Zeitschrift für Sozialismus und Frieden                                                                     3/03 

Herausgeber: Verein zur Förderung demokratischer Publizistik (i.G.)

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Stalin

als Theoretiker des Marxismus-Leninismus

Stalins Beiträge zur Parteitheorie, Heft I

Zum 50. Todestag Stalins am 5. März 2003

Von Ulrich Huar

 

Redaktionsnotiz

Ulrich Huar: Einleitung

Grundfragen der marxistisch-leninistischen Parteitheorie

Vorbemerkungen

1.1. Parteifragen vor der Oktoberrevolution

1.1.1. Verbindung der sozialistischen Ideologie mit der spontanen Arbeiterbewegung

1.1.2. Zur Organisationsfrage

1.1.3. Über das „Hereintragen“ des sozialistischen Bewußtseins in die Arbeiterklasse

1.1.4. Anarchismus oder Sozialismus

1.1.5. Einheit oder Spaltung der Partei

1.2. Die Parteifrage nach der Oktoberrevolution

1.2. l. Die Partei vor und nach der Eroberung der Macht

1.2.2. Über die Bolschewisierung der Parteien der Kommunistischen Internationale

1.2.3. Partei und Religion

1.2.4. Die Partei im System der Diktatur des Proletariats

1.2.5. Innerparteiliche Demokratie

1.2.6. Kritik und Selbstkritik

1.2.7. Quantität und Qualität

1.2.8. Über die Grundlagen des Leninismus. Vorlesungen an der Swerdlow-Universität (April bis Mai 1924)216)

Anmerkungen (Quellennachweise)

 

Redaktionsnotiz

Wir führen die Reihe von Ulrich Huar über die Beiträge Stalins zur Theorie des Marxismus-Leninismus hiermit fort. Da wir uns aus Platzgründen sehr kurz fassen müssen, sei in Bezug auf unsere Beweggründe für diese Veröffentlichungen sowie zur Information über die Arbeitsweise sowie die Wahl der Darstellung durch den Autor auf das erste Heft dieser Reihe („Beiträge zur Theorie der nationalen Frage“, Offensiv Heft 5/2002) verwiesen.

Das Thema der Parteitheorie umfasst zwei Offensiv-Hefte.Für die Texterfassung danken wir den Genossinnen und Genossen von der „Schriftenreihe der KPD“ sehr herzlich. Die Arbeiten von Ulrich Huar zu Stalin erscheinen dort und bei uns parallel.

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                                                                                                                          Redaktion Offensiv, Hannover

Ulrich Huar: Einleitung

In der einschlägigen Geschichtsliteratur ist wohl nichts mehr umstritten als die Theorie der Leninschen Partei neuen Typus, die fälschlich Stalin zugeschrieben wird.1) Dem bedeutenden Anteil Stalins an der Entwicklung und Stärkung der KPR (B) /KPdSU, als der ersten Partei neuen Typus in der Weltgeschichte, ist die vorliegende Arbeit gewidmet.

Marxistisch-leninistische Parteien werden in der bürgerlichen, revisionistischen und trotzkistischen Literatur als „stalinistisch“ gebrandmarkt, als die Inkarnation alles Bösen. Dies steht von Anfang an fest und bedarf keinerlei weiterer Beweise. Selbst ein auf seinem Gebiet der Rechtstheorie und Rechtsgeschichte so hervorragender Wissenschaftler wie Uwe-Jens Heuer sah in der Entwicklung der SED Ende der 50er Jahre eine Hinwendung „zur stalinistischen Partei neuen Typus.“2) Er sei nach 1945 Marxist geworden, aber, es „war ein von Stalin überformter Marxismus.“ Er räumt dabei ein, daß diese Überformung „in bestimmter politischer Hinsicht wirksam“ gewesen sei.3) An anderer Stelle meint er, Stalin habe im Gegensatz des „späten Lenins“ die „Entwicklungswidersprüche im Volk, zwischen Arbeiterklasse und ihrem eigenen Staat, Fragen der Entfaltung des Individuums nicht reflektiert.“4)

Heuer wandte sich mehrfach gegen die Charakterisierung des Sozialismus als Stalinismus, wohl weil er darin eine  Diffamierung des Sozialismus sah. Die Bezeichnung Stalinismus sei „letztendlich ein Vermächtnis Stalins. Er hat bekanntlich nicht nur den Leninismus, sondern auch den Trotzkismus, den Luxemburgismus erfunden.“5)

Man mag über die Verwendung von Personennamen zur Bezeichnung von Theorien, politischen Konzeptionen oder Strategien streiten, Stalin brauchte weder den „Leninismus“ noch „Trotzkismus“ noch „Luxemburgismus“ zu erfinden. Diese Theorien existierten und wurden von konkreten politischen Personen und Gruppierungen gebraucht. Wer den Begriff „Leninismus“, später „Marxismus-Leninismus“ als „erster“ geprägt hat, ist bis heute noch nicht eindeutig zu beantworten, nebenbei auch nicht so wichtig. Wer hat den Begriff „Marxismus“ geprägt? Marx bestimmt nicht. Der Begriff „Leninismus“ haben auch Trotzki, Bucharin, Sinowjew, Kamenew u.a. verwendet, nicht nur Stalin. Heuer kann seine Behauptung auch durch nichts belegen.

Nach dem Bucharin-Biograph, Adolf G. Löwy, habe sich Bucharin in einer Gedenkrede nach Lenins Tod vor der Akademie gegen den „Mythos vom Marxismus-Leninismus“ ausgesprochen. Bucharin habe nicht vom Marxismus-Leninismus, sondern vom Marxismus Lenins gesprochen.6) Nach Robert Steigerwald - im Gegensatz zu Löwy - habe Bucharin 1923 die Formulierung Marxismus-Leninismus eingeführt.7)

Inwiefern die Bezeichnung „Stalinismus“ ein „Vermächtnis Stalins“ sein soll, ist schon gar nicht nachvollziehbar. Der Terminus „Stalinismus“ wurde meines Wissens erst nach der berüchtigten Geheimrede Chruschtschows auf dem XX. Parteitag der KPdSU (14. - 25. Februar 1956) als antikommunistischer  Kampfbegriff  geprägt und als Totschlagskeule unterschiedslos gegen alle Kommunisten, selbst gegen völlig harmlose kleinbürgerliche Reformisten geschwungen. Jedwede Kritik an der kapitalistischen Gesellschaftsordnung, jede Infragestellung des Kapitalismus als System, wird programmatisch als „Stalinismus“ diffamiert.

Es ist schon verwunderlich, daß Heuer als ein durchaus gewissenhafter Wissenschaftler, trotz seiner Erfahrungen als Mitglied des Bundestages mit dem „Rechtssystem“ der BRD, der mehrfach auf die Anwendung der historischen Analyse von Sachverhalten orientiert, so unkritisch die Lügen Chruschtschows und Gorbatschows über Stalin übernimmt. So habe die Rede Gorbatschows anläßlich des 70. Jahrestages der Oktoberrevolution „und die dort erfolgte Abrechnung mit Stalin“ ihm „die Flanke“ gestützt für seine „Auseinandersetzung mit Stalins Theorie.“8)

Desgleichen erstaunlich ist die „Wertung“ Stalins von Eberhard Czichon und Heinz Marohn in ihrem ansonsten gut recherchierten Buch „Das Geschenk“. Leider sind sie ihrer richtigen These, wonach auch „die Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte“ kritisch hinterfragt werden soll, bezüglich Stalins nicht gerecht geworden. Auch sie lehnen den Terminus „Stalinismus“ begründet ab. „Allerdings halten wir jeden Versuch, Stalins Politik und seine Verbrechen wie auch immer zu rechtfertigen oder auch nur zu verharmlosen und seine Ideologie als Lenins Erbe zu interpretieren, wissenschaftlich und politisch ebenso für unverantwortlich wie wir jede Anstrengung als unhistorisch zurückweisen, die Ursachen für die eingetretenen Deformationen beim Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft auf Lenin zurückführen zu wollen. Historisch hat sich erwiesen, daß Stalins Politik zu einer verhängnisvollen Deformation beim sozialistischen Aufbau führte.“9)

Beweise für die „Verbrechen“ Stalins, für die „verhängnisvollen Deformationen“ der sozialistischen Gesellschaft sind nicht mehr erforderlich, sondern „historisch“ erwiesen! Und wehe dem, der dennoch wagt, die von der bürgerlichen antikommunistischen Publizistik, von Chruschtschow, Gorbatschow, Trotzkisten, Anarchisten und Revisionisten behaupteten „Verbrechen“ Stalins in Frage zu stellen, Stalins Schriften als bedeutenden Bestandteil der marxistisch-leninistischen Theorie zu würdigen.

Mit diesen durch nichts bewiesenen Behauptungen haben Czichon und Marohn ihrerseits ein „Geschenk“ an die antikommunistische Historiographie gemacht, sind ihrer Verantwortung als marxistische Historiker nicht gerecht geworden. Die Liste von durchaus seriösen Wissenschaftlern, die glauben, den Kolporteuren antikommunistischer Lügen über Stalin noch immer Referenz erweisen zu müssen, ließe sich fortsetzen. Letztendlich kommt dabei heraus, wie auch schon behauptet wurde, daß die unbestreitbaren Erfolge der Sowjetunion „ohne“ - „trotz“ - „gegen“ Stalin erzielt wurden. So behauptete Ilja Ehrenburg allen Ernstes, daß die „viele(n) Heldentaten und Siege des Sowjetvolkes... wohl nicht ‘dank Stalins’, sondern ‘trotz Stalin’“ vollbracht wurden.10)

Darstellungen, die der Flut antistalinscher Verleumdungen entgegenstehen, sind zur Zeit noch in der Minderheit. Aber Quantität ist bekanntlich kein Kriterium für historische Wahrheit. An erster Stelle sind hier die zahlreichen Schriften des Faschismusforschers Kurt Gossweiler zu nennen, von denen hier nur auf zwei verwiesen sei: „Wider den Revisionismus“ und die „Taubenfuß-Chronik“. Mit wissenschaftlicher Akribie sind hier die Behauptungen Chruschtschows, Gorbatschows und der Trotzkisten über Stalin als Lügen explizit widerlegt. Gossweiler gebührt das Verdienst, zu den ersten Kommunisten zu gehören, die die für die kommunistische Weltbewegung katastrophalen Auswirkungen des Anti-Stalinismus erkannt und den Kampf gegen diese verbrecherische Politik und Ideologie aufgenommen zu haben. „Der Anti-Stalinismus ist heute tatsächlich das größte Hindernis für den Zusammenschluß der Kommunisten, wie er gestern der Hauptfaktor der Zerstörung der kommunistischen Parteien und der sozialistischen Staaten war.“11)

Eine historisch ausgewogene Einschätzung der Politik Stalins gab die Publizistin Sahra Wagenknecht in einem Artikel für die „Weißenseer Blätter“: Nicht zu leugnen ist, daß Stalins Politik - in ihrer Ausrichtung, ihren Zielen und wohl auch in ihrer Herangehensweise - als prinzipientreue Fortführung der Leninschen gelten kann. (Der „stalinistische“ Staatsaufbau existierte in seinen Grundzügen ohnehin bereits vor Stalins Machtantritt.) Welche Handlungsspielräume die Situation im damaligen Rußland bot, muß angesichts der konkret historischen Bedingungen untersucht werden. Eine solche Analyse wird vermutlich zu dem Schluß gelangen, daß weder in Bucharins Lösungsansatz noch in dem Trotzkis (um nur zwei prägnante Beispiele zu nennen) eine realisierbare Alternative zur Stalinschen Linie vorlag. Und was immer man - berechtigt oder unberechtigt - gegen die Stalin-Zeit vorbringen mag, ihre Ergebnisse waren jedenfalls nicht Niedergang und Verwesung, sondern die Entwicklung eines um Jahrhunderte zurückgebliebenen Landes in eine moderne Großmacht während eines weltgeschichtlich einzigartigen Zeitraums; damit die Überwindung von Elend, Hunger, Analphabetismus, halbfeudalen Abhängigkeiten und schärfster kapitalistischer Ausbeutung; schließlich der Sieg über Hitlers Heere, die Zerschlagung des deutschen und europäischen Faschismus sowie die Ausweitung sozialistischer Gesellschaftsverhältnisse über den halben europäischen Kontinent.12)

Der parteilose Theologieprofessor Hanfried Müller, Herausgeber der „Weißenseer Blätter“, wies aus seiner Sicht mit Besorgnis auf die Auswirkungen des XX. Parteitages der KPdSU hin: Zu den Bedingungen, unter denen sich das Kräfteverhältnis zwischen Sozialismus und Imperialismus sowohl international zwischen den Staaten als auch je innenpolitisch zu Ungunsten des revolutionären Prozesses verschob, gehörten grundlegend die Fehlentscheidungen der KPdSU im Umkreis des XX. Parteitages. Sie erschütterten zutiefst das revolutionäre Selbstbewußtsein der ganzen kommunistischen Weltbewegung und damit zugleich das Zutrauen breiter antiimperialistischer Kräfte. Bis dahin überzeugte Kommunisten wurden zu Renegaten, und treue Bundesgenossen wandten sich voller Entsetzen ab. Danach fanden das sozialistische Lager und viele kommunistische Parteien in Europa nie wieder zu der Geschlossenheit und Prinzipien- Klarheit und -Festigkeit zurück, deren sie zur Selbstbehauptung und zu weiterem Wachstum in jeder Beziehung bedurft hätten.13)

Bei dem umfangreichen Material erscheint es mir zweckmäßig, Stalins Beiträge zur Parteitheorie in zwei große Abschnitte zu untergliedern. Erstens, zur marxistisch-leninistischen Parteitheorie im allgemeinen, zweitens, der Kampf Stalins gegen die parteifeindliche Opposition in der  KPdSU (B) von 1925 bis Ende der 30er Jahre. Im ersten Abschnitt werden die innerparteilichen Kämpfe nur soweit tangiert, wie zum Verständnis erforderlich. Den Kampf Stalins gegen feindliche Gruppierungen innerhalb der Partei in einem gesonderten Abschnitt darzustellen, erscheint mir dadurch gerechtfertigt, daß gerade dieser Kampf im Mittelpunkt bürgerlicher, revisionistischer, antistalinscher Publizistik steht. Es ist dabei unvermeidlich, daß das historisch-chronologische Prinzip dem theoretisch-logischen untergeordnet werden mußte. Diesen Nachteil mußte ich in Kauf nehmen.

 Grundfragen der marxistisch-leninistischen Parteitheorie

Vorbemerkungen

Um es vorweg zu nehmen: Das Verdienst der Ausarbeitung der Theorie der Partei neuen Typus gebührt Lenin. Alle Vorwürfe an die Adresse der „stalinistischen“ Partei sind an Lenin zu richten, was bürgerliche Autoren im Unterschied zu den Revisionisten und Trotzkisten auch tun. Die Revisionisten schlagen auf die „stalinistische“ Parteikonzeption ein und berufen sich dabei auf Lenin, so Chruschtschow, Gorbatschow und ihre Epigonen. Den Revisionisten geht es angeblich um die „Wiederherstellung“ der „Leninschen Normen“ des Parteilebens. Anders können sie Kommunisten nicht täuschen, sie nicht ideologisch entwaffnen und in das kapitalistische Gesellschaftssystem integrieren. Die PDS-Größen haben dabei Erstaunliches geleistet und ihre Partei folgerichtig in den politischen Bankrott geführt. Das gleiche trifft auf die Reformisten in den einst starken kommunistischen Parteien in Italien und Frankreich zu, die sie zur Bedeutungslosigkeit heruntergebracht haben. „Gut gewühlt, alter Maulwurf!“

Bezüglich der Parteifrage ist auf die Kontinuität von Marx - Lenin - Stalin hinzuweisen. Ein Vergleich der Statuten des Bundes der Kommunisten (1847), der Statuten der Internationalen Arbeiterassoziation (1864) mit den Statuten der KPR (B) weisen diese Kontinuität eindeutig nach.14) Die Grundideen, die in den genannten Dokumenten enthalten sind, bilden allgemeingültige Axiome einer Kommunistischen Partei: Proletarischer Charakter der Partei, Proletarischer Internationalismus, Führung der Arbeiterklasse durch die Partei/ihre Rolle als Avantgarde, Verbindung der Theorie des wissenschaftlichen Sozialismus mit der spontanen Arbeiterbewegung; Errichtung der Diktatur des Proletariats als politischer Voraussetzung zur Aufhebung des Privateigentums an Produktions- und Zirkulationsmitteln, Aufhebung der Klassenteilung der Gesellschaft, demokratischer Zentralismus als Organisationsprinzip, Errichtung der sozialistischen und kommunistischen Gesellschaft. Sowohl die Statuten des Bundes wie die der KPdSU verlangten von ihren Mitgliedern „entsprechende Lebensweise und Wirksamkeit“, „revolutionäre Energie und Eifer der Propaganda“, „Bekennung des Kommunismus“ und „Unterwerfung unter die Beschlüsse“ der Partei. Auch die Statuten des Bundes der Kommunisten sahen bei Verletzung der Bedingungen der Mitgliedschaft den Ausschluß sowie auch den Schutz der Partei vor Diversanten vor. Die Kreisbehörden hatten über Verbrechen gegen den Bund zu richten und für die Vollstreckung der Urteile zu sorgen; verdächtige Subjekte seien zu überwachen und unschädlich zu machen.15)

Neben der Kontinuität von der Marxschen zur Leninschen Parteiauffassung gibt es in letzterer allerdings auch Neues. Mit dem Übergang des Kapitalismus der freien Konkurrenz zum Monopolkapitalismus und Imperialismus, dem hohen Grad der Konzentration von Produktion und Kapital, dem hohen Organisationsgrad der imperialistischen Herrschaftsapparate und der Kriegsgefahr nahm die Organisationsfrage bei Lenin einen höheren Stellenwert ein als im 19. Jahrhundert. Mit dem Imperialismus begann die Epoche der Kriege und proletarischen Revolutionen, des „Erwachens Asiens“, die einen Epochenwandel einleiteten. Insofern war die Partei neuen Typus eine Höherentwicklung zur Marxschen Partei des 19. Jahrhunderts. Mit der Herausbildung von Großbetrieben mit mehr als 1.000 Arbeitern und Angestellten reichte auch das Territorialprinzip der Organisation nicht mehr aus. Es kam zusätzlich zur Bildung von Betriebsparteiorganisationen, die eine engere Verbindung zwischen Partei und Arbeitern/Angestellten direkt am Arbeitsplatz ermöglichten. Das Fraktionsverbot (X. Parteitag der KPR/B) März 1921 innerhalb der Partei erwies sich zum Schutz der Partei, zur Wahrung ihres Charakters nach der Eroberung der politischen Macht in Rußland als notwendig, stellt jedoch kein allgemeingültiges Axiom der Parteitheorie dar.

Der Begriff „Partei neuen Typus“ ist in den Schriften Lenins bis 1915 nicht zu finden. Meines Wissens erscheint er erstmalig in seinem Artikel „Was weiter? (Über die Aufgaben der Arbeiterparteien gegenüber Opportunismus und Sozialchauvinismus)“ vom Januar 1915: „Der Typus der sozialistischen Parteien der Epoche der II. Internationale war die Partei, die in ihrer Mitte einen Opportunismus duldete, der sich in den Jahrzehnten der ‘friedlichen’ Periode immer mehr ausbreitete, aber im Verborgenen blühte, der sich den revolutionären Arbeitern anpaßte, von ihnen ihre marxistische Terminologie übernahm und jeder klaren, prinzipiellen Abgrenzung aus dem Weg ging. Dieser Typus hat sich überlebt.“16)

Bezüglich der europäischen Parteien meinte Lenin 1922, daß die „Umgestaltung des alten Typus der parlamentarischen, in Wirklichkeit reformistischen und nur leicht revolutionär übertünchten europäischen Partei zu einem neuen Typus der Partei, zu einer wirklichen revolutionären, wirklich kommunistischen Partei eine außerordentlich schwierige Sache sei.“17. Seit dieser Zeit wird die Leninsche Partei als „Partei neuen Typus“ bezeichnet. Der englische Historiker Eric Hobsbawm schreibt: „Die Macht der revolutionären Bewegungen beruhte auf der kommunistischen Organisationsform nach Lenins ‘neuen Parteitypus’, einer  gewaltigen Innovation für die Gesellschaftskonstruktion des 20. Jahrhunderts, vergleichbar nur mit der Begründung der christlichen Klosterkultur und anderer Orden des Mittelalters. Selbst kleine Organisationen konnten dadurch unverhältnismäßig starke Wirkungskraft entfalten, denn mehr noch als militärische Disziplin und Zusammenhalt gelang es der ‘Partei’, von ihren Mitgliedern ein außerordentliches Maß an Hingabe und Selbstaufopferung und die vollständige Konzentration auf die unbedingte Ausführung aller Parteibeschlüsse einzufordern. Sogar gegnerische Beobachter waren davon tief beeindruckt.“18) Die „Partei neuen Typus“ ist ihrem Wesen nach die alte Partei von Marx und Engels unter den Bedingungen des Imperialismus, der proletarischen Revolutionen und des Aufbaus des Sozialismus. Sie wurde geschaffen im Kampf gegen Revisionismus, Trotzkismus, Anarchismus und anderen Abweichungen vom Marxismus. An der Ausarbeitung und Politik der Partei neuen Typus durch Lenin hatte Stalin mit eigenständigen Beiträgen einen Anteil.

1.1. Parteifragen vor der Oktoberrevolution

1.1.1. Verbindung der sozialistischen Ideologie mit der spontanen Arbeiterbewegung

Erste Äußerungen Stalins zur Parteitheorie finden sich in dem Artikel „Die Sozialdemokratische Partei Rußlands und ihre nächsten Aufgaben“ in der Zeitung „Brdsola“ („Der Kampf“) Nr. 2/3, November/Dezember 1901. Dieser Artikel trägt keine Unterschrift, was unter den Bedingungen der Illegalität ganz normal war. Isaak Deutscher meint, daß dieser Artikel „wahrscheinlich“ von mehreren Autoren geschrieben worden sei, daß Stalin aber „wahrscheinlich“ „maßgeblich mitgearbeitet“ habe.19) Deutscher erklärt aber nicht, wie er zu dieser Annahme gelangt. Auf diese Weise kann man die Autorenschaft vieler Artikel - nicht nur von Stalin - in Frage stellen, die unter illegalen Bedingungen geschrieben wurden und deren Verfasser allen Grund hatten, ihre Artikel nicht oder nur mit einem Pseudonym zu unterzeichnen. Einleitend erfolgt eine historisch-kritische Würdigung der westeuropäischen utopischen Sozialisten, R. Owen, Louis Blanc, Fourier. Da Stalin als Georgier neben seiner Muttersprache nur eine Fremdsprache, Russisch, beherrschte, konnte er Kenntnisse über die westeuropäischen Utopisten nur über Übersetzungen erhalten haben. Deutscher muß einräumen, daß Stalin, wenn auch aus „zweiter Hand“, die Entwicklung der westeuropäischen, besonders der deutschen, Sozialdemokratie „sehr genau“ verfolgte.20)

Die Hauptaufgabe der russischen Sozialdemokratie sah Stalin in völliger Übereinstimmung mit Lenin darin, „das Klassenbewußtsein der Arbeiter zu entwickeln... den getrennten und zersplitterten Kampf einzelner Arbeitergruppen gegen die einzelnen Unternehmer zu vereinigen, ihn zu einem gemeinsamen Klassenkampf zu verschmelzen... .“21) Es ist hier der Gedanke von der Verbindung der sozialistischen Ideologie mit der spontanen Arbeiterbewegung, den Lenin zur gleichen Zeit in der „Iskra“ und ein Jahr später in seiner Schrift „Was tun?“ ausführlich begründete, enthalten. In diesem Kontext kritisierte Stalin die „sogenannten Bernsteinianer“, für die die Bewegung alles, das Endresultat nichts sei. So wandte sich Stalin gegen die „Groschenpolitik“ der russischen Revisionisten, wie sie in einem Artikel in der Petersburger Zeitung „Rabotschaja Myssl“ zum Ausdruck kam, wonach „Unser politisches Programm... im ‘Zehnstundentag’ und der ‘Wiedereinführung der durch das Gesetz vom 2. Juni (1897 UH) abgeschafften Feiertage’“ bestünde.22)

Stalin orientierte die Partei auf den Übergang von der Propaganda in Zirkeln und ökonomischen Streiks zum politischen Kampf, zur politischen Agitation. Die zaristische Selbstherrschaft unterdrücke nicht nur die Arbeiter, sondern auch die Bauern, die nichtrussischen Nationen und Nationalitäten und die Angehörigen anderer Glaubensbekenntnisse, die mögliche Bündnispartner in einer demokratischen Revolution seien können. Er kritisierte die Taktik der Bourgeoisie, den Kampf gegen den Zarismus auf dem Rücken der Arbeiter auszutragen, um dann selbst die politische Macht zu übernehmen. Die Bourgeoisie aller Länder und Nationen verstünde es sehr wohl, „mit fremden Fingern die Glut aus dem Ofen kratzen zu lassen... .“ Sie räume „mit Vergnügen der Arbeiterklasse und überhaupt dem einfachen Volk das Recht ein, den Rücken hinzuhalten, wo die Peitschen der Kosaken sausen oder die Kugeln der Soldaten pfeifen, auf den Barrikaden zu kämpfen... .“ Sie „sympathisiere“ mit diesem Kampf und „empöre“ sich über die „Grausamkeiten“ des Feindes. Aber erst wenn die „Ohnmacht des Feindes“ klar erkennbar sei, ginge sie selbst zu revolutionären Maßnahmen über.23)

An anderer Stelle ging Stalin auf das Verhältnis der Arbeiter zur Bourgeoisie ein. Die Bourgeoisie räume den Arbeitern lediglich die „Rolle einer Hilfskraft“ ein. Die Arbeiterbewegung solle sich auf den ökonomischen Kampf beschränken, den politischen Kampf jedoch der „Intelligenz“ überlassen. Wie die Geschichte lehre, sollten die Arbeiter nur „für die Bourgeoisie die Kastanien aus dem Feuer“ holen. Die Bourgeoisie lebe in „ständiger Furcht vor dem ‘roten Gespenst des Kommunismus’“ und bemühe sich „in allen Revolutionen die Sache dort enden zu lassen, wo sie eigentlich erst beginnt.“24) Damit war bereits 1901 die Frage nach dem Hegemon in der bürgerlich-demokratischen Revolution unter den neuen Bedingungen des Imperialismus beantwortet. Stalin orientierte auf die „führende Rolle“ der Arbeiterklasse in der bürgerlich-demokratischen Revolution, und damit die Arbeiterklasse diese führende Rolle übernehmen könne, bedürfe es der selbständigen politischen Partei.“25)

Ein Teil der Studenten kämpfe mit Entschlossenheit für seine Forderungen. Man dürfe aber nicht vergessen, daß auch dieser Teil aus den Söhnen der unterdrückten Bürger besteht. Solange die Studentenschaft noch nicht im praktischen Leben aufgegangen, noch keine bestimmte gesellschaftliche Stellung eingenommen habe, neige sie idealen Bestrebungen zu, riefe sie „zum Kampf für die Freiheit“ auf. Die Studenten traten in dieser Zeit (vor 100 Jahren in Rußland UH) in der demokratischen Bewegung „fast als Leiter, als Vortrupp“ auf, um die sich „der unzufriedene Teil der verschiedenen Gesellschaftsklassen“ gruppierte. Die Regierung zog streikende Studenten als Rekruten ein. Die Studenten gingen zu Straßendemonstrationen über. Aus den politischen Demonstrationen - nicht nur derjenigen der Studenten - gewann Stalin die Einsicht, daß sie nicht niedergeschlagen werden können. Das gemeinsame Banner, unter denen die Demonstrationen verliefen und die die Teilnehmer aus verschiedenen Klassen vereinigte, war der Sturz der Selbstherrschaft. Selbst wenn die Straßendemonstrationen auch keine direkten Resultate zeigten, die Regierung so manches Mal als Sieger hervorginge, so seien dies „Pyrrhussiege“. „Noch einige solcher Siege - und die Niederlage des Absolutismus ist sicher.“

Die Staatsgewalt sei genauso überzeugt, wie wir, daß die Straßenagitation das Todesurteil für sie sei, „daß nur noch zwei bis drei Jahre zu vergehen brauchen, bis sich das Gespenst der Volksrevolution vor ihr erhebt.“26) Eine bemerkenswerte Prognose des 22jährigen Stalins. Vier Jahre später erhoben sich die werktätigen Massen Rußlands zur demokratischen Revolution. Deutscher meint zu dieser Arbeit des Zweiundzwanzigjährigen, daß sie „kein literarisches Meisterwerk“ sei, verglichen mit den Arbeiten Lenins und Plechanows, aber für kaukasische Verhältnisse sei sie eine Leistung. Der Aufsatz in „Brdsola“ gehöre „zum Besten, was Stalin innerhalb eines halben Jahrhunderts geschrieben“ habe.27)

Aus den beiden „Briefen aus Kutais“ vom Oktober 1904 gehen die enge Verbindung und der Gedankenaustausch zwischen Lenin und Stalin bezüglich von Grundfragen der Parteitheorie deutlich hervor. Es ging um das Verhältnis von Spontaneität und Bewußtsein. Die Theorie des Sozialismus kann nicht spontan aus der Bewegung der Massen entstehen. Sie wird „‘ganz unabhängig von der Entwicklung der spontanen Bewegung’ ausgearbeitet, sogar trotz dieser Bewegung, und danach erst in diese Bewegung von außen hineingetragen, wobei sie die Bewegung entsprechend ihrem Inhalt korrigiert, d.h. entsprechend den objektiven Anforderungen des Klassenkampfes des Proletariats.“ Das Proletariat muß „zum Bewußtsein der wahren Klasseninteressen“, zur „Erkenntnis des sozialistischen Ideals“ geführt werden.28) Der Hintergrund dieser Briefe aus Kutais war die Auseinandersetzung Lenins mit Kautsky, Rosa Luxemburg, Plechanow, Axelrod und Wera Sassulitsch bezüglich des Problems „Führer und Massen“, bewußte Führung der Massen durch die Partei, oder „Spontaneitätstheorie“, nach der die Führer den spontanen Kämpfen der Massen folgen.29)

1.1.2. Zur Organisationsfrage

Von Bedeutung für die Ausarbeitung der Leninschen Parteitheorie war die Arbeit von Stalin „Die Klasse der Proletarier und die Partei der Proletarier (Zu Punkt 1 des Parteistatuts)“ vom 1. Januar 1905. Auf dem II. Parteitag der SDAPR (17. Juli bis 10. August 1903 in Brüssel und London) kam es zu einer scharfen Kontroverse zwischen den marxistischen Kräften und den Opportunisten in der Partei. Der Streit entzündete sich um eine entscheidende Organisationsfrage der Partei, der Frage nach der Mitgliedschaft in der Partei, um die Formulierung des $ 1 des Parteistatuts. Auf diesem Parteitag bildeten sich die beiden Strömungen heraus, Bolschewiki und Menschewiki, die Leninisten und Opportunisten, die sich unversöhnlich gegenüberstanden. Auf der Prager Parteikonferenz 1912 führte dieser Kampf zur Trennung der Bolschewiki von den Menschwewiki. „Die Meinungsverschiedenheiten“, schrieb Lenin, „die diese beiden Flügel gegenwärtig voneinander trennen, laufen hauptsächlich nicht auf programmatische und nicht auf taktische, sondern nur auf organisatorische Fragen hinaus.“ Lenin bezeichnete das „System der Anschauungen“ der um Martow gruppierten Genossen als „Opportunismus in organisatorischen Fragen.“30)

Stalin war auf dem Parteitag nicht anwesend und konnte sich erst mit diesem Artikel zu Wort melden. Die Protokolle des II. Parteitages muß er gekannt haben, sonst hätte er sich in seinem Artikel nicht so ausführlich mit den Auffassungen Martows auseinandersetzen können. Ob er Lenins Schrift „Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück“, veröffentlicht im Mai 1904, kannte, muß ich offen lassen. Er hat Lenin nur einmal angeführt, während er sich mit Martow sehr ausführlich auseinandergesetzt hat. Die Argumentation Stalins gegen Martow unterscheidet sich auch von der Lenins. Sie ist in einigen Aspekten noch schärfer.

