aufgebaut wurde (siehe Helmut Wagners „Schöne Grüße aus Pullach“, empfehlenswert), sondern nur, daß „unser Dienst“ „den Ammis“ hilft. Über die finsteren Aktivitäten des BND in der Ukraine, in Weißrußland, in Polen und Tschechien und der Slowakei, in Ungarn, Holland, auf dem ganzen Balkan und werweißsonstwo schweigt sich der großteil der deutschen Linken frech aus. Was die „Ammis“ für Verbrechen machen, das hat mir hingegen schon meine erzantikommunistische, antisowjetische SPD-Lehrerin erzählt, die vor Bewunderung für Deutschland und Europa fast ihre widerlich nationalistische Hetze gegen die USA vergaß.

Wer ist deutscher Imperialist?

Deutschland ist zunächst theoretisch als imperialistische Großmacht bestimmt, ohne dies hier durch ökonomische Zustands- und Prozeßanalysen näher zu erhellen. Schon die FDJ hat dazu hinlänglich und öffentlich gearbeitet und den imperialistischen Charakter der deutschen Bourgeoisie und ihrer Staatsmaschine nachgewiesen, und darum kann keiner nachher sagen, er habe von nichts gewußt.

Was sollte eine hauseigene deutsche Bourgeoisie von der Welt wollen?

Woran die deutschimperialistischen Strategen seit dem 1. Weltkrieg, diesem "trotteligen Alleingang der Deutschsprachigen", so hart arbeiten, das ist, wie man nun die Restbourgeoisien der Nationen wie Dänemark, Benelux, Polen, Schweden etc. endgültig zerschmettern könne, ob durch "Aufkauf" oder durch außerökonomische Intervention mittels 5. Kolonnen, Volksgruppen und frontalen Bundeswehrattacken, oder wie man diese Nationen in den Vasallenstatus eines Vichy-Frankreich zwingen könne, um außenpolitisch freie Hand und ganzeuropäische Unterstützung zu haben (innen ist recht große Ruhe). Handel und Krieg sind hier die Medaillenseiten, doch auch Intrigen, Streiche, Überrümpelungen bringen die deutschen Imperialisten voran. Geheimdiplomatie! Kriegspartei! Eine Bande! Karl Liebknecht hat Recht! Die Bourgeois sind Kollegen? Klassengenossen? Ein Rudel von Wölfen, die sich jetzt schon um die noch zu erobernden Pfründe der Welt mißgünstig neiden und balgen! Weil ihre Gesellschaft sich in Form der Konkurrenz entwickelt, man von ihr nichts anderes fordern kann, während das Proletariat sich durch Einheit und Internationalismus entwickelt. Auf Hochtouren arbeitet der deutsche Imperialismus an der Unterwerfung und kompletten Einbindung der anderen Nationen Europas in einen monolithischen Block, in ein neues „Deutsch-Europa“ (Heinrich Mann), in eine neue Bastion für einen neuen Weltkrieg. Die allgemeinen Ziele des deutschen Imperialismus haben sich nicht geändert. Wird ihnen das Projekt gelingen? Reicht der ökonomische Angriff auf den Dollar, der Euro? Reicht der militärische Angriff auf die US Army und die NATO in Form von eigenständigen Militärbündnissen in Europa, bilateralen und multilateralen? Wer kann noch helfen?

Europagestalter – 6. Kolonnen des deutschen Imperialismus

Da kommt die "europäische Linke" gerade recht. Das "gestaltbare" "Europa" der Sozialchauvinisten aller Länder birgt einerseits keine Weltkriegsgefahr, ist andererseits schon vollständig fertiggeschmiedet. Es gibt zwar „Probleme“, aber zum Glück auch „Perspektiven“ (MBl 1-04). In den "linken" Politplaudereien fallen mehr Späne, als schon gehobelt wurde. Die könnten ja mal den dänischen Nationaldemokraten fragen, wie "fertiggebacken" er Europa findet, oder den slowakischen Arbeitslosen oder die polnischen Kleinbauern. Stattdessen wird munter losidentifiziert und ideologisch europäisiert, was politisch und ökonomisch noch lange nicht vereinheitlicht ist. Wenn Deutschland in den Grenzen von 1940 sich heute Europa nennt (in Bezug auf den Geltungsbereich des Euro ist dieses Bonmot frappierend stimmig), dann reicht es schon aus, ständig von Europa zu plappern, um die Völker der Welt ideologisch auf bevorstehende Interventionen vorzubereiten und vom deutschen Wolf im Europapelz abzulenken. Da ist die "Linke", da ist die proeuropäische Sozialdemokratie im Europäisieren schneller als die Großbourgeoisie (bzw. nötig für die Großbourgeoisie), zumal regierende Sozialdemokraten dazu neigen, die Probleme der Nation lösen zu wollen durch weitere Auslieferung an die "EU". Sie sind im Wortsinn Agenten des Deutschen Imperialismus (anders als viele nationalkonservative Strömungen), denn sie agieren für ihn, ganz gleich, ob sie es wissen und wollen oder nicht, ob bezahlt oder unbezahlt. Sie verschleiern die Widersprüche innerhalb der EU! "Europa" ist ein (nur 1!) aktueller Kampfbegriff der deutschen Großbourgeoisie. "EU" ist eine deutsche Intrige. Achtung! Deutsche Intrigen haben es in sich!

"Europäisierung" ist, WEIL es die ökonomischen Fakten und Tatsachen sprechen, "Arisierung". Europa ist immer "Deutsch-Europa“, von einigen französischen Intrigen und Interessenmonopolen abgesehen. Die deutschen Kapitalisten exportieren ihr Kapital und basteln ihre Verfassung und installieren ihre Währung, und wer nicht mitmacht, ist abwechselnd „uneuropäisch“ (z.B. England), „Bürokrat“, „Antideutscher“ (in Deutschland) oder „Nationalist“ (Polen).

Wollt ihr die totale Pressefreiheit? Freiheit für die Ostpreußen und ihre Blätter? – Der aggressiv imperialistische Liberalismus der Europäisierungsideologie

Wie stellt sich „Deutsch-Europa“ dar? Wie lackieren die Europa-Ideologen zum Beispiel die ökonomische Unterwerfung Europas? Der Tagesspiegel 12/05 titelt anläßlich der EU-Finanzkonferenz trickarm: „Sexy, diese EU“, weil sonst keiner auf die EU achte, auf „sexy“ aber jeder schiele. Sie gestehen selber, daß ihnen keiner auf die Finger schaut. Dann: Die EU sei „bürokratisch, grau, ineffizient, teuer, undurchsichtig“. Sie arbeitet dem Schreiber noch zu langsam. „Eurokraten“ bilden eine „Erbsenzähler-Union“, kritisiert ein lustiger Uwe Vorkötter. Dann: „Unsere (!) Kanzlerin hat den Männern gezeigt, wie man einen typischen EU-Kompromiß bastelt“. Lamento über die frechen Briten und Spanier und Polen mit ihren Geldansprüchen, die wahrhaft selbstmörderisch sind, weil sie immer mehr deutsches Kapital einsaugen, bis es knallt. (Das EU-Geld läuft auch noch bildhaft-direkt über die westdeutsche Bankstadt Frankfurt am Main). 100 Millionen für „die östlichen Bundesländer“ werden nach Polen transferiert, Polen bedankt sich angeblich dafür. Sitzen die Deutschen auch dort schon im Amt? Polen scheint ostdeutsch geworden zu sein und die Friedensgrenze revidiert! Aber nicht zu politisch werden: „Das ist also Europa: eine gigantische Finanz-Umverteilungsmaschine“, ja, eine nur von den vielen der deutschen Bourgeoisie! „Was jedes einzelne Mitglied interessiert, ist nur die Frage nach der Differenz von Einzahlung und Auszahlung.“ Alle Länder sind ganz gleich wie beim Warentausch, besonders Deutschland, das in dem ganzen Artikel aber immer nur als ehrlicher, selbstloser Makler auftritt. „Rumänien könnte mit der EU viel einträglichere Geschäfte als mit der Mafia machen.“ Die sollten sich bedanken, daß wir Europäer die Rolle der Mafia übernehmen. „Als wirtschaftliche Gegenmacht gegen Amerika und Asien versagen die alten Europäer.“ Schade! Wenn es nur stimmte. Amerika sei seit 1990 ganz böse sein, Guantanamo wird nach 100 Jahren, heute, mutigerweise ein Verbrechen genannt (wie kritisch!). Europa muß Frieden und Heil bringen, lest nur selber nach! „Die EU wollte stets mehr sein als eine kleine UNO“ Oh, Oh, welch eine Drohung, und von diesem liberalen Schnösel! Tut denn keiner was gegen diese Intrigen? Wenn schon nicht die Linken, dann wenigstens die Nationalbourgeoisien? „Merkels Vermittlung fand bei vielen Staats- und Regierungschefs Lob“. Vertane vorletzte Hoffnung! Die scheinen zu blöd, das eigene Klasseninteresse zu wahren, und wir sind in die Pflicht genommen. Ich höre auf mit der Besprechung. Frau Makler hat jedenfalls im Dezember 05 die deutsche Bourgeoisie würdig vertreten, nur daß es keiner merkt, und am wenigsten der Tagesspiegel, vollkommen unfähig, den politischen und ökonomischen Prozeß im mindesten zu erfassen.

"Für ein Europa des Friedens" war schon ein Motto des 35er Parteitages der NSDAP. Es geht mir hierbei nicht und nie um die geistreichelnde Analogie, sondern um die Geschichtlichkeit. Das Vergleichen ist nicht Schwäche des Denkens und der Darstellung, sondern Ergebnis gewissenhaftester Analyse der Verhältnisse. "EU" ist einfach ein ANDERER Lack als "Nationalsozialismus" oder "Deutsches Wesen", nicht ein Lack für Nazitum und Kaiserdeutschtum. Viele Lacke lackieren den deutschen Imperialismus. Ob Kaiser oder NS oder EU, das ist nicht wesentlich vom Standpunkt des deutschen Imperialismus. Das sind seine politischen Vergesellschaftungsformen und -ideologien. "Europa" ist sein neuer (und alter) Strategiebegriff, ist Programm, ist Agenda Weltherrschaft-step-by-step, ist der verschlagen-aggressive Friedensmacht-Trick, zumindest bis zur offenen Herausforderung der Gegner. Die Analogie liegt also im imperialistischen Charakter Westdeutschlands. Es ist der alte Feind. Und wir sollen eine neue Theorie erfinden, diesen alten, dreisten, gefährlichen, zähen Greis in seine Endkoje zu befördern? Die neue Theorie hat schon genug Schwachsinn gestiftet. Ich bin für marxistisch-leninistischen Konservativismus angesichts des grassierenden „Neomarxismus“. (Denn es gibt keinen Neomarxismus. Der Marxismus ist neu genug, die kapitalistische Formation möglichst umfassend zu widerspiegeln). Dann passiert es uns auch nicht, daß wir allerlei Dänen und Polen "ausversehen" eindeutschen.

Denn zu was sonst führt die ideologische Vor-"Europäisierung", die die innerimperialistischen Widersprüche in Europa ausblendet? Sie ist der kautskyanische Mikroultraimperialismus, zwar nach außen Widerspruch anerkennend, aber nach innen ein vermeintlicher, konstruierter und projizierter Monoblock. Solange der deutsche Machtblock nicht real hergestellt ist, sind die "kritischen" Blockideologen instrumentalisierbar für die deutsch-europäische Blockbildung, indem sie von ihr als von einem nicht und nie abgeschlossenen Prozeß ablenken, in den kommunistischerseits widerspruchfürsichausnutzend einzugreifen wäre. Auch die "Trauer" um soziale "Probleme" und Entwicklungen wie den Niedergang der polnischen Bauernschaft schrumpft sonst von einem Klassenproblem zu einem "europäischen Problem", dessen sich "wir Europäer" jetzt annehmen müßten, nur weil es von "Europa", wieder namentlich Westdeutschland und Frankreich, rabiat zu Tage gefördert wird. Also solle sich der deutsche Liberale oder das liberale Proletariat der Nöte Polens annehmen, dieser "3. Welt direkt vor unserer Haustür". Es dürfe keine nationale Erhebung mehr geben, sondern nur noch eine internationale, "europaweite". Der "Kampf gegen (oder "um", Jacke wie Hose) Europa" solle ganz gemeinsam geführt werden, mit der SPD, PDS etc. Die Nationen hätten nicht das Recht, sich gegen die ökonomische Germanisierung zu wehren, denn dann würden sie Nationalisten, "Konservative". Und der deutsche Liberale, dieser Schmieresteher für die Brandstifter, weiß nur eines, nämlich daß Nationalisten schlimm sind, und deswegen verbietet er sie sich, besonders in Polen, Dänemark und in der Tschechoslowakei. Weil die deutschen Antifaschisten und Kommunisten nichts auf die Reihe kriegen, müssen sich die anderen Völker protektionistisch verwahren, wenn sie noch können, und kriegen dann noch ihren „Konservativismus“ und „Nationalismus“ vorgeworfen. "Warum machen die denn nicht Revolution, wie wir es seit 1945 probieren, diese faulen Schlingel? Fressen sich wohl an unseren deutschen Bananen gütlich?"

