Zeitschrift für Sozialismus und Frieden 03/10

Herausgeber: Verein zur Förderung demokratischer Publizistik (e.V.)

Spendenempfehlung: 2,00 €


Für einen gerechten Frieden in Nahost

Existenzrecht für Palästina

Von Irene Eckert


Inhalt

Redaktionsnotiz

Dieses Heft ist heute, jetzt und (nicht nur) hier notwendig.

Es entstand, weil wir die Genossin Irene Eckert baten, einen Beitrag für die März-April-Ausgabe unserer Zeitschrift zum Thema Gaza und zu den unglaublichen Vorkommnissen um den Besuch Norman Finkelsteins in der BRD zu schreiben.

Die Arbeit am Beitrag wurde intensiv, der Beitrag immer besser und damit auch immer umfangreicher.

Wir haben kein finanzielles Polster. Wir sind mit dem März-April-Heft am Ende unserer Liquidität. Wir konnten dieses jetzt trotzdem vorliegende Heft eigentlich nicht machen. Wir haben es dennoch gemacht, weil es politisch unverzichtbar ist.

Die Bedingungen sind furchtbar, denn wir haben dieses Heft zu einem Teil fremd finanziert und wir haben zusätzlich Sonderspenden von uns sehr nahe stehenden Genossen erbeten, um den Druck des Heftes zu finanzieren (565,- Euro).  Anna und ich tragen die Portokosten (245,- Euro).

Das alles haben wir gemacht, weil wir dieses Heft – wie oben schon erwähnt – für notwendig halten, und zwar jetzt.

Wir hoffen natürlich, dass Ihr unsere Einschätzung teilt und uns aus der finanziellen Zwickmühle befreit.

Wir brauchen Eure Spenden, und diese auch jetzt.

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Frank Flegel, Hannover

Irene Eckert
Für einen gerechten Frieden in Nahost - Existenzrecht für Palästina[1]

Ein Jahr nach dem Überfall auf Gaza und nach dem Quasi-Redeverbot für Norman Finkelstein zum Thema ein Diskussionsbeitrag von Irene Eckert

„Was wir brauchen sind entkolonisierte Köpfe“ Edward S. Said[2]

Vorspruch:

Sinnverkehrung hat Konjunktur. Wer heute, mehr als ein Jahr nach dem Überfall auf GAZA, dafür plädiert, dem palästinensischen Volk Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, wer sich auf UN-Beschlüsse beruft, auf völkerrechtlich relevante Dokumente, wie etwa das IGH Urteil von 2004, das den Mauerbau in Palästina verurteilt oder eben jüngst auf den Menschenrechtsrat-Report des südafrikanischen Richters Richard Goldstone, Dokumente also, in denen die Weltgemeinschaft die Lage der Palästinenser als beklagenswert beurteilt und ihre verbrieften Rechte, etwa das Rückkehrrecht für die aus der Heimat vertriebenen Flüchtlinge mit Nachdruck einfordert, wer auf der Einhaltung von Völkerrecht und auf einem Existenzrecht für Palästina besteht, der gerät leicht ins Visier einer äußerst mächtigen Lobby. Thomas Immanuel Steinberg nennt diese Lobby, die sich hinter verschiedenen Akronymen verbirgt und die weltweit viele Zweige hat, die „Rüstungs- und Kriegslobbyisten“[3] Jeder, der es wagt, die Zielsetzung und die Methoden einer dieser Gruppen anzuzweifeln, muß damit rechnen, als „Israelhasser“, als „Antisemit“ oder gar als „Neonazi“ abgestempelt und im schlimmsten Fall für vogelfrei erklärt zu werden. Ein rationaler Diskurs über das als äußerst kompliziert geltende, meist mit dem Euphemismus „Nahostkonflikt“ bezeichnete Problemfeld ist nach über 60 Jahren realhistorischer Präsenz des seither immer mehr anschwellenden jüdischen Staates kaum in Sicht. Zu lang und zu düster scheinen die Schatten, die die Verbrechen des NS-Regimes am jüdischen Volk in die Zukunft hinein geworfen haben. So will es jedenfalls die einzig gültige Lesart und so empfinden es vermutlich immer noch Millionen Bürger unserer Republik. In einer von der Bundeszentrale für politische Bildung 1990 kurz vor dem ersten Golfkrieg gegen den Irak herausgegebenen Broschüre zu diesem Thema lässt man die eben aus der Geschichte abtretenden UdSSR zu Wort kommen. Unter der Überschrift 'Die Sowjetunion zur Teilung Palästinas 1947' wird der einstmalige Vertreter der SU beim Weltsicherheitsrat und spätere Außen-minister, Andrej Gromyko, mit den Worten zitiert: „Es könnte jedoch nicht schaden, meine Zuhörer, nochmals zu erinnern, daß durch den Krieg, den Hitlerdeutschland entfachte, die Juden als Volk mehr gelitten haben als irgendein anderes Volk.“[4] (26.11.1947) Diese für den Verlauf der Geschichte folgenreiche Äußerung magaus der Sicht desjenigen Volkes erstaunen, das immerhin von den 60 Millionen Kriegstoten weit über ein Drittel zu betrauern hatte. Verhängnisvoll aber wirkte sich Gromykos folgende Einschätzung für das Abstimmungsverhalten seines Landes in der UN-Generalversammlung drei Tage später aus: „Der Beschluss (Palästina zu teilen, d. V.) ist gegen keine der beiden ethnischen Gruppen, die Palästina bewohnen, gerichtet. Im Gegenteil, die Delegation der UdSSR ist der Meinung, daß dieser Beschluss den fundamentalen Interessen beider Völker entspricht, den Interessen der Araber ebenso wie denen der Juden.“ Die Sowjetunion sollte in der Konsequenz solcher Beurteilung der Historie denn auch als erste Nation den Staat Israel 1948 anerkennen, einen Tag nach der Staatsgründung. Damit negierte die UdSSR laut Werner Pirker, einem langjährigen österreichischen Korres-pondenten in Moskau, die „landräuberische und terroristische Entstehungs-geschichte“[5] des jüdischen Staatswesens.

Am 14. Mai 1948 wurde der Staat Israel ausgerufen, ein Staatsgebilde, das bis heute ohne feste Grenzen, ohne Verfassung und ohne eindeutige Definition seines zum Staat gehörenden Volkes auskommt. Der Staatsgründung voraus-gegangen war am 29. November 1947 ein UN-Beschluss, dem gemäß auf dem ehemaligen britischen Mandatsgebiet Palästina[6] zwei unabhängige Staaten entstehen sollten. Jerusalem wurde ein besonderer, internationaler Status zuerkannt, gilt es doch in den Augen von Juden, Christen und Muslimen als Heilige Stadt. Dem zukünftigen jüdischen Staat wurden damit bereits über 50% des Territoriums von Palästina zugesprochen, für knapp über 30 % jüdischer Siedler, während die arabische Bevölkerung, die überwältigende Mehrheit seiner angestammten Bewohner also, sich mit dem Rest abfinden sollte. Dieser UN-Beschluss, der mit 2/3 Mehrheit gefasst wurde, war gleich-wohl nicht unumstritten. Folgt man Professor Tandon, Direktor des South Centre[7], dann war diese Mehrheit nur durch Druck auf „Entwicklungsländer“ zustande gekommen und wäre heute, bei viel repräsentativerer Zusammensetzung des Weltgremiums nicht mehr möglich. Geostrategische Interessen und Rohstoffinteressen wogen auch damals mehr als humanitäre Erwä-gungen. Dennoch spielte die Sympathie mit den Überlebenden des NS-Völkermords und die - sich sehr schnell als trügerisch erweisende - Hoffnung auf ein demokratisches, sozial gerechtes, dem Frieden in der Region dienliches jüdisches Staatswesen für das Abstimmungsverhalten mancher Staaten eine große Rolle. Im Übrigen handelte es sich bei der als „Teilungsbeschluss“ in die Geschichte eingegangenen Resolution der UN-Generalversammlung nur um eine Empfehlung, allerdings um eine mit weitreichenden und verhängnisvollen Folgen. Die jüdischen Siedler oder genauer deren zionistische Führer setzten die Idee begreiflicher Weise sofort in die Tat um und sollten sich fortan um keine weitere UN-Entschließung mehr kümmern. Die betroffenen arabischen Länder lehnten zunächst ab, aber unter den Neinstimmen befanden sich auch die großer Staaten wie Indien und Pakistan, unter den zahlreichen Enthaltungen war die Stimme Chinas.

Will man die Welle der auf diesen Beschluss folgenden, bis heute immer weiter anschwellenden Gewalt begreifen, die schon unmittelbar vor der israelischen Staatsgründung einsetzte, muss man zurückblicken. Man muss bis in die Entstehungszeit des Zionismus, ein Kind des kolonialen Imperialismus Ende des 19. Jahrhunderts, zurückgehen und darf nicht, wie das Kaninchen auf die Schlange blickend, nur den deutschen Faschismus und seine Verbrechen im Auge haben.[8]

Um 1900 betrug der jüdische Bevölkerungsanteil in der damals noch zum Osmanischen Reich gehörenden Region ganze 0,57 %. Es waren bis dato nur religiös motivierte Juden der ersten Einwandererwelle, der Aliyah, dem Ruf des Basler Zionistenkongresses von 1897 gefolgt, das „Heilige Land“ zu bevölkern. Dieser Ruf enthielt bereits die implizite Unterstellung, das Land sei leer und warte nur darauf, besiedelt und begrünt zu werden.

Noch 1922, mit Beginn der britischen Mandatszeit und damit der nachhaltig staatlich geförderten „zionistischen Kolonisierung“ der Region, betrug der Anteil der jüdischen Bevölkerung in ganz Palästina nur 11%.[9] Der Mythos vom Land ohne Volk, für ein Volk ohne Land“(Zangwilli) vom Begründer des Zionismus, Theodor Herzl, inspiriert, wurde zuletzt vom israelischen Historiker Ilan Pappe in seinem Buch „Die ethnische Säuberung Palästinas“ (2006) überzeugend widerlegt. Es ist dies allerdings nur einer der vielen Gründungs-mythen, auf die sich der „Judenstaat“[10] nach wie vor zu stützen vermag.

Was für die Gründergeneration Israels schließlich 1948 als „göttliche Erscheinung“ oder „erfüllte Verheißung“ erlebt wurde,[11] war für die paläs-tinensische Bevölkerung der Beginn der NAKBA, der nationalen Katastrophe. Wer die in Gaza spätestens seit 2009 und auf andere, aber ähnlich gravierende, Weise im Westjordanland (Mauerbau) und in Ost-Jerusalem, (Häuserzerstörung) sich zuspitzende menschliche Tragödie begreifen möchte, muss sich demnach mit der Vorgeschichte eingehend vertraut machen, die mit dem Jahr 1880 beginnt. Das mit jenem Datum seinen Ausgang nehmende Trauerspiel „a la Palestinienne“ heißt „Zionismus“ und sein Regisseur ist Theodor Herzl. Es handelt sich um einen schriftstellernden österreichischen Juden aus Ungarn. Mit Pogromen ist er vertraut und er wäre laut David Hirst[12] gerne zum Christentum konvertiert. Aber die Geschichte hat anderes mit ihm vor. Er kommt als Wiener Korrespondent für die „Neue Freie Presse“ nach Paris, berichtet von dort über die Dreyfuß-Affaire und schreibt bald darauf die zionistische Bibel, „Der Judenstaat“. Ein Roman mit dem aufschlussreichen, programmatischen Titel „Altneuland“, gemeint ist Palästina, folgt 1902. Die Lösung „der Judenfrage“ sieht er im „politischen Zionismus“, einer Ansiedlung der Juden in „Zion“, einem Berg in Jerusalem, im Land der Vorväter, die dort einst vor über 2000 Jahren gesiedelt haben. Die Idee verfängt zuerst kaum. Dennoch, der britische Autor D. Hirst[13] gibt in seiner umfassenden, detail-reichen, historischen Studie über die Ursachen der Gewalt in Nahost zu bedenken, dass es der Zionismus war, der von Anfang an auf Gewalt und Vertreibung setzte und dass die Gewalt der Araber als eine Reaktion auf die der Aggressoren zu begreifen sei. Hirst ortet den Zionismus in der Geschichte: „It was the heyday of European imperialism; an advanced and dynamic continent competed in the conquest and penetration of backward lands.“[14] Herzls Projekt wäre niemals Erfolg beschieden gewesen, wäre es nicht vom Bankier Rothschild und anderen interessierten Kreisen finanzkräftig gefördert worden. Ob das aus Mitleid mit den den Pogromen ausgesetzten Stetl-Bewohnern geschah, darf angezweifelt werden. Die eine Schlüsselrolle einnehmende „Balfour-Deklaration“ von 1917, die Bestandteil des späteren Völkerbundmandats wurde, war ein an den Baron Rothschild gerichteter Brief des britischen Außenministers. Darin wurde den Juden eine Heimstätte in Palästina zugesichert, später hieß es dann „nationale Heimstätte“.

Worum es also jemandem, der nach Verständnis der nur künstlich „ver-komplizierten Materie“ Nahost sucht,[15] gehen muss, ist, jenseits von Scham- und Schuldgefühlen und ungeachtet ultrarechter Vereinnahmungsversuche nach den wahren geostrategischen Zusammenhängen zu forschen. Um die Vorgänge zu begreifen, müssen die eigentlichen Akteure ausfindig gemacht und es muss das sie leitende Interessenkonglomerat aufgedröselt werden. Die „unheilvolle Äquidistanz zwischen Tätern und Opfern“ ist, um mit dem Duisburger Linken Hermann Dierkes zu sprechen, nur durch eine solche Methodik zu überwinden. Das große völkermörderische Verbrechen der Nazis an den europäischen Juden, die Shoa, ist, man kann es nicht oft genug hervorheben, nur ein Baustein, der im Mai 1948 - sofort nach dem Abzug der britischen Besatzungsmacht - zur Gründung des Staates Israel führte. Die unmittelbare Voraussetzung und die unmittelbaren Folgen waren völker-rechtlich zu ahndende Verbrechen am palästinensischen Volk.[16] Es sind Ver-brechen, vor denen wir nach über 60 Jahren Nakba die Augen nicht mehr verschließen dürfen, „denn das eben ist  der Fluch der bösen Tat, dass sie fortwährend Böses muss gebären“ (Schiller, Wallenstein). Es ist uns heute dank der Forschungsarbeit israelischer Wissenschaftler möglich, die histo-rischen Vorgänge objektiv zu beleuchten, wenn selbst Historiker wie Benny Morris[17] die ethnischen Säuberungen Palästinas ohne wenn und aber zu-geben. In seinem Fall dient die Aufarbeitung der Rechtfertigung der zionistischen Vorgehensweise. Die Bereitschaft dazu, die blutende Wunde Nahost, an der wir als Gesellschaft durch Vergangenheit und Gegenwart unmittelbar beteiligt sind, vorurteilsfrei zu beobachten und zu beurteilen, müssen wir uns als Gemeinschaft erst erarbeiten.

Der jüngste Umgang mit dem jüdisch-amerikanischen Politikwissenschaftler Finkelstein, der zu jenen Stimmen gehört, die uns genau dazu auffordern und sein gerade deswegen erfolgendes Quasi-Auftrittsverbot in Berlin und Mün-chen im Januar 2010 zeigt, wie weit der Weg ist, den die deutsche Öffent-lichkeit noch zurücklegen muss. Meine These dazu lautet, daß die an die Wurzeln gehende Aufarbeitung der Geschichte des Faschismus und der dafür die Verantwortung tragenden Kräfte hierzulande und in der Welt (!) noch aussteht[18]. Mit Brecht ist man versucht zu sagen, deshalb ist „der Schoß  fruchtbar noch, aus dem das kroch.“ (Arturo Ui). Das Bild muss aber dringend erweitert werden um die Frage nach den Übeltätern, die diesen „Schoß“ immer auf's Neue „befruchten“, nicht nur um ihm seine frauenfeindliche Konnotation zu nehmen. Das kollektive schlechte Gewissen gegenüber dem jüdischen Volk deutet auf Unaufgearbeitetes hin und führt ironischer Weise zur „Wiederkehr des Verdrängten“ (Thea Bauriedl, 1988) an anderem Ort und in anderer Erscheinungsform. Solange der Verdrängungsprozess über die wirklichen Zusammenhänge, die den Völkermord verursachten, anhält, so-lange können stellvertretend große Gefühle manipuliert und instrumen-talisiert werden. Unter Berufung auf „Menschenrecht“, auf „nie wieder Auschwitz“ können somit neue Verbrechen begangen werden, denen wir - nicht nur in Nahost - ohnmächtig zuschauend ausgeliefert scheinen. An der „Causa“ Finkelstein lässt sich unser Problem mit dem „Nahostkonflikt“ wie in einer Nussschale nachvollziehen.      