Stalin faßte die Partei der Proletarier als eine „Kampfgruppe von Führern“ auf. Erstens muß sie nach ihrer Mitgliederzahl viel kleiner sein als die Klasse der Proletarier, sie muß zweitens nach ihrem Klassenbewußtsein und ihrer Erfahrung nach höher stehen als die Klasse der Proletarier, sie muß drittens eine geschlossene Organisation darstellen. Stalin betonte die Partei als eine „geschlossene zentralisierte Organisation“, damit sie das kämpfende Proletariat nach einem einheitlichen Plan führen kann.31) Unter diesem Aspekt „geschlossene, zentralisierte Organisation“ stellte Stalin die Frage nach der Mitgliedschaft, dem § 1 des Parteistatuts. Die Einheit von programmatischen, taktischen und organisatorischen Ansichten ist der Boden der Partei. Nur auf der Einheit dieser drei Ansichten können sich die Parteimitglieder zu einer zentralisierten Partei zusammenschließen. „Zerfällt die Einheit der Ansicht, so zerfällt auch die Partei.“ Folglich kann nur Parteimitglied sein, der das Parteiprogramm, die Taktik, das Organisationsprinzip „restlos akzeptiert.“32)

Gegen Schwätzer gewandt, die in einer Kampfpartei nichts zu suchen haben, müsse ein Parteimitglied darangehen, die genannten Ansichten auch zu verwirklichen, sie in die Tat umzusetzen. Die Partei sei eine Organisation von Führern, keine Anhäufung von Einzelgängern.33) Von den Parteimitgliedern sei zu fordern, daß die „persönlichen Interessen mit den Interessen der Partei verschmelzen.“ Die Partei sei „eine Festung“, deren Tore sich nur Erprobten öffnen.34) Ausführlich wandte er sich gegen Martow, dessen Formulierung des § 1 die Partei jedem Sympathisierenden öffnen würde, von dem nicht verlangt werde, in einer Parteiorganisation und unter deren Kontrolle mitzuarbeiten, also nicht der Parteidisziplin unterworfen wäre. In Übereinstimmung mit Lenin argumentierte Stalin, daß Professoren und Studenten, denen die Unterordnung unter die Parteidisziplin schwer falle, „die sich nicht entschließen können, ihre Wünsche den Wünschen der Partei unterzuordnen“, nicht in die Partei aufgenommen werden können. Martow, dem es gerade um die Aufnahme von diesen Intellektuellen ginge, ohne von ihnen die Unterordnung unter die Parteidisziplin zu fordern - da sie sonst der Partei fernbleiben würden - öffnete damit die Türen dem Opportunismus, „zu einer Zeit, wo Tausende von Feinden das Klassenbewußtsein des Proletariats bedrängen.“35)

Aus dem in diesem Halbsatz genannten Sachverhalt ergibt sich offenbar die Schärfe der Stalinschen Argumentation. Stalin erlebte die Unterdrückung durch die Selbstherrschaft am eigenen Leibe. Er war häufig in der Verbannung, in Gefängnissen oder auf der Flucht. Er mußte unter den Bedingungen der Illegalität arbeiten, ständig auf der Hut sein. Unter diesen Bedingungen konnte die Partei tatsächlich nur existieren, kämpfen und das Proletariat führen, wenn sie zentralistisch organisiert wurde und eine eiserne Disziplin herrschte. Für intellektuelle „Sympathisanten“, die die Disziplin nur vor den anderen, den den „niederen Klassen“ angehörenden Parteimitgliedern verlangten, selbst aber „über den Dingen“ standen, war in einer revolutionären Kampfpartei unter den genannten Bedingungen kein Platz.

Stalin war sich darüber im klaren, daß es einem Menschen schwer falle, sich mit diesen Bedingungen einverstanden zu erklären, „ist es doch kein Spaß, seine Wünsche den Wünschen der Partei unterzuordnen.“36) Stalin ging in seinen Forderungen offenbar über die von Lenin in seiner Schrift „Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück“ formulierten noch hinaus. Lag die Ursache dafür darin, daß Stalin den Kampf in der Illegalität unter den w.o. genannten Bedingungen führte, während Lenin in der Emigration - sicher auch kein Vergnügen - deren Druck nicht unmittelbar ausgesetzt war? Stalin wies selbst darauf hin, daß er sich in seinen Formulierungen von Lenin unterschied:

„In Martows Formulierung ist, wie wir wissen, nur von der Annahme des Programms die Rede, von der Taktik und der Organisation aber kein Wort, während für die Einheit der Partei die Einheit der organisatorischen und taktischen Ansichten in demselben Maße notwendig ist wie sie Einheit ihrer programmatischen Ansichten. Man wird uns sagen, auch in der Formulierung des Genossen Lenin werde hiervon nicht ge­sprochen. Richtig! Aber in der Formulierung des Genossen Lenin ist es ja auch nicht notwendig, darüber zu sprechen! Ist es nicht von selbst klar, daß derjenige, der in einer der Parteiorganisationen arbeitet, also auch gemeinsam mit der Partei kämpft und sich der Parteidisziplin fügt, keiner anderen Taktik und keinen anderen Organisationsprinzipien fol­gen kann als der Taktik der Partei und den Organisationsprinzipien der Partei? Was aber werdet ihr von einem „Parteimitglied“ sagen, das das Parteiprogramm akzeptiert hat, jedoch keiner Parteiorganisation angehört? Welche Garantie ist gegeben, daß dieses „Mitglied“ die Taktik und die organisatorischen Ansichten der Partei vertreten wird, und keine anderen?! Das ist es, was uns Martows Formulierung nicht er­klären kann! Martows Formulierung muß die Folge haben, daß uns eine seltsame „Partei“ in den Händen bleibt, deren „Mitglieder“ das gleiche Programm haben (das ist noch eine Frage!), während ihre taktischen. und organisatorischen Ansichten verschieden sind! Eine ideale Vielfäl­tigkeit. Wodurch wird sich dann unsere Partei von einem Bankett unterscheiden?“37)

Die Frage der Parteidisziplin beschäftigte Lenin und Stalin noch in weiteren Schriften.

1.1.3. Über das „Hereintragen“ des sozialistischen Bewußtseins in die Arbeiter­klasse

Ein Jahr später, April/Mai 1905 setzte sich Stalin erneut mit Parteifragen in seiner Broschüre „Kurze Darlegung der Meinungsverschiedenheiten in der Partei“ auseinander.38) In Übereinstimmung mit Lenin ging Stalin davon aus, daß nur zwei Ideologien in unserer Zeit existieren, die bürgerliche und die sozialistische. Die bürgerliche Ideologie sei viel älter, verbreiteter, habe tiefere Wurzeln im Leben geschlagen als die sozialistische. Das gesellschaftliche Leben sei von der bürgerlichen Ideologie „durchtränkt.“ Es sei viel leichter, die bürgerliche Ideologie zu verbreiten als die sozialistische.39)

Diese Feststellung galt nicht nur für das Rußland im Jahre 1905. Das Verhältnis in der Durchsetzung der sozialistischen Ideologie gegenüber der bürgerlichen ist abhängig von ganz konkreten Bedingungen. Nach der Zerstörung des europäischen Sozialismus ist es in Europa und in den USA sehr schwierig, im Kampf gegen die übermächtig erscheinenden bürgerlichen Medien die sozialistische Ideologie wenigstens in Grundzügen noch zu behaupten. Auch in unserer Zeit ist die Gesellschaft von der bürgerlichen Ideologie, man kann sagen, „von Kopf bis Zeh“, durchtränkt. Insofern ist die Auseinandersetzung zwischen Bolschewiki und Menschewiki in Rußland vor hundert Jahren noch immer aktuell. Die bürgerlichen Ideologen würden „nicht schlummern“, sie verkleiden sich auf ihre Art als Sozialisten und versuchen unermüdlich, die Arbeiterklasse der bürgerlichen Ideologie zu unterwerfen.40) Die Rolle, die damals die Menschewiki in der russischen und internationalen Arbeiterbewegung spielten, haben heute die „Reformer“ in der PDS und in vormals starken europäischen kommunistischen Parteien übernommen.

Die Arbeiterklasse fühle sich spontan zum Sozialismus hingezogen, aber die bürgerliche Ideologie dränge sich trotzdem spontan dem Arbeiter auf. Darum müsse die Partei die Arbeiterbewegung mit dem Sozialismus vereinigen. Die Arbeiterklasse würde sich natürlich „irgendeinmal, nach langen Irrungen und Qualen“ durch die spontane Bewegung auch „ohne Hilfe der Sozialdemokratie durchsetzen, bei den Toren der sozialen Revolution anlangen.“41) Der wissenschaftliche Sozialismus sei ohne Arbeiterbewegung nichts, aber die Arbeiterbewegung sei ohne wissenschaftlichen Sozialismus ein Schiff ohne Kompaß, „das auch so am andern Ufer landen wird...“ jedoch mit dem Kompaß ginge es schneller.42) Diese Aussagen, wonach die spontane Bewegung auch zum Sozialismus führen würde, ist heute, nach hundert Jahren, nicht mehr aufrechtzuerhalten. Eine ähnliche Aussage habe ich in späteren Arbeiten von Lenin und Stalin auch nicht mehr gefunden.

Der Schwerpunkt der Argumentation lag bei Lenin („Was tun?“) und Stalin auf der Begründung der Notwendigkeit des Hineintragens der sozialistischen Ideologie in die Arbeiterklasse, der Verbindung von sozialistischer Theorie mit der spontanen Arbeiterbewegung, da sich die Arbeiter spontan nicht den wissenschaftlichen Sozialismus aneignen können. Die Theorie wird von Intellektuellen ausgearbeitet, von Wissenschaftlern, die über die nötige Ausbildung, über das Wissen ihrer Zeit verfügen. Die Theorie entsteht außerhalb der Arbeiterbewegung und muß in diese hineingetragen werden. Damit wandte sich Stalin wieder der Frage nach den Gelehrten, den Intellektuellen zu. Die Intellektuellen entstammten zum überwiegenden Teil dem Bürgertum. „Der größte Teil der Gelehrten“, meinte Stalin, betrachte die Arbeiterbewegung als „eine Rebellion Widerspenstiger“, „die man mit der Peitsche zur Vernunft bringen sollte.“ Andere meinten, es sei „Pflicht der Reichen“, „den Armen irgendwelche Brosamen zuzuteilen, betrachteten die Arbeiterbewegung als eine „Bewegung von Bettlern, deren Ziel es sei, Almosen zu erhalten.“ Unter „tausend solcher Gelehrten wird sich vielleicht nur einer finden, der an die Arbeiterbewegung wissenschaftlich herangeht.“43)

Stalin zitierte aus einem Artikel Kautskys, der in Lenins „Was tun?“ abgedruckt war, wonach das „moderne sozialistische Bewußtsein“ nur „auf Grund tiefer wissenschaftlicher Einsicht“ entstehen kann. „Träger der Wissenschaft ist aber nicht das Proletariat, sondern die bürgerliche Intelligenz.“

In „einzelnen Mitgliedern“ dieser Schicht sei der moderne Sozialismus entstanden und durch sie erst „geistig hervorragenden Proletariern“ vermittelt worden, „die ihn dann in den Klassenkampf des Proletariats hineintragen. Das sozialistische Bewußtsein sei also etwas von außen in den Klassenkampf des Proletariats Hineingetragenes“, es sei nicht „urwüchsig“ in ihm entstanden.44) Desgleichen berief sich Stalin auf eine andere Aussage von Kautsky (zitiert bei Lenin: „Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück“, UH) bezüglich der Parteidisziplin. Der Proletarier sei nichts als isoliertes Individuum. Seine Kraft, Erwartungen und Hoffnungen schöpfe er aus der Organisation. Daraus folge, daß der Proletarier „sein Pflicht auf jeden Posten, auf den er gestellt wird, in freiwilliger Disziplin“ erfülle.

Der Literat dagegen füge sich nur mit großer Mühe der Parteidisziplin, nur aus Nötigung und nicht aus gutem Willen. „Die Notwendigkeit der Disziplin erkennt er nur für die Masse, nicht für auserlesenen Geister an.“ Er selbst rechnet sich natürlich zu den letzteren.45)

Bezüglich der Rolle der Intellektuellen in der Arbeiterbewegung zeigt sich auch hier Kontinuität von Marx/Engels zu Lenin und Stalin, auch über Kautsky, solange letzterer noch Marxist war. In dem bekannten „Zirkularbrief“ von Marx und Engels an Bebel, Liebknecht, Bracke und andere vom 17./18. September 1879 unterbreiteten sie Kriterien für die Aufnahme von Intellektuellen aus dem Bürgertum in die Partei: „1. müssen diese Leute, um der proletarischen Bewegung zu nutzen, auch wirkliche Bildungselemente mitbringen.“ 2. dürfen sie „keine Reste von bürgerlichen, kleinbürgerlichen etc. Vorurteilen mitbringen, sondern sich die proletarische Anschauungsweise unumwunden aneignen.“ Solche Intellektuellen, die in bürgerlichen und kleinbürgerlichen Vorstellungen befangen sind, sind „in einer Arbeiterpartei... ein fälschendes Element. Sind Gründe da, sie vorderhand darin zu dulden, so besteht die Verpflichtung, sie nur zu dulden, ihnen keinen Einfluß auf Parteileitungen zu gestatten, sich bewußt zu bleiben, daß der Bruch mit ihnen nur eine Frage der Zeit ist.“ In einem kleinbürgerlichen Land wie Deutschland hätten sie das Recht, sich als „sozialdemokratische Kleinbürgerpartei“ zu konstituieren, mit denen man ja verhandeln und je nach Umständen Kartell schließen könne.46)

Es ist interessant, daß schon in dieser Zeit ein Vertreter der kaukasischen Menschewiki behauptete, daß der „Leninismus dem Marxismus von Grund aus widerspricht.“47) Diese Behauptung ist also nicht neu, inzwischen schon hundert Jahre alt. Ist der Begriff „Leninismus“ vielleicht von einem Menschewiki erstmalig geprägt worden?

Deutscher meint zu diesem Artikel Stalins, es gäbe „...kein Zweifel darüber, daß Stalin ein unerbittlicher Leninist war.“48) Dem ist zuzustimmen. Es gab demnach auch bei Deutscher keinen Bruch zwischen Leninscher und Stalinscher Parteitheorie.

Die Fragen Zentralismus - Mitgliedschaft in der Partei - Verbindung von wissenschaftlichem Sozialismus mit der spontanen Arbeiterbewegung - sozialistische und bürgerliche Ideologie wurden in mehreren Artikeln sowohl von Lenin als auch von Stalin wiederholt behandelt, wobei auch neue Aspekte hinzugefügt wurden. So in Stalins Artikel „Antwort an den ‘Sozialdemokrat’“ vom 15. August 190549), den Lenin in einem Artikel vom 24. Oktober 1905 kurz reflektierte, wobei er die „ausgezeichnete Fragestellung über das berühmte ‘Hineintragen des Bewutßtseins’“ hervorhob.50) Es geht hierbei weniger um die Anerkennung des Artikels von Stalin durch Lenin, als um den Nachweis der Zusammenarbeit Lenins mit Stalin bei geographisch räumlicher Trennung und unter den Bedingungen der Illegalität für Stalin in dieser Zeit, um den Nachweis der Übereinstimmung, der Kontinuität von Lenin zu Stalin. Auch in diesem Artikel berief sich Stalin auf Kautsky und Lenin in der Auseinandersetzung mit den Menschewiki.

Stalin ging von „zwei großen Klassen“ aus, zwischen denen „ein Kampf auf Leben und Tod“ geführt werde. Die Lebensbedingungen der Bourgeoisie zwinge diese, die kapitalistischen Zustände zu festigen. Die Lebensbedingungen des Proletariats wiederum zwinge es, diese kapitalistischen Zustände aus der Welt zu schaffen. Entsprechend dieser beiden Klassen werde ein zweifaches Bewußtsein herausgearbeitet, das bürgerliche und sozialistische. Wenn es keinen Kapitalismus und keinen Klassenkampf gäbe, würde es auch kein sozialistisches Bewußtsein geben.

Wenn auch der wissenschaftliche Sozialismus von einigen wenigen sozialdemokratischen Intellektuellen ausgearbeitet und über die Partei das sozialistische Bewußtsein in die Arbeiterbewegung hineingetragen werde, dürfe man nicht daraus schließen, daß „es nur Intellektuelle in der sozialdemokratischen Partei“ gäbe. In der Partei gäbe es mehr fortgeschrittene Arbeiter als Intellektuelle. Mit der Entstehung des Proletariats, meint Kautsky, entstünden zugleich auch sozialistische Tendenzen, kämen sozialistische Bestrebungen auf. Diese sozialistischen Bestrebungen entstünden von selbst, aber diese Bestrebungen, diese sozialistischen Tendenzen dürfen nicht mit sozialistischem Bewußtsein verwechselt werden. Letzteres müsse, auch nach Kautsky, von außen in die Arbeiterklasse hineingetragen werden.51)

Diese von Kautsky, Lenin und Stalin mehrfach ausführlich begründete Notwendigkeit des Hineintragens des sozialistischen Bewußtseins durch die Partei in die spontane Arbeiterbewegung wird bis in die Gegenwart auch von Kommunisten angefochten. So meint der Sprecher der Bundeskoordination der Kommunistischen Plattform in der PDS, Friedrich Rabe: „Revolutionäres Bewußtsein entsteht in der Arbeiterklasse im Prozeß der Auseinandersetzung mit den täglichen Widersprüchen. Die These von der Möglichkeit, Bewußtsein in die Arbeiterklasse hineintragen zu können, trägt zutiefst idealistischen Charakter. Sie vermittelt die Illusion, den Zeitpunkt gesellschaftlicher Veränderungen selbst bestimmen zu können. Eine große historische Leistung ist es bereits, wenn es gelingt den Zeitpunkt zu erkennen, in dem sich qualitative gesellschaftliche Veränderungen anbahnen, um Einfluß auf ihre Entwicklungsrichtung zu nehmen.“

Die Begründung des „idealistischen Charakters“ der These vom „Hineintragen“ bleibt Genosse Rabe schuldig. Niemand hat behauptet, durch das „Hineintragen“ den Zeitpunkt gesellschaftlicher Veränderungen bestimmen zu können. Wenn er diese Illusion hat, ist dies seine Sache. Jedenfalls hat die Politik des Hineintragens maßgeblich zur Bildung marxistisch-leninistischer Parteien im internationalen Maßstab beigetragen, und diese Parteien waren solange erfolgreich, bis sie von Revisionisten von innen zerstört werden konnten. Offenbar will aber auch Genosse Rabe „Einfluß“ auf „Entwicklungsrichtungen“ nehmen. Wie denn? Nicht „von außen“?

Stalin ging in seinem Artikel weiter auf die Ursachen der Spaltung der Partei in Bolschewiki und Menschewiki ein. Niemand habe die Menschewiki daran gehindert, „einen Kampf der Ideen und Prinzipien zu führen. Haben ihnen etwa die Bolschewiki nicht gesagt: Schafft ein besonderes Organ und verteidigt eure Ansichten, die Partei kann euch ein solches Organ zur Verfügung stellen...?“52) Die Menschewiki wären damit nicht einverstanden‚ sie zögen den Kampf „um Sitze“, d.h. in den damaligen Vertretungskörperschaften, der Dumas, vor. Stalin sah die Ursachen der Spaltung in der politischen Charakterlosigkeit der menschewistischen Führer, die er auch begründete:

Nimmt man solche Züge zusammen, wie politische Charakterlosigkeit, Kampf um der Sitze willen, Unstandhaftigkeit, Prinzipienlosigkeit und andere derartige Eigenschaften, so erhalten wir eine gewisse all­gemeine Eigenschaft - intelligenzlerische Wankelmütigkeit, an der vorallem Intellektuelle leiden. Es ist klar, daß intelligenzlerische Wankel­mütigkeit der Boden (die Basis) ist, auf der der „Kampf um der Sitze willen“, „Prinzipienlosigkeit“ und dergleichen mehr entsteht. Die Unstatthaftigkeit der Intellektuellen aber ist bedingt durch ihre gesell­schaftliche Lage. So erklären wir die Parteispaltung.53) Damit war die Parteispaltung sowohl aus objektiven Ursachen, der „gesellschaftlichen Lage“ der Intellektuellen, als auch aus der sich daraus ergehenden „intelligenzlerischen Wankelmütigkeit“, aus psychologischen Ursachen erklärt, in Übereinstimmung mit Kautsky und Lenin.

1.1.4. Anarchismus oder Sozialismus

In dieser gleichnamigen Artikelserie, geschrieben Juli 1906 bis April l90754), unterschied Stalin im Sozialismus drei Hauptströmungen: Reformismus, Anarchis­mus und Marxismus. Da seine Arbeit auf die Auseinandersetzung mit dem Anarchismus gerichtet war, der zu dieser Zeit im Kaukasus unter einem Teil des Kleinbürgertums, aber auch unter Arbeitern, verbreitet war, begnügte er sich gegenüber dem Reformismus mit der Bemerkung, daß dieser „von Tag zu Tag immer mehr alle sozialistischen Kennzeichen“ verlöre.55)

Stalin wandte sich gegen die Auffassung, daß Marxismus und Anarchismus ein und dieselben Prinzipien hätten, es zwischen ihnen lediglich taktische Meinungsverschiedenheiten gäbe. Dies sei ein großer Irrtum. „Wir sind der Auffassung, daß die Anarchisten richtige Feinde des Marxismus sind.“55a) Mit dieser anscheinend sehr apodiktischen Charakterisierung des Anarchismus befand sich Stalin auch hier in völliger Übereinstimmung mit Marx und Engels. Mit dem Anarchismus - im 19. Jahrhundert mit Proudhon und vor allem mit Bakunin - hatten sich Marx und Engels mehrfach auseinanderzusetzen. Ihre Artikel gegen den Anarchismus Bakunins aus den Jahren 1872 - 1874 umfassen allein im Band 18 der Werksausgabe (MEW) über 300 Seiten, über ein Drittel des gesamten Bandes.55b)

Bakunin und seine Anhänger waren keineswegs erfolglos in ihrer Arbeit, die Internationale Arbeiter-Assoziation (IAA) von innen zu zersetzen. Ihre Tätigkeit hatte wesentlich zu der Entscheidung von Marx und Engels beigetragen, die IAA aufzulösen. Die Rolle, die Bakunin in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts gespielt hat, hatten Anfang des 20. Jahrhunderts in Rußland Kropotkin und seine Anhänger, Stalin nennt unter anderen W. Tscherkesischwili, P. Ramus, Baton, übernommen. Auch im Anarchismus gibt es Kontinuität von Proudhon bis in die Gegenwart, im internationalen Maßstab.

Der „Hauptfeind“ der Anarchisten ist nicht das Kapital, sondern der Staat, das „Hauptübel“, das abgeschafft werden muß. Vom Klassencharakter des Staates wird abstrahiert. Darum keine politischen Parteien, keine politische Bewegung, keine politischen Führer, keine Autorität, die nur in einer Diktatur enden können. Wo die Anarchisten die Oberhand gewinnen, die „Führung“ übernehmen, führt dies zur Niederlage jeder revolutionären Bewegung, wie im Sommer 1873 in Spanien. Die Bakunisten hatten dabei die gutorganisierte und zahlreiche spanische Internationale faktisch in ihre Auflösung geführt, ihre Reorganisation auf Jahre hinaus unmöglich gemacht. Sie haben, so Engels, „ein unübertreffliches Muster davon geliefert, wie man eine Revolution nicht machen muß.“55c)

Die russischen Anarchisten warfen der SDAPR vor, daß sie ihre Diktatur über das Proletariat errichten, die alte Sklaverei fortsetzen wolle, daß sie nicht revolutionär sei. Es ist interessant, daß diese unsinnigen Thesen der Anarchisten bis in die Gegenwart im Arsenal antikommunistischer Diffamierung der sozialistischen Staaten enthalten sind - nur wenn die Anarchisten Bomben gegen ihre eigenen Staatsgebäude werfen, geht das Geheule los, wobei dann die Verbrechen der Anarchisten gern den Kommunisten unterstellt werden. Es grenzt schon an ein Wunder, daß der verbrecherische Anschlag auf das World-Trade-Center am 11. September 2001 nicht auf die „infernalischen“ Kräfte der Kommunisten zurückgeführt wird. So ist der Anarchismus auf dem bürgerlichen Politikmarkt wenigstens noch zu verwerten.

In den ersten beiden Teilen seiner Artikelserie setzte sich Stalin mit dem Anarchismus auf philosophischem Gebiet auseinander, wobei er Grundzüge der dialektischen Methode und der materialistischen Theorie in allgemein verständlicher Sprache darlegte. Stalin war kein Philosoph. Aber er kannte die einschlägigen Werke von Marx und Engels. Er verfügte über die didaktische Fähigkeit, selbst komplizierte Probleme der marxistischen Philosophie in einfachen Worten darzulegen, daß sie von wenig gebildeten Arbeitern, soweit sie überhaupt lesen konnten, verstanden wurden. Bei einer solchen Darstellungsweise konnte Stalin auf drastische Vereinfachungen nicht verzichten, die ihm bis heute von Intellektuellen verschiedener Couleur den Vorwurf der „Primitivität“ einbrachte. Es gab bei Stalin zeitweilig auch anfechtbare Auffassungen zur Philosophie. Aus einem Brief Stalins an M.G. Zchakaja geht hervor, daß er den von Lenin kritisierten Epiriokritizismus (1908)56) in seiner Gefährlichkeit unterschätzt hatte. Stalin meinte, daß es Aufgabe der Bolschewiki sei, die Philosophie von Marx und Engels „im Geiste von J. Dietzgen weiterzuentwickeln und sich dabei gleichzeitig die guten Seiten des ‘Machismus’ anzueignen.“57)

Da mir der genannte Brief nicht vorlag, muß ich offen lassen, wann der Brief geschrieben wurde und welche Seiten des „Machismus“ von Stalin als „gut“ verstanden wurden. Man kann Stalin als einen didaktisch guten und verständlichen Interpreten des dialektischen und historischen Materialismus bezeichnen, was auch auf seine Darstellung der marxistischen Philosophie in der „Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (Bolschewiki) Kurzer Lehrgang“ zutrifft.58) Auf 34 Seiten einen Abriß des dialektischen und historischen Materialismus verständlich auszuarbeiten, zeugt von didaktischem und pädagogischen Geschick.