So wird „die Linke“, so werden die „kritischen Europamitgestalter“ zu liberalaggressiven Annexionisten und Germanisierern, die zuweilen gar "antifaschistische" Feldzüge gegen die nationale Souveränität der europäischen Länder führen und alle Hindernisse auf dem Weg zu einem friedlichen "Deutsch-Europa" wegräumen für ein innen befriedetes Europa mit weitschweifendem Blick nach außen. Danke, danke, sagt die deutsche Bourgeoisie da.

Demokratieform für undemokratischen Inhalt – europäische Scheindemokratie

Der Prozeß hat aber auch ein täuschend anheimelnd-demokratisches Aussehen. Zum Beispiel Dänemark wurde besonders totdemokratisiert, seine Nationalsouveränen zermürbt durch Überabstimmung in Sachen Euro-Beitritt, sie hatten sicher noch Arbeit und daher keine Zeit, jede Woche zu einer EU-Abstimmung zu laufen, und ein paar Lumpen und deutsche Agenten haben dann schließlich die 5. oder 6. Abstimmung gewonnen.

Proletarier Europas, laßt euch vereinen – wie Schafe vor dem Schlachthof!

Der Klassenstandpunkt der Arbeiter müßte in dieser Nach-1990er Notsituation den nationalen Aufstand gegen die deutsche Bevormundung skandieren (so paradox es scheint), aber die Arbeiterklassenrhetoriker wollen lieber warten, bis es ein gesamteuropäisches Proletariat gibt und verkünden den Europa-Aufstand. Sie entrüsten sich darüber, wie man der polnischen Nation Vorzug vor einer Vereinigung der polnischen und deutschen Arbeiter geben könne. Wenn die jetzigen Arbeiter Deutschlands und Polens vereinigt WERDEN (und nicht: sich im fortschrittlichen Kampf vereinen, wie es zu begrüßen wäre), von DIESEM JETZIGEN Oben, dann Gute Nacht, Heimat!

Und sie werden vereinigt, D-zugig, oder besser, mit ICE-Geschwindigkeit (wobei die ja so hoch gar nicht ist. Eine Transrapidgeschwindigkeit endlich ist auch im Klang drastisch genug!) Dann sitzen deutsche und polnische Arbeiter in einem BRD-aufgeklärten marktwirtschaftlichen Einheits-Arbeitslager auf einer Werkbank. Die alte Arbeitslagervariante ist bei den aktuellen Mehrwertraten der Industrie gar nicht nötig. Weihnachtsgeld ist gestattet, zumal die Opposition so schmächtig ist, daß Zuchthaus und KZ eingespart und bei Bedarf oder Murren ihr Produktenwert auf den Lohn geschlagen werden kann. Auch können die Arbeitskraftreserven ("Heimatfront", "Reichsarbeitsdienst") und die Überpopulation ("Osteuropäer", "Untermenschen", "Juden") heutigentags etwas feinfühliger "geherdet" werden (wie ein englisches Verb die Dingung von KZ-Häftlingen ausdrückt) - wofür eine liberal-ohnmächtige, mitgestaltend-mithängende Arbeiterklasse allerdings keine Garantien hat.

Die deutschen Kolonien von heute müssen nicht unbedingt im Leichenschlamm versinken. Schon gar nicht erkennt man eine solche Kolonie erst an ihren Zwangsarbeitslagern, denn Faschismus und Zwangsarbeitsregime sind eine "Option" des Kapitals, die nur bei "Not" benutzt wird. Und Zwang zu Faschismus muß noch nicht da sein, wo ein Imperialismus sich ein paar Nationen unterwirft. Im Gegenteil können leckere Waren aus Polen Deutschland optimal ruhigstellen, und umgekehrt. "Rationen" kann man sich unter Umständen in marktwirtschaftlichen "Supermärkten" auswählen (auf wessen Kosten, bliebe zu untersuchen). Vielleicht ist es inzwischen lohnender, deutsche Kolonie zu werden. Polen etwa muß seinen Kolonialisiertheitsgrad nicht auf seine Fahne schreiben, aber es hat täglich die Wahl und macht ökonomisch täglich einen kleinen Schritt hin auf dem Weg zu einem neuen "Protektorat" (siehe "Referat zum Einfluß des deutschen Imperialismus auf Polen" im FDJ-Internet-Portal zum Deutschen Imperialismus).

Zäh wie die freiheitlich-demokratische Grundordnung, flink wie friedenssichernde humanitäre Interventionen und europäisch-internationalistisch wie Kruppstahl wird die gemeinsame Zukunft mit dem deutschen Imperialismus sein

Und wen anders als die Ultra-Anti-Imperialisten wunderts? Sie, die „Kommunisten von heute“, sind ja die einzigen, die es noch nicht bemerkt haben. Die Europa-Liberalen begreifen sich besser als eine Seite der bürgerlichen Medaille, als es die Liberal-„Kommunisten“ erkennen, haben auch ihre ideologischen Krisenpfründe in Form von Nietzsche-Werkausgaben für schlechte Zeiten schon gesichert und schwimmen sowieso fast immer oben mit. Das Kleinbürgertum riecht seinen Untergang schneller, als die lahmen Sozialchauvinisten aller Arbeiterparteien ihm nachflennen können. Und die großdeutsche Reaktion, die siegesmutige, äußerst klar- und scharfsichtige Avantgarde der Bourgeoisie, ist obenauf, kampferfahren das Sprichwort "Aller guten Dinge sind 3!" im Hinterkopf aufbewahrend für den passenden Augenblick, bedächtig die "Europastrategien des deutschen Kapitals" (siehe R. Opitz' bemerkenswerte wissenschaftliche Publizistikpraxis, die mich bestätigt) planend und Kräfte um sich scharend, denn "Gut Ding will Weile haben!", wie eine weitere Lebensweisheit des reifgewordenen deutschen Imperialismus heißt, der die wilhelminische Hitzköpfigkeit und den hitlerschen Schreihalspathos längst abgelegt hat.

Den Think-Tankismus der deutschen Bourgeoisie bespricht F. Engels übrigens schon 1859 und spürt bei Kritik der psychologischen Kriegsvorbereitung uns von später vertraute ideologische Töne heraus: Er kritisiert die Losung der Bourgeoisie, daß der Rhein am Po verteidigt werden müsse. Und weiter anläßlich einiger herrschaftlicher Ideen aus Wien: „Wir meinen jene ‚mitteleuropäische Großmachtstheorie’, die aus Östreich, Preußen und dem übrigen Deutschland einen Bundesstaat unter Östreichs vorwiegendem Einfluß errichten, Ungarn und die slawisch-rumänischen Donauländer durch Kolonisation, Schulen und sanfte Gewalt germanisieren, den Schwerpunkt dieses Länderkomplexes dadurch mehr und mehr nach Südosten, nach Wien verlegen und nebenbei auch Elsaß und Lothringen wiedererobern möchte. Die ‚mitteleuropäische Großmacht’ soll eine Art Wiedergeburt des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation sein und scheint unter andern auch den Zweck zu haben, die weiland östreichischen Niederlande sowie Holland sich als Vasallenstaaten einzuverleiben. Des Deutschen Vaterland wird ungefähr zweimal so weit reichen, als jetzt die deutsche Zunge klingt; und wenn das alles in Erfüllung gegangen ist, dann ist Deutschland der Schiedsrichter und Herr Europas. Daß sich dies alles aber erfülle, dafür ist auch schon gesorgt. Die Romanen sind im akuten Verfall begriffen, die Spanier und Italiener sind bereits total zugrunde gegangen, und die Franzosen erleben in diesem Augenblicke ebenfalls ihre Auflösung. Auf der andern Seite sind die Slawen unfähig zur wahren modernen Staatenbildung und haben den welthistorischen Beruf, germanisiert zu werden.“ Ob solche Theorie weltfremd bleibt, liegt ein bißchen an der Entwicklung der Bourgeoisie und dem Grad des Arbeiterwiderstands, jaja. Aber jede Idee hat materielle Grundlage, und „Germanisierung etc.“ sollte sich schnell genug als eine gar nicht weltfremde Strategie des deutschen Imperialismus bewähren. Kolonisation, Schulen und sanfte Gewalt sind so die „bescheidenen“ Mittel des Deutschen Imperialismus, Südosten so seine ungefähre Richtung. Aber diese Quellenhinweise führe ich nur nebenbei an, aus Nettigkeit.

Viele Fassaden einer Herrschaft

Wie gesagt sind die politischen Formen der Vergesellschaftung dem Verhältnis unwesentlich. Das neue deutsche Protektorat Polen muß nicht ohne Not Protektorat genannt werden, falls ein Feinfühliger das zu flach Analogiestiftend findet, wie auch in der Analyse nichts gewonnen ist, wenn man die 1939er Poleneroberung als "Beitritt zu Europa" bezeichnet, was übrigens 1939 im Nazi-Jargon geschah, ohne den jetzigen Zustand Europas wirklich zu erhellen. Auch die Kaisersleute hatten für derlei Dinge ihre Namen. Erbfeinde, Vaterlandsverräter und alldeutsche Tischgesellschaften sind keine Nazi-Erfindung. Im Prinzip ist es nicht mal wesentlich, daß der Vorgang "deutsch" ist, politisch von Deutschland ausgeht. Aber er geht von Deutschland aus, und eben das scheint eine recht wenig verbreitete Wahrheit zu sein, obwohl es eine Klassenwahrheit der Werktätigen ist und nicht irgendeine positivistische oder "nationalistische" oder gar "antideutsche".

Manch lieber Ossi höre des weiteren auf, abschätzig von „der Demokratie“ zu sprechen und diesem imperialistischen Deutschland ein über das gerechte Maß demokratischen Charakter zuzugestehen. Darin liegt ja gerade unsere Aufgabe, die Massen für einen demokratischen Kampf zu begeistern, nicht mies neben „dieser Demokratie“ herumzustehen, die schlicht imperialistische Scheindemokratie ist. LW 21 342 zitieren!

Bruno Frei läßt in „Mit eigenen Augen“ folgendes verlauten: „In Österreich geht der Kampf (1951) darum, ob dieses Land unter dem täuschenden Namen ‚Europa’ seine Unabhängigkeit neuerdings verlieren oder sie auch gegen den Zugriff einer europäisch getarnten Wehrmacht bewahren wird.“ Das stammt von 1951! Heinrich Mann sagte einmal schlicht: „Deutsch-Europa heißt Krieg!“ Man wußte nach 1945 in Europa von dem Feind, der sich da europäisch tarnt, noch unter dem Eindruck des letzten Krieges und schon in weiser Vorahnung neuer Kriege angesichts der BRD. Auch Stalin betont die Eigenständigkeit Japans und Deutschlands (in seiner Rede „Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR“ von 1952) und die Unmöglichkeit für die USA, diese Länder zu unterjochen.

„Unsere Friedensbewegung“ hingegen redet ohne kommunistischen Einspruch von der „Weltherrschaft der USA“ (Aufruf zur letzten LL-Demo), fordert allerorten den Abzug der Bundeswehr aus dem Irak und Afghanistan statt aus Jugoslawien und vergißt, die Auflösung der Bundeswehr zu fordern. Vorauseilend trennen manche „Linke“ das Bündnis der BRD mit den USA, indem sie an die deutsche Bourgeoisie appelieren, sie möge ihre Militärlogistik für die USA sperren. Die Kritik an solch hochimperialistischen Vorgängen und Forderungen, einseitigen Einmischungen in die imperialistischen Prügeleien kam oft genug in den Geruch, FÜR den Krieg zu sein, oder kokettierte tatsächlich damit, ihn zu begrüßen (siehe Zeitschrift konkret). Das liegt aber hauptsächlich am Mangel an klassenbewußter Organisation. Statt dieser Kritik pragmatisch zu begegnen: „Stell erst selber mal eine Bewegung auf die Beine!“, müßte man sofort kommunistische Initiative ergreifen und demokratisch-revolutionäre antimilitaristische Forderungen den sozialchauvinstischen Forderungen entgegensetzen und die Massen unter ersteren organisieren und von den Gedanken der letzteren weglocken.

