Zeitschrift für Sozialismus und Frieden 08/07

Herausgeber: Verein zur Förderung demokratischer Publizistik (e.V.)

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Brigitte Queck und Hans-Jürgen Falkenhagen

Die Ukraine - Kettenglied der
„orangenen Volksrevolutionen“ einer erträumten US–Weltherrschaft  

Systematisierte und chronologische Darstellung
der Ereignisse vom versuchten Präsidentenputsch am 2. April 2007
bis zur Sommerpause des Parlaments am 27. Juni 2007


Inhalt

Redaktionsnotiz

In der Ukraine toben heftige innere Kämpfe. Der Einfluss des Imperialismus ist groß. Der Widerstand dagegen entwickelt sich.

Wir haben das Glück, eine Studie über die aktuelle Situation in der Ukraine vorlegen zu können, erarbeitet von Brigitte Queck und Hans-Jürgen Falkenhagen. Beide kann man als Experten für dieses Land bezeichnen.

Dies Heft stellt eine Momentaufnahme dar. Hier wird die aktuelle Situation mittels der Analyse der jüngsten Vergangenheit erklärt. Die Auseinander-setzungen innerhalb der Ukraine und die Einmischungen des Imperialismus werden natürlich weitergehen. Dies Heft erscheint etwa zum Zeitpunkt der vorgezogenen Parlamentsneuwahlen in der Ukraine. Wir glauben, dass es helfen kann, die Kräfteverhältnisse, das Wahlergebnis und die kommenden Ereignisse dort besser verstehen und einschätzen zu können.

Mit der Veröffentlichung dieses Heftes verfolgen wir aber auch noch einen weiteren Zweck: Es geht hier vordergründig zwar „nur“ um die Ukraine, trotzdem aber geht es um mehr, nämlich um ein Beispiel. Die Mechanismen der äußeren Einmischung durch den Imperialismus sowie diejenigen der inneren Reaktion, die Probleme der Unentschlossenen, die Fragen nach der Perspektive einer nationalstaatlichen bürgerlichen Entwicklung, ohne zu einer Kolonie des internationalen Kapitals zu werden, schließlich auch die (zaghafte) Perspektiven eines sozialen Befreiungskampfes, all dies ist hier beispielhaft und grundlegend - für Osteuropa und darüber hinaus - zu studieren.

Wir können diese Redaktionsnotiz nicht schließen, ohne darauf hinzuweisen, dass Zeitungmachen Geld kostet.

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Redaktion Offensiv, Hannover

Die Ukraine im Fadenkreuz von USA und EU

Was steckte hinter der Forderung des ukrainischen Präsidenten Juschtschenko nach Auflösung des ukrainischen Parlaments?

Die Ukraine stand schon lange im zentralen Blickfeld der USA-Weltherr-schaftspolitik. Der frühere Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski schreibt in seinem Buch „Die einzige Weltmacht“: „Die Ukraine ist ein neuer wichtiger Raum auf dem eurasischen Schachbrett, ist ein geopolitischer Dreh- und Angelpunkt, weil ihre bloße Existenz als unabhängiger Staat zur Umwandlung Russlands beiträgt. Ohne die Ukraine ist Russland kein eurasischer Staat mehr.“

In diesem globalem Zusammenhang müssen wir die Ereignisse in der Ukraine im Jahre 2004, unter dem Namen „orange Revolution“ bekannt geworden, sowie den derzeitigen Machtkampf zwischen dem ukrainischen Präsidenten Juschtschenko, dem Wunschkandidaten des Westens, sowie dem Minister-präsidenten Janukowitsch, der, wie Umfragewerte dort ergaben, von der Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung unterstützt wird, betrachten.

Als Juschtschenko am 2. April 2007 ein Dekret (Ukas) zur Auflösung des Parlaments, das im Jahre 2006 vom Volke gewählt wurde, herausgab und für den 27. Mai diesen Jahres Parlamentswahlen anberaumte, war für jeden politisch Denkenden klar, dass es hier nicht nur um Rangeleien zweier unter-schiedlicher Gruppen oder gar Kapitalvertreter in der Ukraine ging (siehe Thomas Konic, junge welt vom 13.04.2007 :„Die Oligarchie gewinnt immer“) sondern um weit mehr! Es ging und geht darum, ob die Ukraine zum Aufmarschgebiet der USA und anderer NATO–Staaten wird, in dem strikte Privatisierungsmaßnahmen im Lande unter ausländischer Voll-macht wie im Irak, Afghanistan durchgeführt werden, oder ob die Ukraine ihre Souveränität erhalten und über ihren Entwicklungsweg innen- wie außenpolitisch selbst entscheiden kann.

Das ukrainische Volk ist, wie Umfragewerte unabhängiger Institute ergeben haben, mit der parlamentarischen Demokratie, die sich nach den Wahlen im Jahre 2006 herausgebildet hat, bedingt durch den gestiegenen Lebensstandard dort, sehr zufrieden.

Da der politische Spielraum des ukrainischen Präsidenten Juscht-schenko, dem Wunschkandidaten des Westens, durch die parlamen-tarische Demokratie eingeengt worden ist, versuchte dieser bei völlige Billigung des Westens mit diktatorischen Mitteln zum Ziel zu gelangen.

Eine Diktatur Juschtschenkos, die das Parlament ausschalten würde, käme also den Interessen des Westens sehr entgegen ! Juschtschenko hatte es im Frühjahr 2007, sicher unter gehörigem Druck westlicher Staaten, furchtbar eilig, seine dem Westen vor und während der „orangen Revolution“ gegebenen Versprechen einzulösen.

Für die Erreichung des Ziels der Westmächte, die Ukraine politisch, ökonomisch und militärisch voll und ganz zu entmündigen, sprich: zu unterwerfen, hatte Juschtschenko vor und während der „orangen Revolution“ seitens verschiedener regierungsnaher Organisationen und sogenannter Nicht-regierungsorganisationen westlicher Länder, vor allem der USA, Milliarden-beträge erhalten, was von ihm keineswegs bestritten wird.

Der US–Multimilliardär Soros beschreibt in seinem Buch „Die Vorherrschaft der USA – eine Seifenblase“ auf Seite 135 prahlerisch, wie er mit Geldern seiner Stiftungen auch andere bunte „Revolutionen“ zum Sturz sozialistischer, nationaler bzw. sozial orientierter Regierungen auf den Weg gebracht hat: „Im kommunistischen Ungarn entwickelte sich meine Stiftung zum wichtigsten Förderer der Zivilgesellschaft. Sie kann zwar nicht für sich in Anspruch nehmen, den Zusammenbruch des kommunistischen Regimes herbeigeführt zu haben – der wichtigste Impuls dafür kam aus der Sowjetunion, aber sie hat dabei geholfen, die Gesellschaft auf die Demokratie vorzubereiten. In Russland stellte meine Stiftung Hilfsgelder bereit, die auch tatsächlich zu den Menschen gelangten, für die sie bestimmt waren. Bei unserer erfolgreichsten Aktion konnten wir rund 35.000 führenden Wissenschaftlern helfen, eine Zeit der galoppierenden Inflation zu überstehen.“ Dazu muss man wissen, dass in der sogenannten Nachwendezeit auf Druck der IWF und der Weltbank der Rubel praktisch keinen Wert mehr besaß. Und weiter heißt es dort: „Meine Stiftungen trugen zu den Regimewechseln in der Slowakei (1998), Kroatien (1999) und Jugoslawien (2000) bei und mobilisierten die Zivilgesellschaft, um Wladimir Meciar, Franko Tudjman und Slobodan Milosevic aus ihren Ämtern zu vertreiben. Dies sind nur einige der wichtigsten Erfolge. Die Aufgabe meiner Stiftungen bestand darin, den Übergang von geschlossenen zu offenen Gesellschaften zu begleiten und zu fördern.“

Beim Staatsbesuch von Präsident Juschtschenko in den USA im April 2005 gab es Gespräche über die Einbeziehung der Ukraine nicht nur in die NATO, sondern auch in ein Raketenabwehrsystem der USA, d. h. eine Vorverlegung dieses Systems direkt an die Grenzen Russlands. Das bedeutet eine erhebliche Einschränkung wenn nicht Paralysierung der russischen Möglichkeiten, auf eine Bedrohung durch US-Atomwaffen zu reagieren (siehe u.a. „junge Welt“ vom 23. November 2006, Seite 11).

Die frühere Außenministerin und Vorsitzende des National Democratic Institute, Madeleine Albright, hat auf einer Veranstaltung der Soros Foun-dation in Kiew am 17. Februar 2002 die in der Ukraine tätigen zahlreichen NGOs aufgefordert, mitzuhelfen, Präsident Kutschma und dessen Regierung zu stürzen, weil diese zu sehr mit Russland zusammenarbeitet und auch die Privatisierung nicht hinreichend zugunsten westlicher Investoren betreiben würde. Deswegen sei „Demokratisierungshilfe“ vonnöten, um die Entwick-lung der Ukraine von der geschlossenen zur offenen Gesellschaft voran zu treiben.

Und so flossen Unsummen von Geldern in die so genannte „orange Revo-lution“, die Ende 2004 die Marionette der USA, Juschtschenko, an die Macht brachte. Allein von Seiten der Regierung der USA flossen 3,3 Mrd. US-$ bis 2005. Rund zwei Drittel davon wurden über die US-Agentur für Internationale Entwicklung (USAID) vermittelt (s. Demokratieexport nach Osteuropa: US-Strategien in der Ukraine, in „Blätter für deutsche und internationale Politik“, Nr. 12/2005). Nach dem Juli 2006 wurden erneut hohe Dollarbeträge bereitgestellt, diesmal mit dem Ziel, den im August 2006 vom Parlament gewählten neuen ukrainischen Ministerpräsidenten Janukowitsch und die unter ihm gebildete Koalitionsregierung der Partei der Regionen, der Sozia-listischen Partei und der Kommunistischen Partei zu stürzen, die sich auf eine große Parlamentsmehrheit stützt. Beträge von weiteren Hunderten von Millionen US-Dollar- und Eurobeträgen wurden auch von den EU-Staaten für die sog. Ukrainehilfe zur Verfügung gestellt, die bis 2004 und wieder ab Anfang August 2006 für die Unterstützung der sog. Oppositionskräfte, im Klartext für subversive Arbeit, dienen.

Beträchtliche Finanzmittel wurden und werden in diesem Zusammenhang auch für die Einflussnahme über die Medien gewährt.

Im folgenden versuchen wir darzustellen, wie der ukrainische Präsident Juschtschenko mit Unterstützung und schweigender Duldung des Westens die Verfassung der Ukraine mehrfach gebrochen hat und das ukrainische Par-lament es bisher nicht vermocht hat, diesen Gesetzesbrecher seines Amtes zu entheben! Denn: die Mehrheit des ukrainischen Volkes hat Juschtschenko längst nicht mehr auf seiner Seite.

Wie konnte es dazu kommen, dass der anfangs auch von großen Teilen der ukrainischen Bevölkerung umjubelte Juschtschenko nun nicht mehr diesen Rückhalt besitzt?

Ein wesentlicher Grund dafür war nicht nur die prowestliche Haltung von Präsident Juschtschenko, der kompromisslos den Beitritt seines Landes in die NATO befürwortet, sondern auch der nicht von der Hand zu weisende wirtschaftliche Aufschwung in den 9 Monaten der Amtszeit der Parlaments-regierung unter Janukowitsch.

So wuchsen das Bruttoinlandprodukt und die Industrieproduktion ab August 2006 bis März 2007 auf das Jahresmittel bezogen um 12 %. Das fand auch seinen Niederschlag in um 25 % gestiegenen Arbeitslöhnen und Renten. Auch die Inflationsrate ging in beträchtlichem Maße zurück. Im 1. Halbjahr 2007 stieg das Bruttoinlandprodukt um 7,9 %, die Industrieproduktion um 12 %, die Investitionen um 32 % und die Inflationsrate nur um 4,9 %. Die Löhne stiegen um 25 % und die Renten um 20 %. Die Arbeitslosigkeit beträgt gegenwärtig 2,6 %.

Die westlichen Politiker meinten, nach der Verkündung des Präsidenten-dekrets durch Juschtschenko am 2. April 2007 zur Auflösung des Parlaments, die Ukraine jetzt in „Sack und Tüten“ zu haben und waren bezüglich einer vermeintlichen Unterstützung durch die Bevölkerung der Auffassung, dass man nur das Gaukelspiel der „orangen Revolution“ von 2004 nur zu wieder-holen bräuchte.