Für die Parteitheorie ist der dritte Teil, „Der proletarische Sozialismus“59) von Bedeutung. Stalin verwendete durchgängig den Begriff „Sozialismus“. Aus dem Kontext wird ersichtlich daß er unter Sozialismus die höhere Phase der kommunistischen Gesellschaft verstand. Die Verwendung der Begriffe „Sozialismus“ und „Kommunismus“ wurden auch von Marx und Engels synonym verwendet. Sie bezeichneten ihr „Manifest“ als das der „Kommunistischen Partei“, weil in dieser Zeit (1847) unter Sozialismus einmal die Auffassungen der französischen utopischen Sozialisten, diverser kleinbürgerlicher Bewegungen, sowie die der „mannigfaltigsten sozialen Quacksalber“ verstanden wurden, „...die mit allerhand Flickwerk, ohne jede Gefahr für Kapital und Profit, die gesellschaftlichen Mißstände aller Art zu beseitigen versprachen...“‚ unter Kommunismus die revolutionären proletarischen Bewegungen und des utopischen Arbeiterkommunismus.60)

In der bekannten „Kritik des Gothaer Programms“ spricht Marx von zwei Phasen der kommunistischen Gesellschaft, einer „ersten“ und einer „höheren“, von „Umwandlungen des Staatswesens“ in einer kommunistischen Gesellschaft.61) Engels spricht im „Anti-Dühring“ vom „wissenschaftlichen Sozialismus.“62) In „Staat und Revolution“, geschrieben August bis September 1917, spricht Lenin ebenfalls von „erster“ und „höherer“ Phase des Kommunismus, wobei er für „erste Phase“ in Klammern hinzufügt: („Sozialismus“ im landläufigen Gebrauch des Wortes) oder (die gewöhnlich Sozialismus genannt wird).63) In der gleichen Schrift spricht Lenin vom „wissenschaftlichen Unterschied zwischen Sozialismus und Kommunismus.“ „Was gewöhnlich als Sozialismus bezeichnet wird, nannte Marx die ‘erste’ oder ‘niedere’ Phase der kommunistischen Gesellschaft. Insofern die Produktionsmittel Gemeineigentum werden, ist das Wort ‘Kommunismus’ auch hier anwendbar, wenn man nicht vergißt, daß es kein vollkommener Kommunismus ist.“64) In „Die große Initiative“ (Juni 1919) heißt es bei Lenin: „In Parenthese sei bemerkt: Der wissenschaftliche Unterschied zwischen Sozialismus und Kommunismus besteht lediglich darin, daß das erste Wort die erste Stufe der aus dem Kapitalismus erwachsenden neuen Gesellschaft, das zweite Wort die höhere, weitere Stufe dieser Gesellschaft bezeichnet.)65)

Wann, wer, zuerst diese Begriffsbestimmungen vorgenommen hat, ist wohl kaum noch zu ermitteln. Diese Hinweise sind aber wichtig, weil immer wieder unter Berufung auf Zitate von Lenin oder Stalin behauptet wird, daß schon im Sozialismus die Ware-Geld-Beziehungen aufgehoben werden und der Staat verschwinden, absterben muß, wobei übersehen wird, daß die beiden Begriffe zumindest bis 1919 auch als Synonyme verwendet wurden.“ So mutet es auch heute seltsam an, wenn in linken Publikationen von „Sozialisten“ und „Kommunisten“ gesprochen, zur Aktionseinheit von „Sozialisten“ und „Kommunisten“ aufgerufen wird, man „Sozialisten“ und „Kommunisten“ zusammenführen will.

Was sind denn nun „Sozialisten“, was „Kommunisten“? Wollen die ersteren nur die niedere Phase der - ja was? - kommunistischen Gesellschaft errichten? oder sollen wir wieder unterscheiden: „Sozialisten“ = „Quacksalber“, „Kommunisten“ = „Revolutionäre“? Oder werden „Soziallisten“ und „Kommunisten“ als Synonyme verwendet? Dann braucht man sie nicht „zusammenzuführen.“ Nicht exakte Begriffsbestimmungen führen zu Beliebigkeiten in der Theorie und Politik, dann bleibt jedem überlassen, was er unter Sozialisten, Kommunisten versteht, kann sich jedes Blättchen als „sozialistisch“ bezeichnen. „Laßt alle Blumen blühen!“

Stalin erklärte den proletarischen Sozialismus als eine „direkte Schlußfolgerung aus dem dialektischen Materialismus“66) vom Anwachsen des städtischen und ländlichen Proletariats, dessen Klasseninteresse die Abschaffung des kapitalistischen und die Einführung des sozialistischen Eigentums erfordert. In der sozialistischen Gesellschaft wird es Klassen, Warenproduktion, Kauf und Verkauf nicht mehr geben, somit auch keine Käufer und Verkäufer der Arbeitskraft, keine Unternehmer und Lohnarbeiter. Mit der Lohnarbeit wird auch jedes Privateigentum an den Produktionsmitteln aufgehoben. Hauptziel der zukünftigen Produktion wird nicht der Profit der Kapitalisten, sondern die unmittelbare Befriedigung der Bedürfnisse der Gesellschaft sein. Es wird keinen Platz geben für zersplitterte Produktion, Konkurrenz, Krisen und Arbeitslosigkeit

Wo es keine Klassen gibt, bedarf eines keines Staates, keiner politischen Gewalt mehr. Es folgen diesbezügliche Zitate von Marx und Engels, in denen die höhere Phase der kommunistischen Gesellschaft charakterisiert wird als einer „Assoziation ... welche die Klassen und ihren Gegensatz ausschließt“, in welcher es „keine eigentliche politische Gewalt mehr geben...“ wird (Marx 1846) in der die ganze Staatsmaschinerie „ins Museum der Altertümer, neben das Spinnrad und die bronzene Axt“ gesetzt wird. (Engels, 1884)67)

„Selbstredend“ wird es in der „höheren“ Phase eine „Leitung der gemeinsamen Angelegenheiten neben den örtlichen Büros“ geben, ein „statistisches Zentralbüro“...„das Angaben über die Bedürfnisse der gesamten Gesellschaft sammeln und dann die verschiedene Arbeit unter die Schaffenden entsprechend verteilen wird.“ Auch Konferenzen und Kongresse würde es geben, deren Beschlüsse für die in der Minderheit gebliebenen Genossen bis zum nächsten Kongreß bindend sein werden.68)

1906/07 gab es noch keinerlei praktische Erfahrungen über den Aufbau des Sozialismus, weder in einer Übergangsperiode noch in der „niederen“ Phase, schon gar nicht über die „höhere“ Phase. So schließt denn Stalin diesen Abschnitt mit den bekannten Sätzen aus der „Kritik des Gothaer Programms“: „In einer höheren Phase der kommunistischen (d.h. sozialistischen) Gesellschaft, nachdem die knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit verschwunden ist; nachdem die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden; nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch die Produktionskräfte gewachsen sind, ...erst dann kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahnen schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.“69)

Die sozialistische Gesellschaft setze auch ein sozialistisches Bewußtsein der Menschen voraus. Die Entwicklung der modernen Produktivkräfte werde behindert durch das kapitalistische Eigentum. Es sei klar, wenn es dieses nicht mehr geben würde, würden sich die Produktivkräfte verzehnfachen. Die Gefühle und Anschauungen der Menschen seien auch nicht unveränderlich, sie seien im Urkommunismus, als der Mensch noch kein Privateigentum kannte, andere, als in der Zeit: wo es Privateigentum gab. Unter sozialistischen Verhältnissen würde „das Fühlen und Denken der Menschen von sozialistischen Bestrebungen durchdrungen“ sein.70)

Der proletarische Sozialismus von Marx sei kein „schöner Traum“, kein „Phantasiegebilde“. Als wissenschaftlichen Beweis für die Verwirklichung des proletarischen Sozialismus führt Stalin an, daß „mit einer Veränderung der Form der Produktion sich früher oder später auch die Form des Eigentums unvermeidlich ändert.“71) In der bisherigen Geschichte war es so gewesen. Der Produktionsprozeß, die Arbeit, hätten bereits gesellschaftlichen Charakter, „eine sozialistische Prägung“ angenommen. Der gesellschaftliche Charakter der Produktion widerspreche dem privaten Charakter der Aneignung, woraus folgt, daß „die moderne kollektive Arbeit unvermeidlich zum kollektiven Eigentum führen muß,... .“72)

Nun sind hier die Marx‘schen Gedanken in einem gewissen schematischen Automatismus des Geschichtsprozesses zusammengefaßt, wie ihn Marx so nicht geäußert hat. Aus der Sicht Anfang des 20. Jahrhunderts für die Arbeiter unterschiedlicher Nationalität und zum Teil sehr niedrigen Bildungsniveau geschrieben, eine verständliche Darstellungsweise. Solche bedenklichen Vereinfachungen in der Darstellung des Marxismus haben Stalin auch immer wieder den Vorwurf der „Dogmatisierung“ des Marxismus von seinen Kritikern eingebracht. Unter dem heutigen Bildungsstand linker Parteien, der heutigen Arbeiterklasse, ist eine solche Kritik sehr einfach, zugleich aber auch unhistorisch, da sie die damaligen konkreten Wirkungsbedingungen in Rußland außer acht läßt. Ein abstraktes Herangehen vom heutigen theoretischen Erkenntnisstand an hundert Jahre zurückliegende historische Ereignisse, Theoriebildung und -vermittlung führt zwangsläufig zu Fehlurteilen.

Stalin deutet dann auch neben der „Unvermeidlichkeit“ des Sozialismus in einem anderen Zusammenhang auf die Alternative hin, „...daß entweder alles gesellschaftliche Leben zusammenbrechen muß, oder daß das Proletariat... zum Herrn der modernen Produktion, zu ihrem... sozialistischen Eigentümer werden muß.“73) Stalin berief sich für seine Ausführungen auf Engels im „Anti-Dühring“ wonach „...eine Umwälzung der Produktions- und Verteilungsweise stattfinden muß, die alle Klassenunterschiede beseitigt, falls nicht die ganze moderne Gesellschaft untergehen soll... .“ Darin begründe sich die „Siegesgewißheit des modernen Sozialismus“.74)

Das sozialistische Ideal sei nicht das Ideal aller Klassen. Nur das Proletariat sei unmittelbar am Sozialismus interessiert. Für die Verwirklichung den Sozialismus bedarf es des Klassenbewußtseins, des Zusammenschlusses des Proletariats und der Fähigkeit, seine eigene Sache zu führen. Der Weg zum Sozialismus führe über den Klassenkampf, der mannigfaltige Formen aufweise, Streik, Boykott, Sabotage, Kundgebungen, Demonstrationen, Teilnahme an Vertretungskörperschaften. Alle diese Kampfformen seien vorbereitende Mittel, aber keine dieser Formen, auch der Generalstreik, für sich allein genommen, können den Kapitalismus aus der Welt schaffen. Das entscheidende Mittel sei die sozialistische Revolution. Dies dürfe nicht als ein plötzlicher, kurz dauernder Schlag verstanden werden, sondern sei ein „lang andauernder Kampf der proletarischen Massen.“ Die Erringung der politischen Herrschaft durch das Proletariat sei die „erste Stufe“ der Revolution. Mit der „Sozialistischen Diktatur des Proletariats“ muß die sozialistische Revolution beginnen.75)

Die sozialistische Revolution und die Errichtung der Diktatur des Proletariats erfordere die Organisiertheit des Proletariats; Gewerkschaften und Arbeitergenossenschaften als notwendige Organisationen der Proletarier können allein nicht den organisatorischen Bedürfnissen des kämpfenden Proletariats genügen. Der Zweck dieser Massenorganisationen ist die Verbesserung der Lage der Arbeiter im Kapitalismus. Aber sie können nicht. den Kapitalismus beseitigen. Dazu bedarf es einer Organisation‚ „die die klassenbewußten Elemente der Arbeiter aller Berufe um sich schart, das Proletariat in eine ihrer selbst bewußte Klasse verwandelt und auch die Zertrümmerung der kapitalistischen Zustände, die Vorbereitung der sozialistischen Revolution zum Hauptziel setzt.“76) Diese Partei muß Klassenpartei, eine revolutionäre Partei, eine internationale Partei sein. Die Befreiung der Arbeiter sei keine nationale, sondern eine soziale Frage, wobei Stalin auf das zaristische Rußland als einem Nationalitätenstaat verweist, in dem die soziale Befreiung für den georgischen und russischen Arbeiter, wie für die Proletarier der anderen Nationen von gleicher Bedeutung sei.77)

Daß Stalin den internationalistischen Charakter der Partei aus den Bedingungen des Nationalitätenstaates erklärt, ist bezüglich des Adressaten verständlich trägt jedoch allgemeingültigen Charakter. Desgleichen ist der Hinweis Stalins auf die Notwendigkeit des Zentralismus in den Organisationen des Proletariats, nicht nur der Partei, sondern auch der Gewerkschaften und Genossenschaften, im Gegensatz zur föderalistischen Zersplitterung nicht nur eine Besonderheit des Nationalitätenstaates, wobei der Zwischensatz „soweit dies möglich ist“, beachtet werden muß. Die Frage des Zentralismus als einem allgemeinen Organisationsprinzip der proletarischen Partei ist je nach den konkreten Bedingungen zu beantworten. Eine schematische Anwendung eines allgemeinen Prinzips kann Schaden anrichten. Es sei klar, daß alle Organisationen des Proletariats auf „einer demokratischen Grundlage aufbauen müssen, soweit natürlich irgendwelche politischen und andere Bedingungen dies nicht verhindern.“78) Auch diese wichtige Bemerkung galt nicht nur für das zaristische Völkergefängnis, in dem jede demokratische Bewegung brutal unterdrückt wurde.

Die seit hundert Jahren immer wieder von wohlmeinenden Intellektuellen aufgestellte Forderung nach „Demokratisierung“ in ihrer abstrakten Form, unabhängig von den konkret-historischen Bedingungen, dem Grad der Unterdrückung, dem Klassenkräfteverhältnis, dem politischen und theoretischen Niveau der Arbeiter, auch der Partei der Arbeiterklasse selbst, hat in der Konsequenz, wie die geschichtlichen Erfahrungen beweisen, immer nur der Konterrevolution den Weg geebnet. Sollen die Gewerkschaften und Genossenschaften unter Führung der Partei stehen oder parteilos sein? „Die Entscheidung dieser Frage hängt davon ab, wo und unter welchen Bedingungen das Proletariat zu kämpfen hat.“79) Also auch in dieser Frage gibt es keinen Schematismus. Natürlich müsse die Partei freundschaftliche Beziehungen zu diesen Organisationen herstellen. Je besser diese Beziehungen entwickelt seien, je besser würden diese sich entwickeln. Ansonsten könnten die Gewerkschaften verflachen, die Interessen der Gesamtklasse zugunsten reiner Berufsinteressen verletzen und dem Proletariat großen Schaden zufügen. Darum sei es notwendig, „in allen Fällen den ideologisch-politischen Einfluß der Partei auf die Gewerkschaften und Genossenschaften sicherzustellen.80)

In den letzten Abschnitten setzt sich Stalin mit Argumenten der Anarchisten auseinander, wie diese sich zum proletarischen Sozialismus verhalten. So behauptete W. Tscherkesischwili, als der „unvergleichliche Führer“ der Anarchisten, das „Kommunistische Manifest“ von Marx und Engels sei von Anfang bis Ende aus dem „Manifest“ Victor Considérants „gestohlen“ worden. Das „Manifest“ von Marx und Engels sei eine „sehr mittelmäßige Paraphrasierung... des Manifests von Considérant.“81) Solche unbewiesenen Behauptungen und Unterstellungen waren und sind in der antikommunistischen Publizistik aller Couleur gang und gäbe, waren und sind gefährlich. Wer von den Arbeiter und Bauern Rußlands, besonders des Kaukasus mit 40 Nationalitäten, hatte, Considérants Schriften zur Hand, um die Aussage von Tscherkesischwili überprüfen zu können? (Wer von den heutigen Werktätigen hat die Schriften Cosidérants auf seinen Bücherregalen stehen, ja kennen ihn überhaupt?)

Es ist seit den ersten Schriften von Marx und Engels eine gängige Methode: Ich behaupte irgend einen Unsinn, unterstelle diesen Unsinn Marx, widerlege diesen Unsinn und habe damit Marx widerlegt, „endgültig!“, „wissenschaftlich!“ Für Marx können auch Engels, Lenin, Stalin, Mao und andere kommunistische Theoretiker eingesetzt werden, ganz nach Belieben.

Auch Stalin hatte, dem Kontext zu folgen, die Schriften Considérants nicht zur Hand. Stalin stützte sich in seiner Erwiderung gegen Tscherkesischwili auf Paul Louis: Geschichte des Sozialismus in Frankreich und auf Karl Kautsky: Das Kommunistische Manifest - ein Plagiat?82) Gestützt auf diese beiden Schriften konnte Stalin Considérant richtig als Utopisten charakterisieren, der die Rettung Frankreichs in einer Versöhnung der Klassen sah, ein Gegner des Kommunismus war. Daraus ergab sich die Unvereinbarkeit des „Demokratischen Manifests“ von Considérant mit dem „Manifest“ von Marx und Engels.83)

Kropotkin behauptete, daß die Anarchisten für den „freien Kommunismus“ seien, während die Sozialdemokratie „Staatskapitalismus“ und „Kollektivismus“ wollten. Stalin zitierte ausführlich aus den einschlägigen Schriften der Anarchisten84) und faßte deren Auffassungen zusammen: Nach Ansicht der Sozialdemokraten wäre die sozialistische Gesellschaft (gemeint ist die „höhere“ Stufe der kommunistischen Gesellschaft, UH) unmöglich ohne Regierung, die als „Hauptunternehmer“ die Arbeiter einstellt. Sie würde „Minister ... Gendarmen, Spione haben. Die Teilung in „schwarze“ und „weiße“ Arbeit werde nicht aufgehoben, das Prinzip „Jedem nach seinen Bedürfnissen“ verworfen, dafür ein anderes Prinzip anerkannt, „Jedem nach seinen Verdiensten.“85) Man glaube nicht, daß solcher Blödsinn keine Wirkungen habe. Allein schon die Wortbildungen „Gendarmen“ - „Spione“ rufen Abwehr hervor, denn allzu bekannt sind die zaristischen Gendarmen und Spitzel. Stalin widerlegte diese unsinnigen Unterstellungen mit bekannten Zitaten von Marx und Engels aus verschiedenen Werken von 1846 bis 1871, von denen ich hier nur auf das „Manifest der Kommunistischen Partei“ und die „Kritik des Gothaer Programms“ verweise.86)

Nach Auffassung der Anarchisten habe die Sozialdemokratie keinen revolutionären Charakter, hätte keine Volksverbundenheit, und soweit sie für eine Diktatur eintrete, so sei es keine Diktatur des Proletariats, sondern ihre eigene Diktatur über das Proletariat.87) Stalin zitierte ausführlich Kropotkin und aus Publikationen georgischer Anarchisten, die sich gegen die Idee der Diktatur aussprachen, die nichts andere sei „als ein übles Produkt des Regierungsfetischismus, der ... stets bestrebt war, die Sklaverei zu verewigen.“88) Auch hier verwies Stalin in seiner Polemik auf die einschlägigen Werke von Marx und Engels, besonders auf deren Auswertung der Pariser Kommune (1871) sowie auf Lissagaray: „Geschichte der Pariser Kommune“ und Arthur Arnould: „Volkstümliche Geschichte der Pariser Kommune.“89)

Erfahrungen über die politische Machtausübung der Arbeiterklasse lagen zu dieser Zeit auch noch nicht vor. Die Auseinandersetzung Stalins mit den Anarchisten konnte daher nur theoretisch erfolgen, wobei er sich vor allem auf Marx, Engels und Kautsky stützte, wodurch seine Argumentation unvermeidlich den Charakter einer Zitatensammlung annahm. Aber wer wußte denn mehr über diese Problematik in dieser Zeit als Marx, Engels, Kautsky, Lissagaray und Arnould, und nur auf deren Verallgemeinerung ihrer Erfahrungen mit dem Anarchismus des 19. Jahrhunderts in Gestalt der Theorie des wissenschaftlichen Sozialismus konnte sich Stalin stützen, wobei die Kontinuität von Bakunin zu Kropotkin unübersehbar ist, letzterer insofern gefährlicher war, als in Rußland und in Asien eine Periode demokratischer und proletarischer Revolutionen heranreifte, die mit der Revolution 1905 in Rußland eröffnet wurde. Die Artikel Stalins zeigen zugleich, daß er trotz seiner Tätigkeit unter den Bedingungen der Illegalität ausgezeichnete Kenntnisse über die einschlägige Literatur hatte.

1.1.5. Einheit oder Spaltung der Partei

In der Zeit von 1907 bis 1917 befand sich Stalin fast das gesamte Jahrzehnt im Gefängnis, in der Verbannung oder auf der Flucht.90) Daraus erklärt sich, daß es aus dieser Zeit nur wenige Schriften von Stalin gibt. Neben dieser quantitativen Seite hatten die konkreten Lebensbedingungen, unter denen Stalin schreiben mußte, auch qualitative Auswirkungen. Es geht dabei nicht um „Stilfragen“, an denen Deutscher und andere Schöngeister ständig herumnörgeln, sondern um inhaltliche Fragen. In seinen Forderungen an die Partei war Stalin in einigen Fällen schärfer als Lenin. In seinem durch Verhaftung nicht vollendeten Artikel „Der Londoner Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Rußlands (Aufzeichnungen eines Delegierten)“, geschrieben im zweiten Halbjahr 190791), ging es um zwei Fragen der Parteitheorie, die Frage nach der Einheit der Partei und zur Frage „führende Rolle“ der Partei oder Partei als „Avantgarde“? Der Parteitag habe zu einem weiteren Zusammenschluß, zur Festigung der Partei beigetragen. Die Partei würde „von nun an eine streng konsequente Klassenpolitik des sozialistischen Proletariats durchführen.“ Die faktische Vereinigung der fortgeschrittenen Arbeiter ganz Rußlands zu einer einheitlichen, gesamtrussischen Partei unter dem Banner des revolutionären Sozialdemokratismus wäre der Sinn des Londoner Parteitages gewesen.92)

Die wichtigsten Meinungsverschiedenheiten in der Partei gingen um das Verhältnis zu den bürgerlichen Parteien. Nach Ansicht der Menschewiki müsse die Arbeiterklasse den Kampf gegen den Zarismus unter Führung der liberalen Bourgeoisie führen, die SDAPR müsse daher Abkommen mit den bürgerlichen Parteien abschließen, dürfe diese nicht durch revolutionäre Losungen erschrecken. Die Bolschewiki vertraten dagegen die entgegengesetzte Auffassung. Die liberale Bourgeoisie hatte sich in der demokratischen Revolution als antirevolutionär erwiesen. Die Führung im Kampf gegen den Zarismus muß das Proletariat selbst übernehmen. Das Proletariat wiederum kämpft unter der Führung der in der SDAPR organisierten fortgeschrittensten Arbeiter. Die „Einheit“ auf dem V. Parteitag erwies sich jedoch als trügerisch. Es waren keine taktischen Meinungsverschiedenheiten sondern hinter diesen verbargen sich Klassenfragen. Die „Einheit“ kam letztendlich dadurch zustande, daß eine Resolution der Bolschewiki nicht durchkam, in der die Fehler des Zentralkomitees festgestellt wurden, aus Erwägungen, „nur ja keine Spaltung herbeizuführen.“ Dies habe, so Stalin, „stark auf die Genossen“ eingewirkt. Die Resolution der Menschewiki, in der dem Zentralkomitee das Vertrauen ausgesprochen wurde, fand ebenfalls keine Mehrheit.93)

Stalin hatte die klassenmäßigen Ursachen der gegensätzlichen Taktiken klar erkannt: „Offensichtlich ist die Taktik der Bolschewiki die Taktik der Proletarier der Großindustrie, die Taktik derjenigen Gebiete, wo die Klassengegensätze besonders klar sind und der Klassenkampf besonders scharf ist. Der Bolschewismus - das ist die Taktik der echten Proletarier. Anderseits ist es nicht weniger offensichtlich, daß die Taktik der Menschewiki vorwiegend eine Taktik der im Handwerk beschäftigten Arbeiter und der bäuerlichen Halbproletarier ist, eine Taktik derjenigen Gebiete, wo die Klassengegensätze nicht ganz klar sind und der Klassenkampf verschleiert ist. Der Menschewismus - das ist die Taktik der halbbürgerlichen Elemente des Proletariats.“94)

Stalin faßte zwei Reden, die Rosa Luxemburg auf dem Parteitag gehalten hatte, zusammen, in denen sie die Führer des Menschewismus, Plechanow und Axelrod, als Opportunisten bezeichnete. Auch die Bolschewiki würden „manchmal danebenhauen, manchmal sonderbar und allzu felsenfest sind, aber ich verstehe und rechtfertige sie durchaus: angesichts der zerfließenden, gallertartigen Masse des menschewistischen Opportunismus muß man felsenfest sein... .“95) Stalin hat aus den Reden Rosa Luxemburgs allerdings einseitig nur das zusammengefaßt, was den Standpunkt der Bolschewiki stützte, vor allem die Kritik am Liberalismus. Die kritischen Bemerkungen gegen die „sogenannten Bolschewiki“ hat er nicht reflektiert, die auch nicht stichhaltig waren. Nach Rosa Luxemburgs Auffassung könne die Partei einen bewaffneten Aufstand nicht vorbereiten. Diese, ihre Hinwendung zur Spontaneität ist sachlich falsch. Möglicherweise wollte sich Stalin hier nicht mit Rosa Luxemburg auseinandersetzen. Richtig an der Reflexion ihrer Reden bleibt, daß sie „trotz einzelner Vorbehalte“ sich mit den Bolschewiki solidarisch erklärte. Gegenüber den dogmatischen Abweichungen der Menschewiki vom Marxismus erklärte sie: „In welch geschäftiges Gegacker eines Huhnes, das auf dem Misthaufen des bürgerlichen Parlamentarismus nach Perlen scharrt, habt ihr diese Lehre verwandelt, die den mächtigen Flügelschlag der Adlerschwingen des Proletariats darstellt.“

Wichtig, weil auch heute noch unter Kommunisten umstritten, soll das Proletariat (die Kommunistische Partei) Führer oder Avantgarde der Revolution sein? Stalin zitierte zu dieser Frage den Genossen Alexinski, mit dessen Auffassung er übereinstimmte: Es gehe hier „um zwei entgegengesetzte Auffassungen, die sich in diesem Punkt geltend machten, denn ‘Avantgarde’ und ‘Führer’ seien zwei völlig verschiedene Begriffe. Avantgarde (Vortrupp) sein heißt sich in den vordersten Reihen schlagen, die am stärksten unter Feuer liegenden Stellungen einnehmen, sein Blut vergießen, dabei aber von anderen, im gegebenen Falle von den bürgerlichen Demokraten geführt werden: die Avantgarde leitet niemals den Gesamtkampf, sondern wird stets selbst geleitet. Und umgekehrt: Führer sein heißt, sich nicht nur in den vordersten Reihen schlagen, sondern auch den Gesamtkampf leiten, ihn auf sein eigenes Ziel ausrichten. Wir Bolschewiki. wollen nicht, daß das Proletariat von den bürgerlichen Demokraten geführt werde, wir wollen, daß das Proletariat selbst die Führung des ganzen Kampfes des Volkes habe und ihn auf die demokratische Republik ausrichte.“96)

In drei Arbeiten, verfaßt zwischen August 1909 bis Dezember 1910 befaßte sich Stalin mit dem Verhältnis zwischen den Parteiorganen im Ausland und der Organisierung des Kampfes in Rußland.97) Die Partei mache eine Krise durch. Ihre Ursachen seien die „Losgerissenheit der Partei von den breiten Massen“ und die „Losgerissenheit ihrer Organisationen voneinander.“98) Diese „Losgerissenheit“ führte Stalin darauf zurück, daß die Parteiorgane im Ausland der russischen Wirklichkeit „fernstehen.“ Im Ausland erschienen der „Proletari“, redigiert von Lenin, der „Golos“, ein menschewistisches Blatt und der „Sozialdemokrat“, Zentralorgan der SDAPR, deren Redaktion sich aus Vertretern der Bolschewiki, Menschewiki und der polnischen Sozialdemokraten zusammensetzte. Diese Zeitungen mußten illegal über die Grenzen nach Rußland eingeführt und verteilt werden. Die Zeitungen konnten praktisch nicht in die Kämpfe eingreifen, da sie oftmals erst Wochen nach den Kämpfen eintrafen. Somit könne von einer Führung der proletarischen Klassenkämpfe in Rußland vom Ausland her nur sehr bedingt gesprochen werden. Das alte Organisationsprinzip, die alten Methoden der Parteiarbeit, „...angesichts der ‘Führung’ vom Ausland her, sei eine bloße ‘Übertragung von Funktionen’“, „die die Partei nicht mit den Massen verbinden und sie nicht zu einem einheitlichen Ganzen zusammenschweißen kann.“99)

Stalin ging es dabei um die Verbindung des Kampfes der Arbeiter für ihre täglichen Interessen mit den grundlegenden Interessen der Klasse der Proletarier, der allgemein-politischen Arbeit mit dem alltäglichen Kampf der Arbeiter. Die Organisation nach dem Territorialprinzip sollte durch das Produktionsprinzip ergänzt werden. So sollten „die Fabrik- und Werkkomitees der verschiedenen Produktionszweige je nach Produktion in verschiedene Unterbezirke gruppiert werden, um diese Unterbezirke territorial zu Bezirken zu vereinigen... .“100)

Abgesehen von der konkreten Form der Organisationsprinzipien lassen sich in diesen „Fabrik- und Werkkomitees“ Keimformen der späteren „Betriebsparteiorganisationen“ erkennen.