Der „Fall“ Norman Finkelstein und seine Vorgeschichte

„Es ist schon seit langer Zeit überfällig, dass wir unser Herz für  das Leiden der übrigen Menschheit öffnen ... Angesichts der Leiden der Afro-Amerikaner, der Vietnamesen und Palästinenser lautete das Credo meiner Mutter stets: Wir sind alle Holocaustopfer.“

Der 1953 in Brooklyn geborene, US-amerikanische Politikwissenschaftler, Norman Finkelstein, schrieb diese Worte bereits vor 10 Jahren in einem Vorwort zu seinem Buch „Die Holocaust-Industrie – Wie das Leiden der Juden ausgebeutet wird“[19]. Seine Studie, in den Vereinigten Staaten zunächst kaum beachtet, wurde in deutscher Übersetzung zum Reißer, der Autor nach Berlin in die Urania eingeladen und medial fertiggemacht. Seine Tabu brechenden Thesen wurden von Anfang an angezweifelt, er wurde als „selbsthassender Jude“ gegeisselt, ja als der Neonazi-Szene zuarbeitend diffamiert. Der Historiker Peter Steinbach bezeichnet Finkelsteins Publikation im Unterschied zu seinem Kollegen Raoul Hilberg als wenig fundiert[20]. Im Tagesspiegel vom 10. Februar 2001 nennt Steinbach die Veröffentlichung gar ein „antiauf-klärerisches Pamphlet“, das Stimmungen bediene, die durch den Historiker-streit, die Goldhagendebatte und den Streit um den Hitler-Attentäter Johann Georg Elser definiert sei, eine geschichtsrelativierende, antisemitisch unter-legte, rechte Stimmung also. Die „persönlichen Verletzungen“, die der Mann bearbeite, seien unwichtig, da er damit seinerseits verletze[21] und dem deut-schen Rechtsextremismus in die Hände arbeite. Damit wird gewissermaßen „der Jude“ Finkelstein verantwortlich gemacht für den hierzulande wieder bedrohlich anschwellenden Neonazismus, mit all seinen fremdenfeindlichen, rassistischen, ja auch antisemitischen Provokationen. Oder liegt hier nur ein falsches Verständnis des Begriffs „Antisemitismus“ zugrunde? Fünf Jahre später wird Finkelstein mit seiner Publikation „Antisemitismus als politische Waffe“ (2005) auch dazu kompetent und engagiert Stellung nehmen. Nach wie vor aber scheint die Methode der Projektion wirksam. Das Opfer unaufgearbeiteter antisemitischer Denkstrukturen wird angeklagt für das in der Tat Besorgnis erregende Wiedererstarken des deutschen, immer gewalttätiger auftretenden Neofaschismus. Wieder sind bestimmte Juden unerwünscht, werden ausgegrenzt und stigmatisiert. Ja sogar das Judesein wurde Finkelstein zeitweilig abgesprochen.[22]

Der eigentliche Skandal aber nicht nur jener Tage, in den hinein Finkelsteins Publikation platzte und perfider Weise von Rechts reklamiert wurde und wird, bestand - aus deutscher Sicht - vor allem darin, dass sich die großen Statthalter und Profiteure des NS-Regimes – wie etwa der Siemenskonzern - die Superprofite von  Zwangsarbeitern erpresst hatten, übrigens nicht nur von jüdischen - dass diese sich wieder einmal ihrer historischen Verantwortung für die damit verbundenen Verbrechen zu entziehen wussten. Der deutsche Staat, mithin in erster Linie der kleine Steuerzahler, wurde erneut zur Kasse gebeten, wieder einmal ausschließlich für jüdische Opfer. Andere Opfer-gruppen zählten nicht oder konnten ihre Belange eben nicht rechtskräftig geltend machen. Götz Aly meldete dann auch folgerichtig kurz darauf und weitgehend unwidersprochen, dass die kleinen Leute die Hauptprofiteure des Faschismus gewesen seien. Es gab sogar Initiativen von Schulklassen, die sich in jenen Tagen an die Öffentlichkeit wandten, Geld spendeten und sammelten für den dürftig ausgestatteten Wiedergutmachungsfond. Das deutsche Dilemma ist aber nicht der eigentliche Kontext, aus dem heraus Finkelsteins Buch geschrieben und zu verstehen ist. Er ist New Yorker, sein Adressat ist zunächst das amerikanische Publikum, sind die von ihm kritisierte Jewish Claims Conference oder der Jewish World Congress, die vor allem ab 1967 - nach dem Sechstage-Eroberungskrieg - den realen Holocaust für ihre Belange entdeckt hatten und zu instrumentalisieren verstanden. Er bezeichnet die nach dem „Sechstagekrieg“ erst entstandene „Holocaust-Industrie“ als „die perfekte Waffe, um Kritik an Israel abzuwehren“. „Während des Kalten Krieges“, so Finkelstein, „war das Andenken an die Massenvernichtung durch die Nazis ... als kommunistische Angelegenheit abgestempelt. Behaftet mit dem Klischee, das Juden mit Linken gleichsetzt, ...  schreckten die jüdischen Eliten Amerikas nicht davor zurück, jüdische Mitbürger auf dem Altar des Antikommunismus zu opfern. Indem das AJC (American Jewish Committee) und die ADL (Anti-Diffamation-League) ihre Unterlagen über angebliche jüdische Umstürzler den Behörden zur Verfügung stellten, beteiligten sie sich aktiv an der Hexenjagd der McCarthy Ära. Das AJC billigte die Todesurteile gegen die Rosenbergs.“ („Holocaust-Industrie" S. 21 TB-Ausgabe) Der Autor Finkelstein legt Wert auf die Unterscheidung der Begriffe „Massenvernichtung der Juden durch die Nazis“ als Bezeichnung für den real historischen Vorgang und die „Bezeichnung HOLOCAUST als eine für dessen Ideologie geprägte Darstellung“.[23]

Begriffliche Präzision ist wichtig, hilft klären und unterscheiden, dennoch muss man ja nicht jedes Finkelsteinsche Wort unterschreiben. Auch er  ist ein Kind seiner Zeit und seines Milieus. Sein theoretisches Rüstzeug ist nicht die Leninsche Imperialismutheorie[24]. Die Courage und die Leistung des Mannes sind allerdings für das Verständnis der Problematik „Nahost“  außerordentlich bedeutend und anerkennenswert. Er scheint auch keiner von jenen, die nach Ruhm gieren oder nach weltlichem Reichtum schielen und dafür ihr Mäntelchen nach dem Winde richten. Offenbar lebt er bescheiden, an der Armutsgrenze. Wie ihm deutsche Journalisten 2001 bescheinigen, ernährt er sich von schlecht dotierten Lehraufträgen. Bis heute hat er keinen Lehrstuhl, für dessen Vergabe an ihn sich etwa Noam Chomsky eingesetzt hatte. Der Harvard Rechtswissenschaftler Alan Dershowitz wußte dies zu verhindern.[25] Einer, der so heiße Eisen anpackt und in Problemzonen vordringt, die bis dato als tabu galten, noch genauer, wem es um Ethik und Gerechtigkeit geht, darf sich in dieser Gesellschaft keine Karriereaussichten erhoffen.[26]

Finkelstein wurde in den Vereinigten Staaten zunächst ignoriert. Als seine „provokativen Thesen“ nicht länger totgeschwiegen werden konnten, etikettierte die New York Times seine Arbeit als „anstößig, unreif, selbstgerecht, arrogant, dumm“[27]. Während der deutsche Historiker Peter Steinbach im genannten Tagesspiegelartikel die Frage, was eigentlich der materielle Kern der Finkelsteinschen Polemik sei, nur rhetorisch aufwirft, kommt die Süddeutsche Zeitung der Sache schon näher, wenn sie schreibt, dass „Finkelstein auch als amerikanischer Linker spricht, der seinen Landsleuten nicht die Unterdrückung der Schwarzen verzeiht, nicht den Krieg in Vietnam und nicht die Ausrottung der Indianer.[28] Noch deutlicher wird dieser „materielle Kern“, wenn man sich vor Augen hält, dass der Politikwissenschaftler als „ein scharfer Kritiker der israelischen Politik“ bekannt wurde, dass der sich als Atheist begreifende, religiös desinteressierte Jude mit palästinensischen - damals säkularen - Vereinigungen sympathisiert, aber ihren Führer Yassir Arafat für einen willfährigen Alliierten der USA hält.[29]

Finkelstein legt sich mit der Macht an, indem er die herrschenden Deutungen anzweifelt.

Wir schreiben das Jahr 2001. Arafat hat der Giftpfeil noch nicht erreicht, das World Trade Centre steht noch, die Hamas, obschon bereits 1972 mit wohlwollender Anteilnahme Israels als islamischer Wohltätigkkeitsverein gegründet, spielt vorerst eine marginale Rolle. Die letztlich in der nahöstlichen Wunde gründenden, bis heute schwelenden imperialistischen Kriege weiter im Osten, gegen Afghanistan (Herbst 2001), gegen den Irak (Frühjahr 2003), gegen den Libanon (2006), zum wiederholten Male gegen GAZA (2008/09) und die Atomkriegsdrohung gegen den Iran sind noch nicht in der Welt. Der vom Stern interviewte Buchautor Finkelstein gibt zu Protokoll:

Meine Mutter hat mir immer gesagt: Hitler hat das (Böse/die Verfasserin) nicht erfunden. Die Geschichte ist zugemüllt mit Verbrechen. Meine Mutter, eine gebildete Frau, war mit Hannah Arendt einer Meinung, die sagte, Eichmann sei nichts als ein unbedeutender Bürokrat gewesen, der Befehle ausgeführt habe... Sie hat sich immer geweigert, irgendetwas Dämonisches, Kosmisches im Holocaust zu sehen.“

Und weiter unten sagt er „Seit 1990 sind genauso viele irakische Kinder durch Krieg und US-Sanktionen getötet worden wie jüdische Kinder durch die Nazis: eine Million!“[30]

Dieser Satz schockt.

Finkelstein zwingt zum neu denken, zum Stellung beziehen

Eine solche Parallele zu ziehen klingt ungeheuerlich, durchbricht diese Betrachtungsweise doch den gültigen, allgemein verbindlichen Konsens, nach dem das Verbrechen der Nazis an den Juden Einmaligkeitscharakter trägt, nicht mehr zu toppen ist und daher auch den - ungerechtfertigterweise - im Namen der weltweiten Judenheit sprechenden und handelnden israelischen Politikern, vor allem auch ihren Hintermännern, jegliche Freiheit einräumt, das in „ihrem Sicherheitsinteresse“ für nötig Befundene zu tun. Die Sicher-heitsinteressen anderer Völker kommen in derlei Erwägungen gar nicht vor, ja sie haben schlicht keine Berechtigung. Nach der gängigen Lesart ist alles, was die israelische Staatsführung tut, folglich per se gut und geschieht im Namen des kleinen David, der nie wieder Opfer sein darf. So ist denn auch die Geschichte des Staates Israel - vor und nach der Staatsgründung - eine nicht zu hinterfragende. Dadurch verschwindet die Geschichte der Enteignung und Entrechtung des palästinensischen Volkes, die perfider Weise ab einem bestimmten Zeitpunkt im Namen der Nachfahren der jüdischen Holocaust-Generation unternommen wurde und wird, obwohl sie lange vor diesem Geschehen einsetzte.[31]

ABER:

Die Lektüre Finkelsteins und anderer hierzulande unerwünschter jüdisch-israelischer Wissenschaftler wird den Grundstein legen für die Entkolonisierung und Entfesselung unseres Geistes dafür, dass wir endlich eingestehen:


Der heutige „David“ ist das palästinensische Volk

Das palästinensische Volk ist auf tragische Weise das späte, nun wahrlich an den Verbrechen der Nazis unschuldig Opfer des deutschen Faschismus, den die Welt viel zu lange erduldet hat. Schließlich haben die unter kolonialer Herrschaft lebenden Bewohner der Levante an den monströsen Verbrechen unserer Großväter- und Großmüttergeneration, jener Generation, die den Nazis zumindest nicht wirksam in den Arm gefallen ist, nicht den geringsten Anteil. Dieser Anteil gebührt vielmehr den Kolonialmächten, die den „kranken Mann am Bosporus“ ebenso wie die deutschen Imperialisten beerben wollten. Deswegen hetzte etwa die britische Mandatsmacht die neu zugewanderten jüdischen Siedler gegen die dort bereits seit langem ansässigen arabischen Bewohner, die die armen Schlucker aus Europa zunächst durchaus freundlich aufgenommen haben, solange bis immer deutlicher wurde, dass sie enteignet werden sollten. Spontane Aufstände wie in Hebron 1929 waren die Folge. Aus eigenem Machtkalkül unterstützten die Besatzer durch militärische Aufrüstung das zionistische Projekt, das Projekt eines Siedlerkolonialismus.[32] Den Arabern war dagegen das sie demütigende Verbot auferlegt, im Mandatsgebiet eine Waffe zu tragen. Ein einheitliches arabisches Reich durfte auf keinen Fall dort entstehen, wo wichtige strategische Rohstoffe lagerten, wo es Seewege zu sichern galt. Die Araber waren in den Augen der Besatzer unsichere Kantonisten, Muslime überwiegend, zu zivilisierende Barbaren eben, wenngleich man auch sie gegen die Osmanen aufwiegelte, Stichwort „Lawrence of Arab“. Diese oder jene Versprechung bezüglich einer „natio-nalen Heimstätte“ auch für die angestammten Bewohner und ihnen zukom-mende Souveränitätsrechte waren nie ernst gemeint. Ganz anderes Gewicht hatte von Anfang an die Balfour-Deklaration von 1917, aus der das Ver-sprechen für eine „nationale Heimstätte der Juden“ abgeleitet wurde, lange bevor die Welt von Adolf Hitler wusste. Die jüdischen Siedler aus Europa kommend, glaubte man, sich, anders als die „dunklen“ Araber, gefügig machen zu können. „Divide et impera“ heißt das immer wieder ziehende imperiale Spiel.


Der linke Kriegsgegner und Jude Finkelstein ist nicht willkommen im Lande der Täter

Was bedeutet es und was sagt es über das politische Klima in unserem Land aus, dass ausgerechnet der Aufklärer, der Humanist und Kriegsgegner Finkelstein im Januar 2010 als „Holocaust-Leugner und „Geschichtsrevi-sionist“[33] diffamiert werden kann, ja sogar als „Antisemit“, obgleich er ein Sohn von „anerkannten“ Opfern des NS-Regimes ist? Zu fragen ist weiter, warum ihm pikanterweise in Berlin und München auf bösartigen Kampagnendruck der einschlägig bekannten zionistischen Lobby hin quasi das Rede-Recht entzogen werden konnte, ohne dass ein Aufschrei wenigstens durch die „friedensbewegte“ Öffentlichkeit ging. Die Tatsache, dass eine Stiftung, die den Namen der Jüdin und Kriegsgegnerin Rosa Luxemburg trägt, den Namen einer Frau, der ihre konsequente Haltung am Ende gar das Leben kostete, dass eine solche Stiftung sich der Solidarität mit Norman Finkelstein verweigert, wiegt natürlich besonders schwer, ja ist zynisch. Zynisch ist eben auch die Rolle, die dem jüdischen Volk in Nahost zugedacht ist. Aber auch der Namensgeber, Heinrich Böll, auch er ein Kriegsgegner, wäre mit einem so feigen Einknicken vor den herrschenden Gewalten[34] keinesfalls einverstanden.