Zum „Hoffnungsträger“ des Westen wurde auch wieder die „schöne“ Julija Timoschenko hochstilisiert. Doch diese launische Frau voller Unbe-rechenbarkeit war einst selbst Juschtschenko und seinem neoliberalen Anhang lästig geworden. Nachdem sie Anfang 2005 als Gallionsfigur der „Oran-genen“ Ministerpräsidentin geworden war, wurde die gefürchtete Rivalin schon im Herbst des gleichen Jahres wieder von Juschtschenko entlassen. Nach den Wahlen vom 26. März 2006 verweigerte ihr Juschtschenko seine Unterstützung zur Wahl als neue Ministerpräsidentin. Ihre Fraktion stimmte nach der Bildung der Janukowitsch-Regierung im August 2006 wiederholt mit den Regierungsparteien und ermöglichte so die Annahme des „Gesetzes über das Ministerkabinett“ mit Zweidrittelmehrheit. Dieses Gesetz schränkt als Verfassungsgesetz die Vollmachten des Staatspräsidenten erheblich ein.

Das Dekret vom 2. April 2007 zielte auf Abschaffung
des parlamentarischen Systems

Als wesentliche Begründung für sein Dekret (Ukas) zur Parlamentsauflösung und für neue Parlamentswahlen nannte Juschtschenko die angebliche „Ver-letzung der Verfassung durch das Parlament und die Regierung“, die beide seine Präsidentenvollmachten „beschneiden“ würden. Dabei hatte er offenbar vergessen, dass er noch Ende 2004 selbst mit dafür gesorgt hatte, dass die neue Verfassung nicht mehr nur auf den Staatspräsidenten maßgeschneidert ist, obgleich er deren Inkraftsetzung immer wieder zu blockieren versuchte. Dass die Verfassungsänderungen letztlich doch in den Verfassungstext Eingang fanden, war übrigens auch ein Verdienst von Frau Timoschenko. Es war somit völlig logisch, dass das Parlament diesen nach Zarenart erlassenen Präsidentenukas vom 2. April 2007 mit großer Mehrheit zurückwies. Und zurückgewiesen wurde das Dekret auch von der ukrainischen Regierung. Nur der Verteidigungs- und der Außenminister stimmten für das Dekret des Präsidenten, die einzigen, die laut Verfassung de facto noch vom Staats-präsidenten Juschtschenko ernannt werden dürfen, aber wie jeder Minister ebenfalls vom Parlament mehrheitlich gewählt werden müssen.

Juschtschenko nannte als weitere wesentliche Begründung für sein am 2. April 2007 erlassenes Präsidentendekret den Umstand, dass seitens des Regierungslagers systematisch Abgeordnete seiner Fraktion abgeworben worden wären, was nicht den Tatsachen entspricht. Tatsache ist, dass anfangs zwar 10 Abgeordnete von „Nascha Ukraina“ und 4 Abgeordnete des Timo-schenko–Blocks ihre Fraktionen verlassen hatten und dann als fraktionslose Abgeordnete im Parlament saßen. Ein Umstand, der überall in der Welt so oder ähnlich gehandhabt wird! Pikant dabei ist die Tatsache, dass im April 2007 selbst aus der Fraktion der Sozialisten drei Abgeordneten ausgetreten waren und im Parlament nun ebenfalls den Status von fraktions-losen Abgeordneten innehatten.

Juschtschenko glaubte mit seinem Dekret sofort das Volk hinter sich zu haben. Aber er hatte bei Erlass seines Dekrets vom 2. April 2007 die Rechnung ohne den Wirt gemacht und den Volkswillen völlig falsch eingeschätzt. Dass er keine Unterstützung mehr im Volk hat, zeigte sich auch darin, dass das ukrainische Volk zu seiner Unterstützung nicht in Massen auf die Straße ging. Es demonstrierte mehrheitlich für die parlamentarische Demokratie und gegen die Errichtung einer prowestlichen Präsidentendiktatur.

Obwohl das Volk weiß, dass die sogenannte parlamentarische Demo-kratie und die Diktatur eines einzelnen nur zwei Seiten einer Medaille sind, unter der sich die Herrschaft des Kapitals verbirgt, weiß es auch, dass eine Diktatur eines einzelnen das Volk jeglicher, unter dem Scheinmantel bürgerlicher Demokratie noch teilweise vorhandener bür-gerlicher Rechte berauben würde!

Für eine von Juschtschenko seit April 2007 angestrebte Parlamentsauflösung in der Ukraine fehlt jegliche verfassungsrechtliche Grundlage . Wie der Parla-mentspräsident Moros am 3. April in einem Kommentar, der auf der Par-laments-Webseite (www.rada.kiev.ua) veröffentlicht ist, darlegte, verbietet die Verfassung dem Staatspräsidenten willkürliche Eingriffe in die Parlaments-rechte, was natürlich Juschtschenko nicht stört, da er ja so oder so sich der Unterstützung des Westens sicher sein darf!

Trotzdem ist es vom formal-juristischen Standpunkt und für Argumentationen in Richtung Verteidigung wenigstens der bürgerlichen Demokratie in der Ukraine wichtig zu wissen, wann eine Parlamentsauflösung in der Ukraine möglich wäre. Die vorfristige Auflösung des Parlaments ist nach Artikel 90 der ukrainischen Verfassung nur bei Vorliegen von drei Bedingungen mög-lich:

-Wenn innerhalb von 30 Tagen nach Neukonstituierung des Parlaments keine Mehrheit für eine Regierungsbildung zustande kommt.

- Wenn innerhalb von 16 Tagen nach der Bildung einer Regierung deren arbeitsfähige personelle Zusammensetzung nicht zustande kommt.

- Wenn innerhalb von 30 Tagen aus internen Gründen keine von der Par-lamentsmehrheit angesetzte Parlamentssitzung beginnen kann.

Ein Grund für eine vorfristige Parlamentsauflösung und Neuwahlen wäre im Allgemeinen die anhaltende Unfähigkeit des Parlaments, mit demokratischen Mehrheiten Beschlüsse zu fassen.

Zudem schreibt die Verfassung vor, dass eine Parlamentsauflösung nur nach Absprache mit dem Präsidium des Parlaments und den Vorständen der Frak-tionen erfolgen dürfe.

Das war aber am 2. April 2007 und auch vorher nicht der Fall.

Der durch seine gewollte „Parallelregierung“ - Rat für Nationale Sicherheit und Verteidigung - gefasste „Beschluss 285 zur gesellschaftspolitischen Lage und zur Durchführung unverzüglicher Maßnahmen zur Sicherung der verfassungsmäßigen Rechte der Bürger in der Ukraine“ zwei Tage nach seinem Dekret vom 2. April 2007 implizierte gewissermaßen, dass die „Souveränität der Ukraine in Gefahr sei“, wenn der ukrainische Präsident nicht eingreifen würde.

Ministerpräsident Moros betonte, dass eine „Bedrohung der Souveränität des Staates“, wie sie von Juschtschenko fälschlicherweise deklariert wurde, keine verfassungsmäßige Grundlage für ein Präsidenten-Dekret zur Parlaments-auflösung bildet und von der Verfassung gar nicht vorgesehen ist.

Dass sich Juschtschenko als Retter der ukrainischen Souveränität und terri-torialen Integrität aufspielt und damit sein Dekret begründet, ist somit nicht nur eine rechtswidrige Anmaßung, sondern wohl einer der größten Hinter-treppenwitze der modernen Geschichte, weil nämlich die Gefahr nicht vom Parlament, sondern vom ukrainischen Präsidenten Juschtschenko selbst aus-geht, der die Ukraine dem Westen ökonomisch, politisch und militärisch aus-liefern will.

Festzustellen ist nach Prüfung der Verfassung und Einschätzung der Arbeit des gewählten Parlaments, dass das Präsidentendekret vom 2. April 2007 ein Staatsstreich und Umsturzversuch zur Änderung der Machtver-hältnisse auf ukrainischem Boden zu Gunsten der USA und der EU und zu Ungunsten Russlands sowie zum Schaden des ukrainischen Volkesist.

Das Ganze war mit Sicherheit wie bei der „orangen Revolution“ mit gewissen NATO-Politikern abgestimmt. Es lag dabei von vornherein in der Absicht Juschtschenkos, die von ihm anvisierten Wahlen am 27. Mai zu manipulieren und somit auch keine fairen Wahlen zuzulassen, weil diese, seine Fraktion, haushoch verlieren würde (siehe unter Punkt Wahlprognosen). Ja, die Neu-wahlen hätten nach dem Dekret vom 2. April 2007 nicht einmal unter par-lamentarischer Kontrolle durchgeführt werden können, wie dies bei normalen Parlamentswahlen üblich ist, bei denen die Auflösung des alten Parlaments erst nach dem Tag der Neuwahl erfolgen würde. Nach derzeitigen Prognosen würde der Block „Unsere Ukraine“ weniger als 10 % der Stimmen erhalten. Juschtschenko strebte mit der geplanten Parlamentsauflösung an, die Wahlen unter Ausnahmebedingungen stattfinden zu lassen. Die Vorbereitung der Organisation des Staatsstreichs war zwar dilettantisch und realitätsfern, aber er hielt sich Optionen offen, die unmittelbar zur Präsidentendiktatur hätten führen können.

Staatstreichcharakter des Präsidentendekrets

Wie schon einmal, nämlich vor der „orange Revolution“ im Jahre 2004, ist mit dem Präsidentendekret vom 2. April 2007 in der Ukraine ein Staatsstreich vorbereitet worden.

Scholl Latour beschreibt in seinem Buch „Russland im Zangengriff“, wie im Jahre 2004 eine enge Zusammenarbeit westlich orientierter Politiker der Ukraine mit staatlichen westlichen Vertretungen innerhalb der Ukraine erfolgt war:

„Tatsache ist, dass die Fäden in der amerikanischen Botschaft zusammen-liefen, dass die Europäer, insbesondere auch die diplomatische Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Abstimmung mit der ‚Organisation für Sicher-heit und Zusammenarbeit in Europa’ an dem Regimewechsel aktiv beteiligt waren.“

Mit seinen „westlichen Bündnispartnern“ im Hintergrund, lag es anscheinend diesmal in der Absicht Juschtschenkos, durch eine vorfristige Parlaments-auflösung die beabsichtigten Wahlen am 27. Mai zu manipulieren und somit auch keine fairen Wahlen zuzulassen, bei denen seine Fraktion haushoch verlieren würde.

Deswegen wollte Juschtschenko Neuwahlen zu seiner beabsichtigten Präsi-dentendiktatur nicht unter parlamentarischer Kontrolle durchführen, wie dies bei normalen Parlamentswahlen üblich ist, bei denen die Auflösung des alten Parlaments erst nach dem Tag der Neuwahlen erfolgen würde.

Wahlen unter Ausnahmebedingungen ohne parlamentarischer Kontrolle aber würden einer Art Ermächtigungsgesetz wie 1933 unter Hitler gleichgekommen!

Vorbereitung und Durchführung eines militärischen Putsches durch Juschtschenko

Von Juschtschenko war bereits gleich nach der Verkündung seines Präsi-dentendekrets vom 2. April 2007 ein Eingreifen der Armee vorgesehen ge-wesen.

Der von Juschtschenko ernannte Verteidigungsminister Grytsenko beeilte sich zu betonen, er werde nur die Anweisungen des Oberbefehlshabers Juscht-schenko befolgen und wenn nötig, mit bewaffneter Gewalt eingreifen.

Ein durch Juschtschenko geplantes militärisches Eingreifen der Armee war relativ schnell auf erhebliche Bedenken von Generälen der höheren Armee-führung gestoßen. Zudem ist die Mehrheit der Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten dagegen, gegen das Parlament vorzugehen oder gar einen Bürger-krieg auszulösen.

Dabei spielte auch eine wichtige Rolle, dass es Juschtschenko und seinen Anhängern nicht gelang, die „orange Revolution“ von 2004 zu wiederholen. Außerdem wäre ein Eingreifen der Armee auf den sicherlich unüberwind-lichen Widerstand der Regionen im Osten und Süden der Ukraine sowie der Krim gestoßen. Auf der Krim hatten Demonstranten und bewaffnete Kosaken schon einmal im Sommer 2006 die Anlandung amerikanischer Truppen zur Bildung eines US–Stützpunktes bei Stari Krim verhindert.