Die „erfahrensten und einflußreichsten fortgeschrittenen Arbeiter“ in den örtlichen Organisationen sollten die „Angelegenheiten der Partei“ in ihre Hände nehmen. Es sei kein Unglück, wenn Arbeiter in wichtigen Positionen „in der ersten Zeit stolpern“, die Bebels fallen nicht vom Himmel. Arbeiter mit Kenntnissen seien nur wenig vorhanden. Aber mit Hilfe von erfahrenen und aktiven Intellektuellen müsse man in Zirkeln, Besprechungen „Theorie und Praxis des Marxismus“ mit ihnen „systematisch“ durchnehmen, um aus den Arbeitern Parteiführer, „Bebels“, zu gewinnen. Stalin faßte zusammen:

„1. verstärkte Agitation auf dem Boden der täglichen Bedürfnisse, die mit den Bedürfnissen der gesamten Klasse des Proletariats verbunden werden,

2. Organisierung und Festigung der Fabrik- und Werkkomitees als der wichtigsten Zentren der Partei in den Bezirken,

3. ‘Übergabe’ der wichtigsten Parteifunktionen an die fortgeschrittenen Arbeiter,

4. Organisierung von ‘Besprechungen’ mit den fortgeschrittenen Arbeitern - das sind die Wege, mit deren Hilfe es unsere Organisationen verstehen werden, breite Massen um sich zusamenzuschließen.“101)

Die genannten Aufgaben konnten durch Auslandsorgane nicht bewältigt werden. Gesamtparteikonferenzen und im Ausland erscheinende Zeitungen seien „sehr wichtig“, doch können sie allein die Krise nicht überwinden. Es sei eine gesamtrussische Zeitung erforderlich, die im Zentrum der Parteiarbeit steht und in Rußland erscheint, die Parteiarbeit leitet, sie vereinigt und lenkt. Eine „gut organisierte gesamtrussische Zeitung in den Händen des Zentralkomitees wäre das wirksamste Werkzeug für den wirklichen Zusammenschluß der Partei... .“ Nur auf diesem Wege würde das Zentralkomitee „aus einem fiktiven Zentrum zu einem wirklichen Zentrum der Gesamtpartei werden.“102)

Wenige Monate später präzisierte Stalin die genannten Vorschläge:

1. Verlegung des (leitenden) Zentrums für die praktische Arbeit nach Rußland;

2. Organisierung einer gesamtrussischen Zeitung, die in Rußland erscheint und von dem erwähnten Zentrum redigiert wird;

3. Organisierung örtlicher Presseorgane in den wichtigsten Zentren der Arbeiterbewegung (Ural, Donezbecken, Petersburg, Moskau, Baku usw.).103)

„Die Hauptsache ist die Organisierung der Arbeit in Rußland.“ Meinungsverschiedenheiten werden nicht in Debatten, „sondern hauptsächlich im Laufe der Arbeit, ...der Anwendung der Prinzipien gelöst... .“104) Diese letzten Bemerkungen schrieb Stalin aus der Verbannung. Er bemerkte wohl nicht zu Unrecht, daß viele Emigranten den Kontakt zu den Kämpfen im zaristischen Rußland verloren hatten. Revolutionen würden schließlich nicht aus den Bibliotheken von Genf, London oder Paris hervorgehen, sondern aus den Elendsvierteln von Moskau, Kasan, Baku und anderen Zentren der Arbeiterbewegung.

Von großer Bedeutung war die VI. Allrussische Parteikonferenz in Prag (5. bis 17. Januar 1912), da es nun auch zur organisatorischen Trennung  von Bolschewiki und Menschewiki kam. Damit setzten sich die Bolschewiki in der SDAPR durch, die den Parteinamen behielten, mit dem Zusatz „Bolschewiki“ in Parenthese. Die Prager Parteikonferenz verdeutlichte in der Praxis, daß in einer revolutionären Arbeiterpartei nicht zwei Klassenlinien, bürgerliche und sozialistische Ideologie, auf Dauer koexistieren können. Früher oder später kommt es auch zum organisatorischen Bruch. Gelingt es den marxistischen Kräften, die Revisionisten und andere Opportunisten aus der Partei zu drängen, kann eine solche marxistische Partei die Arbeiterklasse in ihren Kämpfen bis zur erfolgreichen Revolution führen. Umgekehrt, gelingt es den revisionistischen Kräften, die Marxisten in der Partei zu isolieren oder aus der Partei zu drängen, so wird aus der ehemaligen Kampfpartei eine kleinbürgerlich-parlamentarische Partei und sie wird in das bürgerliche politische System integriert. Damit werden bis in die Gegenwart immer wieder Marxisten-Leninisten mit der Frage des Verhaltens in einer von Reformisten und anderen kleinbürgerlichen Elementen beherrschten Partei konfrontiert. In der Partei verbleiben, um den Kampf innerhalb der Partei führen zu können, oder die Partei verlassen und eine neue marxistisch-leninistische Kampfpartei gründen? Diese Frage läßt sich nicht abstrakt beantworten. Sie muß jedesmal unter den konkreten Bedingungen, unter Berücksichtigung des Kräfteverhältnisses innerhalb der Partei, von den Marxisten-Leninisten beantwortet werden.

Den Bolschewiki gelang es 1912, die Menschewiki zu verdrängen, mit dem Ergebnis der siegreichen Oktoberrevolution, die „Linken“ in der deutschen Sozialdemokratie um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht haben sich erst mit Ausbruch der Novemberrevolution von den Revisionisten getrennt. Ohne die konterrevolutionäre Politik der rechten sozialdemokratischen Führer, die die Arbeiter ideologisch und politisch entwaffnet haben, hätte die Konterrevolution nicht siegen können. Das Festhalten an der „Einheit“ aus falsch verstandener „Parteidisziplin“, Furcht vor der „Spaltung“, sich dem „Vorwurf“ der Spaltung auszusetzen, führte die deutschen Marxisten in die Niederlage, bezahlten Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Hunderte Arbeiter mit ihrem Leben.

In seinem Flugblatt vom März l912 begrüßte Stalin die Beschlüsse der Prager Parteikonferenz als das „Ende der Krise unserer Partei“, als deren „Wiedergeburt“.105) Die Konferenz würde den Zusammenschluß der örtlichen Parteiorganisationen mit dem Zentralkomitee fördern, die Zersplitterung der örtlichen Organisationen überwinden helfen. Er wiederholte die schon vorher erhobene Notwendigkeit der Schaffung eines einflußreichen Zentralkomitees, „das durch lebendige Wurzeln mit den örtlichen Organisationen verbunden ist, die letzteren systematisch informiert und miteinander verbindet, ein Zentralkomitee, das unermüdlich in alle Angelegenheiten der gesamtproletarischen Aktionen eingreift, ein Zentralkomitee, das zwecks umfassender politischer Agitation über eine in Rußland erscheinende illegale Zeitung verfügt - nach dieser Seite müssen sich die Erneuerung und der Zusammenschluß der Partei entwickeln.“106)

Die Betonung lag auch hier wieder auf „eine in Rußland erscheinende Zeitung“. Wenn Deutscher meint, daß nach der Prager Konferenz von 1912 die kaukasische Gruppe der Bolschewiki in Baku zum „Eckpfeiler der bolschewistischen Organisation“ geworden war107), so kann man ihm auch hier zustimmen. Diese kaukasische Gruppe wurde nun einmal von Stalin geführt, womit dessen Einfluß auf die Parteientwicklung in Rußland in dieser Zeit explizit ausgewiesen wird.

In seinem Artikel „Parteilose Sonderlinge“ vom 15. April 1912 setzt sich Stalin mit dem „parteilosen Progressismus“ auseinander, der zu dieser Zeit unter russischen Intellektuellen in „Mode“ gekommen war.108) Die Parteilosigkeit abstrahiere von den gegensätzlichen Interessen der Klassen, der Bourgeois und Proletarier, der Gutsbesitzer und Bauern, verkleistere die Gegensätzlichkeit der Klasseninteressen. Jede Klasse habe ihre Partei, mit besonderem Programm mit besonderer Physiognomie. Die Parteien leiten den Kampf. Ohne Parteien gäbe es keinen Kampf, sondern Chaos, die Vermengung der Interessen. „Verkleisterung der Klassengegensätze, Verschweigen des Klassenkampfes, Fehlen einer Physiognomie, Bekämpfung des Programmprinzips, Streben nach Chaos und Vermengung der Interessen - das ist die Parteilosigkeit.109) Die Parteilosigkeit strebte die „Vereinigung des Unvereinbaren, die Realisierung des Unrealisierbaren“ an. Bourgeois und Proletariat miteinander verbinden, eine Brücke zwischen Gutsbesitzer und Bauern schlagen, danach strebe die Parteilosigkeit. Diese Position werde von der Zeitschrift „Saprossy Shism“ Nr. 6 (Anforderungen des Lebens, erschien 1909 bis 1912 in Petersburg) vertreten.

Die Autoren dieser Zeitschrift wollten dem „Block der Rechten“, der zur „Bekämpfung der gesamten progressiven Opposition“ gebildet worden war, einen „Block der Linken“ entgegenstellen, der „alle progressiven Gesellschaftselemente“ umfassen sollte. Diese „progressiven Elemente“ wären nach Auffassung der „Partei der friedlichen Erneuerer“ die „progressive“ Bourgeoisie, liberalisierende Gutsbesitzer, die nach dem Gutsherrenland dürstenden Bauern und die gegen die Bourgeoisie kämpfenden Proletarier, deren Vereinigung die „Saprossy Shism“ anstrebe.110) „Erneuerer“, „pluralistische Parteien“, „Zusammenführer“ von heterogenen Klassenkräften gab es also schon 1912. Diese Ausführungen Stalins dürfen nicht verwechselt werden mit der Bündnispolitik der Partei. Bündnisse, Koalitionen mit Parteien anderer Klassen zur Erreichung bestimmter Ziele, für die ein gemeinsames Interesse vorliegt (auch bei Interessengegensätzen auf anderen Gebieten), sind etwas anderes und hier nicht von Stalin gemeint.

1.2. Die Parteifrage nach der Oktoberrevolution

1.2. l. Die Partei vor und nach der Eroberung der Macht

In einem Prawda-Artikel vom 23. April 1920 „Lenin als Organisator und Führer der KPR“111) ging Stalin auf einen Vorwurf von Genossen ein, nicht nur der Menschewiki, wonach Lenin eine übermäßige Neigung zur Polemik und Spaltung gehabt haben soll. Dies habe es „seinerzeit“ gegeben, aber die Partei hätte ihre innere Schwäche und Verschwommenheit nicht überwinden, ihre eigene Kraft und Festigkeit nicht erlangen können, wenn sie nicht die nichtproletarischen, opportunistischen Kräfte aus ihren Reihen verjagt hätte. Unter der Herrschaft der Bourgeoisie könne die proletarische Partei nur in dem Maße wachsen und erstarken, wie sie den Kampf gegen die opportunistischen, antirevolutionären und parteifeindlichen Elemente in ihrer Mitte und in der Arbeiterklasse führe. Stalin berief sich auf Lassalle, der meinte, daß sich eine Partei stärkt, in dem sie sich reinigt.112) Nicht jede Einheit sei ein Zeichen der Stärke. So sei die „Einheit“ zwischen Scheidemann und Noske einerseits und Liebknecht und Luxemburg andererseits unecht und fiktiv. „Wer weiß, ob es für das deutsche Proletariat nicht besser gewesen wäre, wenn sich die revolutionären Elemente der deutschen Partei rechtzeitig von deren antirevolutionären Elementen getrennt hätten.“113)

Einheit oder Spaltung, wie schon w.o. gesagt, läßt sich nicht ein für allemal abstrakt beantworten. Verallgemeinern kann man nur eines: ohne eine revolutionäre, proletarische, internationalistische Partei wird die Arbeiterklasse ihre historische Aufgabe nicht erfüllen können. Mögen die jeweiligen Klassenkräfteverhältnisse für die Bildung einer solchen Partei auch noch so ungünstig sein, so kommt die Arbeiterklasse um diese Partei nicht herum, wenn sie das kapitalistische System überwinden will

Auf die Unterschiede in der Parteipolitik vor und nach der Eroberung der Macht wies Stalin in einem Artikel für die Prawda vom 28. August 1921 hin.114) Er verallgemeinerte die Erfahrungen, die die KPR (B) in ihrem Kampf seit Ende 1900 gesammelt hatte. Zunächst ginge es um die Formierung, die Gründung der Partei, dem folge die Gewinnung der breiten Massen der Arbeiter und Bauern, schließlich die Eroberung und Behauptung der Macht. Vor der Machteroberung „bildete die Partei einen Hebel zur Zerstörung des Alten, zum Sturz des Kapitals in Rußland....“ Nach der Eroberung der Macht sei „aus einer Partei des Umsturzes innerhalb Rußlands“ eine „Partei des Aufbaus“, eine „Partei der Schaffung neuer Wirtschaftsformen geworden.“115) Es ging also um das Verhältnis von destruktiver und konstruktiver Funktion in der Parteipolitik, wobei Stalin diese Begriffe nicht verwendet, sondern sie umschreibt als „Partei des Umsturzes“ und „Partei des friedlichen Aufbaus“.

In der Praxis lassen sich die destruktive und konstruktive Funktion so nicht gegenüberstellen. Auch im Kampf um die Macht gibt es eine konstruktive Seite in der Politik der Partei. Dazu gehört zunächst einmal die Gründung und Entwicklung der Partei selbst, die Ausarbeitung und Entwicklung der Theorie des wissenschaftlichen Sozialismus, der proletarischer Moral und Solidarität u.a.. Ohne diese konstruktive Seite kann die Partei ihre destruktive Funktion, den Sturz der politischen Macht der Bourgeoisie, die Aufhebung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse, nicht durchführen. Im Kampf um die Vorbereitung und in der Durchführung der Revolution dominiert die destruktive Funktion, in der Zerstörung des Alten, weil anders der Aufbau des Neuen nicht erfolgen kann. Umgekehrt, nach Eroberung der Macht durch die Arbeiterklasse überwiegt beim Aufbau des Sozialismus die konstruktive Funktion, die „neue Politik“, wie Lenin sie bezeichnete, aber die destruktive Funktion kann noch nicht verschwinden, um konterrevolutionäre Restaurationsversuche von innen und außen niederzuschlagen. Das Alte ist auch nach der Machteroberung noch lange Zeit wirksam und muß in dieser oder jener Form überwunden werden. Marx sprach von den „Muttermalen“ der alten kapitalistischen Gesellschaft, die in einer Übergangsperiode noch vorhanden wären - wie lange es noch solche Muttermale gibt, kann nicht vorausgesagt werden. In den europäischen sozialistischen Staaten waren sie bis zu ihrem Ende noch nicht überwunden, an die die Konterrevolution geschickt anzuknüpfen wußte. Der Begriff „destruktive Funktion“ darf nicht in einem mechanistischen Sinne interpretiert werden.

1.2.2. Über die Bolschewisierung der Parteien der Kommunistischen Internationale

Zu den bis in die Gegenwart unter Linken, von bürgerlichen und sozialdemokratischen Publizisten ganz zu schweigen, heftig umstrittenen Parteifragen gehört: die „Bolschewisierung“ der Parteien der Kommunistischen Internationale (KI), darunter der KPD. In einer in der Prawda vom 3. Februar 1925 veröffentlichten Unterredung mit dem Genossen Herzog116) legte Stalin in zwölf Punkten dar, was unter „Bolschewisierung“ zu verstehen war. Auch hier sind die konkret-historischen Bedingungen von 1925, der Periode der „relativen Stabilisierung des Kapitalismus“ und, speziell, das Klassenkräfteverhältnis in Deutschland zu berücksichtigen, unter denen die zwölf Punkte zu beurteilen sind. Es geht nicht, um dies erneut zu betonen, etwa um eine mechanische Übertragung, „Anwendung“ dieser Punkte auf veränderte Bedingungen im 21. Jahrhundert, auf Kommunistische Parteien, deren Kampfbedingungen in Asien, in Nahen Osten, in Lateinamerika und Afrika sowie in den Hochburgen des Kapitalismus völlig verschieden sind - und sich ständig verändern.

Ausgangspunkt für Stalins Thesen war die Notwendigkeit, die Sozialdemokratie in Deutschland zu entlarven und zu zerschlagen, sie zu einer verschwindenden Minderheit in der Arbeiterklasse herabzudrücken.117) Nach der Rolle, die die konterrevolutionäre Führung der SPD, die Ebert, Scheidemann, Noske in der Novemberrevolution und in der revolutionären Nachkriegskrise gespielt haben, deren Verrat an der Revolution, an der Arbeiterklasse dokumentarisch bewiesen ist, ist diese Forderung Stalins verständlich. In dem späteren, am 18. September 1925 auf ihrem Heidelberger Parteitag beschlossenen Programm orientierte die SPD-Führung auf einen friedlichen, parlamentarischen Weg zum Sozialismus, was illusorisch war. Daran änderte auch nichts, daß sie noch Forderungen aus dem Erfurter Programm (Oktober 1891) übernommen hatte.118)

Die Arbeiter können nur siegen, meinte Stalin, wenn sie von einem Willen beseelt sind, von einer Partei geführt werden, die das Vertrauen der Mehrheit der Arbeiterklasse besitzt. „Wenn es innerhalb der Arbeiterklasse zwei miteinander konkurrierende gleich starke Parteien gibt, dann ist selbst bei günstigen äußeren Bedingungen ein dauerhafter Sieg unmöglich.“119) Stalin wandte sich energisch gegen sektiererische Auffassungen einiger Genossen, die meinten, „die Partei festigen und sie bolschewisieren bedeute, alle Andersdenkenden aus der Partei hinauszujagen. Das ist natürlich falsch.“120) Die Auseinandersetzung mit der Sozialdemokratie müsse vor allem auf dem Gebiet der „konkreten Bedürfnisse“ der Arbeiterklasse geführt werden, der „alltäglichen Praxis“, Löhne, Arbeitszeit, Wohnverhältnisse, Versicherungen, Steuern, Arbeitslosigkeit, Preiserhöhungen bei Lebensmitteln, etc., wobei diese Fragen mit den grundlegenden Fragen der internationalen und der inneren Lage Deutschlands verknüpft werden müssen. Die gesamte Arbeit der Partei müsse unter dem Aspekt der Revolution, der Eroberung der Macht durch das Proletariat geleistet werden. Die grundlegenden Voraussetzungen für die Bolschewisierung der „kommunistischen Parteien“121) seien:

1. Es ist notwendig, daß die Partei sich nicht als Anhängsel der parlamentarischen Wahlapparats betrachtet, wie es im Grunde genommen die Sozialdemokratie tut, und auch nicht als Gratisbeilage zu den Ge­werkschaften, wovon zuweilen gewisse anarcho-syndikalistische Elemente faseln, sondern als die höchste Form der Klassenvereinigung des Prole­tariats, die berufen ist, alle übrigen Formen der proletarischen Organi­sationen, von den Gewerkschaften bis zur Parlamentsfraktion, zu führen.

2. Es ist notwendig, daß die Partei, besonders ihre führenden Ele­mente, sich der revolutionären Theorie des Marxismus, die mit der revo­lutionären Praxis untrennbar verbunden ist, voll bemächtigen.

3. Es ist notwendig, daß die Partei die Losungen und Direktiven nicht auf Grund eingelernter Formeln und geschichtlicher Parallelen, sondern als Ergebnis einer sorgfältigen Analyse der konkreten Bedingungen der revolutionären Bewegung im Lande und im internationalen Maßstab ausarbeitet, wobei die Erfahrungen der Revolutionen aller Länder unbedingt mit in Rechnung gestellt werden müssen.

4. Es ist notwendig, daß die Partei die Richtigkeit dieser Losungen und Direktiven im Feuer des revolutionären Kampfes der Massen überprüft.

5. Es ist notwendig, daß die gesamte Arbeit der Partei, besonders wenn in ihr die sozialdemokratischen Traditionen noch nicht überwunden sind‚  auf neue, revolutionäre Art umgestellt wird, darauf berechnet, daß jeder Schritt der Partei, jede ihre Aktion naturgemäß zur Revolutionie­rung der Massen, zur Vorbereitung und Erziehung der breiten Massen der Arbeiterklasse im Geiste der Revolution führt.

6. Es ist notwendig, daß die Partei es in ihrer Arbeit versteht, die höchste Prinzipienfestigkeit (nicht zu verwechseln mit Sektierertum) mit einem Maximum an Verbundenheit und Kontakt mit den Massen (nicht zu verwechseln mit Nachtrabpolitik) zu verbinden, da es ohne diese Be­dingung für die Partei unmöglich ist, nicht nur die Massen zu lehren, sondern auch von ihnen zu lernen, nicht nur die Massen zu führen und sie auf das Niveau der Partei emporzuheben, sondern auch auf die Stimme der Massen zu lauschen und ihre brennendsten Nöte zu erkennen.

7. Es ist notwendig, daß die Partei es versteht, in ihrer Arbeit eine unversöhnliche revolutionäre Einstellung (nicht zu verwechseln mit revo­lutionärem Abenteurertum) mit einem Maximum an Elastizität und Manövrierfähigkeit (nicht zu verwechseln mit Anpassungspolitik) zu verbinden, da es ohne diese Bedingung für die Partei unmöglich ist, alle Formen des Kampfes und der Organisation zu meistern, die Tagesinteressen des Proletariats mit den grundlegenden Interessen der proletarischen Revolution zu verbinden und in ihrer Arbeit den legalen Kampf mit dem illegalen Kampf zu verknüpfen.

8. Es ist notwendig, daß die Partei ihre Fehler nicht verhüllt, daß sie die Kritik nicht fürchtet, daß sie es versteht, ihre Kader an Hand ihrer eigenen Fehler zu verbessern und zu erziehen.

9. Es ist notwendig, daß die Partei es versteht, in die grundlegende führende Gruppe die besten Elemente der fortschrittlichen Kämpfer auf­zunehmen, die genügend Hingabe besitzen, um wahrhafte Vertreter der Bestrebungen des revolutionären Proletariats zu sein und die genügend Erfahrung haben, um wirkliche Führer der proletarischen Revolution zu werden, die fähig sind, die Taktik und die Strategie des Leninismus an­zuwenden.

10. Es ist notwendig, daß die Partei die soziale Zusammensetzung ihrer Organisationen systematisch verbessert und sich von zersetzenden opportunistischen Elementen reinigt, wobei sie die Erreichung einer ma­ximalen Einheitlichkeit als Ziel vor Augen haben muß.

11. Es ist notwendig, daß die Partei eine eiserne proletarische Diszi­plin entwickelt, die auf der Grundlage der ideologischen Einheit, der Klarheit der Ziele der Bewegung, der Einheit des praktischen Handelns und des bewußten Verhaltens der breiten Parteimassen zu den Aufgaben der Partei erwächst.

12. Es ist notwendig, daß die Partei die Durchführung ihrer eigenen Beschlüsse und Direktiven systematisch überprüft, da ohne diese Bedin­gung die Gefahr besteht, daß sie sich in leere Versprechungen verwandeln, die nur geeignet wären, das Vertrauen der breiten proletarischen Massen zur Partei zu untergraben.

Ohne diese und ähnliche Bedingungen ist die Bolschewisierung ein leerer Schall.122)

1.2.3. Partei und Religion

Ist es Parteimitgliedern erlaubt, religiöse Überzeugungen zu haben, wenn diese nicht im Widerspruch zur Loyalität gegenüber der Partei stünden? Auf diese Frage eines Mitgliedes der ersten amerikanischen Arbeiterdelegation in der Sowjetunion antwortete Stalin, daß es „formal gesprochen“ keine Bedingungen für die Aufnahme in die Partei gäbe, die vom Kandidaten „unbedingten Atheismus“, forderten. Dies bedeute jedoch nicht, daß die Partei der Religion neutral gegenüberstehe. Die Partei entfalte antireligiöse Propaganda und werde dies auch in Zukunft tun. Nach dem Gesetz habe jeder Bürger das Recht, sich zu jeder beliebigen Religion zu bekennen, dies sei eine Sache des Gewissens. Die Kirche sei vom Staat getrennt. Aber mit der Verkündung der Freiheit des Glaubensbekenntnisses habe auch jeder Bürger das Recht, durch Überzeugung, durch Propaganda und Agitation gegen diese oder jene und gegen die Religion überhaupt zu kämpfen. Die Partei könne sich der Religion gegenüber nicht neutral verhalten. Die Partei sei für die Wissenschaft, die Religion stehe im Gegensatz zu ihr, Prozesse, wie in Amerika, wo unlängst Darwinisten verurteilt wurden, seien in der Sowjetunion unmöglich.123) Die antireligiöse Propaganda diene als ein Mittel zur Untergrabung des Einflusses der reaktionären Geistlichkeit, die die Ausbeuterklassen unterstützt. Stalin betonte, daß sie die reaktionäre Geistlichkeit „niedergeworfen“ hätten, schlimm sei nur, daß sie noch nicht völlig liquidiert sei. Es gäbe Fälle, in denen Parteimitglieder die antireligiöse Propaganda behinderten. Es sei sehr gut, solche Parteimitglieder auszuschließen.124)

Nach den Erfahrungen mit der Geistlichkeit im zaristischen Rußland, während der Revolution und des Bürgerkrieges ist die Stellung Stalins gegenüber der Geistlichkeit verständlich. Sie sollte nicht verallgemeinert werden im Sinne eines Bestandteiles der marxistisch-leninistischen Parteitheorie. Stalins Beurteilung trifft zweifellos auf die Mehrheit der Geistlichkeit unterschiedlicher Religionen zu, wie die geschichtlichen Erfahrungen von mehr als hundert Jahren Klassenkämpfe beweisen. In Rußland waren es die Popen, in Mittelasien die islamischen Mullahs. Hier sei nur an die Basmatschenaufstände in Mittelasien erinnert.

Auch die SED in der DDR hat ihre Erfahrungen mit den offiziellen Kirchenleitungen gemacht. Vielleicht hätte sie besser auf Stalin hören sollen.125) Aber es gab und gibt Geistliche unterschiedlicher Religionen und Konfessionen, die an der Seite der Arbeiterklasse gekämpft haben und kämpfen. Hier sei nur an den antifaschistischen Widerstand erinnert. Für Mittelasien hatte die KPR (B) besondere Aufnahmebedingungen, die es mohammedanischen Proletariern ermöglichten, Mitglied der Partei zu werden. Die Stalinsche Formulierung „reaktionäre Geistlichkeit“ ist also nicht verallgemeinerungsfähig. Eine dogmatische Akzeptanz einer situationsbezogenen Einschätzung in Ländern mit starker katholischer oder islamischen Bevölkerung Lateinamerika oder der Nahe Osten (es gibt etwa eine Milliarde Muslime auf der Welt) würde zur Zerstörung kommunistischer Parteien führen. Andererseits sind starke reaktionäre Strömungen unter der Geistlichkeit sowohl im Islam als auch in christlichen Kirchen unübersehbar, die jede demokratische Regung mit allen Mitteln zu unterdrücken suchen.

Die Beziehungen zwischen einer marxistisch-leninistischen Partei mit Kirchen bzw. islamischen Organisationen sind ein äußerst sensibles Feld. Für deren Gestaltung gibt es keine allgemeinverbindlichen Rezepte. Stalin hat die Politik der KPdSU (B) gegenüber der russisch-orhtodoxen und islamischen Geistlichkeit auch nirgendwo zur Nachahmung empfohlen. In den zwölf Punkten der Bolschewisierung der Parteien der KI sind auch keine diesbezüglichen Forderungen enthalten.

1.2.4. Die Partei im System der Diktatur des Proletariats

Erstmalig in der Weltgeschichte war die marxistisch-leninistische Partei mit dem Verhältnis, den Beziehungen zum Staat der Diktatur des Proletariats konfrontiert. An praktischen Erfahrungen gab es nur die Pariser Kommune, Der Rat der Kommune setzte sich jedoch aus zwei „Parteien“ zusammen, den Blanquisten und Proudhonisten, sowie einigen wenigen Marxisten. Eine marxistische Partei gab es noch nicht in der Pariser Kommune.

In mehreren Arbeiten, Berichten, Reden in der Zeit von 1923 bis 1930 setzte sich Stalin mit dieser Problematik auseinander und verallgemeinerte die Erfahrungen aus den Beziehungen zwischen Partei und Staat in der Sowjetunion. Im „Organisatorischen Bericht des ZK“ auf dem XII. Parteitag der KPR (B) (17. - 25. April 1923) unterzog er den sowjetischen Staatsapparat einer strengen, aber sachlichen Kritik. „Der Staatsapparat ist der grundlegende, die Massen erfassende Apparat, der die an der Macht befindlichen Arbeiterklasse, vertreten durch ihre Partei, mit der Bauernschaft verbindet und der Arbeiterklasse ... die Möglichkeit gibt, die Bauernschaft zu führen.“126) Aber, der Typus vom Staatsapparat als Sowjetstaat sei zwar richtig, aber seine Bestandteile sind noch „fremde, bürokratische, halbzaristisch-bürgerliche Elemente. Der Staatsapparat soll, im „Dienste der Volksmassen“ stehen, aber „manche Leute dieses Staatsapparates“ wollen „ihn zu einer Futterkrippe“ machen.127) Der Staatsapparat müsse vereinfacht werden, „Diebe und Gauner“ aus ihm vertrieben werden, sonst würde der Apparat zum Selbstzweck verkommen. Unter Bezug auf Lenin meinte Stalin, es ginge nicht nur um die Stärkung der führenden Rolle der Partei, sondern im Lande solle „kein einziger, noch so hoch stehender Würdenträger“ bleiben, von dem der einfache Mann sagen könnte: „Dem ist nicht beizukommen.“ Es ginge, nach Lenin, eben darum, „nicht nur den Staatsapparat, sondern auch die Partei von den Würdenträgertraditionen und -gepflogenheiten zu reinigen, die unsere Partei kompromittieren.“128)

Im weiteren unterschied Stalin zwischen der Partei als Organisation und der Partei als Apparat. Bezüglich der Organisation sei auf die soziale Zusammensetzung zu achten. Die Partei sei eine Partei der Arbeiterklasse. Darum sei das Augenmerk auf das Wachstum der proletarischen Elemente in der Partei. zu richten, der Zustrom nichtproletarischer Element einzuschränken. Stalin begründete dies aus den Verhältnissen der NÖP. Zweifellos sei die Partei „dem verderblichen Einfluß der NÖP-Elemente ausgesetzt“. Darum sei ein Maximum an Homogenität in der Partei, ein „entschiedenes“ Überwiegen der Arbeiter innerhalb der Partei auf Kosten der Nichtarbeiter zu erreichen.129) Die Erfahrungen haben gezeigt, nicht nur in der Sowjetunion, daß nach Eroberung der Macht durch die Arbeiterklasse vor allem Intellektuelle in die Partei eintreten. Daraus ergaben sich Gefahren bezüglich des Parteiapparats auf die Stalin weitsichtig hinwies. Sie können zur Zerstörung der Partei führen.