Es gibt eben ganz unverkennbar zweierlei Gruppen von Menschen: Da sind die Ängstlichen, die noch immer ihr Mäntelchen nach dem Winde gehängt haben, jene, die nach der Macht schielen, oder solche, die gar ein Jota davon in den Händen halten. Daneben gibt es noch die Mutigen, die aufrecht voran schreiten, jene, die die Wahrheit herausfinden wollen und sie mitteilen müssen, egal was der „Preis“ dafür ist. Ob Jud, ob Christ, ob Muselman, letztere Sorte ist selten. Zu ihnen zählt zweifellos in guter Tradition ein Nor-man Finkelstein. Die Definitionsgewalt darüber, wer zum Kreis der Vortra-genden, der Brauchbaren, der Erwünschten, der Kategorie der „Guten“ ge-hört, haben noch immer jene, die in der Gesellschaft den Ton angeben und hinter ihnen stehen die ökonomisch Mächtigen. Es scheint überhaupt an der Zeit, wieder in Klassenkategorien denken zu lernen. Die Wirklichkeit zwingt uns dazu. Solange wir nicht begreifen, mit wem wir Solidarität üben müssen, zu wem wir gehören, wo unsere natürlichen Verbündeten sind, kann man uns auseinander dividieren, sprachlos halten und niederdrücken und am Ende unserer elementaren Menschenrechte berauben. Opportunismus „nützt“, und das auch nur vordergründig, immer nur ganz wenigen. Nicht die privat zu entscheidende Religionszugehörigkeit, auch nicht die Ethnie oder die Abstam-mung sind am Ende die entscheidende Bestimmungsgröße, noch sind es sonstige Besonderheiten, die uns einen oder trennen. Bestimmend ist ab-gesehen von der Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel zum Erhalt des eigenen Lebens, der eigenen Nachkommen, vor allen Dingen der geistige Durchblick, den sich ein denkender, neugieriger, aufnahmebereiter Mensch unter allen Umständen erarbeiten kann.

Die Entkolonisierung des Geistes, von deren Notwendigkeit Edward Said spricht, ist aber  die erste Voraussetzung für erfolgreiche Befreiungsarbeit. Lassen wir es daher nicht zu, dass andere für uns definieren, was tabu zu sein hat und was nicht, an wem wir uns orientieren dürfen und an wem nicht. Lernen wir, gegen den Strom anzudenken. Schauen wir, was uns Norman Finkelstein, ein „unabhängiger, stolzer Jude“ laut Rolf Verleger, einem anderen unabhängigen, stolzen Juden, der augenscheinlich die Ethik der Torah von seinen Eltern erworben und damit mehr Judentum in sich aufgenommen hat, als der religiös abstinente Mann vielleicht selbst  vermutet. Was kann uns dieser Mann vermitteln? Er hat Prinzipien, er hält zu den Verfolgten, zu den Erniedrigten und Verfemten, zu den Menschen in Gaza und in den übrigen besetzten Gebieten. Er kann unterscheiden zwischen Gut und Böse, zwischen Opfern und Täter, zwischen Recht und Unrecht .


Der Fall: Solidaritäts- bzw. Antikriegsbewegung in Berlin

Lange schon , seit November des Vorjahres, war es bekannt in den damit befassten Kreisen: Norman Finkelstein hatteauf Einladung der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung beabsichtigt, von Prag aus nach Berlin zu reisen und zu dem wichtigen, selbst gewählten, diffizilen Thema "Ein Jahr nach dem israelischen Überfall auf Gaza – die Verantwortung der deutschen Regierung an der fortgesetzten Aushungerung der palästinensischen Bevölkerung" zu referieren. Sein Auftritt hätte der Antikriegsbewegung Auftrieb geben können, darum musste er aus Sicht seiner Gegner verhindert werden. Vorgesehen war für seinen Diskussionsbeitrag zunächst die Trinitatis-Kirche in Berlin-Charlottenburg und später erst, nachdem diese ihre Zusage zurückgezogen hatte, das ND-Gebäude am Franz-Mehring-Platz. Möglicherweise trauten die von den Veranstaltern für solide gehaltenen „Bündnispartner“ ihrer eignen Courage nicht so recht. Man wusste schließlich: Im Jahre 2001 füllte der Redner immerhin die Urania, alle 900 Plätze waren ausverkauft. Es war heiß hergegangen, damals. In Anbetracht der neuerlich zu erwartenden Interven-tionen gegen den weltbekannten, aber eben als „umstritten“ gehandelten jüdischen Wissenschaftler muss es zumindest als erstaunlich gelten, dass Ort und Zeit seiner Ansprache lange Zeit mehr oder weniger geheim gehalten wurde. Ein bekannter, repräsentativer Ort konnte offenbar nicht gefunden werden. Obwohl doch Störungen vorhersehbar waren – auch nach dem ähnlich gelagerten Fall des israelischen Historikers Ilan Pappe, dem im Vorjahr in München auf Grund massiver Interventionen der zionistischen Lobby der schon zugesagte Raum wieder entzogen worden war - wurde die Öffent-lichkeit auf eine solche Eventualität hin nicht sensibilisiert, nicht mobilisiert. Sie allein hätte in Verbindung mit der nötigen Standfestigkeit und Chuzpe des gesamten Veranstalterkreises eine ordnungsgemäße Durchführung der Vorträge in einem der Bedeutung der Sache gemäßen Rahmen gewährleisten können. Die Mobilmachungsmethoden der einschlägigen Gegenlobby dürfen ja inzwischen als weltweit bekannt gelten. Der jüngste, skandalträchtige Fall war die Intervention der US-Israelischen Kreise im Vorfeld der UN-Antirassismus-Konferenz in Genf im April 09, die zu mächtigen Turbulenzen geführt hatte und dazu, dass die Thematik der Palästinenser erst gar nicht auf der Tagesordnung erschien. In Deutschland ist der Journalist Hendryk Broder immer wieder rührig, wenn es gilt, israel-kritische Stimmen mundtot zu machen. Bereits aus viel geringerem Anlass trat er im Wintersemester 2008 in verleumderischer Weise an die Leitung der Freien Universität Berlin heran, um den Vortrag des israelischen Pazifisten Reuven Moskovitz im Rahmen der Ringvorlesung „Wissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung“ von Pro-fessor Reich unmöglich zu machen, was ihm allerdings dank des uner-schrockenen Einsatzes des Physikers Reich nicht gelungen war. Auf solche Weise aber überzieht der für seine Aktivitäten berüchtigte Publizist etwa auch die Kritikerin israelischer Regierungspolitik und Tochter des einstigen Vor-sitzenden der Jüdische Gemeinde in Berlin Evelyn Hecht-Galinski mit übler Nachrede. Ähnliches gilt für die israelisch-jüdische Menschenrechts- Anwältin Felicia Langer, die mit ihrem - der NS-Verfolgung und den Todeslagern entkommenen - Ehemann in Tübingen lebt und die letztes Jahr das Große Bundesverdienstkreuz erhielt. Im Vorfeld der Preisverleihung sind böse, hektische Verleumdungen inszeniert worden, um diese Ehrung zu verhindern. Nach dem diese nicht zu verhindern war, wurden entsprechende Aktivitäten entfaltet, um der Verfechterin der Rechte von Palästinensern den Orden wieder abzuerkennen. Es ist kein Jota übertrieben, wenn hier festgestellt wird: Selbst jüdische Stimmen, die sich beinahe als einzige noch trauen, mutig die immer selbstzerstörerischere, völker- und menschenrechtswidrige Politik des Staates Israel anzuprangern und die sich auch nicht scheuen, die Hinter-männer des zum Mythos erkorenen „kleinen David“ beim Namen zu nennen, leben zumindest unbequem.

Trotz alledem fühlen sich immer mehr Menschen jüdischer Religions- oder Kulturzugehörigkeit, aber auch andere Humanisten weltweit, herausgefordert, Stellung zu beziehen, gegen die fortwährende Entrechtung und gegen den Versuch der langsamen Vernichtung des palästinensischen Volkes. Keineswegs alle jüdischen Stimmen in Deutschland fühlen sich repräsentiert von einem Fanatiker wie Broder und der zionistischen Pressure Group „Honestly Con-cerned“ oder noch peinlicher von dem „Linken“ Arbeitskreis „Bak Shalom“. Viele gewichtige Persönlichkeiten aus dem jüdischen Umfeld wehren sich vielmehr mit Nachdruck gegen die anmaßende Unterstellung, Frau Knobloch vom Zentralrat der Juden in Deutschland vertrete ihrer aller Haltung gegen-über dem Staat oder genauer gegenüber der Regierungspolitik Israels.

Genauso wenig fühlten und fühlen sich alle Juden - weder vor noch nach dem Trauma des Dritten Reiches -, auch nicht die in alle Welt entkommenen Über-lebenden, ja selbst nicht alle lange in Palästina siedelnden Juden und israelischen Staatsbürger vom zionistischen Personal vertreten.[35]

Der „Nahostkonflikt“ ist politisch zu analysieren. Die Politik des Staates Israel ist wie die seiner Bündnispartner und wie die  jedes anderen Staates der Erde politischer Kritik zu unterziehen, die anzuwendenden Maßstäbe sind die gleichen: Einhaltung von Menschen- und Völkerrecht, demokratierechtliche Standards. Der sich als Sprachrohr und Repräsentant aller Juden in der Welt ausgebende Staatsverband darf nicht länger als sakrosankt gelten, nur weil er sich mit dem Etikett „jüdisch“ schmückt, das er noch dazu in den Augen der orthodoxen Juden etwa zu unrecht trägt.

Es bedarf  der vorbeugenden Wachsamkeit und des ehrlichen und mutigen Engagements vieler Menschen, um den kritischen Stimmen aus allen gesell-schaftlichen Bereichen, egal welcher Religion oder Ethnie sie sich zugehörig fühlen, das ihnen gebührende Gehör zu verschaffen. Solche Menschen gibt es viele. Die Empörung über die Kriegsverbrechen in Gaza war  und ist trotz der von israelischer Seite verfügten Nachrichtensperre im Januar 09 groß. Das Problem ist, dass sie kein Forum und finden oder - auch im kleinen Kreis, - ähnlich wie ein Norman Finkelstein Einschüchterungsmechanismen unter-liegen.

Das dem Dilemma zugrunde liegende, schon lange jegliche konsequente Friedensarbeit lähmende Problem ist die falsche Gesellschaftsanalyse, die falsche Faschismusanalyse und das demzufolge mögliche Einstimmen auf den in die Katastrophe führenden Staatsräsonkonsens. In den mehr oder weniger locker organisierten Kreisen der Friedensbewegung findet das Thema „Nahost“ entsprechend wenig engagierte Verfechter. Der „AK Nahost“ bei der Böll-stiftung angesiedelt, scheint manchmal ein wenig mutiger und profilierter als „das Nahostkomitee“ der „Berliner Friedenskoordination“ (Friko). Beide Kreise sind aber durch ihre jeweilige personelle Nähe entweder zu den GRÜNEN oder zur LINKEN und deren beider staatstragende Positionierung gelähmt. Auch sind sie in Personalunion mit einander verflochten. Die in diesen Kreisen ebenfalls vertretene DKP bezieht keine etwa von der Linken wesentlich abweichende Position. Zu den israelischen Kriegsverbrechen, zu Gaza und zum so wichtigen Bericht von Richard Goldstone war von diesen selbst ernannten „Experten-Kreisen“ bisher wenig zu hören. Immerhin, es war gesammelt worden für ein Schiff, das beladen mit Hilfsgütern nach Gaza geschickt werden sollte. Die Israelis aber ließen es nicht passieren. Auch am geplanten Gaza-Friedensmarsch beteiligten sich Berlinerinnen, ihnen erging es ähnlich wie den Hilfsgütern. Woran es mangelt, ist aufklärende Öffentlichkeitsarbeit in Bezug auf die Politik Israels und politisch sich artikulierende Solidarität mit dem palästinensischen Volk.

Die dafür außerordentlich wichtige Pressekonferenz von Abraham Melzer am 16. 01. 2010 zur geplanten deutschen Übersetzung des Goldstone-Reports war erhellend; alarmierend, aber auch aufmunternd. Das informative Forum war gut besucht, aber das folgende Echo vor allem in friedensbewegten Kreisen war ähnlich wie das Medien-Echo: dürftig.


Solidarität mit Israel ist „deutsche Staatsraison“

Vor dem Hintergrund des äußerst bedenklichen Konsenses, der alle im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien auf die Solidarität mit der israelischen Staatspolitik einschwört, ja diese in den Rang gar der deutschen „Staatsraison“ erhebt[36], besteht allerdings gesamtgesellschaftlich derzeit nur eine sehr geringe Hoffnung auf Solidarität mit den Menschen in Palästina. Statt dessen wird der dort lebende, nicht jüdische Bevölkerungansteil nach über 60 Jahren der Nakba entwederüber lange Zeiträume der Vergessenheit anheimgestellt, einer Endloskette von Demütigung, Unterdrückung und kriegerischer Gewalt unterworfen oder nach dem Muster „blame the victims“, gebt die Schuld den Opfern, stereotypisiert und als „radikal-islamisch-terro-ristisch“ abgewehrt .

Währenddessen schützt der Gründungsmythos Israel noch immer vor ratio-naler Kritik und das deutsche Kollektivbewusstsein leistet sich die seit gut einem halben Jahrhundert währende, schwer bewaffnet daher kommende „Solidarität“ mit einer Nation, die längst vom David zum Goliath mutiert ist. So wird fernab öffentlicher Kritik die kleine Atommacht, die sich inzwischen auf 80% des ihr ursprünglich zugesprochenen Territoriums ausgedehnt hat, von einem riesigen Mächtekomplex, nämlich von US-EUropa, mit Milliarden-summen unterstützt. Es wird dem „kleinen David“ jenseits des Mittelmeeres auch eine bevorzugte Rolle als Handelspartner eingeräumt[37]. Während mit den Scham- und Schuldgefühlen aller nachwachsenden Generationen gespielt wird und die neuerliche Verdrängung der Beteiligung Deutschlands an völkerrechtswidrigen Kriegsverbrechen praktiziert wird, formiert sich ein gewaltiger Hefeteig, in dem giftige Gase mitgären. Links gewickelte, aber rechts gestrickte gefährliche Gruppen wie die „Antideutschen“ oder „Bak Shalom“ verwirren die guten Geister um sie herum. Nur eines kann ihrem bösen Treiben Einhalt gebieten: Mehr Licht![38] Aufklärung ist gefordert über die unter falschem Sigel segelnden dunklen Machenschaften solcher Eti-kettenschwindler. Die mystifzierenden Schleier der Scham, die das ent-sprechende Engagement junger Menschen blockieren, müssen gelüftet wer-den. Kein Mensch kann ernsthaft für die Verbrechen seines Großvaters haftbar gemacht werden, der dazu noch straflos ausging. Das widerspricht jeglichem Rechtsgrundsatz und jeglicher Ethik. Dagegen dürfen wir, gerade aus bewusst wahrgenommener historischer Verantwortung, die Friedens-stimmen aus Israel und die jüdischen Friedensstimmen bei uns nicht allein lassen, die sich wie Ilan Pappe und viele andere der schonungslosen Aufdeckung der eigenen Geschichte, der Geschichte der „ethnischen Säu-berung Palästinas“[39] verschrieben haben.

Da Israel ein Kind der UN ist und da uns Deutsche ganz besondere Bande mit diesem Staatswesen verbinden, haben wir gerade diesem Land gegenüber in der Tat eine moralische Pflicht. Damit sind nicht Waffenlieferungen gemeint, sondern es geht um die Pflicht Unrechtshandlungen an seinen arabischen Mitbürgern, an seinen arabischen Nachbarn, aber auch an den jüdischen, nicht zionistischen Bürgern zu kritisieren und diesen beizustehen.