Trotzdem scheute Juschtschenko im April 2007 nicht davor zurück, min-destens drei Spezialkommandos der Armee in der Stärke von 100, 150 und 80 Bewaffneten zu bilden, die den Präsidentenauftrag erhalten hatten, Verhaf-tungen von Parlamentariern, Regierungsmitgliedern und weiteren Mitarbeitern des Regierungsapparats vorzunehmen, wie der Abgeordnete Olexandr Ka-laschnikow von der Partei der Regionen auf der Parlamentssitzung vom 12. April feststellte. Zum Leidwesen Juschtschenkos ist dies vorzeitig publik geworden! Deshalb beeilte sich der ukrainische Präsident Juschtschenko zur Beruhigung der Massen noch am 12. April bekannt geben zu lassen, dass ein bewaffnetes Eingreifen der Armee nicht vorgesehen sei.

Ja, einen Monat später drehte Juschtschenko, der mit seinem militärischem Putsch auch viele seiner Anhänger gegen sich aufgebracht hatte, den Spieß um. Verleumderische Behauptungen des Präsidentensekretariats zufolge plane die Janukowitsch–Regierung den gewaltsamen Einsatz von bewaffneten Kräf-ten gegen den Präsidenten und Oppositionspolitiker, wobei sogar der Einsatz von Spezialkräften ausländischer Mächte vorgesehen sei!

Eine dubiose Rolle spielten bei diesem Ränkespiel auch einige Personen des Amts des Sicherheitsdienstes. Das Amt des Chefs des Sicherheitsdienstes (Geheimdienstchefs) wird nach wie vor von einem gegen den Willen des Parlaments vom Präsidenten provisorisch eingesetzten Sicherheitschef ver-waltet. Der Leiter des Sicherheitsdienstes ist jedoch auf Vorschlag des Präsi-denten vom Parlament zu wählen. Nur so übt er seine Funktion legal aus, weshalb das Parlament auch darauf drängt, dass der Leiter des Sicher-heitsdienstes, wie es die Verfassung vorsieht, vom Parlament gewählt wird. Doch alle von Juschtschenko vorgeschlagenen Kandidaten wurden vom Parlament bisher abgelehnt.

Der Sicherheitsdienst unterliegt laut der Verfassung der parlamentarischen Kontrolle und darf z. B. laut Verfassung nicht gegen Verfassungsrichter tätig werden, wie das von Juschtschenko praktiziert wurde. Das Parlament ernannte aufgrund der sich zuspitzenden Lage in der Ukraine Kuzmuk als neuen Vizepremier und als Stellvertretenden Minister für Fragen der Nationalen Sicherheit und Verteidigung . Daraufhin wurde 2 Tage später vermeldet, dass sich präsidentenfreundliche Truppen auf Kiew in Bewegung gesetzt hatten.

Der „Tagesspiegel“ vom 28. Mai (Pfingstausgabe) schreibt: “Präsident Juschtschenko erteilt Tausenden von Soldaten Einsatzbefehl“. Woran keiner zu glauben wagte, schien nun einzutreten. In der Ukraine drohte ein Bürger-krieg auszubrechen! Nur durch das beherzte Eingreifen der Truppen des Innenministeriums unter Innenminister Zushko und dem Stellvertretenden Minister für Fragen der Nationalen Sicherheit und Verteidigung Kuz’muk konnte bislang Schlimmeres verhindert werden. Auf Innenminister Zushko wurde daraufhin, Berichten zufolge, ein Giftmordanschlag verübt! Es drängt sich der Verdacht auf, dass das die Rache derer war, deren Kalkül, die Ukraine mittels eines Militärputsches dem Westen quasi als “Morgengabe“ für einen EU- bzw. NATO - Eintritt zu überreichen, fehlgeschlagen ist.

Um einen erneuten Missbrauch der Armee durch den ukrainischen Präsi-denten zu verhindern, hatte das Parlament am 17. April einen Beschluss angenommen, der es dem ukrainischem Präsidenten untersagte, gesetzwidrige Weisungen an die Armeeführung zu erteilen. Dazu wurden einige Gesetze bezüglich der Aufgaben des Ministeriums für Verteidigung und des Gene-ralstabes geändert.

Juschtschenkos Plan, das Parlament schließlich doch noch durch einen, diesmal nach außen hin als „rechtsmäßig“ erscheinenden Staatsstreich auf-zulösen und durch einen „Rat für Nationale Sicherheit und Verteidigung“ zu ersetzen, wollte der Präsident durch seine Aufforderung an die Oppo-sitionsparteien, das Parlament geschlossen zu verlassen, erreichen, indem er durch massenhafte Austritte von Abgeordneten die Zweidrittelmehrheit unterschreiten wollte (was er auch erreichte, aber zu seinem Leidwesen existiert für eine Parlamentsauflösung in der ukrainischen Verfassung kein Artikel, der bei der Unterschreitung der Zweidrittelmehrheit die Fortsetzung der Arbeit des Parlamentes in Frage stellt!).

Die Rolle des Verfassungsgerichts und Versuche Juschtschenkos, darauf Einfluss zu nehmen

Die Organisation und die Befugnisse des Verfassungsgerichts sind in den Artikeln 147-153 der Verfassung geregelt. Danach setzt es sich aus 18 Verfassungsrichtern zusammen, wovon 6 der Staatspräsident, weitere 6 ein Kongress der Richter der Ukraine und weitere 6 das Parlament bestimmt. Ihre Ernennung erfolgt für 9 Jahre. Der Vorsitzende des Verfassungsgerichts wird für von den Verfassungsrichtern in einer geheimen Abstimmung aus ihren Reihen für die Dauer von drei Jahren gewählt. Eine große Zahl der Ver-fassungsrichter ist noch in der Amtszeit des früheren ukrainischen Präsidenten Kutschma eingesetzt oder gewählt worden, also in der Zeit von 1998 - 2004.

Der Parlamentsvorsitzende Moros und Ministerpräsident Janukowitsch handelten völlig demokratisch und verfassungskonform, als sie die Gültigkeit des Präsidentendekrets vom 2. April 2007 von der Entscheidung des Ver-fassungsgerichts abhängig machten.

Das Verfassungsgericht kann über die Verfassungsmäßigkeit eines Präsi-dentendekrets entscheiden. Es kann aber nicht wider den Geist und Buchstaben der ukrainischen Verfassung entscheiden, wenn es sich nicht völlig diskreditieren will.

Aus diesem Grunde versuchte Juschtschenko mittels einiger wichtiger Schritte auf das Verfassungsgericht Einfluss zu nehmen, es systematisch zu behindern und einzuschüchtern:

1. versuchte er, die Verfassungsrichter auf seine Seite zu bringen. Fünf dem Präsidenten hörige Verfassungsrichter hatten daraufhin eine Pressekonferenz durchgeführt und damit der Entscheidung des Verfassungsgerichts vorgriffen, indem sie dort ihre Auffassungen zum Präsidentendekret vom 2. April dar-legten und dieses mehr oder minder guthießen. Der Parlamentsvorsitzende Moros stellte diesbezüglich auf einer Parlamentsitzung klar, dass solche State-ments laut dem Gesetz über das Verfassungsgericht verboten sind. Denn, wie überall auf der Welt, können Verfassungsrichter nur gemeinsam Erklärungen abgeben und Beschlüsse fassen. In keinem Fall dürfen sie gemeinsamen Ent-scheidungen vorgreifen!

Doch Juschtschenko scheint das Verfassungsgericht als seine persönliches Machtinstrument zu betrachten. Das kam auch darin zum Ausdruck, dass er

2. siebzehn namentlich aufgeführte Verfassungsrichter durch eine Präsiden-tenverfügung vom 11. April unter seinen persönlichen Schutz nehmen ließ, obwohl das Innenministerium für solche Personenschutzaufgaben zuständig ist. Als Demonstranten am 17. April Verfassungsrichtern den Zugang zum Gebäude des Verfassungsgerichts zu verwehren begannen, verstärkten Ange-hörige der Miliz des Innenministeriums die Sicherung des Gebäudes. Darüber berichtete Innenminister Wasil Zushko dem Parlament am 19. April. Er sprach von Stör- und Blockadeversuchen, die von einigen Führern des Oppositions-parteien organisiert werden. Es zeigte sich, dass die Verfassungsrichter, die das Präsidentendekret als verfassungsgemäß deklarieren wollen, in der Min-derheit sind. Das ukrainische Verfassungsgericht kann die Verfassungs-widrigkeit eines Dekrets feststellen, aber es kann keine legislativen und exekutiven Entscheidungen fällen, d.h., nicht an Stelle des Parlaments oder der Regierung treten und Entscheidungen an derer statt treffen.

Nachdem auch der zweite Versuch des Präsidenten, auf das Verfassungs-gericht Einfluss zu nehmen, fehlgeschlagen war, bezichtigte Juschtschenko

3. einige Verfassungsrichter der Bestechlichkeit wie z. B die Verfassungsrich-terin Stanik.

Die durch das Parlament veranlasste sofortige Untersuchung durch die Generalstaatsanwaltschaft ergab, wie der Generalstaatsanwalt Pschonka vor dem Parlament am 19. April feststellte, dass alle diese Vorwürfe widerlegt und als Lügen und Verleumdungen entlarvt werden konnten.

Der 4. Schritt Juschtschenkos bestand in der Entlassung von drei Verfassungsrichtern von Walerij Pschenitschnij, Sjusanna Stanik und Wolo-dimir Iwaschenko. Bei den beiden ersteren sprach er von einer „Verletzung des Amtseides“ und bei Iwaschenko von angeblicher Unqualifizierung seines Herangehens. Juschtschenko berief sich auf sein Recht, von den insgesamt 18 Verfassungsrichtern 6 zu ernennen (6 Verfassungsrichter werden vom Parlament und weitere 6 von einem gesamtukrainischem Richterkollegium gewählt ).

Zu einer willkürlichen Abberufung von Verfassungsrichtern vor Ablauf ihrer Amtszeit ist der ukrainische Präsident nicht berechtigt, auch wenn sie unter sein Ernennungsrecht fallen.

Für die vorzeitige Abberufung sieht die Verfassung klare Regeln vor. So sind Ausschüsse von Richtern einzusetzen, die in besonderen Verfahren die Ent-lassungsgründe prüfen müssen. Für die Entlassung von Verfassungsrichtern vor Ablauf der Amtszeit bedarf es somit eines besonderen juristischen Verfahrens und Urteils der unabhängigen Justiz. Das Verfassungsgericht konnte erst seine normale Arbeit fortsetzen, als das Parlament am 10. Mai drohte, die Gespräche mit dem Präsidenten auszusetzen, bis die 3 Verfassungsrichter wieder eingestellt würden.

Die 3 entlassenen Verfassungsrichter wurden wieder in ihre Ämter eingesetzt . Am 17. Mai 2007 trat der Vorsitzende des Verfassungsgerichts, Iwan Dom-browskij, zurück. Er galt im Richterkollegium als neutral und nahm deswegen auch keinen dezidierten Standpunkt ein. Stattdessen wählte die Kammer auf der Grundlage von Artikel 148 der ukrainischen Verfassung Walerij Psche-nitschnij zum neuen Vorsitzenden des Verfassungsgerichts. Das stieß auf den Widerspruch von Juschtschenko. Er brachte zum Ausdruck, dass für ihn nun kein Beschluss des Verfassungsgerichtes mehr gültig sei, womit sich der Präsident erneut verfassungswidrig verhielt.

Einige Tage später erklärte das Verfassungsgericht, dass das Präsidenten-dekret vom 2. April 2007 unrechtsmäßig ist. Diese Gerichtsentscheidung er-kannte Juschtschenko nicht an. Am 19. Juni 2007 erklärte der Parlaments-vorsitzende Moros, dass die ganze Prozedur der von Juschtschenko inszenier-ten Parlamentsaustritte von Abgeordneten der beiden Oppositionsparteien Gegenstand von Verhandlungen im Verfassungsgericht werden sollen.

Am 10. Juli 2007 wurde der Verfassungsrichter Andrij Stizak zum Vorsitzenden des Verfassungsgerichts gewählt. Die beiden vormaligen Verfassungsrichter Pschenitschnij und Frau Stanik wurden zu seinen Stellvertretern ernannt.