Das ZK der KPR (B) umfaßte zur Zeit des XII. Parteitages 27 Mitglieder. Es trat einmal alle zwei Monate zusammen. Innerhalb des ZK habe sich ein Kern von zehn bis fünfzehn Genossen gebildet, „die sich in Sachen der Führung der politischen und wirtschaftlichen Arbeit ... dermaßen eingefuchst haben, daß sie Gefahr laufen, sich in eine Art Hohepriester der Führung zu verwandeln.“ Dies sei vielleicht ganz gut, habe aber auch „eine sehr gefährliche Seite: Diese Genossen, die große Erfahrungen in der Frage der Leitung gesammelt haben, können von Dünkel angesteckt werden, sich abkapseln und sich der Arbeit unter den Massen entfremden.130) Wenn Stalin hier noch sehr vorsichtig von einer Möglichkeit der Entfremdung sprach, die Gefahren der Verselbständigung der Führung hatte er erkannt. Die Verselbständigung der Führung, des Apparates, gegenüber den Mitgliedern der Partei - und den Volksmassen - ist ein objektiver, unvermeidlicher Prozeß. Die Genossen der Führungsgruppe der Partei, ob Politbüro, Sekretariat, Abteilungen des Parteiapparates, kommen in der Regel ständig zusammen, erhalten Informationen, sind untereinander verbunden. Die Mitglieder der Partei sind über das gesamte Territorium des Staates verstreut (in der Sowjetunion 22 Millionen km2; in der VR China 10 Millionen km2), kommen in ihren lokalen Parteiorganisationen, Wohn- oder Betriebspateiorganisationen, in der Regel einmal im Monat, nach der Arbeit, zusammen. Einmal erhalten sie nicht alle Informationen, über die die Führungsgruppe verfügt, zum anderen erhalten sie die Informationen später, wobei die Führung nur das an Informationen weitergibt, was sie für nötig hält. Es kann berechtigte Gründe geben, Informationen zurückzuhalten. Darüber entscheiden die Genossen des Kerns der Führungsgruppe. Das politisch-ideologische und theoretische Niveau der Genossen der Führungsgruppe ist in der Regel höher als bei der Mehrheit der Parteimitglieder. Daraus folgt unvermeidlich eine gewisse Verselbständigung des Apparates gegenüber der Organisation.

Soweit diese Verselbständigung sich in Grenzen hält, sogar notwendig ist, um schnelle Entscheidungen in kritischen Situationen fällen zu können, wird sie von der Mehrheit der Parteimitglieder auch akzeptiert, richtet sie keinen Schaden an. Ohne einer psychologisierenden Geschichtsschreibung das Wort zu reden, spielen in der Frage der Verselbständigung der Charakter der Funktionäre eine nicht zu unterschätzende Rolle. Erfolge in der Führungstätigkeit - Stalin sagt: in neun von zehn Fällen richtige Entscheidungen treffen, was sehr gut wäre - können einzelnen Genossen in den Kopf steigen, die sich dann als „Hohepriester“ der Partei, als Inkarnation des Marxismus-Leninismus fühlen und entsprechend auftreten, Widerspruch, Kritik ganz und gar nicht vertragen und - möglichst noch mit administrativen Mitteln - unterdrücken. Diese Gefahren hatten Lenin und Stalin erkannt. Sie bestanden in allen herrschenden Kommunistischen Parteien und werden auch in Zukunft nicht zu vermeiden sein.

Zu glauben, daß in einer zukünftigen sozialistischen Gesellschaft, vor allem in der Übergangsperiode, nur „Ritter ohne Furcht und Tadel“ die Macht ausüben werden, daß es keinen Karrieristen, Großmäulern, gelingen wird, in den Parteiapparat aufzusteigen - die dann als erste im Falle einer Niederlage die Parteibücher in die Mülltonnen werfen und als nun mehr geläuterte Protagonisten der Herrlichkeiten der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie und freien Marktwirtschaft alle niederbrüllen, die ihnen zu widersprechen wagen - gehört in das Reich der Illusionen. Im übrigen sind diese Erscheinungen der Verselbständigung der Apparate in der kapitalistischen Gesellschaft noch viel schärfer und ekelhafter ausgeprägt als in den sozialistischen Ländern. Solange es Klassen und einen Staat geben wird, wird man solche Erscheinungen wohl einschränken, aber nicht völlig ausschließen können.

Stalin verwies auf das Generationsproblem in der Führungstätigkeit. Die führenden Genossen im ZK werden alt, müssen abgelöst werden. Der Gesundheitszustand Lenins war bedenklich, auch die übrigen führenden Genossen, des „Grundkerns des ZK“, seien verbraucht. Aber es gäbe noch keine Ablösung. Parteiführer heranzubilden sei sehr schwer, man benötigt dafür fünf bis zehn Jahre, oder sogar noch mehr. Es sei viel leichter, mit Hilfe der Kavallerie des Genossen Budjonny dieses oder jenes Land zu erobern, als zwei oder drei Führer von unten herauf auszubilden. Einen Ausweg sah Stalin darin, neue, jüngere Genossen in das ZK zu wählen, um diese „die ganze Schwere der Leitung spüren zu lassen.“ Das ZK sollte „mindestens bis auf 40 Mann“ erweitert werden.131) Die Frage des Führungsnachwuchses ist von allgemeiner Bedeutung. Sie spielte in der gerade gebildeten Sowjetunion auf Grund der vom Zarismus hinterlassenen Kulturlosigkeit der Massen eine entscheidende Rolle. Die Führungsschicht der Partei war zahlenmäßig sehr dünn. Das trifft auch auf die Mehrheit der heutigen Völker Asiens, Afrikas und Lateinamerikas zu. Darum gehört der Mord an revolutionär-demokratischen Führungspersönlichkeiten in diesen Ländern zur Strategie imperialistischer Großmächte. Hier sei nur an die Ermordung von Patrice Lumumba und an die allerdings mißglückten Mordanschläge auf Fidel Castro erinnert. Ist der Führungskern in einem solchen Lande liquidiert, dauert es in der Regel zwanzig bis dreißig Jahre, bis eine neue Führung herangebildet ist. Eine andere Methode ist die der Diffamierung von Führungspersönlichkeiten als „Verbrecher“, um sie auf diesem Wege auszuschalten. Vor dem Problem des Führungsnachwuchses stehen heute auch kommunistische Parteien in imperialistischen Ländern, woraus ersichtlich, daß die Nachwuchsfrage nicht ausschließlich auf ökonomisch rückständige Länder zu reduzieren ist. Sie ist vielschichtig.

Im Rechenschaftsbericht auf dem XIV. Parteitag der KPdSU (B) (18. bis 31. Dezember 1925) ging Stalin erneut auf das Verhältnis Partei - Staat ein: Die Partei sei die führende Kraft in der Diktatur des Proletariats. Ohne Führung durch die Partei wäre die Diktatur des Proletariats unter den Bedingungen der kapitalistischen Umkreisung unmöglich. Daraus erkläre sich, daß die Bourgeois aller Länder „mit heller Wut“ von unserer Partei sprächen.132) Dies bedeute jedoch keine Identität von Partei und Staat. „Die Partei ist die führende Kraft in unserem Staat. Es wäre jedoch dumm, aus diesem Grunde zu behaupten, ... das Politbüro sei das höchste Organ im Staate.“133) Dies sei Konfusion, die nur Wasser auf die Mühle unserer Feinde leite. „Das Politbüro ist das höchste Organ nicht des Staates, sondern der Partei, die Partei aber ist die höchste führende Kraft des Staates. Das ZK und das Politbüro sind Organe der Partei.“ Er wolle „die Staatsbehörden nicht mit der Partei identifizieren ... sondern nur sagen, daß in allen grundlegenden Fragen unserer Innen- und Außenpolitik der Partei die führende Rolle gehörte.134)

Stalin unterscheidet hier zwischen dem System der Diktatur des Proletariats als politischem System des Sozialismus und dem Staatsapparat, der Regierung, der Ministerien. Der Staatsapparat ist nicht die Partei. Die führende Rolle der Partei bezieht sich auf das gesamte System der Diktatur des Proletariats. Die Führungsrolle der Partei bezüglich des Staatsapparates vollzieht sich über die dort tätigen Genossen sowie durch die politisch-ideologische Führung der Partei im System der Diktatur des Proletariats, in dem der Staatsapparat ja keine exzeptionelle Stellung einnimmt. Führung, auch des Staatsapparates durch die Partei bedeute eben keine Identität von Partei und Staat. Die zeitweilig historisch bedingte „Personalunion“ von Partei- und Staatsfunktionen mag später zu dieser falschen Identifizierung von Staat und Partei beigetragen haben, was von bürgerlichen Medien bis in die Gegenwart ausgenutzt wird und auch in Sozialismusvorstellungen von Kommunisten „kritisch überwunden“ und für die Zukunft ausgeschlossen werden soll. Wenn die Führungsschicht zahlenmäßig sehr begrenzt ist, wird eine „Personalunion“ kaum zu vermeiden sein.

In seiner Arbeit „Zu den Fragen des Leninismus“ (Januar/Februar 1926) ging Stalin ausführlich auf die Beziehungen zwischen Partei und Staat im System der Diktatur des Proletariats ein, wobei er aus den einschlägigen Schriften von Lenin zur Staatstheorie lange Zitate anführte.135) In dieser Arbeit wird ein weiteres Mal die Kontinuität von Lenin zu Stalin deutlich. Ausgangspunkt bei Stalin ist die Kritik der These, wonach man die radikale Umgestaltung der alten bürgerlichen Verhältnisse ohne gewaltsame Revolution, ohne Diktatur des Proletariats bewerkstelligen könne. „Zu glauben, daß man eine solche Revolution friedlich, im Rahmen der bürgerlichen Demokratie, die der Herrschaft der Bourgeoisie angepaßt ist, durchführen kann, bedeutet, entweder den Verstand verloren und die normalen menschlichen Begriffe eingebüßt zu haben oder sich grob und offen von der proletarischen Revolution loszusagen.“136)

Mit Verweis auf Lenin polemisiert Stalin gegen kleinbürgerliche Demokratieauffassungen, daß die Partei unter den Bedingungen kapitalistischer Machtverhältnisse erst die Mehrheit der Bevölkerung gewinnen müsse, bevor sie die Macht ergreifen dürfe. Nach Lenin müsse das revolutionäre Proletariat erst die Bourgeoisie stürzen, den bürgerlichen Staatsapparat zerschlagen, dann würde das Proletariat die Sympathien und die Unterstützung der Mehrheit der werktätigen nichtproletarischen Massen für sich gewinnen. In Übereinstimmung mit Lenin könne die Klasse der Proletarier nicht die Macht mit anderen Klassen teilen. Dies sei im Begriff der Diktatur des Proletariats enthalten.137) Diese Aussage ist von allgemeiner Bedeutung für die marxistisch-leninistische Staatstheorie. Macht ist nicht teilbar! Die Bourgeoisie denkt auch nicht im Traum daran, ihre Macht, die Macht ihrer Klasse mit einer anderen Klasse, der Klasse der Lohnarbeiter, zu teilen. Ihre Ideologen verstehen es allerdings meisterhaft, die Macht der Bourgeoisie unter demokratischer Phraseologie zu verhüllen. Der auch politisch reflektierte Konkurrenzkampf unter den Bourgeois ändert daran nicht das geringste. Sowie die Klasseninteressen der Bourgeoisie als Ganzes, das Privateigentum an den Produktionsmitteln auch nur im geringsten bedroht erscheint, hält sie gegen das Proletariat zusammen. Das ist der „antikommunistische Grundkonsens“ der verschiedenen Fraktionen der Bourgeoisie und ihrer politischen Parteien - bei allem politischen Krakeel und Finanzskandalen untereinander.

Die Nichtteilbarkeit der Macht schließt Bündnisse mit anderen Klassen und Schichten nicht aus. „Diese Macht, die Macht einer Klasse, kann nur durch eine besondere Form des Bündnisses zwischen der Klasse der Proletarier und den werktätigen Massen der kleinbürgerlichen Klassen, vor allem der werktätigen Massen der Bauernschaft, errichtet und bis zu Ende verwirklicht werden.“138) Bündnisse sind also keine Machtteilung! Innerhalb des Bündnisses übt die Partei der Arbeiterklasse die führende Rolle aus. Sie ist nicht teilbar. „Diese besondere Form des Bündnisses besteht darin, daß der Führer des Staates, der Führer im System der Diktatur des Proletariats eine Partei ist, die Partei. des Proletariats, ... die die Führung mit anderen Parteien nicht teilt und nicht teilen kann.“139) Dieser Hinweis ist wichtig für Länder, in denen der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus in Form eines Mehrparteiensystems vollzogen wird. Es war kein Zufall, wenn 1989 die Konterrevolution in der DDR aus Artikel 1 der Verfassung den Führungsanspruch der marxistisch-leninistischen Partei, der SED, aufhob. Von diesem Führungsanspruch abzusehen, die Führung der Arbeiterklasse durch die Partei durch eine „Avantgarde“-Rolle zu ersetzen oder zu umschreiben, kann die Arbeiterklasse in einer Entscheidungssituation desorientieren. Die Führung der Arbeiterklasse durch die marxistisch-leninistische Partei ist auch unter heutigen und zukünftigen Bedingungen unverzichtbar, auch wenn zur Zeit in den EU-Ländern und in den USA keine revolutionäre Situation besteht, die kommunistischen Parteien in diesen Ländern nach der Niederlage vorläufig keine einflußreiche politische Kraft darstellen, die Führung der Arbeiterklasse von der Bourgeoisie über ihr Parteiensystem und über reformistische Gewerkschaftsführer ausgeübt wird. Aus taktischen Erwägungen den Führungsanspruch theoretisch aufzugeben, weil zur Zeit nicht  durchsetzbar, führt in der Konsequenz zum Opportunismus.

In einem weiteren Abschnitt wandte sich Stalin der Rolle der Partei und Arbeiterklasse im System der Diktatur des Proletariats zu. Sie übt ihre Führungsrolle, ihre „lenkende Kraft“ über die Massenorganisationen aus, Gewerkschaften, Jugendverband, Genossenschaften. Es sei Aufgabe der Partei, „die Arbeit aller Massenorganisationen des Proletariats ohne Ausnahme zusammenzufassen und deren Tätigkeit auf ein Ziel,,  auf das Ziel der Befreiung des Proletariats zu lenken.“140) Mehrfach verwandte Stalin bezüglich der Massenorganisationen Begriffe wie „Transmission“, „Hebel“ im System der Diktatur des Proletariats, über die die Partei ihre führende Rolle verwirklicht. Diese Massenorganisationen zu leiten, das wäre im allgemeinen das Bild des „Mechanismus“ der Diktatur, das Bild des „Systems der Diktatur des Proletariats.“141) Nach einem Zitat Lenins hätte die Partei in den Massenorganisationen im „großen und ganzen“ „einen formal nichtkommunistischen, elastischen und verhältnismäßig umfassenden, überaus mächtigen proletarischen Apparat, durch den die Partei mit der Klasse und der Masse eng verbunden ist und durch den unter Führung der Partei die Diktatur der Klasse verwirklicht wird.“142)

Die Partei verwirklicht die Diktatur des Proletariats, aber nicht unmittelbar, sondern über die Massenorganisationen. „Ohne diese ‘Transmissionen‘ wäre eine einigermaßen feste Diktatur unmöglich.“143) „...keine einzige wichtige politische oder organisatorische Frage“ unserer Massenorganisationen wird „ohne leitende Weisungen der Partei“ entschieden...“144) Dieser Sachverhalt hatte schon immer selbst unter Genossen zu eklatanten Fehlinterpretationen geführt: Die Diktatur des Proletariats sei die Diktatur der Partei! Diese unhaltbare These wird nach wie vor von allen antikormmunistischen Ideologen und allen möglichen Schöngeistern verbreitet. Unhaltbar ist diese These darum, weil die Partei, selbst wenn sie das wollte, nicht allein die Diktatur ausüben kann. Nebenbei bemerkt, trifft dies auch für Diktaturen der Ausbeuterklassen zu. Die faschistische Diktatur war eben nicht nur die Diktatur der NSDAP, einiger faschistischer Führer oder gar Hitlers allein, wie in bürgerlichen Publikationen gern behauptet wird, um die Spitzen des Monopol- und Bankkapitals,  die Hitler mit der Ausübung der Macht beauftragt hatten und dessen Diktatur tatkräftig unterstützten - solange sie ihnen nützlich war - aus der Kritik herauszuhalten. Ohne besonders reaktionäre Teile des Monopolkapitals gab und gibt es keine faschistische Diktatur, wobei sich die betreffende reaktionäre Partei ebenfalls mit Massenorganisationen umgibt bzw. vorhandene in ihrem Interesse umfunktioniert, „umwandelt“, z.B Gewerkschaften in „Deutsche Arbeitsfront“! Auch offene, unverhüllte, terroristische Diktaturen der Bourgeoisie bedürfen der „Transmissionen“, über die sie ihre Macht realisieren. Was die bürgerlichen Ideologen stört, ist nicht die Diktatur, sondern die Diktatur des Proletariats, das heißt, der proletarische Klassencharakter der Diktatur. Die bürgerlich-parlamentarische Demokratie ist ihrem Wesen nach auch nichts anderes als eine verhüllte Machtausübung der Bourgeoisie, sogar die sicherste Form ihrer Diktatur, d.h. ihrer Klassenherrschaft, „dadurch, daß sie die Gewalt abwechselnd aus ihrer einen Hand fallen läßt, um sie mit ihrer andern aufzufangen.“ 144a)

Es würde den Rahmen vorliegender Arbeit sprengen, die Diktaturen/Diktatoren in Südkorea, Südvietnam, auf den Philippinen, in Indonesien, Chile, Südafrika und anderen Staaten nur halbwegs aufzuzählen, deren blutige Regimes von den jeweiligen Administrationen der USA gefördert und unterstützt, von ihren Ideologen als Vorkämpfer der „freien Welt“, für „Demokratie und Menschenrechte“ verklärt wurden. Die Mudjaheddins, die Taliban gehörten ja auch einmal zu diesen „Freiheitskämpfern“, bis sie ihre von den USA gelieferten Waffen gegen ihre einstigen Auftraggeber wandten. „Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan - der Mohr kann gehen!“ Doch diese Mohren gingen eben nicht. Solange die Menschheit in Klassen gespalten ist, wird es Klassenherrschaften = Diktaturen geben. Erst in einer klassenlosen Gesellschaft wird es keine mehr geben, eben auch keinen Staat mehr. Aber dies ist keine Gegenwartsaufgabe. Die Frage der Diktatur läßt sich nicht abstrakt beantworten, außerhalb der Klassenfrage. Der Klassenaspekt ist entscheidend für die Bestimmung des Charakters einer Diktatur. Die von bürgerlichen Ideologen verkündete „Totalitarismusdoktrin“ ist theoretisch und historisch unhaltbar.

Stalin wies eine solche Identifizierung der Diktatur des Proletariats gleich „Diktatur der Partei“ auch entschieden zurück. Die Massenorganisationen haben spezifische Aufgaben, die Gewerkschaften andere als der Jugendverband oder Frauenorganisationen. Wenn es auch „leitende Weisungen“ von der Partei für alle wichtigen Beschlüsse der Massenorganisationen gibt, die Durchführung, die Umsetzung der Beschlüsse führen die Massenorganisationen selbst durch. Die Partei müsse bei all ihren Weisungen stets mit dem Willen, dem Zustand, dem Bewußtseinsgrad der von ihr Geführten rechnen. „Wer ... die führende Rolle der Partei mit der Diktatur des Proletariats identifiziert, der ersetzt den Willen und die Handlungen der Klasse durch die Weisung der Partei. Partei und Klasse sind nicht deckungsgleich, die Partei kann die Klasse nicht ersetzen. Die Partei bleibt „bei all ihrer wichtigen, führenden Rolle“ ein Teil der Klasse.“145)

Der Begriff Diktatur ist ein staatstheoretischer Begriff. Die Diktatur des Proletariats schließt den Begriff der Gewalt ein, denn ohne Gewalt gibt es keine Diktatur. Eine Identifizierung von Diktatur des Proletariats mit Diktatur der Partei würde bedeuten, daß die Partei nicht nur „Führer und Lehrer“ der Arbeiterklasse sei, sondern auch eine Art Diktator, der ihr gegenüber Gewalt anwendet. Dies sei völlig absurd. Die proletarische Partei kann keine Gewalt gegen die eigene Klasse anwenden.146) Es geht bei dieser Frage um die Wechselbeziehungen zwischen Partei und Klasse, zwischen Parteimitgliedern und Nichtmitgliedern innerhalb der Arbeiterklasse. Stalin faßt die Auffassungen Lenins zu dieser Problematik zusammen: l. Die Autorität der Partei beruhe auf dem Vertrauen der Arbeiterklasse zur Partei. 2. Dieses Vertrauen wird nicht auf einmal und schon gar nicht durch Gewaltanwendung, sondern nur durch langwierige,  ständige Überzeugungsarbeit durch die Partei erworben. 3. Ohne dieses Vertrauen der Arbeiterklasse gibt es keine wirkliche Führung durch die Partei. 4. Ohne Führung der Partei, beruhend auf dem Vertrauen der Arbeiterklasse, gibt es keine einigermaßen feste Diktatur des Proletariats.147)

Führen heißt, die Massen von der Richtigkeit der Politik der Partei überzeugen, solche Losungen aufzustellen und durchzuführen, die die Massen an die Positionen der Partei heranführen und ihnen erleichtert, an Hand ihrer eigenen Erfahrungen die Richtigkeit der Politik der Partei zu erkennen, die Massen auf das Bewußtseinsniveau der Partei zu heben und sich somit die Unterstützung der Massen, ihre Bereitschaft zum entscheidenden Kampfe zu sichern. Die Methode der Überzeugung ist  die Hauptmethode der Führung der Arbeiterklasse durch die Partei.148) Die Massen zu führen ist gar keine so leichte Aufgabe. Einmal stehen sie in ihrer Mehrheit unter dem Einfluß der bürgerlichen Ideologie, die ihnen von Kindesbeinen an über Schule - Kirche - Parteien -  Klubs - Organisationen, dem gesamten Kulturbetrieb, durch die Massenmedien vermittelt wird. Sie sind bis zu einem gewissen Grade durch die Gesamtheit der Lebensumstände im Kapitalismus gegen die kommunistische Ideologie immunisiert. Die Massen lernen bekanntlich auch nicht aus Büchern und Parteiprogrammen.

Die Mehrheit der Volksmassen sind Empiriker und daran muß die Partei anknüpfen. Die Erfahrungen der Massen im Kapitalismus, die sie täglich machen, sind der Ausgangspunkt, an die die Agitation und Propaganda der Partei in möglichst einfachen, für die Massen verständlichen Worten und Begriffen anschließen muß. Eine Schwierigkeit für die Partei besteht darin, daß sie auf ein Minimum von Theorie und geschichtlicher Erfahrung nicht verzichten kann, d.h. theoretische Erkenntnisse in die Agitation einbeziehen, die Theorie mit den Erfahrungen der Massen verbinden, muß ohne die Theorie zu verballhornen oder gar zu verfälschen. Stalin gehörte zu den wenigen Führern der Kommunistischen Weltbewegung, die diese Kunst meisterhaft beherrschten, worüber immer wieder intellektuelle Schöngeister die Nase rümpfen, weil sie nicht begreifen können, daß die Volksmassen nicht aus Akademikern bestehen.

Die Partei kann und muß auch nicht alle Arbeiter überzeugen, um Aktionen durchführen zu können. Sie muß sich allerdings vor „entscheidenden politischen Aktionen“ die „Unterstützung der Mehrheit der Arbeitermassen“, zumindest deren „wohlwollende Neutralität“ sichern. Wie aber soll sich die Partei gegenüber der Minderheit der Arbeiterklasse verhalten, die sich nicht freiwillig dem Willen der Mehrheit der Klasse unterwirft? In einem solchen Falle kann und muß die Partei, die das Vertrauen der Mehrheit auf ihrer Seite hat,  die Minderheit „zur Unterwerfung unter den Willen der Mehrheit zwingen.“ „Das schließt aber die Anwendung von Zwang nicht aus, sondern setzt sie voraus, wenn dieser Zwang darauf gründet, daß die Partei das Vertrauen und die Unterstützung der Mehrheit der Arbeiterklasse genießt, wenn er gegen die Minderheit angewendet wird, nachdem man es vermocht hat, die Mehrheit zu überzeugen.“149)

Läßt man die Formulierung „Vertrauen zur und Unterstützung der Partei durch die Mehrheit: der Arbeiterklasse“ weg, dann kommt die „Diktatur“ der Partei über die Arbeiterklasse, die „Diktatur der Führer“ heraus, eine bis heute übliche Verfälschung und Unterstellung Stalinscher Parteitheorie und Politik. Stalin verwies auf diesbezügliche Argumente Lenins aus dessen Schrift „Der ‘linke Radikalismus‘ -  die Kinderkrankheit im Kommunismus.“150) Die damaligen Verfechter der These „Diktatur der Partei“ beriefen sich auf Lenin, der selbst von der „Diktatur“ der Partei gesprochen habe. Stalin schrieb, daß er in Lenins Werken nur fünf Fälle gefunden habe, in denen Lenin die Frage der „Diktatur der Partei“ „flüchtig berührt habe“.151) Diese Stellen werden von Stalin im Wortlaut angeführt 152) und kommentiert:

a) Lenin hielt die Formel „Diktatur der Partei“ nicht für einwandfrei, und genau, weshalb er sie äußerst selten gebraucht und manchmal in Anführungszeichen gesetzt habe.

b) In Polemik mit Gegnern sei Lenin „gezwungen“ gewesen, „von der Diktatur der Partei zu sprechen, gewöhnlich von der ‘Diktatur einer Partei‘, das heißt „daß unsere Partei allein an der Macht steht, sie die Macht nicht mit anderen Parteien teilt, daß unter der Diktatur der Partei gegenüber der Arbeiterklasse die Führung durch die Partei, ihre führende Rolle zu verstehen“ sei.

c) Bezüglich der Rolle der Partei im System der Diktatur des Proletariats, wenn diese „wissenschaftlich zu definieren war“, habe Lenin „ausschließlich von der führenden Rolle der Partei in bezug auf die Arbeiterklasse“ gesprochen.

Unter d) folgt ein Hinweis auf Lenin, die Formulierung „Diktatur der Partei“ nicht in die Resolution des II. Kongresses der KI aufzunehmen und unter e) die These, wonach die Begriffe „Diktatur der Partei“, „Diktatur der Führer“ mit dem Leninismus unvereinbar sind.153)

Auf den ersten Blick könnte man meinen, daß es sich um Interpretierungsfragen oder einfachen  Wortstreit handelt. Es ist immer wieder zu beobachten, daß aus Werken der Klassiker einzelne Abschnitte, Sätze zitiert werden, die unter einer ganz bestimmten konkret-historischen Situation geäußert und dann zu einem „Axiom“ erhoben werden. Nicht unbekannt sind die sogenannten „Zitatenschlachten“, Klassikerzitate als „Autoritätsbeweise“, um den eigenen Standpunkt unter Berufung auf die Klassiker in den Rang einer „Offenbarung“ zu erheben und damit jeden Widerspruch abzuschmettern. Wichtiger als die oben genannten Auslegungen der Lenin’schen Äußerungen scheint mir die Argumentation Stalins zu sein, nämlich der Hinweis auf die Gefahren, die solche Formulierungen „Diktatur der Partei“, folglich „Diktatur der Führer“, erzeugen. Die politischen Konsequenzen solcher Formulierungen für die parteilosen Massen hießen: „Wagt nicht zu widersprechen“, denn die Partei sei „allmächtig“, wir haben die Diktatur der Partei! Parteikader könnten „forscher ran“gehen, „fester“ zupacken, denn man brauche nicht auf die Stimme der parteilosen Masse zu hören und schließlich könnte dies bei Parteispitzen zu einer „gewissen Selbstzufriedenheit“ führen, sie „sogar überheblich“ werden lassen.154)

Diese Gefahren bestanden, wobei sie sich nicht nur aus Fehlinterpretierungen, voluntaristischer Auslegung Lenin’scher Schriften ergaben. Überheblichkeit bei nur einigen wenigen Parteifunktionären gegenüber den Massen, Arroganz gegenüber einfachen Menschen, die Gewohnheit „anzuordnen“, zu „dekretieren“ anstatt zu überzeugen, genügen, um negative Erfahrungen bei parteilosen Werktätigen zu erzeugen, die den Boden für die Akzeptanz der These von der „Diktatur der Partei“, „der Führer“ gegenüber der Arbeiterklasse bereiten. „Ob nicht doch ein bißchen dran ist an dieser Behauptung?“ Gegen diese Gefahren ist auch in Zukunft keine Partei gefeit. Die Führer der Kommunistischen Partei sind nicht nur Lehrer der Arbeiterklasse. In einigen Fällen bedürfen auch die Führer der Erziehung durch die Klasse, die manchmal etwas rauh sein kann.