Wehe denen, die da den deutschen Frieden gerecht nennen, und zeihen den amerikanischen Krieg der Ungerechtigkeit

Der „deutsche Frieden“ ist nicht gerecht, und ein Frieden ist er schon gar nicht. Als ein westdeutscher KBler das 1990 sagte, nannten seine Genossen ihn „antideutsch“. Sie waren allerdings nicht die ersten. Nazis benutzen diese Vokabel schon länger. Der Vorwurf war faschistoid, nämlich disziplinatorisch-nationalistisch für den Imperialismus in seiner Situation. Wer diese, zugegebenermaßen nicht viel Scharfsinn erfordernde, aber deswegen doch wichtige Wahrheit konstatiert, wird als „antideutsch“ beschimpft. Und das ist ein Vorwurf. Das ist eine Beschimpfung. Das ist für Kommunisten eine Beleidigung, weil sie ja die Strategie der nationalen Begeisterung für den Aufbau des Sozialismus entwickeln. („Psst, verrate nicht, daß ich auf das Vaterland pfeife. Ich muß erst das Kleinbürgertum zum Sozialismus überreden!“) Der KBler war mit seiner Isolation so überfordert, daß er fortan stolz den Vorwurf einkassierte, antideutsch zu sein, es als Kompliment nahm, sich auch so benahm, daß der Vorwurf unweigerlich folgen mußte, nicht nur von „Kommunisten“. Dieser KBler ist die perspektivlose Intelligenz und nicht unser Gegenstand. Uns reicht zu erfahren: sein Fehler war ein Folgefehler. Angefangen mit dem Blödsinn hatten die opportunistischen Mitwiedervereiniger im KB, die 1990 Dinge sagten wie: „Jetzt müssen wir mit den Gegebenheiten umgehen! Es war nun mal eine Wiedervereinigung! Wenigstens sind wir die DDR los!“ usw.

Antideutsche Kritik und Kritik an Antideutschen

Mit dem sogenannten „Antideutschen“ ist in letzter Zeit verstärkt Schindluder getrieben worden, insonders zur Nochmehr-Zerfledderung von Liebknechts Leiche, auch durch "Kommunisten", die für sich das Recht verteidigen zu müssen meinten, gegen die "faschistische USA endlich ein militärisches Vorgehen" einzufordern, und die bei der Kritik des Schröderschen und gar Stoiberschen Nationalismus „antideutsch!“ brüllten. Eine „Antideutsch-Keule“, eine nachweisliche Erfindung der Faschisten, sollte die ideologische Geschlossenheit der Kommunisten demonstrieren! Und in welcher Frage? Ausgerechnet in der Hauptfeindfrage! „Für das Recht auf Kampf gegen den US-Imperialismus!“ Prost!

Was sollte „antideutsch“ sein? Antideutsche im Wortsinn, es gibt sie leider nicht. Was es leider gibt, sind Deutsche. Was es im Westen – neben einem bißchen Arbeiterbewegung – immerhin gab, waren einige Ideologen des Bürgertums, die sich vom großbürgerlichen Lager schieden, indem sie den amerikanischen Krieg als gerecht behandelten und den deutschen Frieden ungerecht nannten. Sie waren kleine Agenten einer ausländischen Macht. Andere mußten augenblicklich Prodeutsche in der Tat werden, als die deutsche Bourgeoisie ihre aggressive Friedensstrategie vorführte, als die SPD Deutschland unter dem Beifall des ganzen Kleinbürgertums zur „Friedensmacht“ kürte etc. Sie alle ertappen wir, früher oder später, gestern oder heute, als Verfechter dieses oder jenes Bourgeoisinteresses. Sie sind zu was nütze, zur Stabilisierung der Herrschaft, wenn sie sich mit der Bourgeoisie verbünden, zur Zersetzung, wenn sie opponieren. Aber wahrhaft „antideutsch“, wahrhaft kritisch der deutschen Herrschaft und den „deutschen Zuständen“ (Karl Marx), wer soll das schon sein?

Die einzigen, die in den entferntesten Verdacht kommen können, ein antideutsches Programm zu haben, sind die Kommunisten. Sie allein heben die nationalen Unterschiede, heben die Nationen überhaupt auf. Ihr Name ist Programm. Ihre Weltrepublik ist die internationale Assoziation der direkten Produzenten, auf germanisch-deutsch: der allgemeine Zusammenschluß der Arbeiter aller Länder. „Deutschland abschaffen“, es geht nur auf dem langen Wege des Aufbaus des Sozialismus, oft im zeitweiligen Bündnis mit den bürgerlich-demokratischen und sogar aufgeklärt-patriotischen Kräften. Umgekehrt: Ohne Aufbau des Sozialismus ist „Deutschland“ nicht abschaffbar, weder durch Faschisten noch durch Antinationale noch durch Sir Arthur Harris. Sie alle zielen an den Herrschern in Deutschland vorbei, ob mit Worten oder Bomben. Sie ändern nicht die Herrschaft. Gewisse Konzepte und Entwicklungen schaffen nur neues Bedürfnis nach Deutschland, schaffen Zwang zur Nation. Auch auf den Weltkrieg folgt eine nationale Wiederbelebung, deren Klassencharakter freilich von Umständen wie der Besatzungszone abhängt. Das Dilemma des imperialistisch beherrschten Europas aber ist, daß seine Gegner alle vorbeischießen am Hauptfeind der Demokratie und des Fortschritts. Vorbei an den deutschen Imperialisten ist keine dauerhafte Umwälzung möglich. Ohne Aufbau des Sozialismus wird uns Deutschland tatsächlich noch Krieg und Pogrom bescheren. „Sozialismus statt Barbarei!“ erhält durch den deutschen Faschismus noch ganz andere Tiefe, lädt sich die Leichen noch ganz anderer Barbareien auf die Schultern als nur die der Konterrevolution von 1918. Und wir sind in Deutschland, in dieser ökonomisch so mächtigen und politisch so reaktionären und aggressiven Bastion, doppelt und dreifach in die Pflicht genommen, unsere internationalistische Aufgabe zu erfüllen.

Die nationalsozialistische Ideologie richtet dabei ihren Schaden heute nicht nur im kontinuierlichen Bezug direkt bekennender Faschisten an, sondern auch auf indirekte Weise, indem sie sich wie die Leninische Losung „Aufbau des Sozialismus in einem Lande“ gibt und also Antifaschisten gerade vor diesem Aufbau zurückschrecken läßt. „Er könnte ja nationalsozialistisch sein.“ „Nationalsozialismus“ trifft auf alle möglichen Gemeinwesen zu, nur eben nicht auf das faschistische Deutschland, und auf die BRD auch nicht. Aus propagandistischer Rücksicht sollte man nicht auf dem Namen bestehen, aber theoretisch wären wir im Recht. Das hätte unser Wort sein können, ihr Naziärsche! „Schlimm“ war an den Nazis ja nicht, daß sie sich so nannten, das war nur ihr Trick für ihren Masseneinfluß. Aber es desorientiert und verschreckt gerade die bürgerlichen Antifaschisten vor großen nationalen Aufgaben wie dem Sturz der Bourgeoisie und dem Aufbau des Sozialismus in einem Lande.

Analogisierung der Herrschaftsformen – Ist Vergleichsgeschichte hilfreich oder hinderlich?

Meine Analogiestiftung der "EU" mit dem deutschen Faschismus an der Macht mag befremden, weil heute in der "EU" tatsächlich kein Faschismus an der Macht ist. Aber die Imperialismusbestimmung berührt gar nicht die Frage des Faschismus oder Nicht-Faschismus, sondern vergleicht den ökonomischen Prozeß und die Wirtschaftsgeschichte einer imperialistischen Macht, nämlich hier Deutschlands. Die Rede ist wirklich vom Verhältnis, bspw. Kolonie zu sein, nicht vom Schein und verschiedenen Namensgebungen desselben. Der Imperialismus kann unter gewissen Umständen nichtfaschistisch konterrevoluzzern, erobern, annektieren, invadieren, weltkriegsbrandstiften. Es geht hier um das Imperialismus-Verständnis der deutschen Linken und der meisten "Kommunisten". Eine Untersuchung über die Aktualität faschistischer Herrschaftsbestrebungen täte zwar ebenso Not, will aber hier nicht geleistet werden, auch wenn hier zufällig Tieferes dazu gesagt wurde als an Stellen, wo Tiefes hingehört hätte, aber beim besten Willen nicht zu finden ist. Erzählt sei kurz von der ehemaligen "Arbeitsgruppe Faschismus" der "Kommunistischen Arbeiterzeitung". Ihr ehrenwertes und weiterhin sinnvolles Anliegen, mit einer den Widerstand gegen den deutschen Faschismus betonenden Geschichtsschreibung aufrührend in die Debatten einzugreifen, führte zu einer gewissen Geschichtsdebattentrantutigkeit, und das zu einer Zeit, als Stoiber fast Kanzler geworden wäre und aus Österreich ebenfalls ganz und gar nicht beruhigende Signale einer gewissen Haider-Regierung nach Deutschland und besonders in die Tschechoslowakei und ihren kläglichen Rest blitzten. Die Kommunisten im Anspruch wären in jener Zeit (2002) vielleicht aus ihren bayrischen Debattierstuben in den Knast abgeholt worden für undeutsche Nasen und Schreibfedern, aber das hinderte sie nicht, 3 Jahre später die dringend benötigte Arbeit der "AG Faschismus" GANZ zu beenden, allerdings nicht, ohne beachtliche Forschung zur Geschichte des Faschismus und Antifaschismus in populärer und kämpferischer Form vorgelegt zu haben. Wahrscheinlich müßte eine solche AG, um ihre Tagesaufgabe klarer zu machen, "AG aktuelle Faschismusanalysen" heißen.

Redet vom Diesseits – „Warum nur immer Deutschland?“

Das sollte man Bourgeoisie und Proletariat fragen. Emphatisch auf den deutschen Gegenstand fixiert ist die Rede nur, weil seine historischen Besonderheiten von den Kommunisten vergessen sind. Sie waren also mal bekannt: "Die deutsche Bourgeoisie, statt aus eigener Kraft zu siegen, siegte im Schlepptau einer französischen Arbeiterrevolution. Noch ehe sie ihre alten Gegner, das absolute Königtum, den feudalen Grundbesitz, die Bürokratie, das feige Spießbürgertum, endgiltig niedergeworfen, mußte sie schon Front machen gegen einen neuen Feind, das Proletariat", weiß F. Engels uns zu berichten (MEW 21, 17) und führt auch sonst wiederholt Besonderheiten des Kapitalismus in Deutschland an (siehe Manifest, Teile III & IV, siehe auch MEW 7, 534; 18, 512f.; 22, 509ff. und viele mehr). Ich würde vom „schlimmen“ Deutschland die Klappe halten und Goethe lesen gehen, wenn nicht der Antisowjetismus und Antiamerikanismus nach innen und der Antiamerikanismus nach außen als neue Disziplinatoren einer antiimperialistischen "Linken" für alte deutsche Kriegsziele (haken-)kreuzgefährliche Riesenblüten trieben. Auch die Analogie mit dem deutschen Faschismus an der Macht wäre nicht nötig, gäbe es eine starke Bewegung gegen den deutschen Imperialismus. Das an sich schwache Proletariat muß nun auch noch den nationalistischen Exzeß verhindern. Was sollte ich gegen irgendein Deutschland haben? Aber es ist eben dieses Deutschland der Reaktion und des imperialistischen Krieges, das mich mit Heine ausrufen läßt: "Denk ich an Deutschland in der Nacht, so bin ich um den Schlaf gebracht" (und Heine hatte es sicher noch weniger geschichtsdefaitistisch gemeint als ich muß). Die neue deutsche Ideologie beinhaltet ein Sammelsurium an Mitteln zur, wie auch immer buntgefärbt-liberal verhüllten, Gleichschaltung der Massen der Welt für den deutschen Imperialismus.