Der Generalstaatsanwalt und dessen versuchte Beeinflussung
durch Juschtschenko

Ein Generalstaatsanwalt ist für die Einhaltung von Gesetzen verantwortlich und kann Rechtsmittel gegen gerichtliche Entscheidungen einlegen.

Der Generalstaatsanwalt der Ukraine kann laut Verfassung nur mit Zu-stimmung des Parlaments in diese Amt berufen werden und es kann dem Generalstaatsanwalt das Misstrauen aussprechen, wenn er sich nicht an die Gesetze hält, was nach Artikel 122 der Verfassung dessen Entlassung her-beiführt.

In der Annahme, dass S. Piskun ihm ergeben ist, berief der ukrainische Präsident Juschtschenko den von ihm ernannten Generalstaatsanwalt zum Mitglied seines Rats für Nationale Sicherheit und Verteidigung, was ebenfalls ein Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz darstellt, da dieser Rat ein Organ des Präsidenten ist und dort ein Generalstaatsanwalt nach dem Gesetz keinen Platz hat.

Interessant ist in diesem Zusammenhang folgendes: Nachdem sich der von ihm ernannte Generalstaatsanwalt S. Piskun gegen Juschtschenko gewandt hatte, wurde er per Dekret vom Präsidenten wieder abberufen. Piskun hatte sich nämlich geweigert, dem Verfassungsgericht eine Verletzung der ukrai-nischen Verfassung zu unterstellen. Als er dem Parlament zusagte, die realen Rechtsverletzungen und Verfassungsbrüche des Staatspräsidenten zu unter-suchen, verkündete Juschtschenko dessen Entlassung.

Da es laut Verfassung weder ein absolutes Ernennungsrecht noch ein Abberufungsrecht des ukrainischen Präsidenten gibt, wurde Generalstaats-anwalt S. Piskun nunmehr laut Verfügung des Verfassungsgerichts in seinem Amt als Generalstaatsanwalt bestätigt.

S. Piskun hat somit weiter das Vertrauen der Parlamentsmehrheit, so wie das von der ukrainischen Verfassung vorgesehen ist.

Daraufhin hat Juschtschenko zwar den von ihm vorher ernannten V. Schemtschuk für abgesetzt erklärt, ernannte aber am 1. Juni 2007 anstelle des verfassungsgemäß vom Parlament bestätigten Staatsanwaltes Piskun einen gewissen O. Medwedko eigenmächtig zum Generalstaatsanwalt, den er oben-drein in sein Präsidentenorgan, den „Rat für nationale Sicherheit und Vertei-digung“ berief.

Die illegitime Einsetzung eines Generalstaatsanwaltes durch Juschtschenko und persönliche Unterstellung unter seine Order ist ein schwerer Eingriff in die Unabhängigkeit der ukrainischen Justiz und ein Verfassungsbruch!

Die Zentrale Wahlkommission und deren Wahlvorbereitung

Insgesamt besteht die Zentrale Wahlkommission der Ukraine aus 15 Mit-gliedern, die den Auftrag erhalten haben, demokratische, transparente und ehrliche Wahlen sicherzustellen.

Die Zentrale Wahlkommission ist für die Vorbereitung und Durchführung der Wahlen verantwortlich. Außerdem hat sie die Aufgabe, für innerhalb der Legislaturperiode zurückgetretene Abgeordnete auf Grund der sich aus der letzten Wahl ergebenen Listenplätze der Fraktionen Nachfolgekandidaten zu benennen.

Juschtschenko beauftragte gleich nach seinem Dekret vom 2. April 2007 die Zentrale Wahlkommission mit der Vorbereitung der Wahlen, ohne das Ganze vorher mit dem Parlament abgestimmt zu haben. Laut Verfassung aber bedarf es dazu einer parlamentarischen Genehmigung, die Gelder dafür müsste dann der Finanzminister bereit stellen und diese müssten dann auf der Grundlage eines Parlamentsbeschlusses bewilligt werden. Ukrainischer Finanzminister und gleichzeitig 1. Stellvertreter des Ministerpräsidenten ist derzeit M. Asa-row und damit die Nummer 2 in der Regierung. Am 5. April 2007 fasste, wie schon erwähnt, der Rat für Nationale Sicherheit und Verteidigung, ein Organ des Präsidenten, den Beschluss 285 zur gesellschaftspolitischen Lage und zur Durchführung unverzüglicher Maßnahmen zur „Sicherung der verfassungs-mäßigen Rechte der Bürger in der Ukraine“, in dem u.a. vorgesehen war, für die Wahlen 340 Mio. Hrywna bereitzustellen (Wechselkurs etwa 6,6 Hrywna = 1 Euro). Einen solchen Beschluss kann aber nur das Parlament fassen. Auch die anderen von Juschtschenko beschlossenen Aktionen waren verfassungs-widrig, weil der Rat für Nationale Sicherheit und Verteidigung kein eigen-ständiges Verfassungsorgan ist und nur die Funktionen eines Koordinierungs-apparats des Präsidenten ausüben darf.

Nach dem durch Juschtschenko verfassungswidrig inszenierten Austritt vieler Abgeordneter der Oppositionsparteien hätte die Zentrale Wahlkommission auf der Grundlage der Listenplätze der Fraktionen neue Nachfolgekandidaten er-nennen müssen. Da das nicht erfolgt ist, kann man sagen, dass die Zen-trale Wahlkommission ihrer Aufgabe nicht gerecht geworden ist.

Nach der Wahl vom März 2006 verfügte die Fraktion „Unsere Ukraine“ über eine Kandidatenliste von 389 Personen (das war ein Überhang von 307 Personen), die Fraktion von „J. Timoschenko“ hatte eine Kandidatenliste von 407 Personen (und damit einen Überhang von 282 Personen .

Die zögerliche Haltung der Zentralen Wahlkommisssion zur Benennung von Nachfolgekandidaten unterstützte, gewollt oder ungewollt, das Vorgehen des verfassungsbrüchigen ukrainischen Präsidenten Juschtschenko, der die Arbeit des Parlaments sowie der Regierungs,- Gerichts- und Verfassungsorgane ständig behindert hat und deren Vertreter kontinuierlich in seinem Sinne zu beeinflussen suchte.

Diese ständige Beeinflussung durch den ukrainischen Präsidenten hatte sicher auch Auswirkungen auf die Arbeit der Zentralen Wahlkommission.

Gemäß der Kompromissvereinbarung zwischen der ukrainischen Regierung und dem ukrainischen Präsidenten am 27. Mai 2007 war dem Präsidenten der bisherige Einfluss auf die personelle Zusammensetzung der Zentralen Wahl-kommission entzogen worden. Mit der Novelle zum Gesetz über die Zentrale Wahlkommission vom 29. Mai 2007 erhielt das Parlament das Recht, zu den vom Präsidenten eingereichten Vorschlägen Gegenvorschläge zu unterbreiten und sie zu bestätigen.

Nach der vorfristigen Beendigung der Vollmachten der Zentralen Wahl-kommission am 1. Juni 2007 reichten die Abgeordnetenfraktionen dem ukrainischen Präsidenten ihre Vorschläge für die personelle Zusammen-setzung der Zentralen Wahlkommission ein. Innerhalb von 3 Tagen musste der Präsident dem Parlament die Namen über deren Zusammensetzung be-kannt geben, was auch erfolgt ist.

Vereinbarungswidrig hat Juschtschenko jedoch am 7. Juni 2007 ein Dekret über die Einsetzung eines Präsidentenvertreters bei der Zentralen Wahl-kommission erlassen, den er mit Vollmachten ausgestattet hat, die nicht von der ukrainischen Verfassung und Wahlgesetzgebung gedeckt sind. Außerdem hat er ihn mit Vollmachten über die Außerkraftsetzung parlamentarischer Kontrollrechte ausgestattet!

Wesentliche Verfassungsbrüche des ukrainischen Präsidenten

Der ukrainische Präsident Juschtschenko hat bisher folgende gravierende verfassungswidrige Handlungen vorgenommen, die ihn zu einer von den NATO–Ländern gewünschten Präsidentendiktatur verhelfen sollten:

Aber sein Ziel, die offenen Auflösung des Parlaments, konnte der ukrainische Präsident bislang nicht umsetzen, zumal dies nicht nur streng verfassungswidrig gewesen wäre, sondern allen Regeln parla-mentarischer Demokratie auf der Welt widersprochen hätte.

Zusammenfassung:

Der ukrainische Präsident hat zwar das Recht, Gesetze nicht zu unter-schreiben, aber er darf kein eigenes Gesetz am Parlament vorbei verfassen. Dekrete können Gesetze nicht außer Kraft setzen! Juschtschenko hat auch kein Recht, Beschlüsse des Ministerrats auszuhebeln, d. h. durch Dekrete auf-zuheben.

Fazit: Solange ihm das Parment dienlich war und ist (auch nach seinem Dekret vom 2. April 2007 und wiederum dessen Bekräftigung nach der Kompromissvereinbarung vom 27. Mai 2007) wie z. B. in Fragen der Änderung des Staatshaushaltes, die auch 60 Millionen Euro für die vor-gezogenen Parlamentsneuwahlen am 30. September beinhaltete, oder die Ver-abschiedung des Gesetzes über die Registrierung auch im Ausland lebender Ukrainer u. ähnl., anerkannte Juschtschenko dessen Rolle.

Völlig ablehnend gegenüber Parlamentsbeschlüssen dagegen verhielt er sich, wenn diese seinen eigenen Machtambitionen widersprachen, wie z. B. in Fragen der imperativen Mandates für Abgeordnete, welches den strikten Fraktionszwang der Abgeordneten bei Abstimmung im Parlament mit an-gedrohtem Ausschluss aus dem Parlament bei Zuwiderhandlung einschließt.

Obwohl das imperative Mandat durch Mehrheitsbeschluss im Parlament ab-gelehnt wurde, drohte der Präsident mit Nichtanerkennung dieses Beschlusses. Oder nehmen wir Juschtschenkos Festhalten am eigenmächtigem und ver-fassungswidrigen Rauswurf des Generalstaatsanwaltes S. Piskun, als dieser sein verfassungswidriges Verhalten missbilligte und Juschtschenkos Verfas-sungsbrüche untersuchen wollte.

Das doppelbödige verfassungswidrige Verhalten Juschtschenkos wird im westlichen Ausland nicht gerügt, ganz im Gegenteil, im eigenen Interesse ermunterte man Juschtschenko bis jetzt in seiner Vorgehensweise.

Welche Schritte hat das Parlament bisher gegen das verfassungswidrige Vorgehen des ukrainischen Präsidenten Juschtschenkos unternommen ?

1 . Nachdem der ukrainische Präsident Juschtschenko mit seinem Dekret am 2. April 2007 verfassungswidrig die Auflösung des Parlaments und Parla-mentsneuwahlen verkündet hatte, die rechtmäßig nur nach sich erwiesener Unfähigkeit des Parlamentes und dann in Absprache mit dem Präsidium des Parlaments und den Vorständen der Fraktionen vorgenommen werden dürfte, verwies ihn der Parlamentsvorsitzende Moros unter Verweis auf die Ver-fassungswidrigkeit seines Tuns in die Schranken (siehe u a. Erklärung von Parlamentspräsident Moros am 3. April 2007 unter der Überschrift : „Dekret vom 2. April 2007...“ ).

Als es Juschtschenko gelungen war, fünf dem Präsidenten hörige Verfas-sungsrichter auf seine Seite zu bringen, hatten diese bereits am Tage der Ver-kündung des Präsidentendekretes eine Pressekonferenz durchgeführt und da-mit der Entscheidung des Verfassungsgerichts vorgriffen, indem sie dort ihre Auffassungen zum Präsidentendekret vom 2. April darlegten und dieses mehr oder minder guthießen. Der Parlamentsvorsitzende Moros stellte diesbe-züglich auf einer Parlamentsitzung klar, dass solche Statements laut dem Ge-setz über das Verfassungsgericht verboten sind. Denn, wie überall auf der Welt, können Verfassungsrichter nur gemeinsam Erklärungen abgeben und Beschlüsse fassen. In keinem Fall dürfen sie gemeinsamen Entscheidungen vorgreifen! 2. Als Juschtschenko Anfang April 2007 nicht davor zurückgeschreckt war, mindestens drei Spezialkommandos der Armee in der Stärke von 100, 150 und 80 Bewaffneten zu bilden, die den Präsidentenauftrag erhalten hatten, Verhaftungen von Parlamentariern, Regierungsmitgliedern und weiteren Mit-arbeitern des Regierungsapparats vorzunehmen, wie der Abgeordnete Ole-xandr Kalaschnikow von der Partei der Regionen auf der Parlamentssitzung vom 12. April feststellte, hatte das Parlament am 17. April einen Beschluss angenommen, der es dem ukrainischem Präsidenten untersagte, gesetzwidrige Weisungen an die Armeeführung zu erteilen. Dazu wurden einige Gesetze bezüglich der Aufgaben des Ministeriums für Verteidigung und des General-stabes geändert.