Es ist ein solches Unrecht und dem undemokratischen Charakter des jüdischen Staatswesens geschuldet, wenn Professor Ilan Pappe sich gedrängt sah, seine israelische Heimat zu verlassen und in Großbritannien einen Lehrstuhl anzunehmen, wo er hofft, in Frieden leben, lehren und forschen zu können, wo er nicht wie in Jaffa von seinesgleichen mit dem Tode bedroht wird. Es ist alarmierend, wenn ein solcher kritischer jüdischer Geist bei uns schon wieder unerwünscht ist. Von der sicheren Heimstätte, die der „Judenstaat seinem Volk anzubieten versprach und den Gründen dafür, dass es anders kam, ist zu reden. Auch ist der Frage nachzugehen, auf welchen Fundamenten das Staats-gebilde ruht, das laut Theodor Herzl, einen Vorposten gegen die asiatische Barbarei bilden sollte, während es seine Nachbarn fortwährend mit bar-barischen Kriegen überzieht. Es ist himmelschreiendes Unrecht gegen jeden Begriff von Recht, wenn die arabischen Ureinwohner mit einer Mauer abgeschottet werden, die sich am Ende über achthundert Kilometern auf fremdem Territorium dahinschlängelt und die zum Teil über 8 Meter hoch ist. Die „Barbarei“ scheint mit dem Kampf gegen sie ins Unermessliche anzu-wachsen, weswegen unsere Rüstungslieferungen ebenfalls ins Unermessliche steigen. Deutschland, so wurde dieser Tage vom SIPRI verkündet, nimmt jetzt mit nur 80 Millionen Bürgern den Rang Nummer drei auf Weltliste der Waffenexporteure ein, ein guter Teil davon geht nach Israel.


Politischer Dissens versus „Staatsraison“[40]

Das offizielle Deutschland ist eben nicht nur geneigt, wegzugucken, wenn es um die Benennung israelischer Verbrechen geht, nein es ist an diesen maßgeblich beteiligt. Wer sich von solcher Komplizenschaft freizumachen sucht und wer deshalb eine nüchterne, realitätsgerechte Betrachtung fordert, findet sich – nahe liegender Weise, ähnlich wie der Autor Finkelstein - ins rechte Lager abgedrängt. Alles ist auf den Kopf gestellt: Ehrliche Antifaschisten und Kriegsgegner müssen sich von verkappten Neonazis als solche beschimpfen lassen. Das Narrenköstum ist ganzjährig in Mode, niemand mehr zeigt sich in seiner wirklichen Gestalt. Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen trauen sich daher fast nur noch deutsche Bürger mit jüdischem Hintergrund, öffentlich gegen israelische Verbrechen und deutsche Komplizenschaft aufzutreten. So etwa jüngst während des Staatsbesuchs des israelischen Präsidenten Shimon Peres im Deutschen Bundestag, wo dieser am 27. Januar 2010 das 65. Gedenken an die Befreiung von Auschwitz dazu missbrauchte, den Iran verbal anzugreifen, um wieder einmal einem Nach-barland mit Krieg zu drohen. Dem so schamlos auftretenden Politiker, der einer ebenso schamlosen Einladung gefolgt ist, werden immerhin schwer-wiegende Kriegsverbrechen zur Last gelegt, die dokumentiert sind im besag-ten Goldstone-Bericht des UN-Menschenrechtsrats und die von der UN-Voll-versammlung im November 09 als zu ahndende angemahnt wurden. Drei couragierte „Linke“-Bundestagsabgeordnete, Sahra Wagenknecht, Christine Buchholz und Sevim Dagdelen, wagten es, dem Staatsoberhaupt Israels an entsprechender Stelle die stehende Ovation zu verweigern, das Mindeste, was zu tun war. Ausgerechnet sie sahen sich aber dafür innerfraktionell harscher Kritik ausgesetzt. Ähnlich unsolidarisch war bereits 2009 mit dem Vorsitzen-den der Duisburger Ratsfraktion der Linken, dem Bürgermeisterkandidaten Hermann Dierkes umgegangen worden, der sich als Alternative zur Gewalt für die „BDS-Kampagne“ stark gemacht hatte.[41] Das international gängige Akronym BDS steht für ein umfassendes Programm, für „Boykott,- Desinves-titions- und Sanktionsmaßnahmen“ gegenüber dem Apartheid-Staat Israel,[42] wie es dem weltweiten Aufruf der gesamten palästinensischen Zivilge-sellschaft entspricht. Der alternative Ansatz wurde im Vorjahr, anlässlich der Genfer Anti-Rassismuskonferenz der UNO, noch einmal einer breiten, dafür empfänglichen Öffentlichkeit vorgestellt und erläutert. Auf der „Badilkonferenz“[43] in Genf waren auch Verteter der „Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden“ aus Berlin anwesend. Der Rückfluss nach Deutschland, die deutsche Publikmachung international bereits erfolgreich angewandter Methoden zur Isolierung des „Apartheid-Regimes“ in Nahost erfolgt allerdings mit großer Zurückhaltung. Ein weiteres Beispiel für Zurückhaltung ist jene, die dem einstigen Bundesstagsabgeordneten und Völkerrechtler Norman Paech von der Linksfraktion immer wieder auferlegt wurde. Sein Besuch im Gaza-streifen und seine Aufklärungsarbeit über die von Israel zu verantwortenden Zustände in der „Zone“ bedarf der dankbaren Würdigung, ebenso wie seine Hamburger Gänsemarktrede im Januar 2009 .

Ganz besonders fatal ist in diesem Zusammenhang aber die Rolle zu be-urteilen, die die Partei die Linke nicht nur gegenüber dem Israelkritiker Finkelstein, nein gegenüber dem „Nahostkonflikt“ überhaupt sowie gegen-über den in der Region seit Jahrzehnten begangenen Kriegsverbrechen einnimmt.[44] Aus einer  unkritischen, nur vermeintlich mit Israel solidarischen Haltung heraus, duldet diese Partei den mit Steuermitteln geförderten Bundesarbeitskreis, der sich mit dem irreführenden Namen „Shalom“ schmückt, der aber spätestens seit Januar 09 als Sprachrohr der kriegerischen, ja zunehmend als faschistoid zu charakterisierenden Politik der israelischen Regierung gelten kann.[45] Aus politischem Unverstand, gepaart mit mensch-licher Schwäche, folgt dann das Wegbrechen einer Unterstützergruppe nach der anderen, wenn es um die notwendige Anprangerung der Verbrechen in Gaza heute und um den Nachweis deutscher Komplizenschaft geht. Man will als Partei „bündnisfähig“ bleiben, man schielt auf die Regierungsfähigkeit, man schwimmt im Strom, so wie es die Opportunität halt nahelegt und vergisst darüber die Schreie der an den Inkonsequenzen des eigenen Handelns elend zugrunde gehenden Lebewesen. Man vergisst, dass der die Demokratie negierende „Nationalsozialismus“ auch zunächst schleichend daher kam und am Ende vor den sich anbiedernden Sozial- und anderen Demokraten keinen Halt machte. Es ist am Ende eine moralisierend auftretende, billige Ausrede, wenn immer wieder unter Bezugnahme auf die von der Bundesrepublik Deutschland als Nachfolgestaat in der Tat zu verantwortenden Verbrechen der Nazizeit den Opfern einer jeglichem Menschenrecht Hohn sprechenden Politik in Nahost heute die nötige Solidarität verweigert wird. Das Standardklischee lautet: Man könnte ja dem einstigen jüdischen Opfervolk nicht auf die Füße treten. In Wirklichkeit will man der Fortsetzung eigener Unrechtspolitik seit Gründung der Bundesrepublik, wenn auch unter umgekehrtem Vorzeichen, so doch weitgehend ungebrochen, nichts in den Weg stellen. Das ist auch der Grund dafür, warum man der seit 20 Jahren nicht mehr existierenden DDR immer noch „verordneten Antifaschismus“ vorwirft und sie noch nach 20 Jahren verunglimpft als Stasidikatur. Das ist nichts als ein heuchlerisches, willkommenes Ablenkungsmanöver angesichts der antidemokratischen, neofaschistischen, kriegerischen Entwicklungen hierzulande. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an nur eine von vielen interessanten Publikationen der DDR, die man seit deren Niedergang aus dem Müll fischen kann. Es ist die 1988 noch im Dietz Verlag erschienene Lebensgeschichte der einstigen jungendlichen Zionistin Ruth Lubitsch „Ich kam nach Palästina – Geschichten meines Lebens“. Von dieser tapferen Frau, die gegen den Willen ihrer Eltern vor Erreichen der Volljährigkeit und lange bevor Hitler an die Macht kam, in den frühen zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts aus Polen nach Pa-lästina emigrierte, erfahren wir von den Klassenkämpfen innerhalb der jüdi-schen Siedlergemeinschaft und vom verbreiteten Rassismus gegenüber den arabischen Menschen vor Ort. Wir erfahren aber auch von den Bestrebungen arabischer und jüdischer Kommunisten, einen gemeinsamen bi-nationalen Staat nach Abzug der ebenfalls gemeinsam bekämpften britischen Besatzungs-macht zu schaffen, einen Staat, in dem es keine Diskriminierung nach Rassen- oder Religionszugehörigkeit geben sollte, einen Staat, in dem alle dort siedeln-den Menschen Heimatrecht erhalten sollten.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, nach dem Niedergang des britischen Imperialismus, nach dem überwunden geglaubten deutschen Faschismus, nach der großen Hoffnung der Völker auf Befreiung vom Kolonialismus, hoffte die Welt auf die Weisheit der UNO. Trotzdem befürchteten bereits viele Beobachter, dass mit dem UN-Teilungsbeschluss für Palästina die UN-Charta beerdigt worden sei, weil das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes missachtet worden sei.

Aber, mag auch die real erlebte Praxis oft anders aussehen, die UN-Charta bleibt als Vermächtnis. Sie und alle nachfolgenden Konventionen fordern die Achtung des Völkerrechts gegenüber der nackten Gewalt des Stärkeren ein. Von dieser Charta und den auf ihr beruhenden Konventionen geht eine alle Staaten verpflichtende moralische Kraft aus, vor der sich eine jede Nation zu rechtfertigen hat. Im Geiste der Brüderlichkeit sollen sich alle Menschen und Staaten begegnen und selbst auf die Androhung von Gewalt soll verzichtet werden. In diesem universellen Geiste der Charta gilt es – solange man Menschen- und Völkerecht zu achten vorgibt - die wirkliche Lehre aus den NS-Verbrechen zu ziehen. Diese Lehre muss, auf Nahost bezogen, heißen, laut und unüberhörbar „Nein“ zu sagen zu dem sich im hier und heute vollziehenden Völkermord in GAZA.[46]

Krieg und Faschismus sind Zwillingsbrüder. Übersieht oder negiert man diesen Zusammenhang, dann lässt man jüdische Menschen wieder einmal im Stich und nicht nur diese. Zionistische Israelis und jüdische Israelkritiker, beide doch so antagonistische Gruppen sollen schließlich für andere die Kartoffeln aus dem Feuer holen. Viele jüdische Menschen, die ursprünglich, wie etwa Ruth Lubitsch oder Ury Avnery oder Reuven Moskovitz, den Zionismus als fort-schrittliche, der Gerechtigkeit verpflichtete Idee missverstanden haben, sind inzwischen davon abgerückt. Sie haben mehr oder weniger begriffen, dass ihr Engagement für eine vermeintlich gute Sache von dem Imperialismus dienen-den Kräften missbraucht wurde und dem Judentum in keiner Weise dienlich ist, noch dessen überlieferte Ideale verkörpert, die in essentieller Weise allen Menschheitsreligionen eigen sind und die da heißen: Gerechtigkeit, Friedens-liebe, Völkerverbrüderung.


Verantwortungsbewusster Journalismus versus Vernebelungstaktik

Freilich gibt es sowohl in Israel, als auch bei uns verantwortungsbewusste Journalisten. So stellte die Junge Welt ihre Spalten wie auch die Ladengalerie dem Anliegen Norman Finkelsteins tapfer zur Verfügung. Dieser Raum war dann auch mit 200 Menschen am Tage der anstelle von Finkelsteins Rede-beitrag statt gehabten Podiumsdiskussion fast bis zur Unverantwortlichkeit überfüllt. Viele Interessierte blieben ausgeschlossen. Freilich saßen gute Leute auf dem Podium und sprachen zu der abgemilderten Themenstellung „Gaza - Ein Jahr nach dem Überfall der israelischen Armee und die deutsche Verantwortung“. Freilich war Norman Finkelstein am Anfang mit zwei Sätzen als Videobotschaft zu hören, freilich bot sich zur Freude aller eine profes-sionelle Dolmetscherin aus dem Publikum an, die die Worte des palästinen-sischen Journalisten Nidal Bulbul und des israelischen Aktivisten Yahav Zohar simultan und vorzüglich zu übersetzen verstand, und freilich war der Beitrag von Hermann Dierkes hervorragend und waren die beiden jungen Stimmen aus Israel bzw. Palästina außerordentlich wichtig. Immerhin meldete sich der Bundestagsabgeordnete der Linken, Wolfgang Gehrcke, zu Wort und ver-sprach, seine Fraktion zu ermutigen, eine Bundestagsdebatte über den Gold-stone-Report zu fordern. Ein unterstützenswerter Vorschlag. Dennoch bleibt im Ergebnis vorerst das Einknicken der Linkspartei. Ein Ausdruck der lähmen-den, ideologisch bedingten Schwäche, die sich auch in der deutschen friedens-bewegten Szene niederschlägt, die ihr Augenmerk ausschließlich auf Afgha-nistan richtet!

Ganz im Gegensatz zur „deutschen Staatsraison“ ist es notwendig, im Interesse aktiver Friedenspolitik über die verhängnisvolle Vorreiter-Rolle, die der Atommacht Israel in Nahost zugedacht ist, aufzuklären, wie es etwa Jeff Halper auf der Pressekonferenz zum Goldstone-Bericht unternahm. Krieg und Besatzung sowie illegale Siedlertätigkeit sind als völkerrechtswidrig zu denun-zieren, um weitere Kriege in der Region abzuwehren. Die geostrategische Rolle, die der viertstärksten Armee der Welt auferlegt ist, die inzwischen mit mehr als 100 Atomwaffen ausgestattet wurde und mit den entsprechenden Trägerraketen, ist ebenso zu benennen wie die deutsche Komplizenschaft, die unter Verstoß gegen das Grundgesetz atomar bestückbare U-Boote nach Israel schickt und ihre Soldaten an Drohnen für den Einsatz in Afghanistan dort ausbilden lässt. Ganz besonders gilt es, die perfide Ironie der Geschichte als solche zu kennzeichnen, bei der die Opfer zu Henkern gemacht und jene, die dagegen aufschreien, mundtot gemacht werden.

Voraussetzung dafür, dass die Opposition gegen unsere Kriegsbeteiligung in Nah- und Fernost wächst, sind aber mehr solcher Anhörungen wie die mit Norman Finkelstein geplante und auch solche Begegnungen wie sie die Ersatz-Veranstaltung am 26. Februar in der Jungen-Welt-Ladengalerie in Berlin ermöglicht haben. Nötig sind alternative Denkansätze und Studien, wie sie inzwischen eine Reihe von Kollegen Norman Finkelsteins vorgelegt haben. Wichtig ist die konstruktive Solidarität mit ihm und eine konstruktive, Mut machende, öffentliche Debatte. Die Lektüre seines 2007 in deutscher Sprache erschienenen Beitrags „Antisemitismus als politische Waffe“, indem er als bestes Mittel gegen den Antisemitismus fordert, laut die Wahrheit zu sagen, ist jedem, der sich Klarheit verschaffen möchte, zu empfehlen.

Die Bereitschaft des Autors Finkelstein, in Berlin zu sprechen, war ein großes Angebot. Eine vertane Chance war es, ihn nicht hören zu können.