Mit der völlig richtigen Feststellung, daß Imperialismus überall auf der Welt auf dem gleichen ökonomischen Verhältnis beruhe, betrachten manche "Kommunisten" die analytische Arbeit zur Erkennung und Dingfestmachung unseres Feindes als erledigt, diese Ökonomisten. Andere, die hier weniger der Kritik unterzogen sind, verabsolutieren die Besonderheiten des deutschen Staates und seiner Entstehung, des Überbaus, der deutschen Ideologie und ihrer Tradition, ihres Antisemitismus und Blutsbodismus. Eins ist theoretisch so verwerflich wie das andere. Die dialektische Einheit von Basis und Überbau muß in der Theorie gefaßt werden, sonst ist die Theorie nicht revolutionär. Und es muß die revolutionäre Theorie sein, die die Massen ergreift, sonst führt alles Lamento über den „revolutionären Charakter der Arbeiterklasse“ zu nichts als dem ständischen Aufstand und Einzelmaßnahmen, zu anti-dieser-imperialistischer, aber pro-jener-imperialistischer Hilfspolizistenstrategie für Weltpolizeipraxis oder zum Untergang der Klassen.

„Auf dem 2. Kongreß der Kommunistischen Internationale 1920 schärfte Lenin zwar dem ‚klassenbewußte(n) Proletariat aller Länder (...) die Pflicht’ ein, ‚sich besonders behutsam und besonders aufmerksam zu den überlebenden nationalen Gefühlen in den am längsten unterdrückten Ländern und Völkern zu verhalten’, betonte aber zugleich ‚die Notwendigkeit, die Geistlichkeit und sonstige reaktionäre und mittelalterliche Elemente zu bekämpfen’ und hebt nicht von ungefähr ‚die Notwendigkeit’ hervor, ‚den Panislamismus und ähnliche Strömungen zu bekämpfen, die die Befreiungsbewegung gegen den europäischen und amerikanischen Imperialismus mit einer Stärkung der Khane, der Gutsbesitzer, der Mullahs usw. verknüpfen wollen’. (Lenin 1976, 492f.)“ Dieses Zitat entnahm ich der Zeitung „Bahamas“, Nr. 2/05, „Antiamerikanismus und Antiimperialismus – warum der Vietkong nichts für die deutsche Friedensbewegung kann“. Mir ist peinlich, von einem kleinbürgerlichen Demokraten auf diesen Umstand hingewiesen werden zu müssen. Uli Krug staunt darüber hinaus nicht an, „wie sich die Bilder gleichen“ in Irak und Vietnam (offensiv-Titel), was der Denkform der Totalitarismusdoktrinäre entspricht, sondern unterscheidet zwischen halbreligiösem und kommunistisch geführtem Aufstand. Freilich weiß er mit Sozialismus nichts anzufangen, aber dieser westdeutsche Kleinbürger hegt mehr Symphatien für Vietnam, als ich verlangt hätte, und muß „die Kommunisten“ belehren, welchen Charakter der Aufstand im Irak hat.

Nicht jeder Aufstand ist fortschrittlich. Auch die Reaktion hat ihre Klassenkämpferbanden. Vendée-Bauern und SA-Prolls, Mauerstürmer-Bürgerrechtler und antiamerikanische Antiimperialisten können wahre Katastrophen anrichten und das Rad der Geschichte schier zum Viereck umdreschen. So würde ein Europa-Aufstand heute Weltkrieg gegen die USA bedeuten, wobei Chinas und Rußlands Barrikadenseite neu verhandelt würden, und ich kann diesen Bollwerken der Menschheit wirklich nur wünschen, sich auf solche Intrige nicht einzulassen. Beeinflussen kann ich es momentan nicht, weil ich hier den Kommunisten das Lesen beibringen muß, Buchstabe für Buchstabe. Also „Europa“ und die „Vereinigten Staaten von Europa“, das ist auf jeden Fall Weltkrieg, WENN NICHT der deutsche Imperialismus zersetzt oder in Sozialismus überführt wird. Lieber Untergang der deutschen Kapitalistenklasse mitsamt Proletariat als Sozialismus der dummen Kerls für ganz Europa und Weltkrieg gegen die USA oder wen auch immer. Das ist keine sehr zufriedenstellende Lösung, keine bestimmte Negation, sondern Schwarzlochpredigt, Anarchismus, Rückschrittlertum. Ich schlage darum eine Lösung vor, oder wenigstens einen Schritt auf dem langen Weg der fortschrittlichen Niederringung des Kapitalismus.

III. Die kleindeutsche Lösung des großdeutschen Problems – Wie unterstützt uns die DDR bei der Aneignung der Liebknechtschen Strategie zur Erfüllung der geschichtlichen Aufgabe der Werktätigen?

Der "Honeckerismus" (also die DDR-Staatspraxis von 1971-90) ist dabei kein großer Helfer, spielt eine doppelt katastrophale Rolle. I: Er hat die ideologische Aufweichung zugunsten des deutsch-imperialistischen "Friedens" miteingebrockt, hat, nicht von Sowjetland, sondern mitten aus der DDR heraus die DDR-Bürger auf diese grabesstille Ignoranz gegenüber dem deutschen Imperialismus gedrillt (ich beanstande nur die falsche Richtung des Drills, nicht den Drill als Mittel; denn nach 1945 die Deutschen NICHT drillen wollen ist ein Verbrechen und keine Meinung!) II: Er hat damit zugleich die DDR in den Augen und Hirnen der fortschrittlichen Kräfte Deutschlands und der Welt diskreditiert, den Schandfleck der Aufweichung fett auf das so heiß umkämpfte Straßenpflaster des Sozialismus in Deutschland getüncht, wo er bis heute prangt und in der PDS und DKP und in fortschrittsjugendlichen Hirnen sein Unwesen treibt.

Der „Ulbrichtianismus“ hingegen ist in der ganzen Publizistik völlig frei von ultraimperialistischen Marotten und betont überall die EIGENSTÄNDIGKEIT und BESONDERE AGGRESSIVITÄT des deutschen Imperialismus. Der linke Leser möge mir da vertrauen, denn wenn er andere Töne finden mag, so werden sie wahrscheinlich in Reden bei Bruderparteien oder ähnlichen diplomatischen, die Staatslinie aber kaum betreffenden Zusammenhängen aufgetaucht sein, und das wäre nur Bestätigung der revolutionären Energie und Agilität und Geschicklichkeit und Erfahrung des Walter Ulbricht. Als leuchtende Beispiele für antifaschistisch-demokratische Publizistik seien hier nur das "Braunbuch - Kriegs- und Naziverbrecher in der BRD" sowie die weniger bekannte, aber um so bemerkenswertere militäranalytische Schrift "Bundeswehr - Armee für den Krieg" genannt. In zweiterer ist eine nach meiner Kenntnis bis heute ungeschlagene Analyse der BRD und der NATO enthalten, wogegen die heutigen Flachheiten das Grauen jedes alphabetisierten Menschen erregen müßten. Mit diesen Büchern werde ich in nächster Zeit öfter auftreten (müssen). Es sei unter Kommunisten angeraten, sich mit ihrem politischen Inhalt zu wappnen, weil man ansonsten der gründlichsten weltanschaulichen BRD-Apologie überführt werden könnte.

Kleindeutschland, das ist „mein Dörfchen DDR“ und den Wessis Beileid für ihre Fortschrittskrise.

Das Rad der Geschichte muß womöglich zurückgedreht werden, wenn wir den sozialistischen Fortschritt haben wollen. Die BRD ist eine Sackgasse der europäischen Vergesellschaftung.

Die DDR ist wiederherzustellen. Das ist der erste Schritt auf dem Wege zur demokratischen Einheit Deutschlands und Europas. Bevor die antimonopolistische Demokratie und der wahre Sozialismus in Deutschland einziehen, sollte schnell noch die DDR abgespaltet werden, damit wir sie vor dem BRD-Sozialismus bewahren können, denn der wird schrecklich. Eine zweite Bewährungsprobe wäre ein neuer 17. Juni 1953. Es wäre an den westdeutschen Demokraten, zu beweisen, daß sie nicht von ihrer Bourgeoisie eingespannt werden können für dieses und jenes Eroberungsziel, wie schon 1989 und 1999. Sie bekämen eine Chance! Schließlich könnten auch sie einen antiimperialistischen Aufstand wagen, wenn sie nämlich verinnerlicht (nicht rezitiert, aber verinnerlicht, ins Bewußtsein gehoben) haben, daß der Hauptfeind im eigenen Land steht, die deutsche  Monopolbourgeoisie, mit Namen und Adressen, die vorher herauszugeben schlicht ein Aufruf zu Exzessen gegenüber Einzelkapitalisten wäre. Das Volk wüßte heute mit Albrecht-Brüdern nichts anzufangen als ihnen die Taschen zu lehren und die Hälse durchzuschneiden, wie Germanen Marmorsäulen aus dem alten Rom für Eßtische benutzen – augenscheinlich rational, aber gesellschaftlich rückständig. Wir wollen ja viel produktivere Dinge anstellen mit der Bourgeoisie.

Den alten Kombinaten der DDR muß man nur den Strom wieder andrehen. Die LPG-Bauern warten schon. 90% der PDS warten schon. Nur unsere Führung lahmt noch. Der machen wir Ossis auch noch Beine. Mal sehen, womit dann die Klassenorganisationen des Proletariats im Westen beschäftigt sind, wenn wir wieder einen Staat aufbauen und die Aufgaben der bürgerlich-demokratischen Revolution erledigen und dazu vielleicht sogar den Sozialismus in einem Land schaffen.

Die Aussichten dieser Lösung sollen aber anderswann „besprochen“ und ausgefochten werden, eher auf der Straße, im Kampf.

Mein theoretischer Beitrag ist vorerst abgeschlossen. Anderes entscheidet der Kampf, wo man sich heute trifft auf der einen Seite der Barrikade, und wo man sich schon morgen treffen kann – wenn man spitze Gegenstände über die Barrikade und dem opportunistischen Feind an den Kopf wirft, wie ich diesen Artikel gegen den modernen Sozialchauvinismus schleudere.

Rot Front einstweilen.                                                                                                                                 

Hansi Oehme, Berlin


Resonanz

Andrea und André Vogt: Gut gelungen

Zu Offensiv Ausgabe Januar-Februar 2006 (1/2006)

Liebe Anna, lieber Frank, herzlichen Dank für das erste Heft im neuen Jahr. Es ist sehr gut gelungen. Formale Fehler bleiben bei dieser Produktionsweise nicht aus. Schlimmer sind die inhaltlichen und da ist die offen-siv auf dem Posten.

Der Genosse Hans Fischer hat auf der Rotfuchs-Versammlung eine achtbare Rede gehalten und ist dort hoffentlich nicht nur auf „taube Ohren“ gestoßen. Sehr angenehm finden wir außerdem Fritz Dittmars Polemik zu W. Seppmanns „formations-theoretischen“ Vorstellungen über Kommunismus. „Basisdemokratische Modelle“, „sozia-listische Alternativen“, „Glaubwürdigkeitsverlust“, „Überbetonung des äußeren Einflusses“, ... mit solcherart Phrasen bedrängt für gewöhnlich die Bourgeoisie das unwissende Publikum. Es ist die Sprache der Konterrevolution. Da hilft es auch nicht, sich hinter Zitaten von H. H. Holz zu verstecken. W. Seppmann erzählt eben seine Meinung, anstatt die Phänomene wissenschaftlich zu betrachten. Das ist zu wenig.

Beim Interview mit Kurt Gossweiler fällt uns die sehr gute Vorbereitung und inhaltliche Zielstrebigkeit des Fragestellers auf. Und natürlich läßt Genosse Gossweiler keinen Zweifel daran aufkommen, daß er den Nationalpreis und den Karl-Marx-Orden, „verliehen“ von Peter Hacks, zu Recht erhalten hat und in Ehren hält. „Ohne die Überwindung des Revisionismus und des Anti–Stalinismus, - der in Wirklichkeit Anti-Leninismus ist! – wird es keine revolutionäre kommunistische Partei als Führerin der Massen geben.“ schlußfolgert er und wir fügen hinzu: Ohne die unermüdliche aufopferungsvolle Arbeit Kurt Gossweilers wäre die kommunistische Bewegung heute noch nicht so weit vorangeschritten bei der Aufdeckung der Mechanismen der Konterrevolution in den eigenen Reihen.