1.2.5. Innerparteiliche Demokratie

In einem Artikel der Prawda vom 15. Dezember 1923 „Über die Diskussion“155) setzte sich Stalin mit der Opposition in der Partei über Fragen der innerparteilichen Demokratie auseinander. Es gab zwei Gruppierungen, einmal ein Teil der „linken“ Kommunisten (Preobrashenski, Stukow, Pjatakow u.a.) zum anderen die „demokratischen Zentralisten“ (Rafail, Sopronow u.a.), sowie Trotzki.  Bemerkenswert sind Sprache und Ton, in der die Diskussion offensichtlich geführt wurde. Es fehlte nicht, so Stalin, an Kraftausdrücken und Geschimpfe über das ZK, an ungereimten Beschuldigungen. Gegen diese Art von Grobheiten ging Stalin öfter vor, obwohl er selbst, wie er mehrfach zugegeben  hatte, auch grob gegenüber seinen Widersachern war.

Diese Unsitte, Diskussion von strittigen Problemen mit saftigen Kraftausdrücken zu würzen, gab - und gibt? - es nicht nur in kommunistischen, sondern auch in bürgerlichen Parteien. Der Krakeel innerhalb und zwischen den Parteien scheint eine Art klassenindifferenter politischer „Gesetzmäßigkeit“ zu sein, nach dem Motto, wo Argumente fehlen, stellen sich Kraftausdrücke ein. Besonders in Wahlzeiten, oder bei der Aufdeckung von Skandalen aller Art, natürlich immer beim andern, können. sich Politiker so richtig ins Zeug legen, geht es dabei noch gegen kommunistische Parteien, kommt also der Klassenaspekt hinzu, gibt es für Schmähreden keine Grenzen mehr. Stalin wandte sich mehrfach gegen die „abstoßenden Formen“ die die Streitigkeiten annahmen, insbesondere dann, „wenn sie aus persönlichen Motiven“ entstehen.155a) Das Problem war die Einschränkung der innerparteilichen Demokratie. Preobrashenski meinte, daß es 1917 und 1918 keine Einschränkungen gegeben habe, daß die Einschränkungen, die auf dem X. und XI. Parteitag (März 1921 und März 1922) beschlossen wurden, „das selbständige Denken der Partei“, die „Selbsttätigkeit der Parteiorganisationen“ beenge.156) Die genannten Parteitage standen noch unter Leitung Lenins, und es war Lenin, der das Verbot von Gruppierungen in der Partei vorgeschlagen hatte, das auf dem X. Parteitag beschlossen wurde.

In den Jahren 1917/18 gab es einen offenen Kampf zwischen den Gruppierungen und Fraktionen der Partei, der die Partei in eine Krise geführt hatte, die mit der Frage ihres „Seins oder Nichtseins“ verbunden war. Stalin wies besonders auf den Kampf innerhalb der Partei in der Periode des Brester Friedens hin.157) Darin lagen die Ursachen des Fraktionsverbotes. Um dies noch einmal zu betonen: Das Fraktionsverbot war ein Beschluß des Zentralkomitees, der auf Initiative Lenins gefaßt wurde und kein „Willkürakt“ Stalins, dem immer wieder das Fraktionsverbot unterstellt wird. Aber auch nach dem Bürger- und Interventionskrieg, unter den Bedingungen der NÖP, trat Stalin für die Beibehaltung des Fraktionsverbots ein und wandte sich entschieden gegen Preobrashenski und andere Genossen, die es aufheben wollten. Mit der NÖP fand eine Belebung kleinbürgerlicher Tendenzen statt, die auch vor der Partei nicht halt machten. Die Wiederherstellung des „vergangenen Regimes des Fraktionskampfes“ würde „unvermeidlich zur Untergrabung der Einheit der Partei“ führen.158)

Fragen der innerparteilichen Demokratie können nur unter Berücksichtigung der konkret-historischen Situation beantwortet werden. Ein Fraktionsverbot und andere Einschränkungen der innerparteilichen Demokratie bilden kein allgemeingültiges Axiom der Parteitheorie. Unter bestimmten Bedingungen sind sie unverzichtbar, unter anderen können sie Initiativen der Parteimitglieder hemmen. Einer der Verfechter der „Demokratisierung“ der Partei, Sapronow, forderte Neuwahlen, um die Gruppe der führenden Genossen, nicht zuletzt oder besonders Stalin, aus ihren Funktionen zu verdrängen. Ohne die Bedeutung von Neuwahlen unter dem Aspekt des Demokratismus zu leugnen, sah Stalin in ihnen keine „grundlegende Garantie“ für die Verbesserung des innerparteilichen Lebens. Stalin unterschied zwei Arten von Demokratismus: erstens den Demokratismus der Parteimassen, Initiativen zu entfalten, aktiv an der Parteiführung teilzunehmen und zweitens den „‘Demokratismus‘ unzufriedener Parteigrößen, die das Wesen des Demokratismus in der Ablösung der einen Personen durch andere sehen.“159) Stalin hatte die Beweggründe des „Demokratismus“ der Opposition richtig erkannt. Es ging nicht um innerparteiliche Demokratie, sondern um Befriedigung individueller Machtgelüste von politisch unzufriedenen Intellektuellen, und dahinter standen die NÖP-Bourgeoisie, die Reste der weißgardistischen Reaktion, unabhängig davon, ob die „demokratischen Oppositionellen“ in der Partei sich dessen bewußt waren oder nicht.

Bis zum vorläufigen Ende des europäischen Sozialismus trat die „Opposition“ in den Kommunistischen Parteien stets unter dem Werbeslogan des Demokratismus auf, das sie als ihr Kampfbanner vorantrug und hinter dem sich die Konterrevolution formieren konnte. Die „Demokratisierung“ war und ist der Schlachtruf der internationalen Konterrevolution. Darauf wies in einem anderen Zusammenhang schon Engels in einem Brief an Bebel vom 11./l2. Dezember 1884 hin, wonach in einem revolutionären Moment „...die ganze reaktionäre Masse ... sich demokratisch“ gebärdet. „Jedenfalls ist unser einziger Gegner am Tag der Krise und am Tag nachher - die um die reine Demokratie sich gruppierende Gesamtreaktion, und das, glaube ich, darf nicht aus den Augen verloren werden.“160)

In der NÖP-Periode 1923 als dem „Tag nachher“ war die innerparteiliche Opposition der Wortführer der russischen Gesamtreaktion. Stalin hatte die Gefahren erkannt, die von der Opposition ausgingen.

Der Entwicklung der innerparteilichen. Demokratie standen noch andere Hindernisse im Wege. Da waren die „Überreste und Gepflogenheiten der Kriegsperiode in den Köpfen mancher ...  Funktionäre“, die die Partei nicht als „selbsttätigen Organismus“ begriffen sondern als ein „System von Institutionen.“ Diese Überreste ließen sich nicht kurzfristig überwinden. Auf dem Parteiapparat lastete der Druck des „bürokratischen Staatsapparats.“ Der Staatsapparat hatte etwa eine Million Angestellte, der Parteiapparat nicht mehr als 20.000 bis 30.000 Funktionäre. Der Druck dieser schwerfälligen. Maschinerie ließ sich ebenfalls nicht in „kürzester Zeit“ überwinden. Schließlich erwies sich auch das aus der zaristischen Vergangenheit ererbte niedrige Kulturniveau in einer Reihe rückständiger Parteizellen als ein Hemmnis für die Entfaltung der innerparteilichen Demokratie.161)

Besonders gefährlich waren die Angriffe Trotzkis auf das Zentralkomitee, besonders auf den engeren Führungskreis der Partei. Trotzki berief sich auf die Erfahrungen mit den Führern der II. Internationale, die zum Opportunismus entartet waren und extrapolierte diesen Sachverhalt auf den Führungskern der Bolschewiki. Diese „Argumentation“ war nicht ungeschickt. Der von Trotzki heraufbeschworenen „Entartung“ der „alten Garde“ stellte er die Jugend gegenüber. „Die Jugend“ sei „das sicherste Barometer der Partei“ und reagiere „am schärfsten auf den Parteibürokratismus.“162)

Der Analogieschluß von den opportunistischen Führern der II. Internationale auf die führenden Genossen der Bolschewiki, (zu denen Trotzki als Mitglied des Politbüros und des ZK selbst gehörte! UH) den Apparat der Bolschewiki, ist historisch nicht haltbar, war nichts anderes als Demagogie. Desgleichen die Jungen den Alten gegenüberzustellen, sie voneinander zu trennen, war auf die Zerstörung der Partei gerichtet. Möglicherweise gebührt Trotzki das Verdienst, als erster den „Generationskonflikt“ als Ursache gesellschaftlicher Konflikte erfunden zu haben, um den Klassenkampf zu kaschieren. As ob man die historisch bedingten Ursachen für den Bürokratismus im Parteiapparat, den es ja gab und der von Lenin und Stalin bekämpft wurde, durch einen  Generationswechsel beseitigen könnte. Trotzkis „Polemik“ war auf die Zerschlagung des Zentralkomitees, gezielt auf den Sturz Stalins als Generalsekretär gerichtet. Die bekannte ausgemachte Feindseligkeit in den Beziehungen zwischen Stalin und Trotzki, die noch aus dem Bürgerkrieg herrührte, haben dabei auch ihre Rolle gespielt. Die Sachfragen, um die es ging, lassen sich jedoch nicht auf diese psychologische Komponente reduzieren.

Stalin bestritt keineswegs die Möglichkeit, daß die alten Bolschewiki entarten könnten, genausowenig wie wir „vor einem Erdbeben absolut gesichert sind.“ „Die Möglichkeit einer solchen Gefahr, die eventuell eintreten könnte, kann und muß zugegeben werden.“163) Aber Möglichkeiten sind keine Realitäten. Die Gefahr der Entartung der alten Bolschewiki war real nicht gegeben. Desgleichen war seltsam: Die „Alten“ könnten entarten, die „Jungen“ dagegen erobern „die revolutionären Formeln im Kampf.“164) Demnach können die Jungen nicht entarten? Die Frage der Entartung ist demnach keine politische, sondern eine Generationsfrage!?

In seinem Referat auf der XIII. Konferenz der KPR(B) (16. bis 18. Januar 1924) verdeutlichte Stalin die Klassenbedingtheit der innerparteilichen Demokratie.165) Er ging von der Resolution über den Parteiaufbau aus, die in der gemeinsamen Sitzung des Politbüros des ZK und des Präsidiums der ZKK der KPR (B) am 5. Dezember 1923 angenommen worden war. Das Plenum des ZK (14. bis 15.  Januar 1924) billigte diese Resolutionen, die laut Beschluß der XIII. Parteikonferenz unterbreitet wurde.

Für das Verständnis der Diskussion zur innerparteilichen Demokratie ist die Kenntnis der Situation, in der sie stattfand, von Bedeutung. Die KPR (B) wurde von der Opposition in eine Existenzkrise gestürzt, von der das Schicksal der jungen Sowjetunion abhing, die vor einem Jahr, am 22. Dezember 1922, erst gebildet und noch lange nicht gefestigt war. Dieser Sachverhalt rechtfertigt die Dokumentation der Resolution des ZK und der ZKK der KPR (B) vom Oktober 1923 in vollem Wortlaut:

Gemeinsame Plenartagung des ZK und der ZKK mit Vertretern von 10 Parteiorganisationen Moskau, 25. - 27. Oktober 1923

Die gemeinsame Plenartagung des ZK und ZKK beriet zusammen mit Vertretern von 10 Parteiorganisationen über die innerparteiliche Lage und brandmarkte das parteifeindliche, fraktionelle, ver­leumderische Auftreten Trotzkis vom 8. Oktober 1923, das das Signal zur Vereinigung aller oppositionellen Gruppierungen zum Kampfe gegen die Partei, gegen den Leninismus war. Das Plenum brandmarkte die von Trotzki zusammengeflickte Plattform, die sich „Erklärung der 46 Oppositionellen“ nannte. Im Kampfe gegen die leninistische Partei vereinigten sich alle oppositionellen Gruppierungen: die Trotzkisten, Dezisten, die Überreste der „linken Kommunisten“ und der „Arbeiter-Opposition“. In ihrer Erklärung prophezeiten sie eine schwere Wirtschaftskrise und den Untergang der Sowjetmacht und forderten, als einzig möglichen Ausweg aus der Lage, Freiheit für die Fraktionen und Gruppierungen, die vom X. Parteitag auf Vor­schlag Lenins verboten worden waren.

Resolution des Plenums über die Lage in der Partei

Die gemeinsame Plenartagung billigt voll und ganz den vom Politbüro rechtzeitig festgelegten Kurs auf die innerparteiliche Demokratie sowie die vom Politbüro vorgeschlagene Verstärkung des Kampfes gegen jeden überflüssigen Aufwand und den zersetzenden Einfluß der NÖP auf einzelne Elemente der Partei. Die gemeinsame Plenartagung beauftragt das Politbüro, alles Notwendige zu unternehmen, um die Arbeit der vom Politbüro und vom Septemberplenum eingesetzten Kommissionen zu beschleunigen: der Kommission 1. zur Frage der „Schere“, 2. zur Frage des Arbeitslohns, 3. zur innerparteilichen Lage. Das Politbüro soll, nach Ausarbeitung der notwendigen. Maßnahmen zu diesen Punkten, beginnen, sie unverzüglich in die Tat umzusetzen und hierüber auf dem nächsten ZK-Plenum Bericht erstat­ten. Die gemeinsame Plenartagung des ZK und der ZKK mit Vertre­tern von 10 Parteiorganisationen sieht das Auftreten Trotzkis in dieser für die internationale Revolution und die Partei höchst verantwortungsvollen Zeit für einen schweren politischen Fehler an, insbesondere weil der gegen das Politbüro gerichtete Angriff Trotzkis objektiv den Charakter eines fraktionellen Auftretens an­genommen hat, das die Einheit der Partei zu gefährden droht und eine Parteikrise herbeiführt. Die gemeinsame Plenartagung stellt mit Bedauern fest, daß Trotzki zur Behandlung der von ihm aufgewor­fenen Fragen den Weg gewählt hat, an einzelne Mitglieder der Partei zu appellieren, anstatt den einzig zulässigen Weg zu gehen - diese Fragen zuvor in den Kollegien, deren Mitglied Trotzki ist, zur Diskussion zu stellen.

Der von Trotzki gewählte Weg war das Signal zu einer fraktionellen Gruppenbildung (Erklärung der 46). Die gemeinsame Plenartagung des ZK und der ZKK und die Vertre­ter der 10 Parteiorganisationen verurteilen entschieden die Erklärung der 46 als einen Schritt fraktioneller Spaltungspolitik, die, wenn auch ohne Willen der Unterzeichner dieser Erklärung, einen solchen Charakter angenommen hat. Diese Erklärung droht dem gesamten Leben der Partei für die nächsten Monate den Stempel des inner­parteilichen Kampfes aufzudrücken und so die Partei in einer für das Schicksal der internationalen Revolution höchst verantwortungsschweren Zeit zu schwächen. (Angenommen mit 102 gegen 2 Stimmen, bei 10 Stimmenthaltungen). „Dreizehnte Konferenz der KPR(B). Bulletin“ 1924 166)

Was aus dem Dokument nicht hervorgeht, ist die Ausdehnung der Tätigkeit Trotzkis auf die Rote Armee. Im Dezember 1923 entfachte der Leiter der Politischen Verwaltung der Roten Armee, W.A. Antonow-Owssejenko, in den Parteiorganisationen der Militärschulen und in Truppenteilen eine Kampagne gegen das ZK. Trotzki gab die Weisung heraus, eine Konferenz der kommunistischen Zellen der Militärhochschulen durchzuführen, um sie für den Kampf gegen das ZK zu mobilisieren. Antonow-Owssejenko gab ein Zirkular, Nr. 200, an die Armeeorganisationen der KPR (B) heraus, in denen ihnen die Weisung erteilt wurde, das System der parteipolitischen Organe der Roten Armee und ihre Funktionen von trotzkistischen Positionen aus umzubauen. Es liegt auf der Hand, daß bei Durchführung dieser trotzkistischen Konzeption die Rote Armee zersetzt und ihrer Kampfkraft beraubt worden wäre. Auch die Rote Armee war nicht gegen die Unterwanderung von Anhängern Trotzkis gefeit.167)

Wie aus dem Dokument ersichtlich, wurde die Resolution nach einer Diskussion von der Mehrheit angenommen, die, wie Stalin bemerkte, „nicht nur bei der Mehrheit, sondern der gesamten Partei überhaupt so eine einmütige Billigung gefunden“ hat.168) Dies erneut festzustellen, ist deshalb wichtig, weil immer wieder Stalin unterstellt wird, daß er selbstherrlich, willkürlich die Parteifragen allein entschieden, daß es keine Diskussion gegeben habe. Auf Grund der gespannten Situation in der Partei, der inneren und äußeren Lage der Sowjetunion gelangte Stalin zu der Einschätzung, daß es eine „voll entfaltete, vollständige Demokratie ... offenbar nicht geben“ wird. Sie wird sich in den vom X., XI. und XII. Parteitag umrissenen Grenzen halten. Die „wichtigste Garantie“, daß in „unserer Partei die innerparteiliche Demokratie in Fleisch und Blut“ übergehe, sei „die Stärkung der Aktivität und der Bewußtheit der Parteimassen.“ Es gäbe einige Genossen und Organisationen, die „aus der Frage der Demokratie einen Fetisch machen, indem sie diese als etwas Absolutes, außerhalb von Zeit und Raum, betrachten.“ Es gäbe „Augenblicke, in denen es unmöglich und sinnlos“ sei, „sie zu verwirklichen.“169)

Für die Verwirklichung einer umfassenden Demokratie müssen die inneren und äußeren Bedingungen gegeben sein: eine entwickelte Industrie, zahlenmäßiges und qualitatives Wachstum der Arbeiterklasse, dies gelte auch für die Partei. Der Frieden war noch nicht gesichert, die Bedrohung von außen durch einen imperialistischen Interventionskrieg bestand nach wie vor. „.. .wenn man uns überfällt und wir das Land mit der Waffe in der Hand verteidigen müssen, kann von Demokratie gar keine Rede sein,, denn wir werden sie einschränken müssen.“ Wahrscheinlich würden wir die Reihen der Partei „militarisieren,“ ... „die Frage der innerparteilichen Demokratie“ würde von selbst entfallen.170)

Es gäbe noch andere Hindernisse für die Entfaltung der innerparteilichen Demokratie, Überreste des militärischen Denkens aus der Kriegsperiode bei einem Teil der Funktionäre, Druck des bürokratischen Staatsapparats auf den Parteiapparat, auf Parteifunktionäre, das niedrige Kulturniveau einer ganzen Reihe von Organisationen. Für die Wahl von Funktionären müssen die Parteimitglieder und deren Organisationen als Ganzes ein Mindestmaß an Bildung haben, wie auch die zu wählenden Funktionäre. Wenn aber dieses „Mindestmaß“ nicht vorhanden ist, müsse man von einer demokratischen Wahl absehen und zur Ernennung von Funktionären übergehen.171)

In einer von Trotzki verfaßten Resolution wurden erneut die Fragen Apparat und Partei, Kader und Jugend, Fraktionen und Einheit der Partei gestellt. Unter der Losung des Kampfes gegen die „Apparatleute“ suchte Trotzki den Parteiapparat der Partei gegenüberzustellen. Es war aber so, daß die Gouvernements- und Kreiskomitees wie auch das ZK gewählt wurden. Diese Leitungsgremien waren der Partei unterstellt. Die Angriffe Trotzkis gegen den Parteiapparat stellten eine Gefahr dar, denn sie könnten unerfahrene Parteimitglieder irritieren. Die Partei ohne Apparat ist nicht denkbar. Nach Trotzki reagiere die „studierende Jugend“ besonders empfindlich auf den Bürokratismus und forderte, mehr „studierende Jugend“ in die Partei aufzunehmen. Stalin erinnerte an die Auseinandersetzungen Lenins mit Martow bezüglich der Aufnahme von Intellektuellen in die Partei. Die Partei ist eine Arbeiterpartei, folglich müsse vor allem der proletarische Teil der Partei wachsen. Lenin meinte, daß in unserem Komitees „auf je zwei Intellektuelle acht Arbeiter“ kommen sollten.172)

Schließlich forderte Trotzki. die „Freiheit der Gruppierungen“, die Aufhebung des Fraktionsverbotes. Nach Trotzki wären Gruppierungen eine Reaktion auf das „bürokratische Regime des Zentralkomitees“. Würde es dies nicht geben, dann gäbe es auch keine Gruppierungen. Aber dies, so Stalin, sei keine marxistische Fragestellung. Gruppierungen entstünden und werden entstehen, weil es verschiedene Wirtschaftsformen im Land gäbe, von Keimformen des Sozialismus bis zu mittelalterlichen Wirtschaftsformen. Mit der NÖP gäbe es Kapitalismus, ein Wiederaufleben des Privatkapitals und ein Wiederaufleben der entsprechenden Ideen, die auch in die Partei eindringen. In der Partei gibt es Arbeiter, Bauern und Intellektuelle. Darin lägen die Ursachen für die Schaffung von Gruppierungen, „die wir manchmal durch chirurgische Maßnahmen entfernen müssen und manchmal durch ideologische Beeinflussung auf dem Wege der Diskussion zum Verschwinden bringen müssen.173)

Trotzki wolle die Partei in eine „Föderation von Gruppen“ umwandeln, und dies unter den Bedingungen der kapitalistischen Umkreisung, die nicht nur „eine einheitliche, nicht nur eine fest zusammengeschlossene, sondern eine wirklich stählernde Partei“ erfordere, die „dem Ansturm der Feinde des Proletariats“ standhalten und die Arbeiter in den „entscheidenden Kampf“ führen kann. Darum können keine Gruppierungen und Fraktionen in der Partei geduldet werden.174)  Interessant und aktuell ist die Kritik Stalins an der Methode der Opposition, die es sich zur Regel gemacht habe, „Genossen Lenin als den genialsten aller genialen Männer zu preisen... .“ „Man will mit einem Wortschwall von der Genialität des Genossen Lenin die Abkehr von Lenin verbergen.“175) Dies habe Preobrashenski allerdings nicht daran gehindert, in der Frage des Brester Friedens dem „genialsten aller genialen“ Männer nicht zu folgen, und Sapronow erlaubte sich, auf einem der Parteitage Lenin einen „Ignoranten“ und „Oligarchen“ zu nennen.176) Diese Methode gehört auch heute noch in das ideologische Arsenal von Opportunisten in kommunistischen und anderen linken Parteien, um unter Berufung auf Lenin Ideen des bürgerlichen Parlamentarismus in ihre Programmatik einzuschmuggeln und den antikommunistischen Ideologen Referenz zu erweisen. Unter Berufung auf Lenin wird die Schaffung einer einheitlichen, starken Kommunistischen Partei in Deutschland heute noch blockiert.

Auf dem XIII. Parteitag der KPR (13) (23. bis 31. Mai 1924) fand der Kampf zwischen Zentralkomitee und Trotzki seine Fortsetzung.177) Neben der Wiederholung der w.o. skizzierten Argumente gab es auch einige neue Akzente. Nach Trotzki „mache die Partei keine Fehler. Dies sei nach Meinung Stalins unmöglich“. Die Partei mache „nicht selten“ Fehler. Es käme darauf an, Fehler herauszufinden, ihre Wurzeln bloßzulegen, um aus der Analyse der Fehler sie in Zukunft vermeiden zu können. Anders gäbe es keine Parteientwicklung.178) Preobrashenski kritisierte die „Parteireinigung“, die ein „Instrument“ der Mehrheit gegen die Opposition sei. Stalin wies diese Behauptung zurück. Periodische Reinigungen der Partei von „unzuverlässigen Elementen“ seien erforderlich, weil sich anders die Partei  nicht festigen könne. Es gab Fehler bei der Parteireinigung, aber habe es „bei einem großen Werk“ jemals „keine einzelnen Fehler“ gegeben? So gab es Entrüstungen von hochbezahlten Parteimitgliedern - mit Monatsgehalt von 1.000 bis 2.000 Rubel - die sich darüber „entrüsteten“, daß sie von „irgendeinem Chauffeur... gereinigt“ werden sollten. Solche Parteimitglieder müßten erzogen oder umerzogen werden, mitunter durch Ausschluß aus der Partei. Es sei notwendig, „von Zeit zu Zeit die Reihen der Partei mit einem Besen von Unrat zu säubern.“179)

Nun hört sich diese Äußerung sehr grob an. Aber das war damals der Umgangston in der KPR (B), keine Besonderheit Stalins. Die „Parteireinigungen“ in der KPR (B) sind auch später oft entstellt reflektiert worden. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß nach der Revolution allerhand Karrieristen, kleinbürgerliche Intellektuelle, selbst Gauner und Diebe, in die Partei kamen und dort Unheil anrichteten. Es gab die auch in anderen Parteien bekannten sogenannten „Karteileichen“, die wohl in der Partei waren, aber nicht am Parteileben teilnahmen, keine Beiträge zahlten und in den Grundorganisationen nicht einmal bekannt waren. Solche „Parteireinigungen“ waren für die KPR (B) bzw. KPdSU (B) eine Notwendigkeit, um ihren Charakter als revolutionäre Kampfpartei zu erhalten. Fehler, die Stalin auch einräumte, waren dabei unvermeidlich, denn auch die mit der Überprüfung der Mitglieder beauftragten Genossen waren in manchen Fällen überfordert, so daß in einer Reihe von Fällen unberechtigte Ausschlüsse wieder rückgängig gemacht werden mußten. „Parteireinigungen“ hat es in der SED in dieser Form nicht gegeben. Periodische Überprüfung der Mitglieder, schon aus statistischen Gründen, meist verbunden mit der Ausgabe neuer Parteidokumente, waren auch hier notwendig.

Mangelnde Parteidisziplin, Verletzungen der Beitragspflicht sind in kommunistischen Parteien bis heute nicht unbekannt. Die Oppositionellen entfalteten eine „hemmungslose Agitation für Demokratie in der Partei“. Sie würden unwillkürlich, ohne es zu wollen, zu einer „Art Sprachrohr der neuen Bourgeoisie“ werden, die auf die Demokratie in unserer Partei pfeife, aber im Lande gern eine Demokratie haben möchte. Diese Opposition in der Partei begünstigte die Agitation der neuen Bourgeoisie, die auf die Schwächung der Diktatur des Proletariats, auf die „Erweiterung“ der Sowjetverfassung, auf die Wiederherstellung der politischen Rechte der Ausbeuter abziele. „Nicht umsonst sympathisieren die Menschewiki und Sozialrevolutionäre“ mit der Opposition.180) Demokratiefragen, ob innerhalb oder außerhalb der Partei, erwiesen sich immer wieder als Klassenfragen.

Auf dem XV. Parteitag der KPdSU (B) (2. bis 19. Dezember 1927) äußerte sich Stalin zu weiteren Aspekten der innerparteilichen Demokratie. Im Abschnitt III, „Die Partei und die Opposition“181) stellte Stalin die Frage, welche Demokratie die Partei brauche, eine Demokratie der „Freiheit für ein paar vor der Revolution losgelöste Intellektuelle, ohne Ende zu schwätzen, ein eigenes Presseorgan zu besitzen ...“ oder eine Demokratie der „Freiheit für die Parteimassen, über Fragen unseres Aufbaus zu entscheiden, den Aufschwung der Aktivität der Parteimassen, ihre Heranziehung zur Führung der Partei, die Entwicklung ihres Gefühls, Herr in der Partei zu sein. ...“ Die erstere brauchen wir nicht, die zweite haben wir.182)

Die Kollegialität in der Führung habe zugenommen. Sowohl quantitativ als auch qualitativ sei die Führung gewachsen. Das ZK und die ZKK als leitendes Zentrum umfassen 200 bis 250 Genossen, die regelmäßig zusammentreten. Die Entscheidung wichtiger Fragen ginge mehr und mehr von einer engen führenden Gruppe in ein breiteres Zentrum über. Neben den alten Kadern gesellen sich zunehmend neue emporsteigende Kader, die hauptsächlich aus Arbeitern bestehen. Gab es früher Hunderte bis Tausende Parteikader, so jetzt Zehntausende. Von den untersten Organisationen in der gesamten Union bis „ganz hinauf ... zählen unsere Parteikader, deren gewaltige Mehrheit aus Arbeitern besteht, jetzt nicht weniger als l00.000 Funktionäre.“ Zugleich wachsen die ideologisch-organisatorischen Erfahrungen, gäbe es ein Wachstum der kommunistischen Kultur des Kaderbestandes.183) Es gab jedoch auch noch „ernste Mängel“. Es zeigten sich Erscheinungen der Vetternwirtschaft, des Spießertums in der Partei. Die Entwicklung vollziehe sich nicht in einem reibungslosen, allgemeinen Aufschwung. Noch gäbe es Klassen und Widersprüche im Lande. Unser Vormarsch erfolge im Kampf, durch Entwicklung der Widersprüche und deren Überwindung.184) „Niemals, solange es Klassen gibt, wird sich ein Zustand herbeiführen lassen, wo man wird sagen können: Nun, Gott sei Dank, jetzt ist alles gut. Niemals wird das bei uns der Fall sein, Genossen.“185)

Es gäbe noch immer Erscheinungen der Überheblichkeit. „Zwei, drei große Erfolge, und schon dünkt man sich ein Goliath.“186) Statt zu überzeugen, werde noch immer administriert. Man müsse der Gefahr entgegenwirken, daß sich die Parteiorganisationen in „öde Kanzleiinstitutionen“ verwandeln. Ein Teil unserer Funktionäre, der gegen den Bürokratismus kämpft, werde mitunter selbst vom Bürokratismus infiziert. Solange der Staat besteht, würde dieser Prozeß in höherem oder geringerem Grade fortdauern.187)  Eine Anzahl von Genossen würden zu einem ruhigen Leben, ohne Perspektivbewußtsein streben, „daß ringsum eine festliche und feierliche Stimmung herrsche, daß jeden Tag bei uns feierliche Sitzungen stattfinden, daß nur ja überall Beifall geklatscht und womöglich jeder von uns der Reihe nach als Ehrenmitglied in alle möglichen Präsidien gewählt werde.“188) Letztendlich schimmeln solche Genossen an, blieben im „Schlamm des Spießertums“ stecken, verwandeln sich letztendlich in echte Spießer. Dies wäre „der Weg wirklicher Entartung.“189) Gab es solche Erscheinungen nicht auch in der SED in den 80er Jahren?