Während uns Aufklärung vorenthalten wird, kann an unseren höheren Schulen Teilblindheit gelehrt werden. Israel bombardierte 1981 das im Bau befindliche irakische Atomkraftwerk. Wie heute der gegen den Iran angedrohte Atomkrieg, wurde damals die „Präventivmaßnahme“ mit der angeblich vom Irak ausgehenden Angriffsdrohung gerechtfertigt. In einer Broschüre der Bundeszentrale für Politische Bildung aus dem Jahr 1990, bereits oben zitiert, heißt es dazu: „Leider erst jetzt wird international die Notwendigkeit des israelischen Luftangriffs auf den irakischen Atomreaktor im Juli 1981 erkannt, für den Israel seinerzeit von den Vereinten Nationen verurteilt wurde“: Und weiter: „Die Vernichtungsdrohungen Saddam Husseins gegen Israel müssen unbedingt ernst genommen werden.“ Und: „Indem er sich mit dem `Irren von Bagdad´ (so die deutsche Presse) solidarisiert, entlarvt sich Arafat selbst.“[47] 

Wer gegen solche Geschichtsklitterung[48] Einspruch erhebt, ist laut „Staatsraison“ ein „Antisemit“.

Da sich Israel vom Iran bedroht fühlt, gebietet es unsere Staatsraison, einem Präventivschlag unsere Zustimmung zu erteilen. Vorerst stimmen wir daher ein in den Chor, der dem „Mullah-Regime“ vorwirft, die Menschenrechte nicht gebührlich zu achten. Über die Menschenrechtsverletzungen gegenüber den arabischen Bürgern im Staate Israel sehen wir großzügig hinweg. Dass Israels Selbstdefinition als Judenstaat, einer Theokratie also, andersgläubige Staatsbürger systematisch diskriminiert und sie im Falle der Bürger palästinen-sischer Herkunft mit Folterdrohungen einschüchtert (Felicia Langer), ist eine quantite negligeable, oder ein point de detail dans l'histoire, eine zu vernachlässigende Kleinigkeit gegenüber den Monstrositäten, die der Gottesstaat Islamische Republik Iran angeblich aufzuweisen hat.

Wer sich diesem Geschichtsbild nicht zu verschreiben vermag, hat hierzulande nichts zu melden. Wenn es denn um einen Nachkommen von Holocaust-Opfern geht, dann ist das eben sein Pech, das er selbst zu verantworten hat.


Linkssein verpflichtet zur Solidarität

Einer solchen Verdrehung historischer Tatsachen, einer solchen Sinnzer-störung muss sich linke Politik verweigern - oder sie verliert ihre Existenz-berechtigung.

Auf einer interpersonellen, menschlichen, aber auch auf einer sich der histo-rischen Verantwortung stellenden Ebene gilt es dem Manne Finkelstein gegenüber zu bedenken: Seine gesamte Familie fiel den NS-Schergen zum Opfer mit Ausnahme seiner Eltern, die das Warschauer Ghetto und Auschwitz (der Vater) sowie Majdanek (die Mutter) überlebten. Gerade deswegen engagiert sich ein Mensch doch, um solche Ungeheuerlichkeiten in der Gegenwart zu unterbinden. Er hat, nachdem ihm die entsprechende Unter-stützung entzogen wurde, seine Redetermine abgesagt, weil es ihm um den Inhalt geht, den er thematisiert wissen wollte, um den schleichenden Völker-mord in Gaza.

Der Sohn eines Volkes, das einem ebenfalls schleichend beginnenden Völker-mord ausgesetzt war, kann nicht schweigend zusehen, wie ähnliches an einem Brudervolk vollzogen wird und das noch unter Bezugnahme auf die einst ähnlich geschundenen jüdischen Opfer. Er sucht nach Mitteln und Wegen, seinen Einspruch gelten zu machen. Wenn es nicht vor Ort geht, so über seine Bücher und über seine Internet-Seite.

Wir aber, die wir nicht einverstanden sind mit dem verordneten Konsens, können uns mit den Fakten vertraut machen, die etwa der Goldstone-Report uns liefert, im Netz und in diesen Tagen auch als deutsche Druckversion.


Das leise Sterben in Gaza und der leise gehandelte Goldstone-Bericht

Vom 27. 12. 2008 bis zum 18. 01. 2009 hagelte es - keineswegs zum ersten Mal - „gegossenes Blei“ auf den Gaza-Streifen, auf das am dichtesten besiedelte kleine Fleckchen Erde, dorthin, wo 1,5 Millionen Menschen, zumeist von ihrer angestammten Heimat Vertriebene, zusammengepfercht schon lange unter einem aufgezwungenen Embargo, also unter Mangel an Wasserzuteilung, unter Mangel an Gütern des täglichen Bedarfs und unter ständiger israelischer Militär-Kontrolle leben müssen. Nachdem die Mehrheit der palästinensischen Bürger in den 2006 abgehaltenen Wahlen - in den völkerrechtswidrig von Israel seit 1967 besetzt gehaltenen Gebieten - die sozialpolitisch inzwischen sehr erfolgreiche  Hamas gewählte hatte, hatten die Menschen im eigentlich so schönen, einst weltoffenen Küstenstreifen noch weniger als vorher zum Lachen. Die gewählten Repräsentanten wurden verhaftet, den Israelis galten sie jetzt als „islamistische Terroristen“. Anfänglich hatten die Besatzer in der muslimischen Vereinigung eine Konkurrenz zur säkularen, „allmächtigen“ Al Fatah bzw. PLO, die damals noch als die bösesten aller Buben galten, gefördert. Die Arafat-Leute hatte man von einem Kom-promiss zum nächsten gejagt und inzwischen unter seine Kontrolle gebracht. Jetzt wurden die Bürger im Gazastreifen kollektiv abgestraft dafür, dass sie das offenbar durchschaut hatten und sich abwandten von der PLO. Deren jetziger Chef Abbas im Westjordanland vertritt ihre Belange nicht mehr, kann nicht mehr als gewählter Vertreter sprechen, wird aber weiterhin als „Verhand-lungspartner“ vom Westen ausgehalten. Das Leben im militärisch abgerie-gelten Sperrbezirk wurde nach dieser „demokratisch“ unter westlicher Kon-trolle abgehaltenen Wahl noch schwieriger und Schikane auf Schikane folgte. Hochrangige, dekorierte, jüdische, israelische, ja selbst sich als zionistisch begreifende Kritiker sprechen schon seit längerem von einem „riesigen Freiluftgefängnis“ oder verglichen noch pointierter bereits vor einem Jahr die Lage im von Israel besetzten Küstenstreifen mit dem Warschauer Ghetto, so etwa Uri Avnery oder Professor Richard Falk als UN-Sonderbeauftragter für die besetzten palästinensischen Gebiete, oder Noam Chomsky und viele andere. Die als israelische „Militäroperation“ deklarierte „Sicherheitsmaß-nahme“ mit dem offiziellen Namen „Cast Lead/Gegossenes Blei“ wurde von langer israelischer  Hand und unter Bruch der dann doch mit der gewählten Palästinenservertretung Hamas abgeschlossenen Waffenstillstandsverein-barung vorbereitet, wie allgemein bekannt wurde. Der Freibrief für ihr Vorgehen wurde der israelischen Regierung unvermittelt von der deutschen Kanzlerin Merkel ausgestellt, und zwar bedingungslos, galt es doch aus regierungsdeutscher Sicht die „Übergriffe der radikal-islamischen Hamas“[49] abzuwehren.

Allein in dieser kurzen Zeitspanne wurden über 1.400 Bewohner Gazas getötet, überwiegend Zivilisten, die meisten davon Jugendliche, während im gleichen Zeitraum 13 Israelis umkamen, davon 3 Zivilisten. Infrastruktur-einrichtungen, Polizeistationen, Schulen, 53 UN-Einrichtungen wurden bom-bardiert, völkerrechtlich geächtete Waffen kamen zum Einsatz. Trotz Nachrichtensperre - die Israelis ließen keine Journalisten in den Gazastreifen - gelangten genug Informationen nach draußen, um die Weltöffentlichkeit zu empören. Der UN-Menschenrechtsrat entschloss sich unter internationalem Druck, eine Untersuchungskommission nach Israel und in den Gaza-Streifen zu entsenden, um die Kriegsverbrechen beider Seiten (!) zu dokumentieren und gegebenenfalls Konsequenzen anzumahnen. Der 71jährige südafrikanische Richter Richard Goldstone, der jüdischen Glaubens ist und bekannt für seine Sympathien gegenüber Israel, sah seine Aufgabe durchaus nicht darin, Israel anzuprangern, im Gegenteil. Dennoch ließen ihn die Israelis auf ihrem Territorium nicht gewähren und ließen ihn auch nicht mit seinem Team nach Gaza einreisen. Dies war ihm und seinen Leuten nur über den einzigen ägyptischen Grenzübergang Rafah möglich. Auf der Gaza Seite standen ihm dagegen alle Türen offen. Sein Bericht wurde im November 2009 von der UN-Generalversammlung angenommen und ist für den Fall der Nichtbeachtung seiner Empfehlungen, die seitens Israels bis heute nicht erfolgte, an den Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu übermitteln. Seither wird der Richter Goldstone von arabisch-palästinensischer Seite mit Dank überschüttet und vom US-Kongress und von Israel geschmäht, ja sogar als „Moser“ gebrandmarkt, als Verräter also, eine Kennzeichnung, die schon vielen das Leben gekostet hat. Dahinter steht der Harvard Professor Alain Dershowitz, der Erfahrungen in der erfolgreichen Inszenierung von Hetzkampagnen hat sammeln können. So ist es ihm zu verdanken, dass Finkelstein keinen Lehr-stuhl an der de-Paul-Universität in Chicago bekommen hat.

Die deutsche Übersetzung des UN-Rapports – eigentlich eine Aufgabe des deutschen Menschenrechtsrats oder der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen oder doch von Parteienstiftungen, die Mittel aus dem Bundeshaushalt erhalten, besorgte bezeichnender Weise wieder ein jüdischer Privatmann, der Verleger Abraham Melzer.

Der nachfolgende Kurzbericht von der ebenfalls von ihm organisierten Pressekonferenz zum Goldstone-Report wurde  von keiner Publikation aufgegriffen:

“Man muss die Souveränität haben, einen eigenen moralischen Standpunkt zu entwickeln”, mit diesen Worten ermutigte Professor Rolf Verleger, das ehemalige Mitglied des Zentralrates der Juden in Deutschland, seine Zuhörer am Samstagvormittag im Haus der Bundespressekonferenz, Stellung zu beziehen gegen die zahlreichen Menschen- und Völkerrechtsverletzungen des Staates Israel in Gaza und den besetzen Gebieten. Bezugnehmend auf die Torah meinte er: „Die neuen Israelis sind heute aus Gaza. Wie damals im alten Ägypten, so sind auch heute die Führer Gott suchende Fundamentalisten – wie Moses.” Abraham Melzer hatte das internationale Panel zusammengerufen. Der Verleger und Herausgeber der Zeitschrift „Semit” machte es mit Hilfe von Freunden möglich, dass 20 Übersetzer engagiert werden konnten und eine Fachlektorin, so dass dem deutschen Publikum ab 15. März dieses Jahres der umfangreiche Bericht des UN-Menschenrechtsrates über den “Gaza-Konflikt” in Printversion zugänglich ist. Es würden allerdings noch Sponsoren gesucht, so dass der Text jedem Bundestagsabgeordneten an die Hand gegeben werden könne. Keiner solle diesmal mit der Ausrede durchkommen, man habe davon nichts gewusst. Melzer stellte als Veranstalter des Presseforums auch richtig, dass der in internationalen Kreisen höchst renommierte, südafrika-nische Richter Richard Goldstone sich keinesfalls - auf Grund der zahlreichen bösartigen Attacken gegen seine Person wäre solches ja denkbar - von seinem Report distanziert habe. Angesichts der unvoreingenommen Ausgewogenheit seiner Arbeitsweise, die durch ein fingiertes Interview mit ihm (Jürgen Jung/Radiosprecher und Sophia Deeg/Publizistin) treffend vorgeführt wurde, seien Anschuldigungen wie „Goldstone ist ein Verbrecher” (Maarif) oder  „Der Report ist eine Kriegserklärung an Israel” (der stellvertretende israelische Außenminister) unbegreiflich. Unbegreiflich insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass Israel jede Zusammenarbeit mit der Untersuchungskommission des UN-Menschenrechtsrats von Anbeginn kategorisch verweigert hat und das obwohl Goldstone nicht nur jüdischen Glaubens ist, sondern sich als Zionist für das „Verteidigungsrecht Israels” explizit einsetzt und seinen Auftrag im Interesse Israels ausgeführt wissen wollte. Von Anbeginn hatte er zur Auflage für seine Mitwirkung am UN-Auftrag gemacht, auch „die Verbrechen der Hamas” in Augenschein nehmen zu dürfen. Zugang zum GAZA-Streifen war ihm aber dann und das auch nur zögerlich seitens Ägyptens ermöglicht, während ihn in GAZA eine Sympathiewelle überall herzlich willkommen hieß. Die von ihm und seinen Mitarbeitern schließlich dokumentierten Kriegs-verbrechen Israels wurden aus dem Augenschein des UNESCO-Preisträgers (2008), Stephane Hessel, bestätigt, der mit Hilfe eines französischen Diplomatenpasses zur selben Zeit wie Goldstone im Sommer 09 in Gaza weilte. Jeff Halper vom israelischen Komitee gegen die Häuserzerstörung warnte in einem eindrücklichen Plädoyer vor den Folgen für die Welt-gemeinschaft und nicht nur für GAZA und die besetzten Gebiete, falls Israel sich für seine fortlaufenden Verletzungen des humanitären Völkerrechts nicht vor den dafür vorgesehenen internationalen Instanzen verantworten müsse. Israel werde zum Vorreiter dafür gemacht, geächtete Waffen wie weißen Phosphor und DIME-Munition ungestraft einsetzen zu dürfen, humanitäre Völkerrechtsbestimmungen, die die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilisten zwingend vorschreiben, auszuhebeln und als leere Hülse zurückzulassen und etwa die in den besetzten Gebieten erprobte Sicherheits-technologie (Körperscanning) weltweit der Verbreitung anzudienen. Michael Wieselmann aus den Niederlanden sprach im Namen des „Vorstandes der Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden” darüber, dass die Forde-rungen des Goldstone Reports etwa nach einer unabhängigen Untersuchungs-kommission realisiert werden müssten. Es sei sonst nicht länger hinnehmbar, dass Israel de facto (wenn auch nicht de jure) ein Mitglied der EU sein könne, was durch die Beteiligung an über 800 Programmen und Verträgen in der Praxis erwiesen sei. Damit sei die EU an all den von Jeff Halper angeführten „schönen Sachen” beteiligt, die dann in GAZA zur Anwendung kämen.

Auf der Web-Site der ARD fand sich immerhin folgender  Programmhinweis -- ein gutes Begleitprogramm zur Vorstellung der deutschen Übersetzung des Goldstone-Berichtes in Berlin (Melzer-Verlag), aber auch zur skandalösen ge-meinsamen Sitzung unserer Regierung mit der israelischen Regierung am Montag, genau ein Jahr nach den Morden in Gaza.

Israels Armee am Pranger? - Ein Jahr nach Gaza. Aus der Reihe "Auslandsreporter".