Wir bedanken uns und grüßen herzlich                                                Andrea und André Vogt, Dresden

Hans-Georg Vogl: Diese Kraft ist unverzichtbar

Zu Offensiv Ausgabe Januar-Februar 2006 (1/2006)

Es ist doch erfreulich, dass es an dem Beispiel „Treffen der kommunistischen und Arbeiterparteien in Athen“ in dieser Zeit gerade derartige Parteien gibt, die endlich der imperialistischen Globalisierung auf unserem Planeten anfangen Paroli zu bieten – und das trotz oder gerade wegen des untergegangenen Sozialismus. Meine Hochachtung der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE), die jedes Jahr der Inspirator dieser Zusammenkunft ist. Harte Arbeit! Aber sie ist notwendig! Hoffnung, dass es von Mal zu Mal ja, ich möchte eigentlich davon überzeugt sein, immer mehr kommunistische und Arbeiterparteien werden, die sich an diesen Treffen beteiligen und dass etwas daraus wird. Diese Kraft ist unverzichtbar.

Mit sozialistischem Gruß!                                                                             Hans-Georg Vogl, Zwickau

Roland Turba: Inkonsequente Ansichten

Leserbriefbeitrag zum Gespräch mit Kurt Gossweiler in offensiv 10/2005 und 01/2006 zum Thema Sozialismus und Revisionismus

Liebe Genossen der offensiv-Redaktion, lieber Genosse Gossweiler, mit Interesse habe ich das Interview in den beiden offensiv- Ausgaben gelesen. Sehr interessant fand ich die Frage-stellungen der Gesprächspartner Gossweilers von der Zeitung Özgürlik Dünyasi. Die türkischen Genossinnen und Genossen bringen beispielsweise immer wieder das sozialistische Albanien und Enver Hoxha in das Gespräch ein, um die aufrechte Haltung Albaniens mit dem Revisionismus der DDR-Führung gegenüberzustellen und zu konfrontieren!

Lieber Genosse Gossweiler, meiner Meinung nach hat dieses Interview Ihre persönliche Befangenheit zu bestimmten Personen aus dem politischen Leben der DDR, wie Walter Ulbricht, ebenso aufgedeckt, wie Ihre inkonsequente Haltung zur DDR und ihrem Revi-sionismus insgesamt.

Um nicht in allgemeine Missverständlichkeiten zu geraten, teile ich vorab mit, dass ich viele Ihrer umfassenden und oftmals sehr detaillierten Ausführungen zum Verrat Chruschtschows, Tito und anderer am Sozialismus sehr schätze. Ich kenne Ihr Buch „Wider den Revisionismus“ und auch sonst zahlreiche Ihrer Stellungnahmen in verschiedenen Publikationen zu dieser Thematik in den letzten Jahren. Die enormen Probleme, die sich aus der objektiven Situation und den subjektiven Faktoren ergaben und sich der jungen DDR nach dem II. Weltkrieg als schwer zu lösende Aufgaben stellten, sind mir zudem durchaus bewusst.

Doch gerade Ihre Stellungnahmen und Einschätzungen zur DDR nach dem XX. Parteitag 1956 machen mich immer wieder stutzig! Mit diesen widersprüchlichen Ansichten zur DDR und ihrer doch insgesamt positiven Bewertung stehen sie jedoch keineswegs alleine da. In der Offensiv-Redaktion sind solcherlei inkonsequenten Ansichten ebenso vertreten wie in der Organisation KPD (RF-Berlin) und bilden m. E. eine ideologische Linie innerhalb der sich marxistisch-leninistisch nennenden Linken in Deutschland, die auch bei Ihnen, Genosse Gossweiler, im Interview zum Tragen kommt!

Die Leugnung bzw. Geringschätzung des DDR- Revisionismus

Lieber Genosse Gossweiler, auch Ihre Positionen gehen dahin, die DDR- Führung als Opfer der verräterischen Politik Chruschtschows darzustellen. Insgesamt, so kann man diesem Interview entnehmen, blieb die DDR-Führung und insbesondere Walter Ulbricht ein Kämpfer gegen den Revisionismus.

So etwa im Interview auf S.25 im zweiten Teil, offensiv 01/2006: „Zu den Fakten, die dann zur Hand sein mussten, gehörten nach meiner Ansicht vor allem auch solche, die zeigten, wie von den Chruschtschow- Leuten versucht wurde, aus der  SED- Führung die stand festesten Marxisten-Leninisten, vor allem Walter Ulbricht und Hermann Matern, herauszuschießen, und wie umgekehrt die Ulbricht’ sche Führung  sich bemühte, die Auswirkungen der Chruschtschow schen Schädlingspolitik von der DDR fernzuhalten oder sie wenigstens so stark wie möglich zu begrenzen [1];“

Im Gespräch konfrontiert mit der vorbildlichen Rolle des zu dieser Zeit sozialistischen Albaniens gegen den Revisionismus können sie jedoch den Widerstand der SED mit Ulbricht an der Spitze nicht mehr glaubwürdig darstellen und versuchen den Kampf der DDR-Führung gegen den Revisionismus als versteckten Kampf zu konstruieren und ihn an die Leser zu verkaufen: „Um das Schlimmste in der DDR - nämlich die Führung der SED durch einen Parteigänger Chruschtschows - zu verhindern und der Chruschtschow-Clique keinen Vorwand zu liefern, ihn, Ulbricht, abzusetzen, damit er immerhin die Möglichkeit behielt, den von Moskau ausgehenden Schaden so gering wie möglich zu halten, musste er für die Dauer der Chruschtschow- Periode in der SU nach außen hin das Image eines loyalen Gefolgsmannes der Moskauer Führung erhalten. So widerwärtig das auch war - die andere Möglichkeit, nämlich der Chruschtschow Führung offen den Kampf anzusagen, schien die schlimmere, weil sie die Lebenszeit der DDR auf wenige Monate verkürzt hätte. Denn wir hatten nicht die Möglichkeit, den Kampf so aufzunehmen wie das Albanien getan hat [2].“

Die DDR hat also angeblich lt. Ihrer Meinung, Genosse Gossweiler, statt einem offenen und ehrlichen Kampf einen versteckten Kampf im Stillen gegen die Sowjetrevisionisten geführt! Anstelle aus historischen Versatzstücken etwas zu konstruieren, sollten wir uns doch lieber die historischen Tatsachen ins Gedächtnis rufen, um der Frage nachzugehen, wie sich der Widerstand der SED wirklich dargestellt hat!

Wie hat sich die Führung der DDR beispielsweise gegenüber China und Albanien verhalten, als diese den Mut aufbrachten, die Sowjetführung offen anzugreifen.

Wie reagierte die DDR- Führung mit ihrer „Widerstandstaktik“ bei-spielsweise, als die Partei der Arbeit Albaniens (PAA) mit dem Genossen Enver Hoxha an der Spitze die Intrigen, Komplotte, Drohungen und Erpressungen der Chruschtschow-Revisionisten entlarvte?

Vielsagend hierzu sind alleine die Erinnerungen von Enver Hoxha. Über Walter Ulbricht hat er darin u.a. folgendes festgehalten: „Als wir in Moskau die Chruschtschowianer angriffen, war er auf der Beratung und auch nachher einer von denen, die am blindwütigsten über uns herfielen. Er war der erste, der unsere Partei nach der Moskauer Beratung öffentlich angriff [3].“

Die Moskauer Beratung der 81 kommunistischen und Arbeiterparteien im Jahre 1960, von der bei Enver Hoxha hier die Rede ist, währe sicherlich für die DDR-Führung unter Ulbricht eine besondere Gelegenheit gewesen, vorhandene Widersprüche mit Moskau zumindest vorsichtig anzusprechen. Stattdessen greift Ulbricht das sozialistische Albanien an. Und dies war keineswegs ein Ausrutscher.

Denn ebenso verhielt sich die SED auf ihrem 6. Parteitag im Januar 1963 gegenüber der VR China. Denn als Chruschtschow in seiner Rede bestrebt war, die Meinungsverschiedenheiten mit der KP Chinas und der Partei der Arbeit Albaniens herunter-zuspielen und dieser Versuch misslang, Albanien und China sich verteidigten, wurden die Vertreter der damals revolutionären KP Chinas auf diesen Parteitag der SED regelrecht niedergeschrieen [4]. Bald danach wurde die PAA gar nicht mehr zu den Parteitagen in Bulgarien, Ungarn, der CSSR, Italien und der DDR eingeladen.

In der albanischen Zeitung Zeri i Popullit wurde am 07. Februar u.a. darüber wie folgt berichtet: „Auf allen diesen Parteitagen, zu denen die PAA nicht eingeladen war, besonders aber auf dem VI.Parteitag der SED, trat die Tendenz, die PAA aus der internationalen kommunistischen Bewegung und die VRA aus dem sozialistischen Lager auszustoßen, klar zutage. Die Spalter gingen zum Angriff über, um der internationalen kommunistischen Arbeiterbewegung einen schweren Schlag zu versetzen [5].“ Pflichtbewußt sorgte die SED- Führung obendrein dafür, dass der öffentliche Vertrieb der Dokumente über die ideologischen Auseinandersetzungen in der DDR verboten wurde [6].    

Lieber Genosse Gossweiler, mir geht es hierbei keineswegs um die Diskreditierung von Personen, sondern mir geht es um eine ehrliche Einschätzung über die ideologischen Gegner des sowjetischen Revisionismus, oder die sonst wie in irgendeiner Form Widerstand ent-gegengebracht haben.

Zu diesen Gegnern kann Ulbricht & Co nicht ernsthaft gezählt werden, weil es keine ernstzunehmenden Anhaltspunkte hierfür gibt. Hier wurde von der SED auch kein Schaden so gering wie möglich gehalten, wie Sie es im Gespräch ausgedrückt haben. Ganz im Gegenteil, der Schaden für die Arbeiterklasse war unermesslich und das Ansehen des Sozialismus ist bis heute durch diese Politik schwer beschädigt. (…)

Ich sehe auch im „Neuen ökonomischen System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft“ (NÖSPL) keine Anzeichen dafür, dass diese eine ökonomische Abschirmung gegen den Revisionismus gewesen sein soll, wie Sie im Gespräch ausführen. Dort führten Sie über dieses System aus: „Den Einbruch des Revisionismus in die politökonomische Theorie bei uns habe ich damals nicht bemerkt. Warum nicht? Wohl vor allem deshalb, weil ich im ‘NÖSPL’ und in Walter Ulbrichts erwähnter Feststellung von der langdauernden Phase des Sozialismus Reaktionen begrüßte, mit denen Walter Ulbricht die DDR gegen die Auswirkungen des Chruschtschow- Revisionismus abschirmen wollte [7].“ Das 1963 eingeführte „NÖSPL“ war doch viel eher ein weiterer Schritt in den revisionistischen Sumpf, eine Stärkung für die Bürokratie, mehr Markt statt Planwirtschaft. (…)

Nein die SED-Führung hatte sich längst entschieden, sie war längst zum Vasallen und treuesten Verbündeten Moskaus geworden.

Natürlich stand die rohstoffarme DDR den Sowjet-revisionisten gegenüber in einem Abhängigkeitsverhältnis, dass diese als Druckmittel für eine Komplicenschaft schamlos auszunutzen verstanden. (…)

Mit herzlichen Grüßen, Roland Turba, Türkenfeld, März 2006

 

Quellenangaben

1  Vgl. offen-siv 01/2006, Gespräch mit Kurt Gossweiler, Teil 2, S.25
2  ebenda, S. 22 Mitte. 
3 Enver Hoxha, Die Chruschtschowianer, Erinnerungen, Verlag 8 Nentori, Tirana 1980, S.191/192.
4  Wie der Sozialismus verraten wurde, DDR aktuell 2, MLPD, Verlag Neuer Weg, S. 8.
5  Der Artikel aus der Zeitung Zeri i Popollit ist entnommen aus der Bücherei des Marxismus- Leninismus Band 13, Druck-, Verlags-, Vertriebs-Kooperative Frankfurt, 1971, S.272/273.
6  ebenda, S. 8.
7  offen-siv 01/2006, Gespräch mit Kurt Gossweiler, Teil 2, S. 30/31.

Ron Wiesner: Wir werden es zu benutzen haben

Leserbriefbeitrag zum Gespräch mit Kurt Gossweiler in offensiv 10/2005 und 01/2006 zum Thema Sozialismus und Revisionismus

Ulbricht hat den Wolf (Prof.) benutzt, so ist es gemeint und jetzt Schluss. Aber Gossweiler hat sich von ÖD sehr auf’s Glatteis führen lassen. Das kommt vom vielen Schatzen. ÖD, sehen Sie das auch so?, ÖD = Cawokee = Indianer = fällt vom Pferd = gut gemeint, aber nicht anwendbar?