1.2.6. Kritik und Selbstkritik

„Die Selbstkritik hat viel für sich. // Gesetzt den Fall, ich tadle mich; // So hab‘ ich erstens den Gewinn, // Daß ich so hübsch bescheiden bin; // Zum zweiten denken sich die Leut, // Der Mann ist lauter Redlichkeit; // Auch schnapp‘ ich drittens diesen Bissen // Vorweg den andern Kritiküssen; // Und viertens hoff‘ ich außerdem // Auf Widerspruch, der mir genehm. // So kommt es denn zuletzt heraus, // Daß ich ein ganz famoses Haus.“

Mir ist nicht bekannt, ob Stalin Wilhelm Busch gekannt hat. Aber dieser hübsche Vers verdeutlicht in poetischer Form, wogegen Stalin gekämpft hat, der in mangelnder, echter Selbstkritik eine „äußerst ernste Gefahr“ sah. So seien Genossen, die in den Dörfern arbeiteten von sogenannten „behördlichen Erwägungen“ erfüllt, daß man nach oben „alles ‘im besten Licht’ zeigen müsse, daß bei uns alles aufs beste bestellt sei, daß man die Eiterbeulen verdecken müsse, daß Kritik nicht notwendig sei, da sie die örtlichen Machtorgane, die örtlichen Funktionäre diskreditiere...“.190)

In einer Rede vom 19. Januar 1925 wies Stalin erneut auf die Gefahren hin, die entstehen, wenn man Angst vor Kritik habe, Mängel, die es gäbe, aufzudecken, um sie zu beseitigen. „Entweder wir, die ganze Partei, erlauben den parteilosen Bauern und Arbeitern, uns zu kritisieren, oder sie werden uns durch Aufstände kritisieren... . Entweder wir hören auf, nach Beamtenmanier alles in bester Ordnung zu finden, fürchten keine Kritik und lassen uns von den parteilosen Arbeitern und Bauern kritisieren, die doch die Auswirkungen unserer Fehler an ihrem eigenen Leibe spüren, oder wir tun das nicht, ... und dann folgt die Kritik in Form von Aufständen.“191)

In einem Brief an Genossen ME - RT vom 28. Februar 1925 berührte Stalin Fragen der Kritik bezüglich der Parteien der Komintern. Es gäbe keine Partei, die frei von einzelnen Fehlern wäre. Man solle im Exekutivkomitee der KI nicht die Augen davor schließen, sich einer Parade „des völligen Einverständnisses“, des „Wohlergehens“ erfreuen und „in allem einander zustimmen.“ Solche Parteien würden „niemals revolutionäre Parteien werden... .“ Stalin kritisierte auch die Politik „des Hinausjagens aller andersdenkenden Genossen.“ Dies würde ein „Regime des Einschüchterns, ein Regime des Furchteinflößens“ erzeugen, das den Geist der Selbstkritik und der Initiative tötet.“ Es sei „nicht gut, wenn man die Führer der Partei fürchtet, sie aber nicht achtet.“

Die russischen Bolschewiki hätten eine „intensive prinzipielle Aufklärungskampagne gegen den Trotzkismus geführt und dadurch Hunderttausender neuer (noch unerfahrener UH) Parteimitglieder und Parteilose im Geiste des Bolschewismus erzogen. Repressalien allein genügen nicht. Der Ausschluß aus der Partei sei das letzte Mittel, und dem müsse eine prinzipielle Aufklärungskampagne vorausgehen.192) Den gleichen Gedanken wiederholte Stalin in einer Rede auf einem erweiterten Plenum des Exekutivkomitees der Komintern (EKKI) am 27. März 1925. Der Kampf gegen rechte Abweichungen in der tschechoslowakischen Kommunistischen Partei bedeute nicht, „daß alle Rechte unbedingt und restlos ausgeschlossen werden müssen. Der Ausschluß ist nicht das entscheidende Mittel im Kampf gegen die Rechten.“ Das Wesentlichste sei, die rechten Gruppierungen im Verlauf eines prinzipiellen Kampfes ideologisch und moralisch zu zerschlagen, wobei die Parteimassen in diesen Kampf einbezogen werden müssen.193) Kritik ist hier als Waffe im Kampf gegen Abweichungen und zugleich als Mittel der politisch-ideologischen Erziehung der Parteimassen charakterisiert.

In einem Referat vor dem Aktiv der Moskauer Parteiorganisation vom 9. Mai 1925 bezeichnete Stalin die Selbstkritik als ein „Zeichen der Stärke.“ Nur eine starke Partei könne sich eine „schonungslose Kritik an ihren eigenen Mängeln“ leisten. Eine Partei, „die das Tageslicht und die Kritik scheut“, ist „eine Clique von Betrügern, die zum Untergang verurteilt sind“.194) Drei Jahre später, am 13. April 1928, widmete Stalin in einem Referat vor dem gleichen Aktiv einen ganzen Abschnitt allein der Selbstkritik.195) Die Selbstkritik gehöre zum Wesen des Regimes der Diktatur des Proletariats. In einem Lande, in dem die Diktatur des Proletariats von einer Partei geleitet werde, die die Macht nicht mit anderen Parteien teile und auch nicht teilen könne, müssen „wir selber unsere Fehler aufdecken und korrigieren“, da „es sonst niemand gibt, der sie aufdecken und korrigieren“ könne. Selbstkritik müsse eine der „gewichtigsten Kräfte“ sein, die unsere Entwicklung vorantreibe.196)

Die Stärke des Bolschewismus bestehe gerade darin, seine Fehler einzugestehen. Mögen alle ehrlichen Arbeiter und werktätigen Elemente die Mängel in unserer Arbeit, in unserem Aufbau aufdecken und Wege zur Beseitigung unserer Mängel aufzeigen.

Stalin wies auf Probleme im Verhältnis von Massen und Führern hin. Einerseits habe sich eine Gruppe von Führern herausgebildet, deren Autorität ständig steige. Ohne eine solche autoritative Gruppe von Führern ist die Leitung eines großen Landes undenkbar. Andererseits erfolgt der Aufstieg der Massen der Arbeiterklasse und der anderen Werktätigen sehr langsam, „sie beginnen, von unten zu den Führern auf zuschauen, sind vom Glanz geblendet und fürchten sich oftmals, ihre Führer zu kritisieren“,197) Darin bestünde die Gefahr der Loslösung der Führer von den Massen. Stalin führt diesen Prozeß zunächst auf objektive Ursachen zurück, den politisch-ideologischen Entwicklungsrückständen der Massen gegenüber den Führern. Dies könne dazu führen, daß die Führer überheblich werden und sich für unfehlbar halten. Dadurch drohe der Partei der Untergang. Darum sei es erforderlich, „in Form von Selbstkritik und Kritik an unseren Mängeln die breite öffentliche Meinung der Arbeiterklasse als lebendige und wachsame moralische Kontrolle zu organisieren, für deren Stimme die Führer, die große Autorität genießen, ein aufmerksames Ohr haben müssen.“198)

Ohne an dieser Stelle eine Abhandlung über die Entstehung einer „öffentlichen Meinung“ zu verfassen, ist auf die Kompliziertheit dieses Prozesses hinzuweisen. Die „öffentliche Meinung“ ist Produkt von Informationen. Wie weiter oben erwähnt, übten die Trotzkisten und andere Oppositionelle bedeutenden Einfluß auf Teile der Arbeiterklasse, auf nicht wenige Parteiorganisationen, selbst in der Roten Armee, aus. Die „öffentliche Meinung“, wenn vorwiegend von den Trotzkisten geprägt, kann dann sogar sehr gefährlich für die revolutionäre Partei werden. Stalin wies dann auch zu recht auf die Bedeutung der Presse hin, so auf das Blatt der Arbeiter- und Bauerninspektion „Listok Rabotsche - Krestjanskoi Inspekzii“, das in bestimmten Zeitabständen in der „Prawda“ erschien, und auf die „Komsomolskaja Prawda“, Organ des Leninschen Kommunistischen Jugendverbandes der Sowjetunion. Die Kritik von Arbeitern und anderen Werktätigen sei nicht immer hundertprozentig richtig, sei unvollkommen. Die Arbeiter seien nicht immer in der Lage, „ihre Gedanken richtig zu formulieren.“ Es folgt der nicht unbekannte Satz, „...daß man auch eine Kritik, die nur 5 - 10 Prozent Wahrheit enthält, begrüßen, sie aufmerksam anhören und ihren gesunden Kern berücksichtigen muß.199)

Es ginge jedoch nicht um jedwede Kritik. „Die Kritik eines Konterrevolutionärs ist ebenfalls Kritik.“ Sie bezwecke die Diffamierung der Sowjetmacht.200) Eine solche Kritik sei nicht gemeint, sondern es gehe um Kritik, die von Sowjetmenschen ausgehe zur Verbesserung der Organe der Sowjetmacht. Dies war sicher richtig, aber in der Praxis nicht immer zu unterscheiden. Einmal ist die Konterrevolution durchaus in der Lage, ihre „Kritik“ als „Verbesserung“ der Sowjetordnung zu verkaufen, wie die geschichtlichen Erfahrungen seit 1928 beweisen. Eine offene „Kritik“, auf die Diffamierung der Sowjetmacht gerichtet, würde schnell erkannt und zerschlagen werden. Zum anderen können Funktionäre berechtigte Kritik an ihrer Arbeit als „Diffamierung“ der Sowjetmacht abschmettern und damit jedwede Kritik unterdrücken. Auch dies wird durch geschichtliche Erfahrungen bestätigt. Diese Widersprüchlichkeit zwischen der Notwendigkeit der Kritik und dem Mißbrauch der Kritik ist unvermeidbar. Es kommt hinzu, daß in prekären Klassenkampfsituationen Kritik und Selbstkritik eingeschränkt werden müssen, denn selbst berechtigte Kritik kann von der Konterrevolution ausgenutzt, in ihr Gegenteil umgewandelt werden. Kritik und Selbstkritik erweisen sich somit als ein diffiziles politisches Problem.

Darauf verwies Stalin in einem Prawda-Artikel vom 26. Juni 1928 unter dem Titel „Gegen die Vulgarisierung der Losung der Selbstkritik.“201) Es gäbe eine Art „Selbstkritik“, die auf die Zerstörung des Parteigeistes auf die Diskreditierung der Sowjetmacht gerichtet sei. Dazu gehöre das Geschwätz von der „Entartung“. Damit meinte Stalin die Opposition in der Partei.202) Es gab auch Formen der Vulgarisierung der Kritik. So würde sachliche Kritik an Mängeln durch „Reklamegeschrei gegen Auswüchse im persönlichen Leben“ ersetzt, Kritik um der Kritik willen, als „Sport“ betrieben, als „Sensationsmacherei“.203) Diese Art von „Kritik“ scheint eine unausrottbare üble Erscheinung in allen linken Parteien bis in die Gegenwart zu sein. Situationsbedingt nannte Stalin noch die Umwandlung der Selbstkritik in „eine Hetze gegen unsere Wirtschaftler“, deren Diffamierung. Auch Wirtschaftler seien nicht hundertprozentig gegen Fehler gefeit. Es gäbe überhaupt keine Menschen, die hundertprozentig gegen Fehler gefeit seien. Für die Heranbildung von Wirtschaftskadern seien „Jahre und nochmals Jahre erforderlich“. Die Hauptsache sei: „Ersetzt die Massenkritik von unten nicht durch ‘kritisches’ Wortgeprassel von oben... .“204)

Im politischen Rechenschaftsbericht des ZK an den XVI. Parteitag (26. Juni bis 13. Juli 1930) faßte Stalin die Ergebnisse der „Selbstkritikkampagne“, eröffnet am 3. Juni 1928, zusammen. Die Schachty-Affäre, eine groß angelegte Sabotageaktion einer konterrevolutionären Organisation ehemaliger Grubenbesitzer und bürgerlicher Spezialisten (die „Schachtinzy“) im Donezgebiet (Drosselung der Kohlenförderung, Beschädigung von Maschinen und Lüftungsanlagen, die zu Einstürzen, Explosionen und Bränden in Gruben, Fabriken und Kraftwerken führten), war der Anlaß für diese Kampagne.205) Mangelnde Wachsamkeit, Mängel in der Führungstätigkeit der Parteifunktionäre, deren politische Blindheit und Überheblichkeit hatten diese Sabotagetätigkeit lange Zeit übersehen lassen. Die Schachty-Affäre habe gezeigt, „daß es der Partei stellenweise an revolutionärem Spürsinn fehlte.“206)

Mängel der Arbeit in den örtlichen Parteiorganisationen im Kampf gegen das Kulakentum waren ein weiterer Anlaß für die „Selbstkritikampagne“. Alle Kräfte in Partei und Arbeiterklasse waren zur Entfaltung der Selbstkritik „von oben bis unten und von unten bis oben, ohne Ansehen der Person“ aufgerufen. Aufgabe der Selbstkritik sei, die Mängel in der Arbeit rücksichtslos aufzudecken. Zugleich grenzte Stalin die Selbstkritik von der trotzkistischen „Kritik“ ab, die auf die Diskreditierung der Sowjetmacht gerichtet war.207)

Erfahrungsgemäß ist die Kritik von oben nach unten, die Selbstkritik unten, ohne Schwierigkeiten zu haben, aber umgekehrt, von unten nach oben erweist sich die Kritik etwas schwieriger. Die Genossen in den oberen Leitungsetagen haben nicht wenige Möglichkeiten, unbequeme Kritiker zum Schweigen zu bringen. Die Methoden reichen von Versetzungen, möglicherweise mit „Beförderung“, Suche nach Fehlern, Mängeln des kritisierenden Genossen, und da es bekanntlich keinen Menschen „ohne Fehl und Tadel“ gibt, läßt sich rasch etwas finden, aufbauschen, oder sogar erfinden und unterstellen bis zur Behauptung, der Kritiker wolle alte, bewährte Genossen „abschießen“, sei gar ein Schädling! „Moderne“ Formen wie das „Mobbing“, um kritische Genossen aus der Partei zu drängen, gab es zu Stalins Zeiten noch nicht. Die in der Partei organisierten Genossen sind nicht isoliert von der Gesellschaft mit ihren Klassen und Schichten. Auch in Zukunft wird es solche häßlichen Gewohnheiten wie Unterdrückung der Kritik geben, die eingeschränkt, aber nicht aufgehoben werden können. Das Parteileben vollzieht sich in Widersprüchen, Kämpfen, Auseinandersetzungen, in denen auch die üblen Tricks der Klassengesellschaft Anwendung finden. Stalin hatte über diesen Sachverhalt keine Illusionen. Kritik und Selbstkritik waren und sind im Kampf gegen diese Übel zweifellos ein wirksames Mittel, allmächtig sind sie nicht.

1.2.7. Quantität und Qualität

Besonders nach Eroberung der Macht durch die Arbeiterklasse muß die Partei aufpassen bezüglich der Aufnahme von neuen Mitgliedern. In einer Mitgliederversammlung der Tifliser Organisation der KP Georgiens am 6. Juli 1921 rief Stalin die Genossen zur Vorsicht auf. Seit die KPR (B) Regierungspartei sei, würden mitunter „ganze Gruppen“ unzuverlässiger, karrieristischer Elemente der Partei beitreten oder beizutreten trachten, die „den Geist der Zersetzung und des Konservatismus“ in die Partei hineintragen. Die „Kraft und das Gewicht einer Partei, besonders der kommunistischen Partei“, hänge „nicht so sehr von der Menge ihrer Mitglieder als vielmehr von ihrer Qualität, von ihrer Standhaftigkeit und der Treue für die Sache des Proletariats“ ab. Die KPR (B) zählte zu dieser Zeit 700.000 Mitglieder. Wenn die Partei wolle, so könne sie die Mitgliederzahl auf sieben Millionen bringen, aber 700.000 standhafte Kommunisten sind eine „ernster zu nehmende Kraft... als 7 Millionen Mitläufer, die niemand braucht und die zu nichts nutze sind“.

Die KPR (B) habe niemals nach einer großen Mitgliederzahl gejagt, ihr ging es vor allem um die Verbesserung der qualitativen Zusammensetzung der Partei. Die deutsche Sozialdemokratie war Ende des 19. Jahrhunderts die größte der Welt, die sich während des imperialistischen Krieges (Erster Weltkrieg, UH) als „Spielzeug in den Händen des Imperialismus“ erwies, nach dem Krieg in den Abgrund stürzte, weil sie jahrelang ihre Organisationen durch Aufnahme von allerhand „kleinbürgerlichem Gesindel“ den „lebendigen Geist in ihr tötete.“208) Mit dem „Sturz in den Abgrund“ ist hier die Zerstörung der Sozialdemokratie als revolutionärer Klassenpartei zu verstehen. Im Konzert kapitalistischer Machtausübung spielte sie als kleinbürgerliche Reformpartei in der Arbeiterbewegung bis 1933 noch eine Rolle, wenn auch eine sehr schäbige.

In Auswertung des XIII. Parteitages vom 17. Juni 1924 warnte Stalin davor, das „Lenin-Aufgebot“ - anläßlich des Todes von Lenin kam es zu zahlreichen Neuaufnahmen in die Partei - zu übertreiben. Es habe 250.000 Neuaufnahmen aus der Arbeiterklasse gegeben. Es gäbe Stimmen, die Zahl der Mitglieder auf eine Million, sogar auf zwei Millionen zu bringen. „Die größten Parteien können zugrunde gehen, wenn sie sich übernehmen, zu vieles erfassen und sich dann unfähig erweisen, das Erfaßte festzuhalten, zu verdauen. In der Partei gab es vor dem Lenin-Aufgebot etwa 60 Prozent politisch ungeschulter Genossen, danach werden es etwa 80 Prozent sein. Man solle sich auf die 800.000 Mitglieder beschränken, die qualitative Zusammenarbeit der Partei verbessern, das Lenin-Aufgebot in den Grundlagen des Leninismus unterweisen, die Mitglieder zu bewußten Leninisten erziehen.209) Eine weitere Warnung vor unkontrolliertem zahlenmäßigen Wachstum der Partei erfolgte in einer Unterredung mit Teilnehmern einer Beratung der Agitprop-Abteilungen am 14. Oktober 1925. Ein zahlenmäßiges Wachstum sei natürlich gut, aber ein zu schnelles Wachstum führe „zu einer gewissen Senkung des Bewußtseinsniveaus der Parteimitglieder, zu einer gewissen Qualitätsverschlechterung der Partei.“ Man solle dem unregulierten Zustrom zur Partei Einhalt gebieten und neue Mitglieder „nur nach sorgfältiger Auswahl in die Partei“ aufnehmen. Des weiteren müsse eine „intensive politische Schulung unter den neuen Mitgliedern“ organisiert werden.210)

Offenbar gab es immer wieder den Drang, die Partei zahlenmäßig zu erweitern. So mußte Stalin auf dem XIV. Parteitag der KPdSU (B) (18. bis 31. Dezember 1925) die unvernünftige Forderung einiger Genossen zurückweisen, „in ein oder zwei Jahren 90 Prozent der gesamten Arbeiterklasse ... in der Partei“ zu organisieren.211) Bei Neuaufnahmen sollten vor allem der Kern der Arbeiterklasse, die Arbeiter der Großindustrie, berücksichtigt werden. Auch wenn die Partei eine Arbeiterpartei ist, müßte „ein gewisser Prozentsatz der besten Vertreter der Bauernschaft in die Partei aufgenommen werden. Dies erfordere das Bündnis der Arbeiterklasse mit der werktätigen Bauernschaft.212) Für die Sowjetunion, in der die Mehrheit der Bevölkerung 1925 noch immer aus Bauern bestand, war diese Forderung für den Erhalt und die Stabilität der Diktatur des Proletariats von besonderer Bedeutung.

Im Rechenschaftsbericht an den XVIII. Parteitag der KPdSU (B) (10. bis 21. März 1939) wies Stalin auf einige weitere Aspekte in der marxistisch-leninistischen Erziehung der Parteimitglieder und Parteifunktionäre hin. Als Axiom müsse gelten: „Je höher das politische Niveau und je bewußter die marxistisch-leninistische Einstellung der Funktionäre des betreffenden Zweiges der Staats- und Parteiarbeit, um so höher steht die Arbeit und umgekehrt....“213) Im weiteren orientierte Stalin auf die Verbindung von Fachwissenschaft mit der marxistisch-leninistischen Wissenschaft im Studium. Ein Leninist könne nicht nur ein Spezialist auf einem wissenschaftlichen Gebiet sein, er dürfe sich nicht abkapseln vom politischen Leben des Landes, sondern müsse ein aktiver Teilnehmer an der politischen Leitung des Landes sein. Dies bedeute natürlich „für die Spezialisten unter den Bolschewiki eine zusätzliche Arbeit.“214) Hohen Stellenwert maß Stalin der Parteipropaganda und der Erziehung der Kader bei. Dabei hob er den Wert des „Kurzen Lehrgangs der Geschichte der KPdSU (B)“, erschienen im September 1938, für die marxistisch-leninistische Bildung und Erziehung der Parteikader und -mitglieder hervor.

Nun gibt es ein regelrechtes Trommelfeuer bürgerlicher Ideologen, Revisionisten, Trotzkisten, Reformisten gegen den „Kurzen Lehrgang...“ als Ausgeburt Stalinschen Dogmatismus und „Verfälschung“ der Geschichte der KPdSU (B). Selbst ansonsten ernstzunehmende Wissenschaftler und führende Funktionäre in kommunistischen Parteien beteiligen sich an der Schmähung dieses Buches - ohne viel zu prüfen‚ ohne zu analysieren. Verfaßt wurde der „Kurze Lehrgang...“ unter Redaktion einer Kommission des Zentralkomitees der KPdSU (B), natürlich auch von Stalin als Generalsekretär der Partei. Vergleicht man den „Kurzen Lehrgang...“ mit einschlägigen Schriften, Reden von Stalin, ist einiges daraus im „Kurzen Lehrgang...“ enthalten, aber Stalin hat ihn nicht allein ausgearbeitet. Ein inhaltlicher Vergleich des „Kurzen Lehrgangs...“ mit späteren, nach der berüchtigten Chruschtschow-Rede auf dem XX. Parteitag der KPdSU, vom ZK der KPdSU autorisierten Ausgaben der „Geschichte der KPdSU“, vor allem der sechsbändigen „Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion“, herausgegeben vom Institut für Marxismus-Leninismus, ergibt im Wesentlichen Übereinstimmung der Aussagen. Von einer „Verfälschung“ der Geschichte der KPdSU im „Kurzen Lehrgang...“ kann also nicht die Rede sein, während die Lügen eines Chruschtschows und des späteren Gorbatschows dokumentarisch nachgewiesen sind.

In einem „Kurzen Lehrgang...“, unter den Bedingungen der 30er Jahre und einer geringen Anzahl marxistisch-leninistischer Historiker konnte nicht mehr geleistet werden. Es kann nicht verwundern, daß Trotzkisten, Anarchisten, Bucharin-Anhänger gegen dieses Buch Sturm liefen und laufen. Inhaltlich widerlegen konnten sie den Inhalt nicht. Mit dem „Kurzen Lehrgang...“ wurden Hunderttausende - Millionen? - junger Kommunisten in der internationalen Kommunistischen Bewegung auf allen Kontinenten an das Studium des Marxismus-Leninismus herangeführt, erhielten sie erste Kenntnisse über den Leninismus in Theorie und Geschichte. Hundertausende Parteifunktionäre begannen ihren kommunistischen Werdegang mit dem Studium des „Kurzen Lehrgangs...“ Vielleicht war es gerade die starke propagandistische und politische Wirksamkeit dieses Buches, daß es so heftig von den Gegnern des Leninismus attackiert wurde und wird. Nicht selten mußte ich in Auseinandersetzung mit Kritikern des „Kurzen Lehrgangs...“ erleben, daß sie ihn überhaupt nicht kannten, ihn nie gelesen haben, was sie jedoch nicht daran hinderte, ihn „aufs schärfste zu verurteilen!!!!“ als „Abkehr vom Leninismus“ - den sie genausowenig kannten, nach der Devise des Mephisto: „Bezeugt nur, ohne viel zu wissen.“

Aus heutiger Sicht ist der „Kurze Lehrgang...“ als ein historisch bedeutsames Werk in seiner Zeit, mit bedeutenden progressiven und starken politischen Wirkungen, als ein Baustein des Leninismus einzuschätzen, ohne etwa den Leninismus auf dieses eine Werk reduzieren zu wollen. Nach mehr als einem halben Jahrhundert gibt es in der Weiterentwicklung der marxistisch-leninistischen Theorie und Geschichtswissenschaft über den „Kurzen Lehrgang...“ hinausweisende bedeutende Erkenntnisfortschritte, wodurch der Wert des „Kurzen Lehrgangs...“ als historischem Zeitdokument jedoch nicht gemindert wird.

Der XVIII. Parteitag orientierte auf die Gründung einer Hochschule für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU (B)215) zur Ausbildung theoretisch qualifizierter Parteikader in dreijährigen Lehrgängen. Für mittlere Kader waren zweijährige „Lenin-Schulen“ organisiert worden. Des weiteren wurden in einer Reihe von Zentren des Landes Jahreskurse für die Fortbildung von Propagandisten und Mitarbeiter der Presse geschaffen. Das Land sollte von einem dichten Netz von Bildungsstätten der Partei überzogen werden, in denen die marxistisch-leninistische Theorie in Lehrgängen und Veranstaltungen gelehrt wurde. Über die Lehrtätigkeit der Partei wurde das theoretische und politische Niveau nicht nur der Funktionäre, sondern auch der Masse der Parteimitglieder und parteilosen Werktätigen wesentlich erhöht.

1.2.8. Über die Grundlagen des Leninismus. Vorlesungen an der Swerdlow-Universität (April bis Mai 1924)216)

Da die Einschätzung der „Grundlagen“ von Isaak Deutscher bis in die Gegenwart von allen möglichen „geläuterten“ ehemaligen Kommunisten als eine Art Offenbarung wiedergekäut wird, soll sie auch dem Leser nicht vorenthalten werden. „Er (Stalin UH) erklärte dort den Leninismus so, wie er ihn verstand. Was er zu diesem Thema zu sagen hatte, war so wenig originell und so flach, daß es sich kaum lohnt, eine Zusammenfassung seiner Darlegungen hier wiederzugeben. Was neu bei ihm war, das war die Form. Er erklärte die Lehre Lenins, die im wesentlichen soziologisch und experimentell war, als eine Folge strenger Regeln, als eine Patentstrategie und als eine taktische Verhaltensvorschrift für die Erlösung der Menschheit. All das war mit der Genauigkeit eines Buchhalters registriert und numeriert. Er kodifizierte und formalisierte den Leninismus in einem Stile unechter Vereinfachung und Durchsichtigkeit, der viele Menschen anzieht, denen eine gründliche soziologische Schulung fehlt. Jeden Satz, den er formulierte, belegte er mit einem Zitat aus Lenins Werken, das zuweilen ganz belanglos, zuweilen aus dem Zusammenhang gerissen war, genauso, wie ein mittelalterlicher Scholastiker seine Spekulationen mit Sätzen aus der Heiligen Schrift belegt hätte. Zugegeben, auch Lenin hatte zuweilen seine Darstellung mit fast zu vielen Marxzitaten gespickt. Aber Stalin brachte diese Manieriertheit zu solch absurder Vollkommenheit, daß er das bekannte Wort des Archimedes so hätte abwandeln können: ‘Gebt mir einen Satz von Lenin, und ich werde die Erde aus den Angeln heben.“217) Sein Verdammungsurteil weiß aber Deutscher auch nicht mit einem einzigen Satz aus den „Grundlagen“ zu belegen. Über einen Satz hätte Deutscher eigentlich selber stolpern müssen: über Menschen, „denen eine gründliche soziologische Schulung fehlt.“ Gerade solche Menschen waren die Hörer der Swerdlow- Universität.

Arbeiter und Bauern, die aus dem Bürger- und Interventionskrieg kamen, junge Genossen, die gerade lesen und schreiben gelernt hatten, die die Reproduktionstheorie von Marx mit Sicherheit nicht kannten. Ihnen eine „gründliche soziologische Schulung“ zu vermitteln, war gerade das Anliegen Stalins. Wenn er Vereinfachungen vornahm - Vereinfachungen sind nie ganz ungefährlich - den Stoff nach „strengen Regeln“ gliederte und mit der „Genauigkeit eines Buchhalters“ numerierte, so spricht dies für das didaktische und pädagogische Geschick Stalins. Wenn Stalin ausführlich Lenin zitierte, so ergab sich dies aus dem Thema, nämlich Grundlagen des Leninismus! Man mag darüber streiten ob jedes Zitat notwendig war, aber wenn vom Leninismus die Rede ist, dürften Zitate aus Lenins Werken unvermeidlich sein. Deutscher hat versäumt, wenigstens eine „unechte“ Vereinfachung zu nennen, und wenn Deutscher in den „Grundlagen“ eine „taktische Verhaltensvorschrift für die Erlösung der Menschheit“ sieht, so ist dies seine Sache, bei Stalin ist ein solcher Unsinn nicht zu finden.