Damit sollte einem Missbrauch der Armee durch den ukrainischen Prä-sidenten ein Riegel vorgeschoben werden.

3. Nachdem der Sicherheitsdienst (Geheimdienst) mit dem allein im Auftrag Juschtschenkos amtierenden Chef, W. Naliwajtschenko sich eigenmächtig in Angelegenheiten der Staatsanwaltschaften und der Gerichte eingemischt hatte, indem er Beschuldigungen gegen Verfassungsrichter erhoben, ja einige von ihnen sogar der Bestechlichkeit bezichtigt hatte , veranlasste das Parlament sofortige Untersuchungen durch die Generalstaatsanwaltschaft, die alle Vor-würfe als unhaltbar bezeichnete. Dennoch wurden die 3 bezichtigten Ver-fassungsrichter entlassen, weil das Parlament erst die Beschlüsse des Ver-fassungsgerichtes dazu hören wollte!

Kommentar dazu:

Damit hat das Parlament die weitere zügige und erfolgreiche Arbeit des Ver-fassungsgerichtes paralysiert, von dem es ja eine schnelle Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit des Präsidentendekrets vom 2. April 2004 erwar-tete.

Recht spät und erst mit der Drohung des Parlamentes am 10. Mai 2007, jegliche Gespräche mit dem Präsidenten auszusetzen bis die Ver-fassungsmäßigkeit wiederhergestellt sei, wurde die gewünschte Wieder-einsetzung dieser Verfassungsrichter erreicht.

Mit dieser Verzögerungstaktik aber hatte Juschtschenko erreicht, dass das Verfassungsgericht ziemlich spät - und zwar erst nach dem 12. Mai - seine Arbeit über die Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Präsi-dentendekrets vom 2. April 2007 fortsetzen und dessen Verfassungs-widrigkeit erst nach dem 17. Mai erklären konnte, nachdem der Vorsitzende des Verfassungsgerichtes I. Dombrowskij zurückgetreten war und die Kammer des Verfassungsgerichts Walerij Pschenitschnij zum neuen Vorsitzenden gewählt hatte.

Dies war natürlich sofort auf den Einspruch Juschtschenkos gestoßen und er erklärte noch am gleichem Tage, dass er ab sofort keinen Beschluss des Ver-fassungsgerichtes mehr anerkennen würde !!

4 . Angesichts der sich zuspitzenden Staatskrise in der Ukraine reagierte das Parlament mit Beschlüssen zur Wahrung der Stabilität der Ukraine. Es nahm am 30. April mit großer Mehrheit 2 Beschlüsse zur Durchführung von gleich-zeitigen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen an, wofür die ent-sprechenden Gesetzes- und Verfassungsänderungen vorgenommen werden sollten (s. www.rada.kiev.ua vom 30. April). In den Beschlüssen wurde festgestellt, dass die Handlungen des Präsidenten eine Verschärfung der politischen Lage in der Ukraine provozieren, was schwere Konsequenzen für die Menschen in der Ukraine und den Staat insgesamt haben würde. Nur das Volk könne in demokratischen Wahlen eine Lösung der Krise herbeiführen. Es sollte bis zum 10. Juni 2007 das Projekt eines neuen Gesetzes für die Wahl der Parlamentsabgeordneten und bis zum 15. Juni 2007 das Projekt eines Gesetzes für Verfassungsänderungen eingebracht werden, das gleichzeitige Präsidentschafts- und Parlamentswahlen ermöglicht. In dem Gesetz sollten die Vorschläge des Präsidenten und der anderen Organe der Gesetzesinitiative berücksichtigt werden. Die Präsidentschafts- und Parla-mentswahlen sollten innerhalb von 90 Tagen nach Inkrafttreten dieser Verfassungsänderungen durchgeführt werden. Als spätester Wahltermin wur-de in den Beschlüssen der 9. Dezember 2007 genannt. Besonders hervor-gehoben wurde, dass die Durchführung demokratischer Wahlen bei Chancen-gleichheit für alle politischen Kräfte der Ukraine gewährleistet sein müsse. Die demokratischen Institutionen müssten einen fairen Wahlablauf nach rechtsstaatlichen Grundsätzen sichern.

5. Am 4. Mai und am 10. Mai noch hatte das Parlament an gleichzeitigen Präsidentschafts- und Parlamentsneuwahlen festgehalten, wie die Kompro-missgespräche zwischen dem Ministerpräsidenten Janukowitsch und dem ukrainischem Präsidenten erkennen ließen.

6. Das Parlament hatte sich am 14. Mai 2007 in einem Appell an den Präsidenten der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, Rene van der Linden und an alle Präsidenten und Regierungschefs sowie Parlamentspräsidenten der europäischen Staaten gewandt (siehe Anhang!), sicher mit dem Hin-tergedanken, Juschtschenko würde über die Notwendigkeit der Einhaltung demokratischer Grundzüge eine Lektion erteilt bekommen. Dies ist leider ein Trugschluss gewesen !

7. Rene van der Linden hat sich am 21. Mai mit ukrainischen Regierungs- und Parlamentsvertretern getroffen, aber er kritisierte mit keinem Wort das Vorgehen des ukrainischen Präsidenten, das jeglichen Demokratievorstel-lungen, die der Westen in den Medien immer wieder bemüht, Hohn spricht.

8 . Als der ukrainische Präsident am Morgen des 24. Mai Mitarbeiter des Staatsschutzes, die Juschtschenko vorher ausgewechselt hatte, anwies, das Gebäude des Verfassungsgerichtes zu besetzen, war es nur dem unver-züglichen Eingreifen von Parlamentsabgeordneten zu danken, dass es den Verfassungsrichtern möglich war, ihre Arbeit fortzusetzen.

9. Nachdem auf der Präsidentenwebseite am 24. und 25. Mai ersichtlich wurde, dass Juschtschenko den Verteidigungsminister a. Gryzenko empfangen hat, der ihm über den Stand der Gefechtsbereitschaft der Armee berichtete und Gryzenko am 24. Mai zur Truppengarnison gefahren war, besetzten regierungstreue Berkut–Sonderpolizei–Einheiten im Auftrag des Parlaments und der Regierung das Gebäude der Generalstaatsanwaltschaft und des Ver-fassungsgerichts und sicherten diese ab. Parlamentspräsident Moros ver-urteilte die Absichten des Präsidenten, Gewaltmittel einzusetzen und erklärte das zu Straftaten.

10. Am 25. Mai unterstellte sich Juschtschenko unter Berufung auf Artikel 102 und 106, Punkt 1 und 17 der Verfassung und auf Grund eines Dekrets die Truppen des Innenministeriums.

Das Parlament erklärte daraufhin, dass sich Juschtschenko nicht über das Parlament und das Gesetz stellen kann. Noch am gleichen Tage hat das Par-lament die Handlungen des Präsidenten als verantwortungslos und aben-teuerlich bezeichnet. Allen Angehörigen der bewaffneten Einheiten und den Mitarbeitern der Rechtsschutzorgane wurde es bei Strafandrohung untersagt, die verfassungswidrigen und ungesetzlichen Anordnungen von Juschtschenko zu befolgen. Speziell genannt wurde der militärische Befehlshaber der Trup-pen des Innenministeriums Kichtenko, auf den sich Juschtschenko stützen wollte.

Das Parlament billigte in einem Beschluss mit großer Mehrheit (257 Abgeordnete) die Aktionen von Innenminister Zushko zur Sicherung der öffentlichen Ordnung.

Als neuer Stellvertreter des Ministerpräsidenten für Fragen der Verteidigung wurde - auf Vorschlag von Ministerpräsidnet Janukowitsch - O. Kuz’muk gewählt. Er ist im Auftrage der Regierung jetzt für alle Armeeeinheiten, Polizeieinheiten und sonstige bewaffnete Einheiten zuständig.

11. Die Gemeinsame Erklärung zwischen Regierung und Parlament einerseits und dem ukrainischen Präsidenten Juschtschenko andererseits am 27. Mai 2007 über die Einigung auf außerordentliche Parlamentswahlen am 30. September kann man u. E. nicht als besonders kluges Vorgehen von Parlament und Regierung werten, da letzteres damit das Konzept völlig aus der Hand gegeben hat. Im Gegenteil, Juschtschenko hatte der Welt und auch seinem eigenen Volk mit diesem Kompromisspapier signalisiert, dass ihn das ukrainische Parlament und die ukrainische Regierung trotz zum Himmel schreiender Verfassungsbrüche nach wie vor anerkennt.

Ein Parlament aber, das sich in seinen Beschlüssen nicht treu bleibt (vgl. Erklärung des Parlaments vom 25. Mai über das Unterstrafestellen der Unterstützung der verfassungsfeindlichen Vorgehensweise des ukrainischen Präsidenten), kann folglich weder von den Rechtsorganen noch vom Volk ernst genommen werden.

Diese Schwäche der Durchsetzungsfähigkeit des Parlaments wurde von Juschtschenko bis zum heutigen Tage ausgenutzt.

12. Juschtschenko wollte nun, nachdem ein Militärputsch zur Erringung einer Präsidentendiktatur fehlgeschlagen war und ihm, wie er einschätzte, von einem unschlüssigen Parlament bezüglich der Einleitung eines Impeachment–Verfahrens gegen seine Person keine Gefahr drohte, den Weg der „stillen Machtübernahme“ gehen, indem er unter allen Umständen die Unter-schreitung der Zweidrittelmehrheit im Parlament anstrebte.

Er setzte zwar formal seine vorangegangenen Dekrete, auch das vom 2. April 2007, über die Parlamentsauflösung außer Kraft, aber er strebte dieses Ziel nach wie vor auf dem „Rechtswege“, wie er meinte, an. Aus dem Artikel 81, Teil 2, Punkt 6 der Verfassung vom 17. Oktober 2002 über die Mandats-niederlegungen von Mitgliedern der Parlamentsfraktionen leitete er für sich die Berechtigung zur Parlamentsauflösung dann ab, wenn von 450 Abge-ordneten über ein Drittel davon keinen Abgeordnetenstatus mehr besitzt und weil dann das Parlament nicht mehr beschlussfähig wäre. Das ist aber ein Irrtum. Das Parlament stellte fest, dass das Parlament auch mit 226 Abgeordneten immer noch arbeits– und beschlussfähig sei. Es gäbe keinen Beschluss des Verfassungsgerichts, der dazu etwas Gegenteiliges aussagt. Das Parlament könne sich nur durch Mehrheitsbeschluss selbst auflösen.

13. Am 29. Mai 2007 hat das Parlament mit 252 Stimmen das Gesetz über eine Novelle zum Gesetz über die zentrale Wahlkommission beschlossen. Das Parlament erhält damit maßgeblichen Einfluss auf die personelle Zusam-mensetzung der Zentralen Wahlkommisssion. Es enthält das Recht, zu den vom ukrainischen Präsidenten eingereichten Vorschlägen über ihrer personellen Zusammensetzung Gegenvorschläge zu machen und sie zu bestätigen. Mit Mehrheitsbeschluss von zwei Dritteln der Parlaments-abgeordneten kann die Zentrale Wahlkommission abberufen werden. Am 7. Juni 2007 hat der ukrainische Präsident seinerseits ein Dekret über die Einsetzung eines Vertreters des Präsidenten bei der Zentralen Wahl-kommisssion erlassen, wobei er diesen Vertreter mit Vollmachten aus-stattet, die nicht von der ukrainischen Verfassung und Wahlgesetzgebung gedeckt sind. Diesem Präsidentenvertreter hat Juschtschenko sogar zu-gebilligt, die parlamentarischen Kontrollrechte außer Kraft zu setzen!

Damit wären dem Wahlbetrug für die im Kompromisspapier vom 27. Mai 2007 vereinbarten Parlamentsneuwahlen Tür und Tor geöffnet.

Obwohl dieses Vorgehen des Präsidenten Gegenstand eines Verfassungs-gerichtsverfahrens wäre, scheut sich das Parlament nach wie vor, Präsident Juschtschenko seines Amtes zu entheben.