Theorie wird stets in Lagen angewandt. Eine solche war der 2. Weltkongress: z.B. wurde dort viel geschossen. Etwas „anpassen“ muss man sich schon! Aber gibt es noch Indianer in Peking?

Bevor unermesslicher Reichtum (im Kommunismus nämlich) „jede“ Ungleichheit erstickt, bedarf es Ungleichheit (nämlich die in Waren und Werten sich ausdrückt), weil es sonst keinerlei Streben nach Reichtum gäbe. Im Gossweiler-Interview, das ja doch vom Revisionismus handelt, wird Honecker nur einmal erwähnt: Ausgerechnet als Kronzeuge – (Febr. 1989) mit der Akte in der Hand – lässt ihn Gossweiler gegen Ulbricht auftreten, nachdem er, Honecker, zuvor (nämlich durch Gleichheit in Armut) jegliches Streben überhaupt erstickt hat und nun sein Land noch irgendwie retten wollte.

Ulbricht hat, wie Stalin, Fehler im Detail. Nur, man stelle die Dinge nicht zu sehr auf den Kopf.

Die NÖP, ein Ungeheuer mit vielen Vorteilen, - wir werden es zu benutzen haben.

Ron Wiesner, Dahlen

Hans-Georg Vogl: André Brie sitzt im Boot der Konservativen

Zum Abstimmungsverhalten eines Teil der EU-Abgeordneten der „Linkspartei.PDS“ über eine Cuba-feindliche Resolution.

Es bewegt mich ein Ereignis für einen Leserbrief, um dessen Veröffentlichung ich in „Offensiv“ bitte.

Mir scheint nützlich, in der Ausgabe der „jungen Welt“ vom 18./19.2.06 durch das geführte Gespräch mit André Brie über sein Abstimmungsverhalten zu einer EU-Resolution über angebliche Menschenrechtsverletzungen auf Cuba informiert worden zu sein.

Das ist charakteristisch für André Brie, Gabi Zimmer und Helmut Markov - und die Stimmenthaltung von Sylvia Yvonne Kaufmann gehört auch dazu. Ich kenne Brie, aber auch die anderen, aus meiner Zeit als Mitglied der PDS, der ich jetzt nicht mehr angehöre. Die genannten und noch einige andere „Funktionsträger“ haben die Partei zu einer bürgerlichen Partei gemacht. Sie verleumden die SED und die DDR, wo sie nur können, obwohl sie alle das Gute der DDR-Zeiten genossen haben.

Natürlich auch schon in vorausgegangenen Veröffentlichungen, aber besonders hier im Gespräch mit der „jungen Welt“, mit seiner Antwort „Ich wollte nicht dagegen stimmen“, zeigt André Brie, dass er ein Gegner des Sozialismus ist. Er sitzt im Europäischen Parlament im Boot der Konservativen.

Mit freundlichen Grüßen an die Redaktion,                                                 Hans-Georg Vogl, Zwickau

Gerhard Feldbauer: Welchen Weg schlägt der „RotFuchs“ ein? Zu den Auseinandersetzungen mit Chefredakteur Dr. Klaus Steiniger

Zu Offensiv 9/2005 und 1/2006, Berichterstattung über die Entwicklungen beim „RotFuchs“.

 „Offensiv“ hat mit den Heften 9/2005 und 1/2006 das Schweigen um die Auseinandersetzungen im RotFuchs-Verein über die weitere politische Linie durchbrochen, die Frage nach der Zusammenarbeit der kommunistischen Kräfte gestellt und auf eine mögliche Richtungsentscheidung verwiesen. Das verdeutlichten die Antwort auf den Leserbrief von Jürgen Zameit[8] und der Redebeitrag von Prof. Hans Fischer [9]. In diesem Zusammenhang halte ich es für angebracht, als langjähriger Vorsitzender des RotFuchs-Vereins zur Klärung der aufgeworfenen Fragen beizutragen.

Hat es eine Richtungsentscheidung gegeben?

Es geht um die Frage, ob der RotFuchs-Verein sich darauf beschränkt, die Zeitschrift herauszugeben und sich Fragen der sozialistischen Bildungsarbeit zu widmen, oder darüber hinaus einen Beitrag zur Formierung einer revolutionären Partei leisten will. Lassen wir die Fakten sprechen. 

In seinem Beitrag „Ist der ‚RotFuchs’ eine Vereinszeitschrift?“ (Juni 2005) schrieb Dr. Steiniger: „Der Verein wurde in erster Linie geschaffen, um die (...) Finanzierung der Zeitschrift und deren regelmäßiges Erscheinen zu gewährleisten. (...) Vermutungen, der Verein wolle eine politische Partei werden, entbehren jeder Grundlage. Für uns gilt allein die Devise, Kommunisten mit und ohne Parteibuch auf marxistischer Grundlage zusammenzuführen“.

Richtig ist, dass der Verein im Juli 2001 zunächst gebildet wurde, um die Herausgabe der von Klaus Steiniger 1998 gegründeten Zeitschrift „RotFuchs“ zu sichern.[10] Er wurde aber nicht nur, oder wie es heißt, „in erster Linie“ dazu geschaffen. Die Gründungsversammlung beschloss an erster Stelle als Ziel, „seine Mitglieder und Freunde auf dem Gebiet des wissenschaftlichen Sozialismus politisch zu bilden“. Es bedarf eigentlich keiner Erwähnung, dass das, wie Vorstandsmitglied Dieter Itzerott in seinem Beitrag „Ist die Parteifrage überholt“ in der folgenden RF-Ausgabe schrieb, einen Beitrag „zur Formierung einer marxistischen Partei, die fähig ist, Masseneinfluss zu gewinnen und sich als Kampfstab bei der Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse (erweist)“, einschließen muss. Erst an zweiter Stelle hieß es im Gründungsbeschluss: „Zur Verbreitung seiner Zielsetzung gibt der Verein die Monatszeitschrift ‚RotFuchs’ - Zeitschrift für Politik, Wirtschaft, Bildung und Kultur - heraus und fördert ihr regelmäßiges Erscheinen.“ Steiniger kehrt das und damit die politische Gewichtung der Auf-gaben um. Damit ist eigentlich schon genügend zu einer Richtungsentscheidung gesagt. Klaus Steiniger geht es in erster Linie um „seine“ Zeitschrift, alles andere ist ihm nur ein Mittel zum Zweck. 

Wir haben den Verein im Bericht des Vorstandes an die Versammlung im Oktober 2003 „als uns verbindende Organisation“ definiert, mit der wir uns in der Tradition des „von August Bebel und Wilhelm Liebknecht angeführten, durch Marx und Engels unterstützten revolutionären Flügels des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins“ sehen, aus dem „die 1869 in Eisenach entstandene erste deutsche Arbeiterpartei“ hervorging. Das stellte eine klare politische Aussage dar.

Wie steht es mit der Wegbereitung einer revolutionären Partei?

In diesem Zusammenhang war auch die im angeführten Beitrag Klaus Steinigers enthaltene Formulierung nicht ausgewogen: „Vermutungen, der Förderverein wolle eine politische Partei werden, entbehren jeder Grundlage“. Eine Partei, das ist richtig, wollten wir als Verein nicht werden. Aber dabei sind wir nicht stehen geblieben. In Vorbereitung der MV 2003 fand ein Beitrag von Dieter Itzerott (Augustausgabe) zur „Neugründung einer revolutionären Kampf-partei“ ein außerordentlich starkes Echo. Davon ausgehend formulierte der Bericht des Vor-standes an die MV, von dieser einstimmig bestätigt und damit beschlossene Orientierung für die Arbeit des Vorstandes und der Zeitschrift: „Den Prozess der Herausbildung einer revolutionären marxistischen Partei als grundlegende Bedingung der Vorbereitung eines neuen sozialistischen Anlaufs mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln zu fördern, Wegbereiter zu sein“.

Prof. Werner Roß aus Zwickau hatte dazu vor geschlagen, einen Gründungskonvent einzuberufen. Der Vorstandsbericht hielt das für verfrüht, sah aber einen ersten möglichen Schritt in „der Schaffung eines Gremiums aus namhaften Vertretern der deutschen Arbeiter-bewegung“, das „ab und zu zusammentritt und prüft, wie sich die Chancen für eine Partei-gründung entwickeln.“ Damit hat sich der Vorstand in Auswertung der MV nicht weiter beschäftigt. Auch der zur Förderung dieses Anliegens unterbreitete Vorschlag, für theoretisch angelegte längere Beiträge von Zeit zu Zeit in Gestalt einer Extra-Ausgabe des „RF“ Publikationsmöglichkeiten zu schaffen, ist nicht verwirklicht worden. So wie der Vorstand des Vereins insgesamt die Aufgabe, „Wegbereiter einer revolutionären Partei“ zu sein, vor allem über „seine Zeitschrift“, nicht mit „allen uns zu Gebote stehenden Mitteln“ gefördert hat. Im Gegensatz dazu stand u. a. auch, dass der  Vorstand auf seiner ersten Sitzung nach der MV 2003 auf Vorschlag von Klaus Steiniger beschloss, das bestehende Ressort „Parteitheorie“, das hätte an Bedeutung gewinnen müssen, aufzulösen.

Ist die Leninsche Zeitungskonzeption passé ?

Im Sinne der „Wegbereitung“ wollten wir uns bei der Entwicklung der Zeitschrift an der Leninschen Zeitungskonzeption orientieren, nach der diese „nicht nur ein kollektiver Propagandist und kollektiver Agitator, sondern auch ein kollektiver Organisator“ sein sollte. Ohne Partei zu sein, war darunter im Sinne Lenins („Unsere nächste Aufgabe“, Werke, Bd. 4, S. 212) ihre Rolle als Organ unserer Organisation (des Vereins) zu verstehen. In Italien verstand es Antonio Gramsci 1919/20 ausgezeichnet, die in zwei Jahrzehnten des Kampfes und im Feuer der Oktoberrevolution bewährten Grundsätze Leninscher Zeitungsarbeit mit der „Ordine Nuovo“ bei der Schaffung einer revolutionären Partei in die Praxis umzusetzen. Unter dem Gesichts-punkt der „Wegbereitung“ ist dieses Beispiel wiederholt zielgerichtet im „RotFuchs“ dargelegt worden. Steinigers Artikel zur Ablehnung des „RF“ als Vereinszeitschrift erteilt dem eine, wenn auch etwas verschwommene, Absage.

Spätestens hier stößt man auf die Frage, warum der Chefredakteur es ablehnte, dem Beschluss der Gründungsversammlung nach zu kommen und dem Vorstand eine Redaktion und Arbeitsrichtlinien für sie vorzuschlagen. Die Angelegenheit wurde nicht besser, sondern schlimmer dadurch, dass eine knappe Mehrheit des Vorstandes diese Haltung billigte und damit den Beschluss des obersten Organs unserer Organisation missachtete. 

Die eigenen Beschlüsse ignoriert

Hier ist anzumerken, dass besagter Beschluss von Steiniger selbst ausgearbeitet wurde und er ihm zustimmte, obwohl er, wie bald sichtbar wurde, nicht die Absicht hatte, ihn zu verwirklichen. Schon diese politisch schädliche Haltung muss man sich einmal ernsthaft durch den Kopf gehen lassen. Auf wiederholte Kritik seitens der Basis versicherte Steiniger mehrfach, er werde den Beschluss baldmöglichst erfüllen. Am 12. März 2005 lehnte er das dann auf der Vorstandssitzung mit fadenscheinigen Begründungen ganz offen ab. Um halbwegs das Gesichts zu wahren, vor allem aber, der Kritik die Spitze abzubrechen, beschloss die MV im Dezember 2005, statt einer Redaktion einen Redaktionsbeirat zu bilden, der alle sechs Monate (!) tagt.

In seinem Beitrag im Juli 2005 fragte Dieter Itzerott, ob man einen kühnen Schritt vorwärts gehen und „eine Sammlungsbewegung an den Anfang des Prozesses zur späteren Gründung einer Partei“ stellen solle. Richtig erinnerte er daran, dass man dabei, wie Beispiele zeigen, auch Zeiten durch stehen müsse, in denen eine Partei nur eine zahlenmäßig kleine Organisation ist, die sich auf einzelne parlamentarische Aktionen beschränken muss. Zielgerichtet schrieb er: „Gewinnt sie eine klare Programmatik, verfolgt sie eine gute Bündnispolitik, besitzt sie eine geachtete Leitung, dann kann sie das aus der Isolierung herausführen.“ Klaus Steiniger machte in den folgenden Ausgaben des „RF“  keinerlei Anstalten, diese Anregung aufzugreifen und zur Diskussion zu stellen.