„Morgen, 16. 1. 2010, 16.30 Uhr – 17.00 Uhr (30 Minuten)

Januar 2009. Gaza liegt in Trümmern. Der Krieg hinterlässt 1.300 Tote, da-runter Zivilisten und Kinder. Nicht nur die Palästinenser, auch Amnesty Inter-national und der UNO-Bericht von Richard Goldstone werfen Israel Kriegs-verbrechen vor. Stur beschwört Israels Regierung, Zahal, zu Deutsch die "Ver-teidigungsarmee für Israel", sei die "moralischste Armee der Welt". Doch die Vorwürfe erhärten sich: Ijad al-Alami, Rechtsanwalt für Menschenrechte in Gaza, hat 936 Fälle zusammengetragen, allesamt mutmaßliche Menschen-rechtsverletzungen seitens der israelischen Armee im Gazakrieg. Auch in Israel selbst erschüttern Kritiker die Öffentlichkeit. Ein Untersuchungsbericht der Organisation "Schweigen Brechen", einer Gruppe ehemaliger israelischer Offiziere, beschuldigt Israel, Palästinenser im Gazakrieg als menschliche Schutzschilder missbraucht zu haben. Die Armee weist die Vorwürfe ent-schieden von sich. Doch auch nach der Gazaoffensive brechen die Vorfälle nicht ab. Was ist aus der Armee geworden, die laut Israel die moralischste der Welt ist? Woher kommen Menschenrechtsverletzungen einer Armee, die behauptet, nach schriftlich festgelegten ethischen Grundsätzen zu handeln? Diesen Fragen sind Uri Schneider und sein Kamerateam in Israel, in Gaza und dem Westjordanland nachgegangen. Das Ergebnis ist eine Reportage über eine Armee, die nach 42 Jahren Besatzung der Palästinensergebiete in einer moralischen Zwickmühle ist.“

Israelische Armee in „moralischer Zwickmühle“ (ARD)

Der Goldstone-Report kann in seiner Bedeutung gar nicht genug gewürdigt werden, deswegen wurde er kurz nach seinem Bekanntwerden vom US-Kongress als einseitig qualifiziert und zurückgewiesen. Deswegen wird der hochdekorierte südafrikanische Richter, der das UN-Untersuchungs-Team in Gaza leitete und in dessen Verantwortung der Bericht verfasst wurde, von der israelischen Rechtspresse als „Verräter“ stigmatisiert. Wer solch eine Be-zeichnung gegenüber einem hochrangigen UN-Delegierten einführt, muss um folgenden gefährlichen Präzendenzfall wissen, die Ermordung nämlich 1948 des schwedischen UN-Vermittlers Graf Bernadotte am 17. September in Jerusalem durch israelische Terroristen. Bernadotte war mit großen Sym-pathien für das jüdische Volk und sein Anliegen ins Land gekommen. Sein Vergehen war es, sich der Sache der pälastinensischen Flüchtlinge ange-nommen zu haben. Er forderte in seinem Bericht an den UN-Sicherheitsrat das Rückkehrrecht für diese Heimatvertriebenen. Damit hatte  er sich die zionistische Staatsführung zum Feind gemacht. Nicht anders ergeht es Richard Goldstone, zumindest wurde er stigmatisiert.

Trotz seiner überragenden Bedeutung ist der Goldstone-Report, angefertigt im Auftrag des UN-Menschenrechtsrats, nur die Spitze des Eisbergs und noch lange nicht die volle Wahrheit, wie Ilan Pappe in seinem Vorwort zur imMärz 2010 vorliegenden deutschen Printversion ausführt. Seit 1949 wurde der Staat Israel, der völkerrechtswidrig als Besatzernation vom besetzten Volk die formelle Anerkennung seiner Souveränitätsrechte einfordert, von der Völker-gemeinschaft für seine illegalen Vorgehensweisen immer wieder einmütig verurteilt. So bereits seit 1949 die israelischen Siedlungen in den nach der Staatsgründung eroberten Palästinensergebieten rechtswidrig, verstoßen sie doch gegen Artikel 49 der 4. Genfer Konvention. Die Verurteilung der völkerechtswidrig auf palästinensischem Boden errichteten Mauer durch den IGH erfolgte sogar mit der Stimme der EU. Die einzigen Gegenstimmen kommen gewohnheitsmäßig außer von Israel selbst von den Vereinigten Staa-ten und eventuell noch von einem von den USA abhängigen Zwergstaat, etwa Palau.

Zur brutalen Vorgehensweise der israelischen Armee gegenüber den Paläs-tinensern kam es aus den eigenen Reihen ebenfalls immer wieder zu Protesten.[50] Ein Blick in die Entstehungsgeschichte, der IDF(Israelian Defence Force/Israelische Verteidigungsstreitkraft), der israelischen Armee, mag zu-sätzlich verdeutlichen, dass auch hier die Selbstbeschreibung als eine der „moralischsten Armeen der Welt“ auf nichts als einem Mythos oder auf Selbst-täuschung beruht.


Vorgeschichte der israelischen Armee

Vorläufer der IDF war die Haganah, die in den 30 Jahren (während der ara-bischen Aufstände gegen die von der britischen Militär-Besatzung seit 1917 geförderte jüdische Immigrationswelle) entstandene zionistische Untergrund-armee.

Bereits um 1929 hatte der frühere Führer der Jüdischen Legion, Jabotinksky, mit der Aufstellung einer bewaffneten Miliz zur Verteidigung der jüdischen Siedlungen begonnen. Die Haganah scheute weder selbst vor Terrormaß-nahmen zurück, noch davor, sich später mit den offen terroristisch ope-rierenden Gruppen Irgun Zwei Leumi und Stern zusammenzuschließen. Jabo-tinsky starb 1940. Menachim Begin, damals noch Anführer von Irgun, löste ihn später ab. Es handelt sich um den uns als Regierungschef bekannten Menachim Begin. Er war 1946 für die Planung und Durchführung des Bombenanschlag auf das King David Hotel zuständig, das damalige Hauptquartier der Briten in Jerusalem. Es waren als Araber verkleidete Zionisten, die das Attentat ausführten, dem 88 Menschen zum Opfer fielen, Araber, Briten und Juden. Der Plan war der Haganah zur Zustimmung vorgelegt worden. Auch das Massaker von Deir Yassin am 9. April 1948, also nach dem UN-Teilungsbeschluss und vor der israelischen Staatsgründung, erfolgte unter Begins Befehlsführung, beteiligt waren diesmal Stern, Irgun und Haganah, sie handelten in Absprache mit den zionistischen Führern. Die Opfer waren mehr als 250 unbewaffnete, nicht vorgewarnte Dorfbewohner in der Nähe Jerusalems, die man um 4.30 Uhr in der Frühe überfiel. Unter ihnen befanden sich 35 schwangere Frauen[51] Begin brüstete sich übrigens später mit dem Vorgehen und sagte laut Jewish Newsletter von 1960 dazu: „Das Massaker war nicht nur gerechtfertigt, sondern es würde ohne den Sieg von Deir Yassin keinen Staat Israel geben“.[52] Das Dorf lag übrigens außerhalb des von der UN den jüdischen Siedlern zugesprochenen Terrains.

Die Überlebenden verschleppte man nach Jerusalem und führte sie im Triumphzug vor. Über Lautsprecherwagen wurde in den von Palästinensern bewohnten Stadtvierteln verkündet: „Wenn ihr nicht abhaut, dann wird das Schicksal von Deir Yassin auch euer Schicksal sein.“[53]

Heute ist das Dorf unauffindbar, an seiner Stelle findet sich ein Hospital für Geisteskranke, Kyriath Shaul. Ein weiteres Symbol für die gezielt provozierte Vertreibung der arabischen Bevölkerung war Kafr Kassem acht Jahre nur nach Deir Yassin. Der arabische Rechtsanwalt und Bürger des Staats Israel, Sabri Geries, schreibt dazu: „In der Nacht des 29. 10. 1956, am Vorabend der englisch-französischen-israelischen Aggression gegen Ägypten, wurde in Kafr Kassem kalt und brutal eines der grausamsten Massaker begangen, das 49 Unschuldigen das Leben kostete. Der Massenmord von Kafr Kassem ist ein unauslöschlicher Schandfleck auf dem israelischen Staat, für den sowohl die politische Führung des Landes als auch weite intellektuelle Kreise des jüdischen Volkes die Verantwortung tragen.“[54]   

Unter dem Stichwort „Terror“ schreibt Gert von Paczensky, erster Leiter der Panorama-Sendung im Deutschen Fernsehen, später Fernsehchefredakteur von Radio Bremen: „Es gab drei jüdische Kampforganisationen, die Haganah... hatte sich in den dreißiger Jahren über das ganze Land ausgedehnt, hatte nun etwa sechzigtausend Mitglieder und im Lauf der Zeit immer reichlich Waffen und Ausrüstung. Ihr 'Nachschub' kam durch Schmuggel und Diebstahl in britischen Depots, und schließlich verfügte sie sogar über Panzer. Dann kam die Irgun Zwai Leumi (drei- bis fünftausend Mann), die sich bis 1935 von der Haganah abgespalten hatte, aktiver und rechtsradikal war und schließlich der Stern (zwei- bis dreihundert Mann), der wiederum die Irgun 1939 verlassen hatte, weil sie ihm noch nicht radikal genug schien.[55]Diese Gruppen führten 1944/45 laut Paczensky eine Reihe von Gewaltakten aus, zunächst vornehmlich gegen die Briten, die Eskalation führte zu „reinem“ Terror, so dass schließlich trotz der Sympathien, die die Zionisten bei den Westalliierten genossen hätten, die wenig Sympathie für die ablehnende Haltung der Araber aufbrachten, Premier Churchill am 17. November 44 im Unterhaus erklärt habe: „Wenn unsere Träume für den Zionismus im Rauch von Mörderpistolen enden sollten, wenn unsere Bemühungen für seine Zukunft eine neue Nazi-Deutschland ebenbürtige Sippschaft von Gangstern hervorbringen sollte, dann werden viele meinesgleichen die Haltung überprüfen müssen, die wir so beständig und so lange in der Vergangenheit eingenommen haben.“[56]

Paczensky schließt sein Kapitel mit den Worten: „Bei uns begann 1970, als die Palästinenser mit den Flugzeugentführungen begannen, eine aufgeregte Verurteilung des „palästinensischen Terrors“. „Es ist keine Antwort,“ sagt der Fernsehjournalist von damals, „auf frühere oder spätere Gewaltakte gegen Juden und Engländer zu verweisen. Die Araber waren die Besetzten, denen Recht und Eigentum genommen wurden. So etwas 'Resistance' zu nennen und auch grausame Taten gegen Unschuldige mit der Hitze des legitimen Befreiungskampfes zu entschuldigen – das ist zwar im Zweiten Weltkrieg bei den Völkern modern geworden, die von den Deutschen besetzt waren. Aber für andere Völker (...) haben es die Europäer keineswegs anerkennen wollen - und die Zionisten auch nicht.“[57]

Einer der traurigen Höhepunkte solcher palästinensischer „Resistance“ hat sich besonders tief im deutschen Kollektivbewusstsein eingegraben. Es ist dies die versuchte Geiselnahme während der Münchner Olympiade 1972, die einem Blutbad in Fürstenfeldbruck endete. Ein Blick in eine uralte Gedicht-sammlung des damals im Londoner Exil lebenden Wiener Juden Erich Fried, der Vater ein Mord-Opfer der Gestapo, er selbst ein früh aus der Heimat-vertriebener, belehrt uns, dass es zu dem Blutbad, dem die Täter wie auch israelische Sportler zum Opfer fielen, bei einer besonneneren Handlungsweise nicht hätte kommen müssen. Auch an dieser Bluttat waren israelische „Verteidigungskräfte“, wie es scheint, beteiligt. Erich Frieds Schrift, erschienenen im Jahr 1974, trägt den Titel „Höre Israel“, in Anspielung auf einen Text aus dem alten Testament. Dort lesen wir neben vielen aufrüttelnden Gedichten folgende Zeilen: „Unsere revolutionären Kräfte sind gewaltsam in den israelischen Pavillion im olympischen Dorf eingedrungen mit dem Ziel , die israelischen Militärbehörden zu einem menschlicheren Verhalten zu veranlassen, und zwar sowohl gegenüber jenen, die sich unter dem Joch Israels befinden, als auch gegenüber denen, die gezwungenermaßen im Exil leben.“ Er zitiert damit eine fiktive palästinensische Quelle. Seine Kurz-darstellung sowie das folgende Gedicht widersprechen der üblichen Sicht-weise auf den Gang der Dinge, von dem man munkelt, dass er unter israe-lischer Regie gestanden habe. (Wikipedia verweist auf einen Film mit dem Titel „1972“, in dem der deutsche Polizeichef eine dahingehende Aussage getroffen habe.) Lesen wir dazu Fried:

Das Menschenmögliche

Acht Menschen haben versucht
elf Menschen gefangen zu nehmen
um sie auszutauschen gegen zweihundert Menschen
die schon lange politische Gefangene sind.
Dabei kam es zum Kampf
mit diesen elf Menschen
die teils Sportler und teils
Geheimdienstagenten waren
und die acht haben zwei
dieser Menschen erschossen

Die Folge der missglückten Geiselbefreiung, Täter und Opfer kamen um, waren nicht nur Straffreiheit für die für das Blutbad Verantwortlichen, son-dern fürchterliche israelische Racheakte gegen Palästinenserführer, die man für die Geiselnahme umbringen ließ[58].

Wieder führt die Spur rückwärts zur Gründungsideologie des zionistischen Staates, die Erich Fried mit den wörtlich zitierten, aber durch in Verse auf-gelöste Gedanken von Theodor Herzl so wiedergibt:

Fröhliche Jagd

Will man heute ein Land gründen
darf man
es nicht in der Weise machen
die vor tausend Jahren einzig
möglich gewesen wären

Es ist töricht
auf alte
Kulturstufen zurückzukehren
wie es manche
Zionisten möchten
Kämen wir beispielsweise
in die Lage ein Land
von wilden Tieren zu säubern
würden wir es
nicht in der Art der Europäer
aus dem fünften Jahrhundert tun

Wir würden nicht
einzeln
mit Speer und Lanze
gegen Bären ausziehen
sondern
ein große fröhliche Jagd veranstalten
und eineMelinitbombe unter sie werfen“.

(Melinit/Pikrinsäure war übrigens, im Erscheinungsjahr des „Judenstaates“, 1886, das erste detonierende, brisante Geschossfüllmittel, auch als Ekrasit bekannt geworden.)

(Aus dem Kapitel "Der Plan" von Herzls Buch, das die Vision der Neugründung eines jüdischen Staates enthielt. Herzl war der Pionier des Zionismus Ende des 19. Jh.)

Das Zitat findet sich in der Tat wörtlich in Herzls „Judenstaat“, kurz vor der fraglichen Stelle heißt es: „Der ganze Plan ist in seiner Grundform unendlich einfach und muss es ja auch sein, wenn er von allen Menschen verstanden werden soll. Man gebe uns die Souveränität eines für unsere gerechten Volksbedürfnisse genügenden Stückes der Erdoberfläche, alles andere werden wir selbst besorgen. Das Entstehen einer neuen Souveränität ist nichts Lächerliches oder Unmögliches. Wir haben es doch in unseren Tagen miterlebt, bei Völkern, die nicht wie wir Mittel-standsvölker, sondern ärmere, ungebildete und darum schwächere Völker sind. Uns die Souveränität zu verschaffen, sind die Regierungen der vom Antise-mitismus heimgesuchten Länder lebhaft interessiert. Es werden für die im Prin-zip einfache, in der Durchführung komplizierte Aufgabe zwei große Organe geschaffen: die Society of Jews und die Jewish Company. Was die Society of Jews wissenschaftlich und politisch vorbereitet hat, führt die Jewish Company praktisch aus. Die Jewish Company besorgt die Liquidierung aller Vermögens-interessen der abziehenden Juden und organisiert im neuen Lande den wirtschaftlichen Verkehr. Den Abzug der Juden darf man sich, wie schon gesagt wurde, nicht als einen plötzlichen vorstellen. Er wird ein allmählicher sein und Jahrzehnte dauern. Zuerst werden die Ärmsten gehen und das Land urbar machen. Sie werden nach einem von vornherein feststehenden Plane Straßen, Brücken, Bahnen bauen, Telegraphen errichten, Flüsse regulieren und sich selbst ihre Heimstätten schaffen. Ihre Arbeit bringt den Verkehr, der Verkehr die Märkte, die Märkte locken neue Ansiedler heran. Denn jeder kommt freiwillig, auf eigene Kosten und Gefahr. Die Arbeit, die wir in die Erde versenken, steigert den Wert des Landes. Die Juden werden schnell einsehen, dass sich für ihre bisher gehasste und verachtete Unternehmungslust ein neues dauerndes Gebiet erschlossen hat.“

zit nach julius Schoeps, hrsg von Altneuland/ der Judenstaat, 1978 S. 211-213

Auf den Inhalt der den Zeitgeist des imperialistischen Jahrhunderts atmenden Zeilen soll hier nicht näher eingegangen werden. Er verweist lange vor der Machtübergabe an die Nazis, vor dem Erscheinen eines anderen zur kolo-nialen Eroberung auffordernden Werkes mit dem Titel „Volk ohne Raum“ von Hans Grimm darauf, dass nichts aus nichts entsteht und darauf, dass unab-hängig von Volks- oder Religionszugehörigkeit nach den wirtschaftlichen Kräf-ten zu fragen ist, die solches Gedankengut und deren praktische Umsetzung finanzieren.