14. Nachdem das Parlament am 1. Juni 2007 die Änderung der Staatshaushaltsgesetze mit 380 Stimmen angenommen hatte, die auch 60 Millionen Euro für den vorgezogenen Urnengang am 30. September vorsieht, machte Juschtschenko am 5. Juni 2007 die Legitimität des Parlaments von 300 Abgeordneten abhängig.

15. Juschtschenko hatte entgegen der Kompromissvereinbarung vom 27. Mai in seinem Dekret vom 5. Juni 2007 (Ukas Nr. 497/2007) über vorgezogene Neuwahlen am 30. September und die schnelle, vorgezogene Parla-mentsauflösung wieder neu auf die Tagesordnung gesetzt, damit er auf der Grundlage von Ausnahmebedingungen die Wahlen zu Gunsten seiner politischen Kräfte manipulieren kann.

Die Parlamentsitzungen, die seitdem weiter stattfanden, hatten dieses neue Präsidentenmanöver zum Hauptgegenstand.

16. Auf der am 27. Juni stattgefundenen letzten Parlamentssitzung vor der Sommerpause bis zum 4. September 2007 wurde nochmals die Quasi-Blockade der Arbeit der Zentralen Wahlkommission festgestellt

Sie hatte bis zum 25. Juni nur einen Beschluss zum System der Klassi-fizierung des Wählerregisters und einen Beschluss zur Bildung der Wahl-kommissionen der Autonomen Republik Krim, der Gebiete (Regionen) sowie der Städte Kiew und Sewastopol gefasst. In anderen wichtigen Fragen blieb sie untätig.

Auf der Parlamentsitzung am 27. Juni wurde nochmals die Legitimität des Parlaments festgestellt. Es gab einen Bericht über die Arbeit der Gerichtsorgane. Ein Bericht einer parlamentarischen Untersuchungskommis-sion konstatierte ein verfassungswidriges Verhalten des Rats der Richter der Ukraine wegen der Einsetzung und Entlassung von Richtern. Das Parlament fasste dazu einen Beschluss. Es wurde eine Reihe von neuen Beschlüssen über die Wahl von Richtern gefasst.

Fazit zur bisherigen Arbeit des Parlaments :

Leider begünstigte das inkonsequente Vorgehen des Parlaments,

Die „nur“ Parlamentsneuwahlen am 30 September, mit denen sich Juscht-schenko gegenüber Regierung und dem Parlament, die ja Präsidenten- und Parlamentswahlen wollten, durchgesetzt hat, tun ein übriges, sein vorher stark ramponiertes Ansehen wieder aufzupolieren.

Trotz der für die derzeitige ukrainische Regierung gegebenen positiven Wahl-prognosen unabhängiger Institute ist es aus diesem Grunde nicht sicher, ob man wirklich eine prowestliche Regierung unter Juschtschenko verhindern kann (siehe Zusammenfassung am Ende!).

Ablehnung des NATO- und EU-Beitritts durch die Mehrheit der Ukrainer

Die große Mehrheit der Ukrainer lehnt einen NATO-Beitritt ab, da sie ein friedliches und freundschaftliches Zusammenleben mit Russland vorziehen, zumal beide Völker jahrhundertelange gemeinsame Traditionen verbinden.

Das westliche neoliberale System, das vor allem durch die NATO und die EU verkörpert wird und das wie überall zu den bekannten sozialen Problemen wie Massenarbeitslosigkeit, Lohn- und Rentensenkung, Zweiklassenmedizin und Zweiklassenbildung, zu drastischen Unterschieden zwischen Arm und Reich, sowie zu Perspektivlosigkeit und Massenverelendung geführt hat, stößt in der Ukraine mehrheitlich auf Ablehnung.

Mit den leeren Versprechen von westlicher Demokratie und Wohlstand kann man in der Ukraine niemand mehr täuschen. So kamen im Frühjahr 2007 nur wenige prowestliche Juschtschenko-Anhänger auf die Straße und auch die lösten sich schnell auf. Stattdessen beherrschten schnell die Demonstranten, die das Parlament verteidigen, das Straßenbild in Kiew und anderen ukraini-schen Städten. Es kam unter blauen und roten Flaggen zu einer mächtigen Anti-Juschtschenko-Bewegung, die gleichzeitig eine Bewegung für parlamen-tarische Demokratie und eine Anti-Nato-Bewegung wurde und auch Ansätze einer Bewegung für eine wahre Volksherrschaft zeigte. Bestehen doch auch in der Ukraine Befürchtungen vor den Lustrationsgesetzen (Durchleuchtungs-gesetzen bezüglich der Vergangenheit und der Be-ziehungen zu Russland), wie sie in den neuen NATO–Mitgliedsländern, z. B. in Polen, schon prakti-ziert werden. Man weiß nur zu genau, dass Korruptionsvorwürfe der Regierungen der NATO–Staaten gegen ehemalige kommunistische Kader in diesen Ländern dabei nur den Vorwand bilden, diese Länder mit neuen, unerfahrenen und ihnen völlig ergebenen Leuten völlig in ihre Hand zu bekommen.

Sowohl Juschtschenko als auch Janukowitsch waren Anfang Mai in Brüssel und führten dort getrennte Verhandlungen durch. Beide erklärten, dass sie gegen einen NATO–Beitritt ihres Landes nichts einzuwenden hätten.

Das wiederum veranlasste westliche Medienvertreter zu der Schlussfolgerung, Juschtschenko und Janukowitsch würden 2 Seiten der gleichen Medaille repräsentieren.

Aber der „kleine Unterschied“ zwischen beiden ist der, dass Juschtschenko seit seinem Amtsantritt als Präsident nicht müde wird, für einen schnellen NATO–Beitritt seines Landes einzutreten, während Janukowitsch dies stets von einer Volksabstimmung abhängig gemacht hatte. Aber am 4. Mai 2007 hatte Janukowitsch in Brüssel betont, dass im Prinzip „über diese Fragen nach der ukrainischen Verfassung nur das Parlament“ entscheiden darf !

Differenzierter ist der EU–Beitritt der Ukraine zu betrachten. Die ukrainische Regierung steht Verhandlungen über eine EU–Mitgliedschaft bzw. ein Assozierungsabkommen mit der EU durchaus positiv gegenüber. Das brachte auch der Parlamentsvorsitzende Moros bei dem Treffen der europäischen Parlamentarier am 26. Mai 2007 in Bratislava (Slowakei) zum Ausdruck. Das Problem besteht allerdings darin, dass die meisten EU–Länder einen EU–Beitritt der Ukraine ablehnen. Nur Länder wie Polen setzen sich dafür ein. Das hängt aber damit zusammen, dass die Ukraine in seiner Geschichte lange Zeit größtenteils zum polnischen Königsreich gehörte und es in Polen starke rechte Kräfte gibt, die ein Großpolen in alten historischen Grenzen wieder-herstellen wollen.

Auch in den antirussisch gesinnten Teilen der Bevölkerung der Westukraine setzen sich Bedenken gegen den EU-Beitritt durch. Denn diesen drohen bei einem EU-Beitritt Restitutionsforderungen von Polen, Juden, Deutschen, Tschechen und Rumänen und somit der Verlust von bis zu 80 % ihres Immobilienvermögens. Die Westukraine gehörte noch bis 1939 zu Polen, zum Teil zu Rumänien (bis 1940) und auch zur Tschechoslowakei bzw. Slowakei (bis 1945) und war ab dem 22. Juni 1941, dem Tag des Überfalls der Hitlerfaschisten auf die UdSSR, Hauptkollaborationsgebiet von Ukrainern mit den Nazis auf sowjetischem Boden. Nicht nur die Sowjetmacht, sondern auch die Nazis verteilten dort fast das gesamte Immobilieneigentum um. Das ist ein wesentlicher Grund, warum auch westukrainische Nationalisten nicht bereit sind, den Plänen von Juschtschenko für einen EU-Beitritt zu folgen und sich mehr und mehr gegen ihn stellen.

Die Ukrainer haben einen langen Befreiungskampf gegen die polnische u.a. Herrschaft geführt und wollen nun mit einem eventuellen NATO- aber auch EU-Beitritt nicht erneut ihre Unabhängigkeit und Souveränität verlieren.

Aktuelle Wahlprognosen

Nach derzeitigen Umfragewerten würde der Timoschenko-Block bei den vorgezogenen Wahlen am 30. September 2007 unterhalb der Ergebnisse vom 26. März 2006 liegen. Er könnte, wenn die beiden ihn bildenden Parteien zusammenblieben, ca 14 – 18 % der Stimmen erhalten. Der Block „Unsere Ukraine“ würde bei unter 10 % der Wählerstimmen liegen. Ihm droht der Zerfall. Auf die Partei der Regionen von Ministerpräsident Janukowitsch würden 35 - 38 % der Wählerstimmen entfallen. Die Sozialisten würden 10 – 15 % der Stimmen und die Kommunisten zwischen 6 - 10 % der Stimmen erhalten (die Kommunisten könnten aber in Abhängigkeit von einer sich möglicherweise rapide verschlechternden sozialen Lage bis zu 20 % der Stimmen bekommen).

Eine in Polen veröffentlichten Wahlprognose sagt dem Timoschenko–Block 14,3 %, der Fraktion „Unsere Ukraine“ 9,2 % und der neuen Partei Nationale Selbstverteidigung 4,4 % voraus (vgl. gazeta wyborcza, Warschau, 22. Juni 2007, S. 13) Mit anderen Worten würden nach diesen Prognosen auf die „Orangenen“ 28 % der Stimmen entfallen, während der gegenwärtige Regierungsblock über 50 % der Stimmen erhalten würde.

In diesen realen Wahlprognosen liegt auch der Grund, warum es Juschtschenko so furchtbar eilig mit der Errichtung einer Präsidenten-diktatur hat und warum er dazu schnellstens das Parlament auflösen will, was zur Folge hätte, dass er sich auch die Regierung unterstellt. Man spricht in der Ukraine von der vorgesehenen Präsidentenverwaltung, die er vermittels seines „Rats für Nationale Verteidigung und Sicherheit“ auszuüben gedenkt.

Westliche Gegenwahlprognosen und ihre Hintergründe

Um einer Wahlmanipulation seitens des ukrainischen Präsidenten den Weg zu bereiten, bekommt er derzeit auch zunehmende Unterstützung von Meinungsforschungsinstituten westlicher Staaten bzw. von westlich ge-steuerten Wahlprognostikern der Ukraine. So hat z. B. die Forschungsstelle Osteuropa der Universität Bremen eine Ukraine–Analyse (vgl. www.ukraine-analysen.de) veröffentlicht, in der der Partei der Sozialisten ein Scheitern an der 4% Hürde vorausgesagt wird, was offensichtlich dem Wunschdenken westlicher Politiker entspricht. Den ukrainischen Wählern wird damit sig-nalisiert, dass es keinen Sinn macht, die Sozialisten zu wählen. Auch die Kommunistische Partei würde ihrer Meinung nach unterhalb der 4 % - Hürde liegen.

Die Hürde für den Einzug ins Parlament wurde aber aus unerfindlichen Gründen von ihnen ebenfalls falsch angegeben. Sie liegt nämlich bei 3 % !

Da auf dieser „Grundlage“ der Janukowitsch–Partei der Regionen nur 46 % der Abgeordneten zugestanden wird und sie angeblich keinen Koalitions-partner haben, würden demnach die „Orangenen“ (Timoschenko–Block, „Unsere Ukraine“ und „Nationale Selbstverteidigung) siegen.

Für den Fall, dass die Kommunisten doch auf 4 % (in Wirklichkeit liegt die Hürde wie gesagt bei 3 %!) kommen und 7 % der Abgeordnetensitze erhalten würden, womit das dem Westen verhasste Janukowitsch-Lager auf 53 % der Abgeordnetensitze und damit zu einer abermaligen Regierungsmehrheit kommen könnte, suggeriert man quasi „über die Hintertür“, dass es doch völlig „undemokratisch“ wäre, Kommunisten zu wählen. Denn ohne Kom-munisten, meinen sie, könnte man eine abermalige Janukowitsch–Regierung verhindern !

Es liegt auf der Hand, dass man mit falschen Wahlvoraussagen und westlichen Stellungnahmen für prowestlich ausgerichtete ukrainische Parteien schon ihm Vorfeld der Wahlen letztere zu manipulieren sucht.