Steinigers Praxis, „Maulkörbe zu verteilen“

In einem Beitrag in der Septemberausgabe des RF ging ich auf diese Fragen ein. Mein Titel lautete „Wie weiter mit dem ’RotFuchs’? Zur Vorbereitung der Vereinsversammlung“. Ohne Absprache mit mir wurden Passagen gestrichen und Änderungen vorgenommen, die gravierend in den Inhalt eingriffen. An Stelle meines Titels wurde die Überschrift „Standpunkt Gerhard Feldbauers“ gesetzt. Kritische Bemerkungen zum Beitrag Steinigers in der Juni-Ausgabe, so zur Negierung der Rolle des „RF“ als Vereinszeitschrift, zu seiner Weigerung, eine Redaktion zu bilden und Arbeitsrichtlinien auszuarbeiten, zur Missachtung von Kritik an seiner Arbeit und an der des Vorstandes, wurden gestrichen. Ebenso der Aufruf zu einer intensiven offenen Diskussion der strittigen Fragen vor der Vereinsversammlung. Damit praktizierte der Chef-redakteur Zensur und unterdrückte Kritik. Es war nicht das erste Mal, dass Steiniger Autoren-rechte derart missachtete. Auch kritische Leserbriefe erscheinen nicht, in veröffentlichten werden die Inhalte entschärft. Darunter fiel auch die Auseinandersetzung über die von Ver-tretern des Hamburger Flüchtlingsvereins „Karawane“ an der Haltung Steinigers zur Flüchtlingsproblematik geübte Kritik. Er beharrte grundsätzlich auf seinem Standpunkt, was zum Austritt unserer Vertreterin Katja W. bei der rund 800 Mitglieder zählenden „Karawane“ aus dem RF-Verein führte.

Als es in der „UZ“ einmal Versuche gab, Kritik zu unterbinden, fuhr Klaus Steiniger „schweres Geschütz“ auf, sprach von einer „totschlägerischen Feder“ und vom „Maulkörbe verteilen“ („Lockeres Geschütz“, „RF“ Sept./2002). Auf meine an ihn gerichtete Frage, wie er heute zur Kritik an seiner Praxis steht, „Maulkörbe zu verteilen“, erhielt ich keine Antwort. Schon hier, aber nicht nur, zeigt sich eine charakteristische Haltung Klaus Steinigers: Er kritisiert bei anderen, was er selbst nicht einhält.

Wer betreibt hier Sektierertum?            

Unter der Überschrift „Auf einem anderen Pferd“ versuchten der Chefredakteur und der amtierende Vorsitzende Rolf Berthold in derselben RF-Ausgabe eine Antwort auf meinen Beitrag. Es wurde wieder einmal lang und breit über die „Zusammenführung von Kommunisten und Sozialisten mit und ohne Parteibuch“ und darüber, „linke Kräfte verschiedener Herkunft einander näher zu bringen und in gemeinsamer Aktion zu vereinen“ theoretisiert, ohne konkret zu werden. Obwohl ich geschrieben hatte: „Ich sehe das Ziel nicht darin, eine weitere kommunistische Partei zu gründen, sondern eben nach Wegen zu suchen, Kommunisten, Sozialisten und solche Menschen, die sich ihnen anschließen wollen, zusammenzuführen, um, wenn die Zeit dafür reif ist, diese Partei zu schaffen“, behaupteten Steiniger/Berthold, ich hätte versucht „den Eindruck zu erwecken, der RF-Förderverein habe von Beginn an den Kurs zur raschen Gründung einer neuen ‚avantgardistischen Partei’ eingeschlagen.“ Zur Untermauerung wurde mir die Formulierung von Dieter Izerott über die Formierung des „Kampfstabes zur Eroberung der politischen Macht“ unterschoben und das obendrein aus dem Zusammenhang, in den Itzerott das stellte, herausgerissen. Intern wurde von Steiniger immer wieder verbreitet, ich wolle eine neue KP gründen und mir Linkssektierertum vorgeworfen.

RF-Vorstand ohne Konzeption

Danach habe ich unter der Überschrift:Der Chefredakteur unterdrückt Kritik. Eine Replik zum ‚Pferdebeitrag’ im Septemberheft des RF“ einen Beitrag übermittelt, der nicht veröffentlicht wurde. Ich bin auf gravierende Diskrepanzen zwischen Wort und Tat in der Arbeit des Vereins und der Zeitschrift eingegangen und darauf, dass bei weitem nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden und manches, was zum Zusammenführen geschrieben wird, zur Phrase gerät. Einige Fakten: Ich selbst habe Initiativen entwickelt und Vorschläge unterbreitet, um diesbezüglich Beziehungen herzustellen und zu einer Zusammenarbeit zu kommen. Das waren u. a. Gespräche mit Vertretern der Redaktion der „KAZ“, in denen es um gegenseitige Publikationsmöglichkeiten und eine Einladung zu unserer Versammlung 2003 ging. Stieß bei Steiniger auf Ablehnung. In Bonn bin ich mit Klaus von Raussendorff zusammengetroffen, der in engagierter Weise die „Antiimperialistische Korrespondenz“ herausgibt. Kein Interesse beim Chefredakteur. Ähnliche Gedanken bezüglich der KPF der PDS blockte Klaus Steiniger mit der Bemerkung ab, „wir unterstützen nicht deren Feigenblattfunktion“. Einer Initiative, mit Heinz Stehr und Rolf Priemer zusammenzutreffen, um strittige Fragen zu erörtern und zu einem vernünftigen Verhältnis zu kommen, begegnete Steiniger mit seinen überzogenen und unsach-lichen Angriffen auf den DKP-Vorsitzenden, die Rolf  Priemer auf der 14. PV-Tagung zur Sprache brachte. Verunglimpfungen war auch die KPD ausgesetzt, zu der Steiniger äußerte, es handele sich „um eine winzige unbedeutende Gruppierung“.

Zum „Näherbringen“ wird, vorwiegend an der Basis, im Rahmen des derzeit Möglichen viel geleistet. Wie sich auf der MV im Dezember 2005 zeigte, fehlt dazu nach vier Jahren Existenz des Vereins vom Vorstand eine Konzeption. Auf der MV habe ich bezüglich unseres Beitrages geäußert, er müsse 1. auf das einheitliche Handeln der in DKP und KPD organisierten Kommunisten auf marxistisch-leninistischer Grundlage orientieren, ferner auf die Einbeziehung weiterer kommunistisch oder kommunistisch orientierter Gruppen/Zeitschriften wie Offensiv, KPF oder KAZ. 2. Initiativen für die Aktionseinheit zwischen Kommunisten und Sozialisten auf der Grundlage eines Bekenntnisses zum Marxismus einschließen. 3. Darüber hinausgehende Bündnisse linker Kräfte und 4. Soziale und kapitalismuskritische, antifaschistische und Anti-kriegsbündnisse umfassen. Dazu haben wir auf zentraler Ebene sowohl praktisch als auch theoretisch nichts beigetragen. In diesem Zusammenhang fiel besonders auf, dass der RF sich nicht an der internationalen Irak-Solidaritätskonferenz beteiligte.

Gute Beispiele für das Zusammenführen gibt es in Brandenburg, Halle, Leipzig, oder in Dresden. Die Grenzen sind oft fließend, und ich will hier auch keinem Schematismus das Wort reden. In Brandenburg handelt RotFuchs gemeinsam mit DKP, KPD und KPF der Linkspartei PDS. Das geschieht ohne Führungsansprüche dergestalt zu stellen, wie sie Klaus Steiniger wiederholt vorbrachte: „Wir laden ein, die anderen können teilnehmen“.

Arbeitsentschließung abgelehnt

Von mir auf der MV unterbreitete Vorschläge für eine Arbeitsentschließung wurden an den neuen Vorstand zur Auswertung verwiesen. Auf eine Anfrage dazu habe ich bis heute keine Antwort erhalten. Desgleichen habe ich über drei Monate nach der MV, trotz Anfrage noch nicht die neue Vereinssatzung erhalten. Auf eine Bitte, mir (gegen Zahlung der Unkosten) den Rechenschaftsbericht des Vorstandes an die MV zuzusenden, gab es ebenfalls keine Antwort.

Was bezweckt die Kampagne gegen „Offensiv“?

Bei dieser Kampagne handelt es sich um die Neuauflage einer alten schon früher von Klaus Steiniger betriebenen Hetze. Am 8. Mai 2004 fand im gegenseitigem Einverständnis zur Normalisierung der Beziehungen zwischen beiden Vereinen eine Beratung statt, die im wesent-lichen ergebnislos verlief. Danach habe ich an Frank Flegel ein mit Steiniger und Berthold abgesprochenes Schreiben geschickt, in dem eine neue Zusammenkunft nach einer ange-messenen Zeit zum Vergleich der Standpunkte ins Auge gefasst wurde.[11]

Im Gegensatz zu diesen Tatsachen hat Klaus Steiniger als Vorstandsmitglied und Chefredakteur des „RF“ danach wiederholt behauptet, „wir“ hätten mit Offensiv gebrochen. Er berief sich dazu auf einen Vorstandsbeschluss, der nie gefasst wurde. Unter anderem übermittelte Klaus Steiniger hinter dem Rücken des Vorsitzenden und des Vorstandes im Juli 2004 dem DKP-Parteivorstand seine Sicht des Gesprächs mit „offensiv“ so, dass die Adressaten sie als Ein-schätzung des RF-Vorstandes empfinden mussten. Er behauptete, das Treffen sei einzig auf Ersuchen von „offensiv“ zustande gekommen, seitens des RF habe kein inhaltliches Interesse bestanden. Die RF-Delegation (Steiniger, Berthold, Neumann) sei in das Gespräch mit dem Ziel gegangen, die Beziehungen abzubrechen und keine Übereinkünfte herbeizuführen (hier stellt sich die Frage, ob der ergebnislose Verlauf von der RF-Delegation provoziert wurde). „Offensiv“ wurde als „politischer Gegner“, Michael Opperskalski als ein Meister der „ideo-logischen Diversion“ diffamiert. Steiniger fragte, warum Opperskalski nicht aufgefordert wird, aus der DKP auszutreten. Die von „Offensiv“ in Heft 9/2005 gestellte Frage nach einer möglichen Richtungsentscheidung im RotFuchs nahmen Klaus Steiniger und weitere Vorstands-mitglieder auf der Sitzung am 5. November 2005 zum Anlass, die Hetze neu zu entfachen.

Nachdem ich auf der MV am 3. Dezember 2005 die Kampagne gegen „Offensiv“ kritisiert hatte, forderte ich in einem Antrag an die Sitzung vom 7. Januar 2006 den Vorstand auf, diese Kritik entsprechend dem Auftrag der Vereinssatzung auszuwerten. Konkret habe ich beantragt, sich mit dem Verhalten der genannten Vorstandsmitglieder zu befassen, die von ihnen vor-gebrachten Anschuldigungen und üblen Verleumdungen zurückzuweisen, sie aufzufordern, diese zurückzunehmen, sich bei den betroffenen Personen zu entschuldigen und Maßnahmen zu ergreifen, dass derartige Verhaltensweisen in Zukunft unterbunden werden. Am 19. Januar 2006 erhielt ich vom Vorsitzenden Rolf Berthold folgende Nachricht: „Der Vorstand hat auf seiner Tagung am 7. Januar 2006 Deine Anträge einstimmig abgelehnt. Ich bitte um Kenntnisnahme.“

Wer betreibt „die Zerstörung des RotFuchs“?

Einige Worte zum Umgang des Vorstands mit Kritikern und zur Bevormundung der Basis. Als der RF-Regionalleiter von Uckermark, Wolfgang Herrmann, über einen Vortrag Michael Opperskalskis zu Irak, der sehr gut ankam, einen Bericht verfasste, den der damaliger Web-master, Vorstandsmitglied Hartwig Strohschein, in die „RF“-Internet-Ausgabe setzte, forderte Steiniger, ihn zu entfernen. Als dieser das ablehnte, drohte der Chefredakteur, „dann setzen wir Dich ab“. Niemand hatte Steiniger zu einer solchen Entscheidung ermächtigt, die nicht nur die Zeitschrift, sondern den Verein betraf. Hartwig Strohschein trat darauf hin zurück. Besonders am Beispiel der Haltung zu „Offensiv“ gerät das ständige Propagieren des „Zusammenführens“ und „Näherbringens“ zu regelrechten Phrasen. Zwischen 600 bis 1000 Leser, welche die Zeit-schrift um sich schart, sollen offensichtlich davon ausgeschlossen werden. 