In der Überschrift zu den Vorlesungen heißt es „Grundlagen des Leninismus“ also eine Einschränkung, die Stalin vornahm, der ausdrücklich bemerkte, daß seine „Vorlesungen keine erschöpfende Darlegung des Leninismus sein können. Sie können im besten Fall nur ein gedrängter Konspekt der Grundlagen des Leninismus sein.“218) Aus heutiger Sicht könnte man die „Grundlagen“ als eine Art Lehrbrief, eine Anleitung zum Studium der Werke Lenins bezeichnen, und als eine solche Anleitung können sie auch heute noch jungen Kommunisten nützlich sein, als eine Einführung in das Studium des Leninismus, wobei der Leninismus als Theorie und Methode auf die Analyse der heutigen Bedingungen des Klassenkampfes angewandt werden muß.

Stalin beginnt mit der Frage, was Leninismus sei und setzt sich mit zwei begrenzten, einseitigen Auffassungen auseinander.

1. Der Leninismus sei die Anwendung des Marxismus auf die „eigenartigen“ Verhältnisse in Rußland. Dies wäre ein Teil der Wahrheit, aber der Leninismus lasse sich nicht ausschließlich auf „nationale“ Erscheinungen reduzieren. Der Leninismus ist in der „ganzen internationalen Entwicklung“ verwurzelt.

2. Der Leninismus sei die „Wiederbelebung der revolutionären Elemente des Marxismus der vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts“ im Unterschied vom Marxismus der nachfolgenden Jahre, in denen er angeblich „gemäßigt, nichtrevolutionär“ geworden sei. Von der unsinnigen Teilung des Marxismus in einen „revolutionären“ und einen „gemäßigten“ abgesehen, sei auch in dieser These ein Teil der Wahrheit enthalten. Lenin hat den revolutionären Inhalt des Marxismus im Kampf gegen die Opportunisten in der II. Internationale wiederbelebt. Das ist richtig. Aber auch dies wäre nur eine halbe Wahrheit. Lenin hat den Marxismus unter den neuen Bedingungen des Kapitalismus und des Klassenkampfes weiterentwickelt.

Daß beide von Stalin kritisierten Thesen noch heute von Revisionisten, von demokratisch „geläuterten“ Funktionären der PDS als „neueste“ Erkenntnisse verkauft werden, sei hier nur am Rande erwähnt. Es folgt die bekannte Definition des Leninismus von Stalin: „Der Leninismus ist der Marxismus der Epoche des Imperialismus und der proletarischen Revolution. Genauer: Der Leninismus ist die Theorie und Taktik der proletarischen Revolution im allgemeinen, die Theorie und Taktik der Diktatur des Proletariats im besonderen.“219) Diese Definition unter den Bedingungen des Jahres 1924 war zweifellos richtig. Definitionen müssen kurz, präzise sein. Definitionen sind stets Abstraktionen. Diese Definition, um dies auch deutlich zu sagen, war weder ein „Dogma“ noch eine „unechte Vereinfachung.“ Erläuterungen, Interpretationen einer Definition sind der Ausführung überlassen. Natürlich könnte man einwenden, daß Definitionen eines historischen Sachverhalts erst am Ende der Analyse erfolgen. Aber dies wäre, wie Engels sich ausdrückte, kleinliche „Flohknackerei“. Stalin verwies auf den unterschiedlichen Charakter der Epoche im Wirken von Marx und Engels, im 19. Jahrhundert, vor der proletarischen Revolution, und Lenins in der Periode des entwickelten Imperialismus, der sich entfaltenden proletarischen Revolution, die bereits in einem Lande gesiegt hat, der Ära der proletarischen Demokratie der Sowjets. Deshalb sei der Leninismus die Weiterentwicklung des Marxismus.220)

Der „überaus kämpferische“ und „überaus revolutionäre Charakter“ des Leninismus erkläre sich aus zwei Gründen:

1. Der Leninismus ging aus dem Schoß der proletarischen Revolution hervor.

2. Er erstarkte im Ringen mit dem Opportunismus der II. Internationale. Man dürfe nicht vergessen, zwischen Marx/Engels und Lenin lag „ein ganzer Zeitabschnitt der ungeteilten Herrschaft des Opportunismus der II. Internationale,... dessen rücksichtslose Bekämpfung eine wichtige Aufgabe des Leninismus sein mußte.“221)

Es folgt die Darstellung der Leninschen Theorie in Einzelheiten, die hier nicht reflektiert werden müssen. Sie seien aber jungen Menschen, die sich unter heutigen Bedingungen mit dem Leninismus vertraut machen möchten, als Anleitung, nicht als Ersatz für das Studium der Schriften Lenins!, nachdrücklich empfohlen. Alte Genossen werden in der wiederholten Lektüre dieser Vorlesungen neue Akzente entdecken, die Stalin gesetzt hatte und die durchaus „originell“ waren. Auf einige „originelle“ Erkenntnisse sei verwiesen.

1. Die Erklärung, wie es zur faktischen Herrschaft des Opportunismus in der II. Internationale gekommen war. An der Spitze (der Theoretiker der II. Internationale, U.H.) standen „rechtgläubige“ Marxisten, die „Orthodoxen“, Kautsky und andere. Das war aber nur die formale Seite. In Wirklichkeit aber verlief die Hauptarbeit der II. Internationale auf dem Boden des Opportunismus. Die Opportunisten paßten sich der Bourgeoisie an und die „Orthodoxen“ paßten sich den Opportunisten an, im Interesse der „Wahrung der Einheit“ mit den Opportunisten, im Interesse des „Friedens in der Partei.“ Das Ergebnis war die Herrschaft der Opportunisten. Die „Kette zwischen der Politik der Bourgeoisie und der Politik der „Orthodoxen“ erwies sich als geschlossen.“222)

2. Die Macht des Proletariats in einem Lande errichten heißt noch nicht, den vollen Sieg des Sozialismus zu sichern. Das Proletariat eines Landes kann allein nicht den Sozialismus „endgültig“ verankern, das Land gegen die Intervention und folglich gegen eine Restauration völlig sichern. Es sei der Sieg der Revolution wenigstens in einigen Ländern notwendig.223)

3. Die Aufgaben der Diktatur des Proletariats ließen sich nicht in kurzer Zeit erfüllen, nicht in ein paar Jahren. Dies wäre „ein Ding der Unmöglichkeit.“ Der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus sei keine „schnell vorübergehende Periode“, mit einer Reihe „hochrevolutionärer“ Akte und Dekreten, sondern eine „ganze historische Epoche“.224) Diesen Hinweis auf die Langfristigkeit der Übergangsperiode hat Walter Ulbricht später in der These vom „Sozialismus als relativ selbständiger Gesellschaftsformation“ konkretisiert. Die Betonung der Langfristigkeit ist ein wesentlicher Aspekt bei Stalin, den er auch später in anderen Zusammenhängen wiederholt hat.

4. Der Begriff der Diktatur dürfe nicht mit dem Begriff der „Machteroberung“ vertauscht werden, wie von den Opportunisten erklärt. Die Diktatur sei kein einfacher Wechsel eines Kabinetts, die Bildung einer neuen Regierung. Die Diktatur des Proletariats ist eine revolutionäre Macht, die sich auf die Gewaltanwendung gegen die Bourgeoisie stützt. Der Staat ist eine Maschine in den Händen der herrschenden Klasse zur Unterdrückung des Widerstandes ihrer Klassengegner. Insofern unterscheide sich die Diktatur des Proletariats nicht von der Diktatur jeder anderen Klasse. Es gäbe aber einen wesentlichen Unterschied.

In allen bisher existierenden Klassenstaaten war die Diktatur stets die Herrschaft einer ausbeutenden Minderheit, während die Diktatur des Proletariats die Diktatur der ausgebeuteten Mehrheit über die ausbeutende Minderheit ist. Stalin zitiert dann die Definition Lenins, wonach die Diktatur des Proletariats die durch kein Gesetz beschränkte und sich auf Gewalt stützende Herrschaft des Proletariats über die Bourgeoisie ist. Daraus folge, daß die Diktatur des Proletariats keine vollständige Demokratie sein könne, keine Demokratie für alle. „Das Gerede der Kautsky und Konsorten über allgemeine Gleichheit, über ‘reine‘ Demokratie usw. ist eine bürgerliche Verschleierung der unzweifelhaften Tatsache, daß eine Gleichheit zwischen Ausgebeuteten und Ausbeutern unmöglich ist. Selbst „bei demokratischen Zuständen unter den Verhältnissen des Kapitalismus“ werden die Regierungen nicht vom Volk, „sondern von den Rotschild und Stinnes, den Rockefellern und Morgan“ eingesetzt.225) Die Diktatur des Proletariats könne nicht entstehen als Resultat der friedlichen Entwicklung der bürgerlichen Demokratie, sondern nur im Gefolge der Zertrümmerung der bürgerlichen Staatsmaschinerie, der bürgerlichen Armee, des bürgerlichen Beamtenapparates, der bürgerlichen Polizei, d.h. der Repressivapparate des bürgerlichen Staates. Der Hinweis auf die  Marxsche These vom „Zerbrechen“ der Repressivorgane des bürgerlichen Staates sowie der Leninschen Definition der Diktatur des Proletariats war nun nicht „originell“, aber deren ausführliche Begründung war nicht nur 1924 von vordringlicher Aktualität. Wenn man für Rotschild, Stinnes ect. andere Namen einsetzt, dann stimmen die Aussagen Stalins auch heute noch. Daran ändern auch „Bündnisse für Arbeit“ nicht das geringste.

5. In der Sowjetmacht sind die gesetzgebende und vollziehende Gewalt in einer einheitlichen Staatsorganisation vereinigt. Die territorialen Wahlkreise sind durch Produktionseinheiten, durch Werke und Fabriken ersetzt. Die Arbeiter und werktätigen Massen sind unmittelbar mit dem staatlichen Verwaltungsapparat verknüpft und lernen das Land zu verwalten. Die Republik der Sowjets sei „jene gesuchte und endlich entdeckte politische Form, in deren Rahmen die ökonomische Befreiung des Proletariats, der vollständige Sieg des Sozialismus erreicht werden muß.“ Die Sowjetmacht sei die „Entwicklung und Vollendung“ der Pariser Kommune.226) Die Sowjetorganisation war 1924 noch nicht vollständig ausgearbeitet. Es gab auch noch keine volksdemokratischen Staaten. Aber die Grundlagen eines sozialistischen Staates, die waren gelegt und richtig von Stalin reflektiert.

6. Neu, „originell“ war zweifellos das w.o. schon genannte Lenin-Aufgebot. Stalin hob hervor, daß die 200.000 neuen Mitglieder „nicht so sehr von selber in die Partei kamen“, sondern „vielmehr von der ganzen übrigen parteilosen Masse entsandt wurden, die bei der Aufnahme der neuen Mitglieder aktiv mitwirkte und ohne deren Zustimmung keine neuen Mitglieder aufgenommen wurden.“227) Diese Art der Aufnahme neuer Mitglieder in die Partei wird heute noch von der Kommunistischen Partei Kubas angewendet. Mit Nachdruck ging Stalin auf den Kampf gegen den Opportunismus innerhalb der Partei ein. Die Quelle der Fraktionsmacherei seien die opportunistischen Elemente. Die Partei werde  gestärkt wenn sie sich von opportunistischen Elementen säubere. „Die Theorie der Überwältigung der opportunistischen Elemente durch ideologischen Kampf innerhalb der Partei, die Theorie der ‘Überwindung‘ dieser Elemente im Rahmen ein und derselben Partei ist eine faule und gefährliche Theorie... .“228)

Die „Grundlagen“ bilden eine Zusammenfassung der Leninschen Theorie. In dieser Arbeit wird ebenfalls die Kontinuität von Marx/Engels zu Lenin und Stalin deutlich. Einige Aspekte sind neu, auch bei Lenin noch nicht vorhanden, durchaus „originell“. In der theoretischen Schulung und marxistisch-leninistischen Erziehung der Parteikader spielten die „Grundlagen“ die gleiche Rolle wie der w.o. genannte „Kurze Lehrgang...“. Ganze Generationen junger Parteimitglieder wurden über die „Grundlagen“ an die Theorie des Leninismus herangeführt. Daran ändern auch die unsachlichen, durch nichts belegten Äußerungen von Deutscher nichts.

Eine theoriegeschichtliche Darstellung der marxistisch-leninistischen Parteitheorie würde ohne die Einbeziehung der Schriften Stalins unvollständig bleiben. Stalin blieb nicht, wie er mehrfach geäußert hat, auf dem Marxismus „liegen“, sondern er „stand“ auf dem Marxismus, und wir können hinzufügen, auch auf dem Leninismus, den es in allen seinen Bestandteilen unter den sich ständig verändernden Bedingungen weiterzuentwickeln galt und gilt. Stalin hat seinen Anteil dazu geleistet. Wenn es nach seinem Tode zu Erscheinungen des Dogmatismus in der theoretischen Arbeit in kommunistischen Parteien kam, was auch nicht zu verabsolutieren ist - so ist das nicht Stalin anzulasten, der sich wiederholt sowohl gegen Dogmatismus als auch Revisionismus gewandt hat. Wie bei Marx, Engels und Lenin gab es auch bei Stalin Irrtümer in der theoretischen Arbeit, und wer will, mag sich daran ergötzen und daran erfreuen, „wie wir‘s dann zuletzt so herrlich weit gebracht.“ Ulrich Huar, Berlin

Anmerkungen (Quellennachweise)


1.) Zur Parteitheorie siehe Ulrich Huar: Zur politischen Organisation von Kommunisten in Geschichte und Gegenwart. Teil III. Die Partei neuen Typus. In: Weißenseer Blätter, Heft 4/2000 und Heft 1/2001. - Kommunistische Parteien in Geschichte und Zukunft. Aspekte der marxistisch-leninistischen Parteitheorie. In: Imperialismus und antiimperialistische Kämpfe im 21. Jahrhundert. Protokollband der gleichnamigen Konferenz von “RotFuchs” und “Offensiv” am 28./29. Oktober 2000 in Berlin. Hersg.: “Offensiv”, S. 203 - 230.

2.) Uwe-Jens Heuer: Im Streit. Ein Jurist in zwei deutschen Staaten. 1. Auflage 2002, Baden-Baden 2002, S. 30.

3.) Ebd. S. 43.

4.) Ebd. S. 150.

5.) Ebd. S. 172.

6.) A.G. Löwy: Die Weltgeschichte ist das Weltgericht. Leben und Werk Nokolai Bucharins. Wien 1990, S. 203.

7.) Robert Steigerwald: Probleme einer revolutionären Partei in nicht-revolution­ärer Zeit. Zum 100. Jahrestag von Lenins “Was tun?” In: Marxistische Blätter, Heft 1/02, S. 88.

8.) U.-J. Heuer, a.a.O., S. 156.

9.) Eberhard Czichon/Heinz Marohn: Das Geschenk. Die DDR im Perestrojka-Ausverkauf. PapyRossa-Verlag, Köln 1999, S. 9.

10.) Ilja Ehrenburg: Menschen. Jahre. Leben. Memoiren. Bd. III. 6. Buch, Berlin 1978, S. 534.

11.) Kurt Gossweiler: Wider den Revisionismus. München 1997, S. 234.

12.) Sahra Wagenknecht: Marxismus und Opportunismus. In: Weißenseer Blätter, Heft 4/1992, S. 13.

13.) Hanfried Müller: Einige Gedankensplitter zu den Gründungsjubiläen von BRD, DDR und dem “größeren Deutschland”. In: Weißenseer Blätter, Heft 4/1999, S. 30.

14.) Vgl. Statuten des Bundes der Kommunisten, MEW 4/596 - 601. K. Marx: Provisori­sche Statuten der Internationalen Arbeiterassoziation, MEW 16/14 - 16. W.I. Lenin: Erste Skizze eines Programmentwurfs der KPR (B), LW 29/83 - 108.

15.) Statuten des Bundes der Kommunisten. Art. 41 u. 42. Im MEW 4/600.

16.) LW 21/99.

17.) Lenin: Notizen eines Publizisten. In: LW 33/194.

18.) Eric Hobsbawm: Das Zeitalter der Extreme. München/Wien 1995, S. 103.

19.) Isaak Deutscher: Stalin. Eine politische Biographie. Berlin 1990, S. 65.

20.) Ebd. S. 67.

21.) SW 1/12.

22.) Ebd. S. 15.

23.) Ebd. S. 20.

24.) Ebd. S. 26.

25.) Ebd. S. 27.

26.) Ebd. S. 24.

27.) Deutscher, a.a.O., S. 73.

28.) SW 1/49 - 51.

29.) Siehe hierzu: Lenin: “Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück” (Mai 1904); LW 7/199 - 430; Unter dem gleichen Titel, “Eine Antwort N. Lenins an Rosa Luxemburg” 2. Septemberhälfte 1904, ebd. S. 480 - 501. Diese “Antwort...” wurde an Kautsky zur Veröffentlichung in der “Die Neue Zeit”, Organ der deutschen Sozialdemokratie, gesandt, doch Kautsky lehnte die Publikation ab.

30.) Vgl. LW 7/200.

31.) SW 1/56.

32.) Ebd. S. 57.

33.) Ebd. S. 58.

34.) Ebd. S. 59.

35.) Ebd. S. 63.

36.) Ebd. S. 62.

37.) Ebd. S. 63.

38.) SW 1/77 - 112.

39.) Ebd. S. 83 f.

40.) Ebd. S. 84.

41.) Ebd. S. 85.

42.) Ebd. S. 88 f.

43.) Ebd. S. 88.

44.) Ebd. S. 97.

45.) Ebd. S. 110 f.

46.) MEW 19/164 f. Der Zirkularbrief war als parteiinternes Schreiben abgefaßt und darum von Marx und Engels nicht veröffentlicht. Erstmalig wurde er in der Zeitschrift “Die Kommunistische Internationale” 1931 veröffentlicht.

47.) SW 1/94.

48.) Deutscher, a.a.O., S. 104.

49.) SW 1/138 - 149.

50.) LW 9/387.

51.) SW 1/142 f.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            51a. „Unsere Zeit”, 11. Oktober 2002. Diskussionstribüne, S. III.

52.) SW 1/144.

53.) Ebd. S. 145.

54.) Ebd. S. 257 - 342.

55.) Ebd. S. 257 f.

55 a.) Ebd. S. 258                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         55a. Ebd. S. 258.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                55b. Siehe K. Marx/F. Engels: Die angeblichen Spaltungen in der Internationale.

55b.) Vertrauliches Zirkular des Ge-neralrats der Internationalen Arbeiterassoziation. In: MEW 18/3 - 31.: K. Marx: Der politische Indifferentismus. Ebd. S. 299 - 304.; K. Marx/F. Engels: Ein Komplott gegen die Internationale Arbeiter-Assoziation. Ebd. 327 - 471.; F. Engels: Die Bakunisten an der Arbeit. Denkschrift über den Aufstand in Spanien im Sommer 1873. Ebd. S. 475 - 493.; K. Marx: Konspekt von Bakunins Buch “Staatlichkeit und Anarchie.” Ebd. S. 599 - 642. Ob Stalin diese Schriften gekannt hat, weiß ich nicht. In seiner Arbeit zitiert Stalin aus anderen Schriften von Marx und Engels, aber nicht aus den hier genannten.

55 c.) MEW 18/492 und 493                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            55c. MEW 18/492 - 493.

56.) Lenin: Materialismus und Empiriokritizismus. LW 14.

57.) Siehe Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion in sechs Bänden. (Im weiteren “GKPdSU/6” genannt) Bd. II, Moskau o.J. S. 308.

58.) Siehe Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (Bolschewiki) Kurzer Lehrgang. Berlin 1946. S. 126 - 160. (Im weiteren ”Kurzer Lehrgang” genannt.)

59.) SW 1/287 - 323.

60.) Engels: Vorrede (zur englischen Ausgabe von 1888) des “Kommunistischen Manifests.” in: MEW 4/580. Ausführlich über die Begriffe Sozialismus und Kommunismus siehe Joachim Höppner/Waltraud Seidel - Höppner: Von Babeuf bis Blanqui. Französischer Sozialismus und Kommunismus vor Marx. Bd. 1. Einführung. Leipzig 1975. S. 19 ff.

61.) MEW 19/21 und 28.

62.) MEW 20/265.

63.) LW 25/480 - 481.

64.) Ebd. S. 485.

65.) LW 29/409 f.

66.) SW 1/ 289.

67.) Ebd. S. 292., Vgl. K. Marx: Das Elend der Philosophie. Im MEW 4/182.; F. Engels: Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates. In: MEW 21/168.

68.) SW 1/293.

69.) Ebd. S. 293 f.; Bei Marx steht hinter “höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft” nicht in Parenthese (d.h. sozialistische) MEW 19/21.

70.) SW 1/294 f

71.) Ebd. S. 295.

72.) Ebd. S. 296.

73.) Ebd. S. 297.

74.) Ebd. S. 298.; Siehe MEW 20/146 f.

75.) SW 1/300 und 301.

76.) Ebd. S. 303.

77.) Ebd..

78.) Ebd..

79.) Ebd. S. 304.

80.) Ebd..

81.) Ebd. S. 305.; Stalin weist in Parenthese darauf hin, daß die gesammelten Artikel von Tscherkesischwili, Ramus und Labriola in deutscher Sprache unter dem Titel “Die Urheberschaft des Kommunistischen Manifests” erschienen sind. Die Zitate bei Stalin dort auf S. 10.

82.) Ebd. S. 307 und 308.

83.) Ebd. S. 306.; Über Considérant siehe Joachim Höppner/Waltraud Seidel-Höppner: Von Babeuf bis Blanqui. a.a.O., Bd. 1, S. 180 - 189, Bd. II, S. 209 - 249.

84.) SW 1/309 - 311.

85.) Ebd. S. 311 f.

86.) Ebd. S. 312 - 314.

87.) Ebd. S. 314 und 317.

88.) Ebd. S. 318.

89.) Ebd. S. 320 und 322.

90.) Siehe Deutscher, a.a.O., S. 138.

91.) SW 2/42 - 70.; Der V. Parteitag fand vom 30. April bis 19. Mai 1907 statt.

92.) Ebd. S. 42 und 43.

93.) Ebd. S. 52.

94.) Ebd. S. 45.

95.) Ebd. S. 58.; Die beiden Reden sind enthalten in: Rosa Luxemburg, Ausgewählte Reden und Schriften. Bd. II, Berlin l95l, S. 274 - 307.; Die hier veröffentlichten Reden, das Protokoll des Parteitages und die Äußerungen Stalins sind offenbar nicht deckungsgleich. Stalin bemerkte zu deren Widergabe auch: “So ungefähr sprach Genossin Rosa Luxemburg”.                                                                                                     95a. Zitiert nach GKPdSU/6, Bd. II. Moskau, o.J. S. 255.

96.) SW 2/60.

97.) Die Parteikrise und unsere Aufgaben, August 1909. Resolutionen, beschlossen vom Bakuer Komitee am 22. Januar 1910.; Brief an das ZK der Partei aus der Solwytschegodsker Verbannung. 31. Dezember 1910. In: SW 2/132 - 142, 178 - 181, 189 - 192.

98.) SW 2/134.

99.) Ebd. S. 135.

100.) Ebd. S. 137.

101.) Ebd. S. 138.

102.) Ebd. S. 141.

103.) Ebd. S. 179 f.

104.) Ebd. S. 190.

105.) Ebd. S. 193.

106.) Ebd. S. 197.

107.) Deutscher, a.a.O., S. 154 - 155.

108.) SW 2/208 - 210.

109.) Ebd. S. 208.; Wie ersichtlich, handelt es sich nicht um “Parteilosigkeit” bezüglich der Mitgliedschaft in einer Partei, sondern um Parteiergreifen für die Interessen der einen oder anderen Klasse.

110.) Ebd. S. 209.

111.) SW 4/271 - 279.

112.) Ebd. S. 275.

113.) Ebd..

114.) Die Partei vor und nach der Machtergreifung. SW 5/87 - 97.

115.) Ebd. S. 92.

116.) SW 7/29 - 35.

117.) Ebd. S. 30.

118.) Siehe Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung in acht Bänden. Bd. 4, Berlin 1966, S. 84 f, 422 - 425.

119.) SW 7/30 f.

120.) Ebd. S. 31.

121.) Stalin verwendet den Plural. Es ist also nicht nur die KPD gemeint.

122.) SW 7/32 - 34.

123.) Stalin meint den sogenannten “Affenprozeß”, Juli 1925 im Staate Tennessee, in dem der Lehrer John Scopes angeklagt war, weil er die Darwinsche Evolutions­theorie gelehrt hatte.

124.) SW 10/115 f.

125.) Siehe Rosemarie Müller-Streisand: SED und Kirche: Aus der Geschichte lernen - aber was?. Im Weißenseer Blätter, Teil 1, Heft 4/1995, S. 2 - 15 und Teil II, Heft 5/1995, S. 3 - 20.

126.) SW 5/181.

127.) Ebd. S. 182.

128.) Ebd. S. 184.

129.) Ebd. S. 188 f.

130.) Ebd. S. 192.

131.) Ebd. S. 193.

132.) SW 7/298.

133.) Ebd..

134.) Ebd. S. 298 f.

135.) SW 8/10 - 81.

136.) Ebd. S. 22.

137.) Ebd. S. 24.

138.) Ebd..

139.) Ebd..

140.) Ebd. S. 31.

141.) Ebd. S. 32.

142.) Ebd..

143.) Ebd. S. 31.

144.) Ebd..                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  144a. Marx: Aus dem Parlamente. (Die Anträge Roebucks und Bulwers) In: MEW 11/352.

145.) SW 8/36.

145 a.) Karl Marx: Aus den Parlamenten (die Anträge Roebucks und Bulwers); in: MEW 11/352.

146.) Ebd. S. 38.

147.) Ebd. S. 41 f.; Siehe LW 31/9.

148.) SW 46.

149.) Ebd. S. 47.

150.) Ebd. S. 49 und 51.; LW 31/24 - 31.

151.) SW 8/50.

152.) Ebd. S. 50 f.

153.) Ebd. S. 52 f.

154.) Ebd. S. 53.

155.) SW 5/325 - 339.

155 a.) Ebd. S.191                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            155a. Ebd. S. 191.

156.) Ebd. S. 331 f.

157.) Ebd. S. 332 f.

158.) Ebd. S. 331 f.

159.) Ebd. S. 335.

160.) MEW 36/253.

161.) SW 5/335.

162.) Ebd. S. 336.

163.) Ebd. S. 337.

164.) Ebd. S. 338.

165.) Ebd. SW 6/5 - 40.

166.) Die Kommunistische Partei der Sowjetunion in Resolutionen und Beschlüssen der Parteitage, Konferenzen und Plenen des ZK, Berlin 1957. Bd. IV, S. 245 - 246. (im weiteren „KPdSU in R/B” genannt). Siehe auch GKPdSU/6, Bd. IV. Mokau 1973, Erstes Buch, S. 330 - 344.

167.) GKPdSU/6, IV/l, a.a.O., S. 336.

168.) SW 6/6.

169.) Ebd. S. 7.

170.) Ebd. S. 8.

171.) Ebd. S. 9 f.

172.) Ebd. S. 8.

173.) Ebd. S. 20.

174.) Ebd. S. 20 f.

175.) Ebd. S. 30.

176.) Ebd. S. 31.

177.) Siehe Schlußwort, ebd. S. 197 - 209.

178.) Ebd. S. 203.

179.) Ebd. S. 204 f.

180.) Ebd. S. 207.

181.) SW 10/282 - 305.

182.) Ebd. S. 284.

183.) Ebd. S. 285.

184.) Ebd. S. 286 f.

185.) Ebd. S. 287.

186.) Ebd. S. 288.

187.) Ebd..

188.) Ebd. S. 289.

189.) Ebd.; Zur Auseinandersetzung mit der Opposition siehe Teil 2.

190.) Über “Dymowka”.; SW 7/19.

191.) SW 7/27.

192.) Ebd. S. 38 f.

193.) Ebd. S. 57.

194.) Ebd. S. 105.

195.) SW 11/26 - 35.

196.) Ebd. S. 27.

197.) Ebd. S. 28.

198.) Ebd. S. 29.

199.) Ebd. S. 30.

200.) Ebd. S. 31.

201.) Ebd. S. 113 - 122.

202.) Ebd. S. 118.

203.) Ebd. S. 120 f.

204.) Ebd. S. 122.

205.) Siehe GKPdSU/6, Band IV/l. a.a.O., S. 600.

206.) SW 12/274.

207.) Ebd.

208.) SW 5/85.

209.) SW 6/228 f.

210.) SW 7/206 f.

211.) Ebd. S. 300.

212.) Ebd. S. 302.

213.) SW 14/219.

214.) Ebd. S. 220.

215.) Ebd. S. 222.

216.) SW 6/62 - 166.

217.) Deutscher, a.a.O., S. 353 f.

218.) SW 6/62.

219.) Ebd. S. 63.

220.) Ebd. S. 63 f.

221.) Ebd. S. 64.

222.) Ebd. S. 71.

223.) Ebd. S. 95.

224.) Ebd. S. 99.

225.) Ebd. S. 101 und 102.

226.) Ebd. S. 107 f.

227.) Ebd. S. 152.

228.) Ebd. S. 162 f.