Die Wahlprognose westlicher Meinungsforschungsinstitute bezüglich der Sozialisten und Kommunisten, die derzeit führende Ämter der gewählten ukrainischen Regierung einnehmen, soll den ukrainischen Wählern ebenfalls suggerieren, dass diese ihre Regierungsarbeit, natürlich nach westlicher Leseart, nicht richtig ausgeführt haben, sonst würden ihnen die Menschen besser vertrauen.

Sollte dann Juschtschenko die Wahlen trotzdem verlieren, hätte man gleich das „richtige“ Argument zur Hand, dass wahrscheinlich Wahlbetrug im Spiel sei und nun auch eine gewaltsame Errichtung einer Präsidentendiktatur zur „Rettung der Demokratie“ im Sinne des Westens diskutabel wäre! Jugos-lawien und der Irak lassen grüßen!!

Die Regierungen der westlichen Länder hatten bereits im Vorfeld der Wahlen in Jugoslawien im Jahre 2000 gedroht: sollte die Bevölkerung Jugoslawiens den „Falschen“, nämlich Milosevic, wählen, würde man das NATO–Bombar-dement wieder aufnehmen. Als wirklich Milosevic gewählt worden war, hieß es gleich “Wahlfälschung“! Das durfte natürlich nicht durchgehen. Mit meh-reren großen Bussen wurden 4000 Oppositionelle aus Cazak herangekarrt und unter bereits vor Ort postierten westlichen Fernsehkameras den Leuten welt-weit suggeriert, der „Volkswille“ der „Betrogenen“ bricht sich nun endlich Bahn, als diese Oppositionellen schließlich das Parlament stürmten und den „Richtigen“ zur Wahl verhalfen!

Na und der Irak war mit seinem „Schlächter Saddam Hussein“, wie der Wes-ten sagte, sowieso nicht demokratiefähig. Also bot sich ein Bombardement zum „Herbeibomben“ der Demokratie westlichen Musters geradezu förmlich an! Nicht wahr?

So werden damals wie heute die Menschen auch im Westen auf eine Macht-entscheidung in der Ukraine im NATO–Sinn vorbereitet.

Natürlich hat Präsident Juschtschenko auf Grund der Stärke der demokra-tischen Kräfte in der Ukraine nach seinen Niederlagen der letzten Wochen erst einmal zurückstecken müssen. Das kam u.a. bei seinem Treffen mit dem EU-Beauftragten für Außen- und Verteidigungspolitik, Solana, in Brüssel am 21. Juni zum Ausdruck. Dort wurde scheinheilig von Einhaltung von Verträgen und Vereinbarungen zwischen den politischen Kräften der Ukraine ge-sprochen. Dass Juschtschenko als übler Verfassungsbrecher und Rechts-brecher aufgetreten ist und nach wie vor noch auftritt, fand seitens Solanas aber keine Erwähnung.

Zusammenfassend kann man die Ereignisse in der Ukraine
wie folgt beurteilen:

Mit finanzieller und ideeller (Medien!) Unterstützung des Westens soll die Ukraine zu einem weiteren Aufmarschgebiet der NATO „umfunk-tioniert“, die Ukraine ihrer Souveränität beraubt und von Russland isoliert werden. Ja, mehr noch: der Westen ist nicht nur bestrebt, die Ukraine wie schon Irak und Afghanistan nach Kolonialherrenart sämt-licher Rohstoffe zu berauben, sondern außerdem noch die Ukraine zu einem künftigen Kriegsschauplatz gegenüber Russland zu verwandeln!

Die von Juschtschenko am 2. April 2007 proklamierte Parlamentsauflösung bzw. die Nichtanerkennung eines vom Volk gewählten und arbeitsfähigen Parlaments, wie sie der ukrainische Präsident derzeitig praktiziert, ist ein Vorspiel zu diesem Szenario. Aber selbst kritische linke Tageszeitungen schweigen sich darüber aus. Wahrscheinlich halten auch sie sich an den Maulkorberlass ihrer Regierungen. Diese nämlich berichteten weder über den Demokratie anmahnenden Brief des ukrainischen Parlaments an die EU – Staats-und Regierungschefs vom 11. Mai 2007 (siehe Anhang !) noch über die Ergebnisse des Besuches vom Parlamentspräsidenten der Versammlung des Europarates, Rene van der Linden und den Standpunkt der Europäischen Kommission für Demokratie durch Recht. Letztere reagierte auf das völlig undemokratische und verfassungswidrige Verhalten des ukrainischen Präsi-denten lapidar wie folgt:

- die Demokratie in der Ukraine müsse vervollkommnet werden;

- die ukrainische Verfassung wäre veränderungswürdig;

- die europäischen Standards müssten in der Ukraine eingeführt werden;

Mit anderen Worten:

Die Staats-und Regierungschefs der EU haben ein Interesse daran, dass sich mitten in Europa Ereignisse a la Hitler (Ermächtigungsgesetz) ereignen.

Ja, man dreht in Europa sogar die Fakten um, wenn es um den „richtigen“ Wunschkandidaten und Wunschwahlsieger der NATO geht.

Ende Juni 2007 wurde auf der Europäischen Akademie e.V. in Berlin, auf der sowohl Regierungsvertreter der Bundesrepublik, als auch ukrainische Oppo-sitionelle präsent waren und auf der es u. a. auch um zu bewilligende Gelder „für mehr Freiheit und Demokratie“ in der Ukraine ging, der vom Volk gewählte Ministerpräsident Janukowitsch als „Vaterlandsverräter“ diffamiert !

Das Parlament konnte sich nicht zu einem Impeachmentverfahren gegenüber dem ukrainischen Präsidenten Juschtschenko durchringen, obwohl Juscht-schenko laufend flagrante Verfassungsbrüche begeht und auch vom Parlament scharf kritisiert wurde. Leider blieben die Aufforderungen an politische Vertreter des Landes, verfassungswidrigen Aufforderungen des ukrainischen Präsidenten nicht Folge zu leisten, nur „Papiertieger“, weil das Parlament selbst den Vorgaben des Präsidenten bisher willig gefolgt ist. Dieser hat mitt-lerweile wieder am Parlament vorbei und trotz fehlender Ausführungs-bestimmungen für die personellen Besetzung der Wahlkommissionen eigen-mächtig den Wahlkampf eröffnet und keine der Fraktionen hat ihm wider-sprochen, dass die Bedingungen für diesen Wahlkampf noch gar nicht gegeben sind. Ja, das Parlament lässt Juschtschenko gewähren und beteiligt sich „fleißig“ an den Wahlkampfvorbereitungen, als ob sie nicht wüssten, wie undemokratisch und verfassungswidrig er bisher vorgegangen ist. Wieso erwarten die ukrainischen Parlamentsabgeordneten ausgerechnet von diesem Mann Fairness bei den von ihm gewollten Parlaments-neuwahlen?!

Der Kampf um die Ukraine ist, wie man sieht, in seine Entscheidungsphase eingetreten. Es geht um die Frage, ob das Parlament weiter so untätig bleibt, solange es noch an der Macht ist und wie sich das Volk am 30. September entscheidet. Und es geht um die Frage, was innerhalb und außerhalb der Ukraine geschieht, wenn die Wahlen im Sinne des Imperialismus „falsch“ ausgehen. Davon hängt ab, ob die Ukraine ein souveräner, demokratischer Staat mit gutnachbarlichen Beziehungen zu Russland bleiben oder in ein NATO–Protektorat verwandelt wird.

 

Anhang

Appell des Parlaments (des Werchowna Rada) der Ukraine an den Präsidenten der Parlamentarischen Versammlung des Europäischen Rats, van der Linden, an die Staatspräsidenten und Regierungschefs sowie Parlamentspräsidenten der europäischen Staaten vom 11. Mai 2007

(Der Appell wurde in einem mit großer Mehrheit angenommenen Beschluss des ukrainischen Parlaments gebilligt)

Unter Ignorierung der Grundprinzipien der Demokratie und verfassungswidrig hat der Präsident der Ukraine, Viktor A Juschtschenko, eine Reihe von Schrit-ten zur Auflösung des ukrainischen Parlaments, das im Ergebnis der Wahlen von 2006 gebildet wurde, unternommen. Die internationale Gemeinschaft hat diese Wahlen als legitim und in der gesamten neueren Geschichte der Ukraine im höchsten Grade demokratisch anerkannt.

Zur Erreichung seiner Ziele hat der Präsident zwei Dekrete erlassen, für die die juristischen Grundlagen im Grundgesetz der Ukraine (in der Verfassung) nicht vorgesehen sind.

Die Volksdeputierten (Parlamentsabgeordneten) der Ukraine wandten sich zwecks Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der genannten Dekrete an das Verfassungsgericht der Ukraine. Das Gericht hat diese Angelegenheit in offener Sitzung untersucht und ist in die Abschlussetappe der Ent-scheidungsfindung gekommen. Dagegen ist es in dieser Etappe zu einer präzedenzlosen Einmischung des Präsidenten der Ukraine in die Arbeit dieses Gerichts gekommen. Im Verlauf einiger Tage erließ der Präsident der Ukraine in ungesetzlicher Weise Dekrete zur Entlassung von drei Richtern des Verfassungsgerichts der Ukraine, was die Annahme einer Entscheidung un-möglich machte, die zum Ausgangspunkt der Lösung der künstlich ge-schaffenen politischen Krise werden könnte. Darum geht es in der offiziellen Erklärung des Verfassungsgerichts der Ukraine vom 10. Mai 2007. Mit diesen Handlungen und einer Reihe ähnlicher Entlassungen und Ernennungen von Vorsitzenden von Gerichten der allgemeinen Gerichtsbarkeit demonstriert der Präsident seinen Versuch der Usurpation der Macht.

Wir bringen die Besorgnis anlässlich des Tatbestandes zum Ausdruck, dass der Präsident demonstrativ die Empfehlungen von PARE ablehnt, die in der Resolution 1549 vom 19. April 2007 vorschlägt, als Grundlage zur Lösung des Konflikts die Entscheidung des Verfassungsgerichts der Ukraine und die Verfassungsnormen zu nehmen. Bereits nach der Annahme dieser Resolution erließ der Präsident der Ukraine einige Dekrete von zweifelhafter Legi-timation, wodurch er den politischen Konflikt weiter verschärfte. Die Parla-mentskoalition und die Regierung der Ukraine lassen sich unbeirrt von den Normen des Verfassungsrechts zur Lösung der Situation leiten und wenden Verfahren zur Regelung der Lage auf dem Rechtswege an. Wir hoffen, dass diese Position von Ihnen mit Verständnis aufgenommen wird.

Kiew, 11.Mai 2007

(Übersetzung aus des in www.rada.kiev.ua vom 13. Mai 2007 in Ukrainisch veröffentlichten Textes von Dr. Hans-J. Falkenhagen)

Interview mit General Kuz’muk

Interessant ist ein auf der Website der ukrainischen Regierung (unter www.kmu.gov.ua/control/uk/publish/article;jsessionid=391E6C6F33526E030F...) veröffentlichtes Interview mit dem Stellvertretenden Minister-präsidenten, General Olexander Kuz’muk, zur derzeitigen politischen Lage in der Ukraine. General Kuz’muk ist mit 53 Jahren ein erfahrener Militär und Politiker. Er hat viele militärische Kommadoposten innegehabt, ist Absolvent von Militärakademien, war schon von 2002 bis 2006 Abgeordneter der Werchowna Rada (des ukrainischen Parlaments) und von 1996 bis 2001 sowie von 2004 bis 2005 ukrainischer Verteidigungsminister. Er wurde von Juschtschenko, als dieser Anfang 2005 Präsident wurde, entlassen.