Den Regionalleiter Hamburg, Werner Hoppe, einen engagierten Kommunisten, der besonders und in vor Ort anerkannter Weise in der Antikriegsarbeit aktiv ist, kanzelte Steiniger als „ultra-links“ ab. Nachdem Werner ihn kritisiert hatte, u. a. übrigens auch wegen unzulässiger Eingriffe in die Autorenrechte (Streichung eines Leninzitats), ließ der Chefredakteur eine früher erfolgte Anerkennung seiner Arbeit aus dem Protokoll der betreffenden Vorstandssitzung streichen (!).

Ich selbst wurde, nachdem ich meinen Rücktritt vom Vereinsvorsitz mit Verstößen gegen die in der Satzung verankerten Beschlüsse der Vereinsversammlung nachweisbar begründet hatte, von Rolf Berthold in einem Schreiben an die Mitglieder des Vorstandes und der Regionalleitungen diffamiert: Meine Rücktrittsbegründung laufe „auf nichts anderes als die Zerstörung des RotFuchs hinaus“. Frank Mühlefeld nahm meinen Beitrag „Wie weiter“ auf der Vorstands-sitzung am 6. August zum Anlass, Bertholds Verleumdungen zu wiederholen. Ich würde auf „die Zerstörung und Liquidierung des Vereins hinarbeiten“(!). Vorstandsmitglied Jürgen Thiele beantragte, mich aus dem Verein auszuschließen. Klaus Steiniger fand es jedoch klüger, den Ausschluss auf später zu vertagen. Der Grund war leicht zu erkennen: Sonst hätte ich auf der Versammlung Einspruch erheben können.

Wie war der Umgang mit Vereinsbeschlüssen und der Satzung, wer hat gegen sie verstoßen und damit die Existenz des Vereins aufs Spiel gesetzt? Dabei handelt es sich keineswegs nur um formaljuristische Gesichtspunkte. Sie tangieren Aspekte des bürger-demokratischen Vereins-rechts. Wenn man auf dieser Grundlage einen Verein bildet, muss man sich zwangsläufig an dieses Recht halten. Dem steht nicht entgegen, dass man seine Möglichkeiten voll ausschöpft, um die Verbreitung des wissenschaftlichen Sozialismus, die der Verein verkündete, wirksam zu betreiben. Gleichzeitig ist zu sehen, dass die Missachtung des Vereinsrechts und damit bürgerlich-demokratischer Grundsätze den Verein bei der Verfolgung seiner politischen Linie in ernste Schwierigkeiten bringen kann.

Der RotFuchs distanziert sich von seiner Geschichte

Es ging keineswegs nur um die Weigerung des Chefredakteurs, eine Redaktion zu bilden. Ohne einen Beschluss des Vorstandes als Herausgebergremium änderte der Chefredakteur beispiels-weise das Impressum des „RF“. Ab Juliheft 2005 wurde die Berufung auf die DKP-Gruppe Berlin Nordost als Gründer der Zeitschrift gestrichen.[12] Jede Zeitung/Zeitschrift, die Wert auf ihre Seriosität legt, teilt so etwas ihren Lesern mit. Nicht so der Chefredakteur des „RF“. 

Die Parteifrage gehört zum Wissenschaftlichen Sozialismus

Hinzu kommt, dass der Vorstand ein von der Basis abgeschottetes Dasein führt. Von raren Ausnahmen, so der Information über einen Beschluss zur Bildungsarbeit, erfahren die Vereins-mitglieder und die Leser in der Zeitschrift nichts über die Arbeit des Vorstandes, die behan-delten Themen, gefassten Beschlüsse. Ganz zu schweigen davon, dass die für die Sitzungen unterbreiteten Tagesordnungen und das Datum des Stattfindens nicht bekannt gegeben werden. Damit haben die Mitglieder und Leser/Sympathisanten keine Möglichkeit, die Arbeit ihrer Leitung zu verfolgen, Vorschläge zu unterbreiten oder sich kritisch zu äußern. Diese Praxis wird in der neuen Wahlperiode fortgesetzt. Außer der Mitteilung im Februarheft 2006 des RF, dass der Chefredakteur im Amt bestätigt und die Bildung eines Redaktionsbeirates beschlossen wurde, werden keinerlei Informationen über die auf der Tagesordnung behandelten Themen gegeben. 

Zu den hier angeführten Fragen hatte ich mich am 7. Dezember 2004 in einem Konzept „Fragen der Leitungsarbeit“ geäußert, Vorschläge zur Lösung unterbreitet und die Führungsspitze aufgefordert, daran mitzuwirken. Darin hieß es: „Es geht mir um die Stärkung der Kollektivität in den angeführten Fragen, um die politische Absicherung unserer Arbeit im Vereinsrahmen und nicht zuletzt mit Blick auf die Vorbereitung der Jahresversammlung, der wir rechen-schaftspflichtig sind, um die Abarbeitung einiger noch nicht gelöster Fragen bzw. Aufgaben.“ Es gab keine Reaktionen.

Zum Abschluss stellen sich vor allem zwei Fragen:

Die erste ist, dass die genannten Erscheinungen, insbesondere die Unterdrückung von Kritik, Rechthaberei und Schönfärberei, eine bedenkliche Ja-Sager-Mentalität[13] und ein rüder Umgangston mit Kritikern, der bis zur ausgesprochenen Forderung geht, sie sollten aus dem Verein austreten, damit Ruhe herrscht, mich an dunkle Seiten unserer SED-Geschichte erinnern.

Die zweite betrifft die eingeschlagene politische Linie. Aufmerksamen Lesern wird auch nicht entgangen sein, dass einige Autoren aus dem RotFuchs verschwunden sind, so z.B. Prof. Dr. Ulrich Huar, ebenso Dr. sc. Kurt Gossweiler. Damit entfielen auch manche Themenbereiche, die von den beiden genannten ehemaligen Autoren vertreten wurden. Daneben kann man beob-achten, dass populistische Momente im RotFuchs Fuß fassen, so zum Beispiel in dem Beitrag über den Einzug der Linkspartei in den Bundestag.

Wenn bei der Verbreitung des wissenschaftlichen Sozialismus die Frage der Partei ausge-klammert wird, und das besagen alle Aussagen, die Klaus Steiniger dazu bisher getroffen hat, dann wird damit die Tür einen großen Spalt breit dem Eindringen des Revisionismus geöffnet.

Am Ende kommt man nicht darum herum zu fragen: cui bono?

Gerhard Feldbauer, Poppenhausen, März 2006

Presserklärung der FDJ

Fast zeitgleich mit dem Diebstahl der Thälmannbüste der Gedenkstätte in Ziegenhals bekamen vier Mitglieder der FDJ-Berlin, die im August 2005 die Thälmann-Gedenkstätte aus Protest gegen den geplanten Abriß besetzt hatten, von der bundesdeutschen Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl zugesandt.

Im Anklagetext wird unmißverständlich von der "ehemaligen" Gedenkstätte gesprochen. Die Staatsanwaltschaft hat eine Geldstrafe wegen "widerrechtlichen Betretens von Privateigentum" über 200 Euro zuzüglich Verfahrenskosten festgesetzt.

In Sachen Thälmannbüste will die Polizei "in alle Richtungen" ermitteln. An die Türen derer jedoch, die aus jedem Angriff auf die Gedenkstätte in Ziegenhals ihren Nutzen ziehen, z.B. Nazis oder der neue Eigentümer des Grundstücks, auf dem sich die Gedenkstätte befindet, wird sie wohl nicht klopfen.

Gegen vier junge Leute aber, die friedlich auf dem Dach der Gedenkstätte gegen den Bruch geltenden Rechts protestierten, will man nun strafrechtlich vorgehen.

Die Vier bleiben bei dem, was sie in ihrer Erklärung zu Besetzung vom 21. August 2005 geschrieben haben: „Wer Hand anlegt an Thälmann und die Geschichte der Arbeiterbewegung, deren Höhepunkt die Errichtung der Deutschen Demokratischen Republik darstellt, legt sich mit uns an. Es wird weiterhin von unserer Seite keinen Funken Toleranz für die bundesdeutschen Revanchisten und Geschichtsverdreher geben.“

800 Euro sind viel Geld, jedoch was ist eine Geldstrafe schon gegen U-Haft oder Prügel von Faschisten.

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ANMERKUNGEN

  1. Deshalb hat dieses Heft auch 120 Seiten. Wir freuen uns darüber, dass das möglich ist.
  2. N. Chruschtschow im folgenden mit C. abgekürzt.
  3. Rolf Vellay, AusgewählteAufsätze, Briefe und Vorträge, Heft 83, Berlin, Mai 2002 der Schriftenreihe für marxistisch-leninistische Bildung der KPD.
  4. Robert Steigerwald, Kommunistische Stand- und Streitpunkte, GNN Verlag , Schkeuditz, 2002, S.34 f.
  5. Selbiger hatte zuvor in einem Spiegel-Interview, erschienen am 8. Oktober 1990, folgende Äußerungen gemacht:
    Von der Partnerschaft, ja Freundschaft mit dem vereinten Deutschland, von der deutschen Wirtschaft und von deutschen Privatinvestitionen erhoffen wir die Errettung aus der drohenden Katastrophe.
    Den Deutschen, wenn sie ihre geschichtliche Chance begreifen, stellt sich somit die globalpolitische Aufgabe, Osteuropa und vor allem die Sowjetunion marktwirtschaftlich zu erschließen und so deren drohende Desintegration … zu verhindern, zum eigenen Vorteil wie zum Wohle der übrigen Welt….
    Weltpolitische Dimensionen erlangt Deutschland von nun an durch seine Brückenfunktion zwischen Ost- und Westeuropa sowie durch seinen Beitrag zur Entwicklung vollwertiger Marktstrukturen im Osten. … Deutschland ist also auf einem durchaus dornigen Weg zur Weltmacht – auf einem, der Opfer wie Umsicht verlangt“(Der Spiegel, 8.10.1990) Um es zu wiederholen: dieser Mann war Sekretär des ZK der KPdSU, Deutschlandexperte und Berater Gorbatschows!!!
  6. Siehe "RotFuchs", Märzausgabe 2006.
  7. Um nur zwei seiner Sätze zu zitieren: "In der DDR waren hinsichtlich Warenproduktion und Wertgesetz Licht und Schatten zu verzeichnen", oder: "Dieses Wertgesetz kann man nicht 'wegplanen' oder überlisten, wie in der Planwirtschaft des realen Sozialismus z.T. geglaubt wurde". "Zum Teil" ist köstlich. Bisher hat noch jeder Ökonom im Sozialismus, auch der neue Wertökonom, gesagt, dass "im Kommunismus" die Warenproduktion verschwinden, aufgehoben würde. Dann ginge also "wegplanen oder überlisten", nur eben jetzt nicht, im Sozialismus nicht. Was hat denn dieser an sich, dass es nicht geht? Warum diffamiert man "im Sozialismus", was man "im Kommunismus" will?
  8. „Schweigen zu den Entwicklungen beim „RotFuchs ?“ Leserbrief und Antwort der Redaktion,  Heft 9/2005, S. 52 ff.  
  9. „Diskussionsbeitrag auf der Mitgliederversammlung des RotFuchs-Fördervereins e.V. am 03. 12. 05 in Berlin“. Heft 1/2006, S. 54ff
  10. Bis dahin von der DKP-Gruppe Berlin Nordost herausgegeben
  11. Veröffentlicht in „Offensiv“ 6/2004
  12. Soweit bekannt, gab es mit der DKP-Gruppe Nordost, die als Gründerin und danach Herausgeberin der  Zeitschrift  die Rechte auf den Titel besitzt, keine entsprechenden Vereinbarungen.
  13. Auch dazu einen Beleg: Am Abend nach meinem Rücktritt rief mich ein Vorstandsmitglied an, stimmte meinem Standpunkt zu und sagte, insbesondere widere ihn die Lobhudelei auf Steiniger an. In der Sitzung hatte der Genosse geschwiegen. Es ist nicht das einzige Beispiel.