Es ist in jedem Fall der Geist, der die Moral der IDF, der israelischen Verteidigungstreitmacht, von der ersten Stunde an bestimmt hat.Um noch einmal auf die „Zwickmühle“ der israelischen Verteidigungskräfte in Aktion lange vor GAZA 2009 zurückzukommen, sei auf die UN-Resolution vom Dezember 1982, Nr. 37/123, Absatz D verwiesen, in der das Massaker im palästinensischen Flüchtlingslager von Sabra und Shatila im 1. Libanonkrieg als ein Akt von Genozid[59] verurteilt wird. Die Weltpresse berichtete darüber. Auf welche fürchterliche Weise die israelische Armee daran beteiligt war und was dabei auch den jungen Wehrpflichtigen angetan wurde, hat viele Jahre später der ausgezeichnete israelische Antikriegsfilm und Comic-Strip „Waltz with Bashir“ von Ari Folman 2008 auf hervorragende künstlerische Weise zum Ausdruck gebracht. Was das unmenschliche Vorgehen der Besatzungsmacht Israel mit den Menschen beider Völker macht, zeigt auch auf ganz andere, ebenfalls wunderbar einfühlsame Weise, der wie der Folman-Streifen preis-gekrönte israelische Spielfilm „Lemon Tree“ von Eran Riklis aus demselben Jahr.

Solche Filme verweisen auf ein anders, friedensüchtiges, nach Versöhnung und Ausgleich strebendes Israel.

Wie schwer es die israelische Jugend hat, sei hier nur angedeutet: Drei Jahre Wehrpflicht für männliche und zwei Jahre für weibliche Jugendliche und kein „Menschenrecht“ auf Kriegsdienstverweigerung (laut „War Resister's Inter-national“), eingezogen wird sofort mit dem Schulabgang. Israel ist das einzige Land der Erde, in dem es eine Wehrpflicht auch für Frauen gibt und spielt damit auch hier den Vorreiter für auch aus Frauensicht keinesfalls zu begrüßende Entwicklungen.

Zum Stichwort „Militärgesetzgebung“ ist unter Bezugnahme auf D. Hirst folgendes zu sagen: Der Staat Israel übernahm die „Verteidigungsregularien“ von der Britischen Besatzungsmacht, vor allem gegenüber den trotz gegen-teiliger Bestrebungen der neuen Machthaber in Israel verbliebenen ara-bischen Bevölkerungsteil. Ursprünglich waren diese Bestimmungen gegen die jüdische Gemeinde gerichtet, nach der Staatsgründung wurden sie über-nommen. Sie ermöglichen Deportationen, nächtliche Ausgangssperren, die Einrichtung von „Sicherheitszonen“, in die die arabische Bevölkerung keinen Zutritt hatte und vieles mehr.[60] 


Zionismus -  ein umkämpfter Begriff

Im Online-Lexikon Wikipedia lesen wir hierzu Folgendes:

„Nach dem Sechstagekrieg erreichte die Arabische Liga bei der UNO einige antiisraelische Resolutionen, die von einer Staatenmehrheit befürwortet wurden. 1975 verabschiedete die UN-Vollversammlung die UN-Resolution 3379, die Zionismus als eine Form des Rassismus verurteilte und alle Staaten aufrief, ihn zu bekämpfen. Alle Ostblockstaaten, alle islamischen Staaten und die meisten blockfreien Staaten stimmten für diese Resolution, nur 25 Staaten stimmten dagegen. Der spätere UN-Generalsekretär Kofi Annan bezeichnete dies 1998 als Tiefpunkt in der Geschichte der Vereinten Nationen. 1991 nahm die UN-Vollversammlung die Resolution zurück.“

Enthalten wir uns einer Bewertung des Wikipedia-Eintrags und lassen am besten authentische israelische Stimmen zu Wort kommen, die für sich sprechen mögen, Ellen Rohlfs hat eine ganz Reihe davon dokumentiert:

„Araber verschwinden zu lassen war ein zentraler Bestandteil des zionistischen Traums...“  Tom Segev, Es war einmal ein Palästina“ 2005, S.443 (Segev gilt als einer der „neuen israelischen Historiker“)

Chaim Weizmann: „Eines Tages werden sie (die Araber) gehen müssen, und uns das Land überlassen ... Wir Juden haben zehnmal mehr Intelligenz als sie“ 1919 Pariser Friedenskonferenz (Versailles) (erster israelischer Staatspräsident)

Ben Gurion: „Warum sind hier noch so viele Araber? Warum habt ihr sie nicht weggejagt?“ (Er hatte als israelischer Staatsmann einen Ausschuss für die „Entfernung und Vertreibung der Araber“ ins Leben gerufen; er war Mitglied der Jüdischen Legion, war Mitbegründer der Haganah, wurde noch von den Osmanen aus Palästina ausgewiesen und lebte lange in den USA)

Ariel Sharon: „Cut off their testicles!“ zit nach Yedioth Aharonot 29. 12. 1982 (schneidet ihnen die Hoden ab)[61]

Yitzak Rabin: „Wir werden die Palästinenser vernichten wie die Heuschrecken und ihre Köpfe an die Wand schlagen.“ New York Times, 1. April 1988, (Rabin erhielt später den Friedensnobelpreis und wurde ermordet von eigenen Ultras, denen er den Arabern gegenüber als zu moderat galt)

Benny Morris vergleicht in einem Interview die Geschichte der USA mit der Staatswerdung Israels: Even the greatest American democracy could not have been created without the annihilation of the Indians ...“ und rechtfertigt dies mit Blick auf das, was dem palästinensischen Volk 1948 widerfuhr bzw geschehen sollte: „Wenn es die Umstände erfordern, ... wird die Ausrottung die Endlösung sein.“ Haaretz 09. 01. 04 und israelische Dissidenz[62]

Die israelischen Gegenstimmen, die besorgt aufschreien oder Stimmen jü-discher Kritiker anderer Nationen wie die eines Noam Chomsky fehlen nicht, sind genauso zahlreich aufgelistet, sie sprechen aber nicht für das offizielle Israel. Chomsky schreibt im Juli 2006 während des Krieges gegen den Libanon: „Israel's poltical aim is nothing less than the liquidation of the Palestinians.“ (Israels politisches Ziel ist nichts Geringeres als die Liquidierung der Palästinenser.)[63]

Das war vor 4 Jahren.


Nachbemerkung

Die Fakten und das dazu gehörende Gedankengut sind wohlbekannt und gut dokumentiert. Es gibt eine Fülle an Büchern, Dokumenten, Zeitungsartikeln und UN-Beschlüssen die alles belegen: Seit nunmehr 60 Jahren Al Nakba widerfährt dem palästinensischen Volk großes Unrecht. Nach Vertreibung, Flucht, Krieg, nach mehr oder weniger erfolgreicher schweigender Hinnahme und Verdrängung ihre Existenz gibt es eine Periode des organisierten Aufbegehrens, auch des gewaltsamen Widerstands. Allmählich knicken ihre des Kämpfens und endloser Diskreditierung müde gewordenen Führer ein, lassen sich der Reihe nach kaufen oder werden ermordet, trotz zunehmender Kompromissbereitschaft, die vorerst mit Oslo ihren Höhepunkt erreicht zu haben schien. Mit dem Abkommen von Oslo wird die absurder Weise immer wieder vom besetzten Volk eingeforderte formelle Anerkennung des Existenzrechtes der Besatzernation Israel geliefert. Im Ergebnis ist keine Besserung in Sicht. Neues Unrecht braut sich zusammen. Wieder ist ein fast ohnmächtig zu nennendes Aufbegehren die Folge mit Intifada und Selbstmordattentaten.

Die IDF antwortet mit einer neuen Gewaltorgie und immer wieder werden beide Seiten beschworen, der Gewalt ein Ende zu setzen, während die westliche Welt Israel die Stange hält, sie mit immer raffinierteren und moderneren Waffen aufrüstet und die umliegenden arabischen Staaten mehr oder weniger als Marionetten dienen. Wer nicht ganz auf Linie zu bringen ist, fällt einem Bombenattentat zum Opfer (Libanon) oder wird zum Schurkenstaat degradiert (Syrien). Das palästinensische Volk ist aber noch immer nicht von der Bildfläche verschwunden. Flüchtlinge in aller Welt bestehen zumindest de jure auf ihrem in UN-Resolutionen verbrieften Rückkehrrecht. Den ermordeten Führern wachsen neue nach, säkulare und solche, die sich auf den Koran berufen wie andere auf die Torah oder die Bibel. Sie tun mithin, was ihre jüdischen Brüder, die „Gotteskriegerschaft“ beanspruchen, ihnen seit langem schon vormachen. Auch die christlichen Kreuzzügler haben es nicht anders gemacht, haben ihre Gier nach den Schätzen des Orient - heute sind dies vor allem das Öl im arabischen Raum und das Gas vor den Küsten GAZAS - damit kaschiert.[64]

Die palästinensische Zivilgesellschaft tritt unterdessen mit immer mehr Professionalität an die Öffentlichkeit und ihre zuletzt im April 09 in Genf auf der Badilkonferenz als Alternative zur Gewalt vorgestellte BDS-Kampagne findet weltweit immer mehr Nachhall. Mit dem Kommissionsbericht des UN-Menschenrechtsrats, den Richard Goldstone und sein Team erarbeitet haben, wuchs der Solidaritätsbewegung und dem Anliegen der Palästinenser eine wirksame Waffe. In Barcelona auf dem Russeltribunal zu Palästina wurde sie Anfang März dieses Jahres bereits erfolgreich erprobt und wird weiter und weiter verbreitet werden. In Deutschland vor allem wird das mit Hilfe der jetzt vorliegenden Druckversion unschwer gelingen. Die Sache des palästinensischen Volkes ist ein gerechtes Anliegen und wird daher am Ende siegen. Die demographische Entwicklung hilft ihnen dabei.

Währenddessen bombardiert die israelische Armee weiter das ausgehungerte Volk in GAZA, wie Radio Kultur am 19. März verkündet. Der diesmalige ein thailändischer Gastarbeiter, das armselige geschundene Opfer eines paläs-tinensischen Raketenangriffs, reklamiert von einer bis dato völlig unbekannten Splittergruppe. Nur mühsam lässt sich damit von den haarsträubenden Sied-lungsplänen ablenken, nach denen weitere 16.000 Häuser und schließlich bis zu 50.000 Wohnungen gebaut werden sollen. Das Recht ist auf Seiten der Palästinenser und jeder Sieg der Israelis ein Pyrrhussieg.

Für einen gerechten Frieden in Nahost einzutreten, was heißt das aber ange-sichts der skizzierten jahrzehntelangen Missachtung elementaren Menschen- und Völkerrechts? Gemäß allgemein anerkannter Normen internationalen Rechts sind folgende sieben Forderungen unverzüglich durchzusetzen und von den Friedenskräften geltend zu machen:

1) Aufhebung der Blockade des Gazastreifens und des Embargos

2) Beendigung der Besatzung palästinensischen Gebiets

3.) Freilassung der über elftausend palästinensischen Gefangenen, insbesondere der Hunderte von Kindern

4.) Gründung eines palästinensischen Staates mit uneingeschränkter Souveränität in den Grenzen von 1967 mit Ostjerusalem als Hauptstadt

5.) Abriss der illegalen Mauer auf palästinensischem Boden

6.) Räumung der ebenfalls illegalen israelischen Siedlungen auf palästinensischem Gebiet

7.) Das verbriefte Rückkehrrecht für aus dem ehemaligen Mandatsgebiet Palästina vertriebene Bewohner muss eingelöst werden

Diese sieben Forderungen entsprechen internationalem Recht und sind durch zahlreiche UN-Resolutionen bestätigt worden. Das so genannte Nahostquartett aus UN, EU und Rußland muss sich endlich der Aufgabe konsequent stel-len und auf Durchsetzung dieser sieben Forderung gegenüber Israel mit dem nötigen Nachdruck bestehen.

                                                                                                          Irene Eckert, Berlin


FUSSNOTEN

  1. Der Titel dieser Arbeit gibt den Text eines Banners wieder, das während des Ostermarsches 2008 vom AK Nahost der Friko getragen wurde.

  2. (1994) zit nach Edward Said „Frieden in Nahost?“ dt. Heidelberg 1997, er starb 2004, lehrte davor an der Columbia University in New York Literaturwissenschaft, war berühmt geworden durch seine Schrift „Orientalism“ (1978) und gilt seither weltweit als der bedeutendste palästinensische Gelehrte. Er ist 1935 in Jerusalem geboren. 12 Jahre lang sympathisierte er mit der PLO, bevor diese mit der Zustimmung zum Osloer Friedensabkommen - in seinen Augen - die Interessen seines Volkes verriet.

  3. Auf seiner sehr informativen Webseite www.steinberg-recherche.de nennt er nach der Absage an Finkelstein am 17. 02. 10 unter dem Titel „Was Tun?“ einige ihrer Akronyme, die mächtigste Gruppe darunter ist das AIPAC, sich selbst amerikanische pro-Israel-Komittee nennend.

  4. Der israelisch-arabische Konflikt, Bundeszentrale ..., Bonn 1990, S. 92

  5. „Einen anderen Zionismus gibt es nicht“, Junge Welt vom 24. April 2002, Themenseite 10/11. Werner Pirker wird von den entsprechenden Kreisen für solche Äußerungen als „Nationalbolschewist“ diffamiert. Auf Belege für die in der Tat terroristische Vorgeschichte des im Mai 1948 in Palästina konstituierten Staates Israel ist noch zurückzukommen.

  6. Von 1517-1918 integraler Bestandteil des Osmanischen Reichs.

  7. Professor Tandon aus Uganda leitet die inter-gouvernementalen Denk-Fabrik (Think Tank), die von großen Entwicklungsländern einvernehmlich finanziert wird, um altenative Lösungstrategien für global bedeutsame Fragen zu entwickeln, hier zitiert nach „There is another way out of the present dilemma“, South Bulletin Special Issue January 16th 2009.

  8. Diesen historischen Rekurs fordert etwa mit Nachdruck der israelische Wissenschaftler aus Jaffa, Ilan Pappe, wenn er im Januar 2009 sagt: „In diesem Jahr müssen wir versuchen, das Augenmerk der öffentlichen Meinung auf die Geschichte Palästinas und die Übel der zionistischen Ideologie zu lenken, .... ermöglicht doch nur eine historische Bewertung, die Größe derüber die letzten 60 Jahre am palästinensischen Volk verübten Verbrechen ans Licht zu bringen“ unter der Über-schrift „Israels rechtschaffene Wut und ihre Opfer in Gaza“ am 6.01.09 auf der Seite www.steinbergrecherche.com

  9. Kenneth M. Lewan, „Ist Israel Südafrika?“ Dura Verlag 1993, Tossen, ISBN 3 926703-024. Lewan ist US-Amerikaner und arbeitete als Rechtsberater für Ministerien und für den US-Kongress, geboren 1925 in Chicago Der Begriff „Zionismus“ ist ein politisch definierter Begriff und wie die ganze Nahosthematik emotional aufgeladen. Auf ihn und seine Entstehungsgeschichte ist näher einzugehen. Begriff und Geschichte des verharmlosend als „Konflikt“ bezeichneten Geschehens in der Levante sind einer rationalen, nüchternen Analyse zu unterziehen.