In dem Interview bestätigt Kuz’muk, dass es in der Frage des bewaffneten Eingreifens (im Auftrage des Präsidenten) eine Spaltung von Einheiten der Armee, des Innenministeriums, des Staatssicherheitsdienstes und des Staats-schutzes (der Präsidentengarde) gegeben hat und dass dies zu einer gefähr-lichen Lage geführt hat. Das war völlig unakzeptabel, betonte er, und dazu werden noch Untersuchungen geführt. Eine kleine Minderheit der Militärs und Staatsschützern hätte sich wie die Musketiere des Königs verhalten, andere wie die Garde des Kardinals (eine spöttische Anspielung auf Romangestalten von Alexandre Dumas). Der Stuhl des Präsidenten sei kein Thron. Die be-waffneten Handlungen, so Aktionen gegen den Sitz des legitimen General-staatsanwalts Piskun sowie das Gebäude des Verfassungsgerichts, auch ein Vordringen einer Militäreinheit auf Kiew (zur Besetzung des Parlaments-gebäudes und der Regierungsgebäude) seien gestoppt worden. Das Spezial-kommando des Innenministeriums „Berkut“ hätte u.a. auf Grund eines Hilfe-ersuchens der legitimen Generalstaatsanwaltschaft eingegriffen. Solche Kon-frontationen müssten aber künftig um jeden Preis vermieden werden. Für derartige interne Auseinandersetzungen mit anderen Teilen der bewaffneten Kräfte seien auch die Truppen des Innenministeriums nicht da. Der Einsatz von bewaffneten Einheiten habe die Schwäche des Präsidenten gezeigt.

Die Konsequenz war, dass ein solches verfassungs- und gesetzwidriges Handeln von bewaffneten Einheiten künftig verhindert werden müsste. Alle Angehörigen der bewaffneten Kräfte hätten ihren Eid auf das ukrainische Volk geleistet und hätten seiner Sicherheit und seinem Wohl zu dienen, betonte er. Die Armee diene der Abwehr von Gefahren von außen. Bewaffneten Einheiten dürften nicht für politische Zielen missbraucht werden. Weder der Staatspräsident noch irgendwer anders dürfe hier illegitime Einsatzbefehle erteilen. Olexander Kuz’muk nannte auch den unhaltbaren Zustand, dass es durch illegitime Ernennungen zeitweilig drei Generalstaats-anwälte gab, und Juschtschenko immer noch an Medwed’ko als illegitimen Generalstaatsanwalt der Ukraine festhält.

Gegenstand des Interviews war auch der Beitritt der Ukraine zur NATO und EU. General Kuz’muk würdigte die bisherige Zusammenarbeit der Ukraine mit den europäischen Staaten, auch mit der NATO. Die Zusammenarbeit mit dieser ist laut den Prinzipien der nationalen Sicherheit der Ukraine auch strategisches Ziel, und er nannte im Detail viele schon seit 1992 durchgeführte gemeinsame militärische Aktivitäten mit NATO-Ländern, aber auch mit Russland. Aber über einen Beitritt zur NATO könne nicht der Präsident entscheiden, darüber könne letztlich nur das ukrainische Volk in einem Referendum entscheiden.

Er verwies auf die Rolle Russlands, aber auch solcher neuen Großmächte wie die VR China und Indien. Die Ukraine ist ein Land neben Russland mit langer Grenze zu diesem. Das alles müsse im Kontext auch mit den Vorgängen in der Ukraine und einem anvisierten NATO-Beitritt gesehen werden. Der NATO-Beitritt müsse auch von der Bedrohungslage der Ukraine her gesehen werden. Die Ukraine werde aber derzeit von niemand militärisch bedroht.

General Kuz’muk sprach die Gefahren eines globalen Krieges an, die man nicht noch heraufbeschwören dürfe. Die Ukraine dürfe sich nicht, wie das einige unverantwortliche Kräfte wollten, zum Exerzierfeld eines Kampfes gegen Russland und andere Länder machen lassen. Und sie dürfe kein Kriegsschauplatz werden.

Das könne schnell in einer Katastrophe enden.

Er wandte sich auch gegen das US-Raketenabwehrsystem in Polen und Tschechien und verwies darauf, dass es jeder militärischen Logik widerspricht, wenn behauptet wird, dass sie gegen den Iran und Nordkorea gerichtet seien.

Die Ukraine brauche wirtschaftliche Entwicklung und Wohlstand, auch eine gesunde Umwelt. Dazu sei eine stabile politische Lage erforderlich. Er betonte, dass die Ukraine unter Wahrung ihrer Unabhängigkeit und Souveränität für Europa offen sei.

Dekret des ukrainischen Präsidenten vom 13. Juli 2007 über ein System von Warenkäufen und Kauf von Dienstleistungen auf Staatskosten

Mit der Kontrolle der Durchführung dieses Dekrets hat Juschtschenko den von ihm illegitim eingesetzten Generalstaatsanwalt Medwed’ko und den ebenfalls illegitimen Chef des Sicherheitsdienstes (Geheimdienstes), Naliwajtschenko, beauftragt. Ansprechpartner sind erst in zweiter Linie der Innenminister Zuschko, der sich längere Zeit im Krankenhaus befand, und der Leiter der sog. Tenderkammer, die für die Kontrolle staatlicher Käufe verantwortlich ist (vergleichbar ist die Tenderkammer mit einer Vergabeprüfstelle für öffentliche Aufträge und einer Vergabekammer, die über Beschwerden über die Vergabepraxis zu entscheiden hat). Für Verordnungen zur Umsetzung des Dekrets werden das Ministerkabinett (die Regierung unter Janukowitsch) und der Leiter der Kommmission für Fragen der staatlichen Käufe, W. Kopilow, der Leiter des Staatlichen Kontroll- und Revisionsdienstes, P. Andrejew, sowie der Leiter des Antimonopolkomitees, O. Kostusew, unter Beteiligung des Rechnungshofes der Ukraine verantwortlich gemacht.

Die Kontrolle und Berichterstattung über die Umsetzung des Dekrets legte Juschtschenko völlig verfassungs- und gesetzeswidrig in die Hände des Sicherheitsdienstes (Geheimdienstes) und seines Chefs Naliwajtschenko. Das Parlament, das für solche legislative Akte zuständig ist, findet in dem Dekret keine Erwähnung.

Unterzeichnet ist das Dekret von Staatspräsident Juschtschenko in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Rats für nationale Sicherheit und Vertei-digung und I. Pljutscht als Sekretär des gleichen Rats.

Was ist nun der Sinn des o. g. Dekrets?

Es ging dem Präsidenten Juschschenko und dem Rat für nationale Sicherheit und Verteidigung offensichtlich darum, den Zustand der Korruption und der fehlenden Transparenz bei staatlichen Käufen nicht nur aufrechtzuerhalten, sondern zu vertiefen und auszuweiten, weil davon der ganze Präsiden-tenapparat und sein Klüngel lebt. Denn: wie sollten sie anders verfassungs- und gesetzwidrig agieren können, z. B. an benötigte Waren und Dienst-leistungen herankommen? Offensichtlich verfügen der Präsident selbst und die ihm ergebenen Leute sowie einige sog. Oppositionspolitiker nicht nur über Mittel des Staatshaushalts, sondern auch über beträchtliche Geldmittel, die sie aus ungesetzlichen Quellen, u.a. auch aus dem westlichen Ausland z. B. aus den USA, Polen, Ungarn, Deutschland, von NGO-Fonds, von Personen wie Soros und Beresowski und dergleichen erhalten haben oder noch erhalten sollen. Damit will man an Waren und Dienstleistungen herankommen und Zugriff zu ihnen haben, d. h. auch Käufe tätigen, die auf dem üblichen ge-setzlichen Wege nicht erlaubt sind. Das erst unlängst vom Parlament be-schlossene neue Gesetz über Käufe von Waren und Dienstleistungen auf Staatskosten (staatliche Käufe) verbietet ausdrücklich ungesetzliche Käufe seitens der Staatsorgane bzw. durch Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, gleich, ob sie dem Präsidenten oder der Regierung bzw. anderen staatlichen Stellen und Institutionen unterstellt sind. Um Beispiele zu nennen, die Kosten für Personal für Leistungen oder die Anschaffung von Munition bzw. Treibstoffkosten, die für verfassungswidrige Aktionen des Sicherheitsdienstes oder von dem Präsidenten ergebenen Armeeeinheiten anfallen, dürften nach dem Gesetz, das vom Parlament beschlossen wurde, nicht bezahlt werden. Illegale Straßendemonstrationen und Aufmärsche ließen sich nicht mehr aus dem Präsidentenamt finanzieren. Auch Bestechungsaktionen bei staatlichen Käufen sollen unterbunden werden. Alles das würde den zuständigen staatlichen Kontrollstellen, dem Parlament und auch der breiten Öffentlichkeit bekannt werden. Das soll nun von Präsident Juschtschenko weitgehend verhindert werden. Der Präsident will diese Ungesetzlichkeiten weiter mög-lich machen und sie durch ein Dekret decken.

Deswegen hat er in seinem Dekret u.a. Folgendes angeordnet:

Der Wert von Käufen, ab dem Käufe in einem staatlichen Register erfasst werden, soll auf 30.000 Hrywnja (etwa 5.000 Euro) und bei Dienstleistungen (Arbeiten und Leistungen) sogar auf 300.000 Hrywnja (etwa 50.000 Euro) heraufgesetzt werden. Wenn also ausländische Geheimdienste bestimmte Waren zur Verfügung stellen, könnten sie auch bei höheren Werten unterhalb dieser Preisgrenzen bzw. Schwellenwerte bleiben oder Raten- und Staffel-zahlungen geltend machen, um einer öffentlichen Kontrolle zu entgehen.

Um die öffentliche Kontrolle über staatliche Käufe total auszuhebeln, legt das Präsidentendekret fest, dass das staatliche Register der Teilnehmer an den staatlichen Käufen abgeschafft wird. Die Tenderkammer (Kammer für die Vergabe öffentlicher Aufträge) soll die Vorschriften für die Eintragung der Teilnehmer an staatlichen Käufen in einen thematischen Katalog außer Kraft setzen. Aufgehoben werden sollen einige gesetzliche Normen, die die Leistung von Zahlungen verbieten können. Begründet wird das damit, dass diese Normen z. B. für eine vertragliche Gestaltung zu kompliziert seien. Die Bekanntmachung von Handelsorganisationen, die an staatlichen Kaufhand-lungen beteiligt sind, soll vereinfacht werden. Ebenso sollen die Fristen für die Durchführung von Handelsgeschäften sowie die Termine für die Prüfung der Unterlagen bei staatlichen Käufen maximal verkürzt werden. Beseitigt werden sollen sämtliche sog. Monopole bei Verkäufen von Waren und Dienstleistungen an staatliche Organe. Es sollen also beliebige Personen zu Verkäufen an den Staat berechtigt sein.Zudem sollen die Möglichkeiten der Klage wegen ungesetzlicher staatlicher Käufe erheblich eingeschränkt werden. So soll es sog. Unbeteiligten an diesen Käufen generell untersagt werden, gerichtlich und außergerichtlich Klage zu erheben.

Begründet wird das alles mit dem Zweck, die Verfahren bei staatlichen Käufen zu vereinfachen und zu entbürokratisieren. In Wahrheit geschieht das mit dem Ziel, gesetzeswidrige Käufe vor den staatlichen Kontrollorganen, auch vor dem Parlament und allgemein vor der Öffentlichkeit besser verschleiern zu können.

Für den Erlass entsprechender Durchführungsverordnungen und Durch-führungsbestimmungen hat Juschtschenko der Regierung und ihren Organen Termine gesetzt, die bis zum 15. August 2007 reichen, also alle noch vor dem Termin des Neuzusammentritts des Parlaments am 4. September 2007 liegen! Zwei Termine lagen noch im Juli 2007. Der Termin für die Abschluss-kontrolle der Umsetzung des Dekrets (Ukases) und die Vollzugsmeldung an den Präsidenten ist der 1. September 2007.

Das Dekret (der Präsidentenukas) ist eindeutig verfassungswidrig. Es gibt zu staatlichen Käufen (Käufen von Waren und Dienstleistungen auf Staatskosten) ein vom Parlament beschlossenes Gesetz und nur dieses ist nach der Verfassung rechtskräftig. Die dem Dekret vorausgegangene verfassungs-widrige und ungesetzliche Handlung des Präsidenten war bereits die Beschlagnahme der gedruckten Gesetzestexte durch Beamte des Sicherheits-dienstes im Gebäude der Zeitung „Der Regierungskurier“. Im Grunde ist hier mit Rückendeckung des Staatspräsidenten ein dem Strafgesetzbuch der Ukraine unterliegender Einbruch und Raubüberfall geschehen, der durch kein Gesetz gedeckt ist und mit keinem Gesetz geschweige den der ukrainischen Verfassung gerechtfertigt werden kann.

(Übersetzung und Kommentierung des Präsidentendekrets Nr. 642/2007 auf der Grundlage ukrainischer und russischer Nachrichten und Zeitungs-berichte: Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen)

 

Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen, Brigitte Queck, 27. Juni 2007, Potsdam