  10. Eigenbezeichnung der Staatsführer

  11. „Reuven Moskovitz, Der lange Weg zum Frieden – Deutschland-Israel-Palästina“, 6. Auflage 2009, Berlin, Verlag am BEATion/randlage S. 22

  12. „The Gun and the Olive Branch“ 1977. S 16

  13. David „The Gun And The Olive Branch -- The Roots Of The Violence In The Middle East“,  London 1977

  14. „Es war die Hochzeit des europäischen Imperialismus, ein fortschrittliches und dynamisches Europa wetteiferte um die Eroberung und Durchdringung rückständiger, hinterwälderischer Gebiete“ ebd. S. 17 (Übers. Die Verf.) Hirst mag an dieser Stelle nicht frei vom überheblichen Blick des Nordeuropäers erscheinen, seine akribische Analyse stellt exakte historische Zusammenhänge dar und nennt Fakten, die ihn nicht als unkritischen Beobachter ausweisen und deren Kenntnis nicht mehr als bekannt vorausgesetzt werden kann. 

  15. Felicia Langer in ihrem Vorwort zu Norman Finkelsteins „Antisemitismus als politische Waffe, Israel, Amerika und der Missbrauch der Geschichte“, München 2005, dessen Beurteilung unterstreichend.

  16. Wie mannigfach dokumentiert, wenngleich vor allem in Deutschland medialem Schweigen anheim gestellt.

  17. In seinem Buch The Birth of the Palestinian Refugee Problem, 1947-1949 (1988) schreibt Morris laut Wikipedia, die geschätzten 700.000 palästinensischen Flüchtlinge, die fürchteten, ins Kreuzfeuer zu geraten, weil sie Angst vor israelischen Aktivitäten hatten, aber nicht wegen eines existierenden Vertreibungsplanes. Dies war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung eine sehr umstrittene Position. Der offizielle israelische Standpunkt war, die Palästinenser hätten (ausschließlich) freiwillig oder nach Druck und Ermutigung durch palästinensische oder arabische Führer ihre Häuser verlassen. Zu Beginn des Buches veranschaulicht Morris mit einer Karte das Palästinensische Flüchtlingsproblem. Laut seiner Karte wurden 228 Dörfer wegen des Angriffs israelischer Truppen evakuiert, in 41 Dörfern wurden die Bewohner von militärischen Einheiten vertrieben und in 90 Dörfern flohen die Dorfbewohner in Panik, nachdem andere Dörfer angegriffen worden waren. Nur 6 Dörfer wurden laut dieser Darstellung von ihren Bewohnern verlassen, weil örtliche arabische Führer sie dazu aufforderten. Zu 46 weiten Dörfern konnte er keine Angaben machen. (wikipedia)

  18. Der Faschismusforscher Kurt Gossweiler leistet für das Tiefenverständnis allerdings wesentliche Beiträge, so etwa mit seiner wieder neu aufgelegten Publikation „Der Putsch, der keiner war – Die Röhm Affaire 1934 und der Richtungskampf im deutschen Faschismus“, Köln 2009, Reprint, vorgelegt vom PapyRossa Verlag nach der Originalausgabe von 1983

  19. dt. Erstausgabe München 2001 beim Piper-Verlag, inzwischen ist die 7. Auflage 2008 als TB erschienen.
    Übersetzung des Comics von 2006 „Wenn die Hamas einen Bus in die Luft jagt, wie sie es (vormals) in Tel Aviv zu tun pflegte und dann sagt ... Wir wollten nur das Fahrzeug zerstören, nicht aber die Insassen töten ... Dann würden die Leute das komisch finden ... Aber was ist daran denn anders, wenn Israel eine Tonnen schwere Bombe auf ein dicht besiedeltes Wohngebiet im Gazastreifen abwirft, wie es tatsächlich im Juli 2002 geschah, und dann sagt... Wir wollten keine Zivilisten töten, wir hatten es nur auf palästinensische Terroristen abgesehen“
    Erinnert uns dies nicht an ähnliche Äußerungen deutscher Verantwortlicher für das Massaker in Kundus im September 2009?

  20. Der international prominenteste Forscher , der Maßgebliches über die Vernichtung der Juden publiziert hat, Raul Hilberg, gibt Finkelstein im Großen und Ganzen recht, während etwa Elan Steinberg vom Jüdischen Weltkongress den Politologen oder wohl nur sein Buch (?) laut  Stern Archiv als „voller Scheiße“ charakterisiert.

  21. Eine solche Betrachtungsweise wäre dann konsequenter Weise auch auf das Verhalten des Staates Israel anzuwenden.

  22. Erinnert sei an die „Naumnannjuden“, die der Romanist Victor Klemperer in seinen „Tagebüchern“ erwähnt. Naumann hatte 1921 einen Verband nationaldeutscher Juden gegründet, militant rechts gerichtet. Er polemisierte bevorzugt gegen die „Ostjuden“. V. Klemperer „Ich will Zeugnis ablegen bis zum Letzten“, Tagebücher 1933-1941, Berlin 1995, Aufbau Verlag, S.731. Ein verherrender Irrtum ist die Annahme „jüdisch sein“ schütze vor politischem Irrgang, die Annahme ist genauso falsch wie ihr Gegenteil. Die Finkelstein angreifen, sind auch Juden...

  23. Die Verfasserin dieser Zeilen, selbst Politologin, kann sich etwa nicht daran erinnern, während ihrer Studienzeit, Anfang der Siebziger Jahre, auf den Begriff „Holocaust“ in der Literatur gestoßen zu sein. Selbst in Israel, wohin sie ein ausgedehnter Studienaufenthalt in eine Tel-Aviver Gastfamilie Anfang 1971 führte, schien der Begriff noch nicht gebräuchlich. Die Menschen, mit denen sie das Land ausgiebig bereiste, sprachen aber viel vom Völkermord, dem sie selbst als deutsche Juden entkommen waren. Am Jom Kippur wurden überall entsprechende Dokumentarfilme gezeigt. In den 80iger Jahren war in einem (West-) Berliner Geschichtsbuch für die Sekundarstufe 1 zu lesen, der Begriff „Holocaust“ bedeute „Brandopfer“ und sei eigentlich wenig geeignet, das reale Geschehen adäquat zu erfassen, denn schließlich hätten sich die Juden nicht selbst geopfert oder wären geopfert worden, sondern wurden schlicht umgebracht. Der unter ihnen gebräuchliche Begriff für das Verbrechen sei Shoa.

  24. Womit er zu einer idealistischen, tendenziell verharmlosenden Bewertung der Rolle Deutschlands nach dem Kriege und entsprechend auch Europas gelangt

  25. Auf die üble Rolle des A. Dershowitz als Rechtsverdreher wird noch einzugehen sein

  26. Eine solche Karriere verdankt auch ein Noam Chomsky nicht seinen politischen Publikationen. Diese konnte er sich leisten, weil er am Massachussets Institute For Technology schon einen Lehrstuhl für Linguistik hatte, dort wo kriegswichtige Forschung betrieben wird.

  27. Zit. nach Süddeutsche Zeitung vom 9.02.2001 unter der  Überschrift: „ Am Tatort der Debatte – Norman Finkelsteins bizarrer Berlin-Besuch: tonlos und stürmisch“. Der Politologe hatte offenbar ins Schwarze getroffen.

  28. Siehe ebd.

  29. Siehe Stern-Archiv, STE I Ausgabe 6I01-2001 Seite 152

  30. ebenda

  31. In seiner berühmt gewordenen Hamburger „Gänsemarktrede“ vom 2. Januar 2009 konzidiert Norman Paech auch für seine Begriffe ungewöhnlich klar das kriegerische, völkerrechtswidrige Vorgehen Israels, zumindest für den vorliegenden Angriff auf Gaza: „Die Politik der letzten Jahre hat nie ein ernsthaftes Anzeichen für einen wirklichen Friedenswillen erkennen lassen. Ja, sie ist kriminell, wenn wir die Folgen der Luftangriffe sehen, die zu einem Massaker unter der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen geführt haben. Sie sind durch kein Recht auf Selbst-verteidigung oder Notwehr legitimiert.“

  32. Siehe Wissenschaftler der südlichen Hemisphäre, wie Prof. Tandon, aber auch Prof Kenneth M.Lewan, der Erzbischof Desmond Tutu mit den Worten zitiert: „Israels Behandlung der Palästinenser in den besetzten Gebieten ist vergleichbar mit der Unterdrückung der Schwarzen in Südafrika“ S. 9, a.a.O.

  33. Der Begriff „Geschichtsrevisionist“ ist hier nicht zu verwechseln mit dem wissenschaftlich definierten Begriff des Revisionismus in der Arbeiterbewegung, er meint hier ein Umschreiben der Geschichte aus dem Blickwinkel der Nazis

  34. Nun mag der eine oder andere davor zurückschrecken, in der zionistischen Lobby einen Arm der „herrschenden Gewalten“ zu sehen und seine eigene prozionistische Haltung, im Sinne eines Philosemitismus missverstehen. Genau dieses Missver-ständnis aufzuklären, darum muss es im Interesse der ganzen Menschheit aber gehen. Ein solch unkritischer, unhistorischer Philosemtismus ist nur die Kehrseite des Anti-semitismus. Er nützt weder dem jüdischen Volk, noch nützt er anderen Völkern. Er ist ein gefährlicher, folgenreicher Irrtum.

  35. Lesenwert ist in diesem Zusammenhang der Roman des jüdisch-amerikanischen Autors John Hersey „The Wall“, der aufzeigt, dass die Fraktionierung in soziale und politische Strömungen selbst noch im Warschauer Ghetto an der Tagesordnung war.

  36. Siehe Bundestagsbeschluss vom 4. 11. 2008 / Bundestagsdrucksache 16/120776, von der Linken-Fraktion eingebracht unter dem irreführenden Motto „Den Kampf gegen den Antisemitismus verstärken, jüdisches Leben in Deutschland weiter fördern.“

  37. Siehe das Assoziierungsabkommen EU-Israel

  38. Hervorgehoben werden muss, dass es vereinzelte Lichtblicke durchaus hin und wieder gibt, so die von der JW am 05. 03. 10 abgedruckte Stellungnahme des Jugendverbandes der HAMBURGER LINKEN, solid, die sich in sehr deutlicher Sprache hinter Finkelstein stellt und die die pro-kriegerischen Machenschaften von Bak Shalom und anderen Verbandsgliederungen der Linksjugend mit den Worten anprangert: „Deutsche Staatsraison kann keine Orientierung für die Linke sein“. Sie finden sich in guter Gemeinschaft mit den 12 Abgeordneten der Linken, die der dies bezüglichen Bundestagsresolution vom November 08 ihre Zustimmung verweigert haben.

  39. Ilan Pappe, „Die ethnische Säuberung Palästinas,“ 2006

  40. Der Begriff geht auf den Renaissance Menschen Machiavelli zurück und steht für rücksichtslose Gewaltpolitik.

  41. Wieder waren es bedeutende jüdische Mitbürger aus aller Welt, die sich im April 09 schützend vor Dierkes gestellt hatten, gegen den eine Woge von Vorwürfen erging, die natürlich im Vorwurf des Antisemitismus gipfelte. Siehe Anzeige in der jungen Welt vom 25/26. April 2009

  42. Siehe Lewham a.a.o.

  43. Badil = Alternative, gemeint ist die Alternative zur Gewalt

  44. Positiv hebt sich die Hamburger Solidgruppe ab, siehe JW vom 5.März 10

  45. In Berlin nahmen ihresgleichen mit wehenden Fahnen an der Jubeldemonstration für Israel teil, während des Angriffs auf Gaza im Januar 09. Ein Vertreter der Linken mit Namen Lederer sprach dort in ihrem Sinne.

  46. Am 8. März 20010 berichtet die Junge Welt über die Pläne der ägyptischen Regierung, die Abriegelung des Streifens, dessen Versorgung seit Monaten nur noch über ein Untertunnelungssystem nach Ägypten hin funktioniert, durch eine 25 Meter tief in die Erde eingelassene Stahlmauer perfekt zu machen. Bereits Ende 2009 hatten die israelische Zeitung Haaretz und auch die BBC eine Karte und weitere Details der Stahlmauer veröffentlicht.
    Währenddessen dokumentiert die Autorin und Übersetzerin Ellen Rohlfs in ihrer im Oktober 2009 erschienen Textsammlung „Was geschieht eigentlich hinter der Mauer in Palästina? `Nur´ Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Völkermord“ (Selbst-verlag) das genozidale Geschehen.
    Zu den engagierten Journalisten auf israelischer Seite sind neben Ury Avnery Amira Hass „Ab morgen wird alles schlimmer - Berichte aus Palästina und Israel“, Beck 2006, und Michael Warschawski hervorzuheben.

  47. Kontrovers: Der israelisch -arabische Konflikt, hrsg. Von der Bundeszentrale für Politische Bildung  4. aktualisierte Auflage , Bon 1990, S. 140

  48. Auch hier musste  das schließliche  Opfer erst  zum Täter dämonisiert werden, damit man es erledigen konnte

  49. Siehe die Bremer Islamwissenschaftlerin Ivessa Luebben, die deutsch-arabische Vereinigung, Helga Baumgart, Dozentin an der Bir Zeit Universität zum Charakter der Hamas

  50. Um nur ein jüngstes Beispiel anzuführen „Breaking The Silence“ 54 Berichte von israelischen Soldaten http:medico.de/media/operation-cast-lead Pdf15.7.09, der Link enthält auch eine Filmbeitrag von Al Jazeera, einer empfehlenswerten informativen Nachrichtenquelle

  51. Dav bid Hirst, Gun and Olive Branch, a.a.o. Kapitel „Gun Zionism“ S. 108- 146, aber auch Sabri Geries/Elie Lobel, Die Araber in Israel, München 1970, trikont  oder Ilan Pappe, die Ethnische Säuberung a.a.O. Oder Thomas Billard /Peter Jacobs, Die Palästinenser, Hanau 1979, Orientverlag

  52. Zit. nach Paczensky, S. 83

  53. Die Palästinenser, a.a.O. S. 95

  54. Die Araber in Israel, a.a.O. S. 144

  55. Gert von Paczensky, Faustrecht am Jordan? Tübingen, Basel 1978, S. 72

  56. Zitiert nach ebd,, siehe auch „A survey of  Palestine“ , Jerusalem 1946

  57. Paczensky, a.a.0. S. 74

  58. Im Februar 1999 war es in Berlin zu einem Blutbad im israelischen Generalkonsulat  gekommen. Israelische Wachmänner hatten das Feuer auf kurdische Jugendliche er-öffnet, die versucht hatten, das Gelände zu besetzen. Wie sie auf das Gelände gelangen konnten ist unklar. . Geschossen wurde aus dem Konsulatsgebäude heraus.  Die Täter, die  drei Erschossenen und viele Verletzte zu verantworten haben,  wurden nach Israel ausgeflogen und auch dort nie zur Rechenschaft gezogen. Die ARD Fern-sehsendung Kontraste  berichtete am 29. Mai 1999. Hintergrund der Affaire war die Gefangennahme des Kurdenchefs Öcalan.

  59. Ein Völkermord oder Genozid ist der Versuch eines Staates oder einer herrschenden Gruppe, "eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören" (UN-Konvention von 1948). Völkermord ist ein Straftatbestand, der im Völkerstrafrecht entstanden ist, mittlerweile aber auch in verschiedenen natio-nalen Rechtsordnungen ausdrücklich verankert ist.

  60. D. Hirst a.a. O. S. 184 - 185

  61. Zit. nach Ellen Rohlfs „Was geschieht eigentlich hinter der Mauer ...“ S. 24. Sharon war für das Massaker in Sabra und Shatila als Verteidigungsminister verantwortlich, er musste deswegen 1983 aus dem Amt zurücktreten, blieb aber Minister ohne Geschäftsbereich. Er war ehemaliger General und von 2001-2006 Ministerpräsident Israels

  62. Ebd. S. 25

  63. Ebd.

  64. Prof. Tandon wies im April 09 in Genf daraufhin, dass die Rechte für die Gasreserven vor der Küste Gazas zu 90% in den Händen der British Gas (BG) und seinen Partnern in Athen, der CCC lägen. Siehe auch:  Yash Tandon, Reflections and Forsights on Develop-ment and Globalisation: Daring to Think Different, Genf 09, S. 153, die Publikation kann bei www.southcentre.org kostenfrei bestellt werden

Außer in den Fußnoten angegebene  verwendete Literatur: